gl. 272. 28. Aahrgavg.z. Kkillize Ks.Anilrls" Kcrlim NsIKblsIlSonntag. 19. November l911.ver prügel-cancktsg.ei« deutsches Musterparlament.Tintenfässer und Schreibpultdeckel fliegen durch die Luft.Borstige tschechische Jgelköpfe würgen mit HauSlnechtstatzen löwen-mähnige Germanen. Würdige Greise blasen auf Kindertrom.petchen. Feiste Pfasfen boxen mit ruppigen Demokraten und umdie Rednertribüne ballt sich ein unentwirrbarer Knäuel wütenderRauser. So konterfeiten einst bürgerliche Witzblätter das öfter-reichische Parlament in der nicht versteckten, sondern sehr offen»baren Absicht, den Parlamentarismus lächerlich zu machen, um denpreuhisch-deutschen Halbdespotismus in um so hellerem Glänze er-strahlen zu lassen.Als ob nur ein wüstes Tohuwabohu sich zur Satire eignete!Die sanften, ruhigen, ölig glatten, kleinen Landtage des deutschenBundesstaates sind eigentlich noch viel komischer als daS karikierteösterreichische Parlament. Und das beste dabei ist, datz man diesekleinen Landtage gar nicht zu karikieren braucht, die Photo-graphie ist schon Karikatur genug.Ein solch unübertreffliches Modell für den Stift des satirischenZeichners ist die braunschweigische Volksvertretung. Der Weg zuihr ist nicht so bequem wie großstädtischer Asphalt, er ist miteirunden, harten mittelalterlichen Kopfsteinen gepflastert und führtüber den Eiermarkt in Braunschweig, der zu den fiskalischenPlätzen gehört, für die der braunschweigische Landtag, vom Volks-mund die Bauernstube genannt, kein Geld übrig hat. Sehen wiruns in diesem wunderlichen Landtage etwas näher um.Vier Dutzend Abgeordnete zählt die Volksvertretung. Etwaachtundzwanzig verraten auf den ersten Blick den schwer reichenBauer. Nur der Führer dieser wackeren Volksvertreter, einer derreichsten, ist rappeldürr, glattrassiert und uralt. Er könnte Molierezu seinem Geizigen gesessen haben. Daran reihen sich nicht wenigerals fünf städtische Bürgermeister, unter denen der von Schöppen-stedt bedenklich an den Abt von St. Gallen erinnert. Auch einadliger Herr, ein Offizier a. D-, ist darunter. Er spricht nie zurSache, sondern setzt bei jeder passenden, namentlich aber bei jederunpassenden Gelegenheit eingepökelte Kriegervereinsreden ab.Neben den Bürgermeistern haben sich zwei hochwürdige Geistlicheniedergelassen, die stets den Lutherrock im Koffer mitbringenmüssen, da am braunschweigischen Hofe Geistliche nur im Luther-rocke empfangen werden. Die hohe Bureaukratie ist durch vierAbgeordnete vertreten. Ihr gehört der Präsident an, ein Kreis-direktor, den man in Preußen Landrat nennt. Er thront zwarüber dem Ministertisch, neigt aber, bevor er eine Amtshandlungbegeht, erst stets sein Ohr zu seinen hohen Vorgesetzten herab, umsich zu vergewissern, daß sie mit seinen Anordnungen einverstandensind. Sein ständiges Attribut ist ein riesiger Spucknapf, den erfleißig zu benutzen pflegt. Die Großbourgeoisie leistet sich einenBierbrauermillionär, einen Baumwollwarenmillionär, einenSchokoladenmillionär, einen Bankier und einen Schnapsbrenner,der in seinem Machtbereich, den er als Ratsherr beherrscht, strengdarüber wacht, daß jeder Wirt nur ratsherrlichen Schnaps bezieht.Ein adliger Rechtsanwalt wahrt die Interessen des legitimen, abernicht regierenden Landesherrn, des Herzogs von Cumberland.Dann erst kommen die Vertreter des Volkes, die sich Männer desMittelstandes nennen. Zwei davon sind Hoflieferanten, von denensich kürzlich einer, nachdem er die JnnungSkasse im Laufe der Feitum 250 000 M. erleichtert hatte, ums Leben brachte. Der dritte'ist ein schwer reicher vielfacher HauSagrarier, Bauunternehmerund Bodenspekulant. Man sieht: das braunschweigische VolkJönnte sich gar keine bessere Volksvertretung wünschen. Die Herrenvon Bildung und Besitz sind ganz unter sich. Sie werden durchkeinen proletarischen und keinen demokratischen Einschuß gestört.Sie teilen sich auch nicht in politische Parteien, sondern nennensich bescheiden nur die Förderer deS Wohles aller Klassen. In dieRegierung haben sie freilich nur dann hineinzureden, wenn e» sichum LandeSgrundgefetze oder Steuersachen handelt. In allen übri-gen Materien kann die Regierung ohne Zustimmung des Landtages Gesetze machen, sie braucht nur seinen Rat und sein Gut-achten zu hören, ist aber nicht verpflichtet, weder das eine nochden anderen zu beachten.Wohnen wir einmal einer Sitzung dieses wohlgesitteten Land-tages bei. Es ist eine oppositionelle Sitzung. Der ganze Landtaglehnt sich auf gegen Regierung und Klassenjustiz. Ein Lehrerin der ehemaligen Universitätsstadt Helmstedt hat einen Schülermißhandelt, indem er ihn so durchprügelte, daß der Arzt einegesundheitsschädliche Körperverletzung konstatieren mußte. Daraufwurde der Prügelpädagoge vom Schöffengericht freigesprochen, vonder Strafkammer aber im Berufungsverfahren zu der drakonischenStrafe von 5 M. Geldbuhe verurteilt. ES existiert nämlich ausdem Jahre 1833, also mitten aus der Zeit der schlimmsten Metter-nichschen Reaktion, eine Konsistorialverordnung— daS Konsistoriumhat im Herzogtum Braunschweig die ganze Schulgewalt—. nachder die Lehrer dahin wirken sollen, daß die körperliche Züchtigungseltener wird. Die Lehrer sollen sich nach dieser Verordnung davorhüten, in leidenschaftlicher Hitze zu schlagen. Sie sollen über-mäßige Züchtigungen vermeiden und nicht auf den Kopf hauen.Darüber entrüstete sich nun der ganze Landtag und verlangtedie Aufhebung dieser unzeitgemäßen Verordnung. Ter Führerim Streit war ein Mathematikprofessor des Gymnasium».Er erhob sich zornbebend und verlangte in seinem gekränktenHumanitätsgefühl unbedingte Prugelfreiheit für den Lehrer. Dasganze Haus stimmte ihm mit dröhnendem Beifall bei. E» warganz begeistert von den Ansichten deS Herrn Professor», als diesersagte:„Die höchst unverstandigen Eltern, statt sich darüber zufreuen, daß da» Erziehungswerk an dem Bengel von anderer Seitein die Hand genommen ist, haben noch die Unverschämtheit gehabt,mit dem Jungen zu Aerzten zu gehen um eine Ueberschreitungdes Zuchtigungsrechte» festzustellen." Nach der Meinung dieseshumanen Professor» werde in der Schule viel zu wenig geprügelt.Er schloß pathetisch mit den wörtlich dem amtlichen stenographischenBericht entnommenen Worten:„Meine Herren! Der Staat ist immer bei der Hand, wenneS sich um die Autorität der anderen Beamten handelt. JederNachtwächter und jeder Gendarm wird durch drakonische Maß-regeln in seiner amtlichen Autorität geschützt. Beim Lehrerallein heißt eS: schütze dich selbst. Und wenn er sich dann zuschützen sucht uno das tut. waS er für erforderlich halt, dannfällt ihm derselbe Staat in den Arm und sagt: Halt einmal, duhast die Verfügung vom 29. Oktober>836 übertreten und wirstdeshalb verurteilt. Meine Herren! Wenn in der schule nichtmehr geprügelt werden darf, so liegt darin e,ne ernste Geiahrfür unsere Jugend, ja für unseren ganzen Staat. Mochte dochauch der Herr Minister diese Gefahr nicht unterschätzen, sondernihr mit kräftiger Hand begegnen und sich nicht beirren lassendurch einen Einspruch von den Anwälten einer falschen Humani»(Sebhoffer Beifall de» ganzen HauseS.)Es mag auch sonst prügelwütige Professoren geben: aber dieserProfessor steht in Braunschweig noch in liberalem Geruch und wirdzur linken Seite des Landtage» gerechnet Wenn das schon amgrünen Holze geschieht....Bezeichnend ist«»auch, daß da» ganze Hau» förmlich nach demPrügel schrie und sich kein einziger Abgeordneter fand, der mo-dernen pädagogischen Grundsätzen da, Wort redete. Man stellter 2v Ö1i{- Standpunkt, der Lehrer müsse in der Hihe prn-.?'e.7 urgermeister. die Vastoren, die Kommerzienräte die»Mitteluandler und die Großbauern verlangten Prügel, Pru-acl und noch einmal Prügel. Ein Abgeordneter aus den Kreisenher hohen Bureaukratie. ein Staatsmedizinalbeamter, meintesogar, nur mit Widerstreben habe er einmal gesundheitsschädlichePrugelfolgen Escheln, gen müssen, weil eben der Jung« nach denSchlagen acht Tage lang nicht habe sitzen können. Geschadet habedaS aber dem Bengel gar nichts. Er hätte am liebsten das Gut-!achten mit den Worten zurückgeschickt: Schade, wenn etwa» danebengegangen ist.Der Wortführer der regierenden Großbauern meinte darauf,wenn der Junge acht Tage nicht hätte sitzen können, hätte er lieaensollen. Geschadet hätte ihm daS gar nichts. Diesen rohen Wortenfolgte große Heiterkeit im ganzen Hause.Und was sagte der Regierungsvertreter, der Kultusminister?Die Regierung hätte leider den Staatsanwalt nicht zurückhaltenkönnen, aber sie habe den bestraften Lehrer wegen seines Verhak-tens belobt. Er solle sich durch die Strafe nicht verleiten lassen,in seinem Eifer zu erlahmen.(D. h- also, er solle ruhig weiter-prügeln.) Die Regierung werde übrigens die alte Konsistorial-Verordnung, die das Prügeln unzeitgemäß einschränke, aufheben.Darauf stimmte der Landtag einstimmig dem Antrage zu, dieKonsistorialverfügung aufzubeben und das Prügelrecht der Lehrernicht zu beschränken. Schade, daß.sich Knuten-Oertel diese Ge-legenheit entgehen ließ, dem braunschweigischen Landtag ein begeistertes Lob zu spenden.Als einige Zeit später ein neuer Kultusminister sich dem Land-tage vorstellte, wurde er sofort gefragt, wie er es mit dem Prü-geln halte. In warmen Worten versicherte er, ganz den Stand-punkt des Landtages zu teilen, die Regierung werde die Schul-Züchtigung neuregeln, dabei jede falsche Humanität vermeiden unddem Prügel wieder zu seinem guten alten Recht verhelfen. Wernoch glauben sollte, daß in Deutschland Humanität herrsche, dermag seinen Glauben schleunigst abschwören.Von einer anderen Seite zeigte sich das braunschweigischeMusterparlament bei der Beratung einer Fortbildungsschulvorlage.Das Herzogtum Braunschweig hat nämlich keine obligatorischenFortbildungsschulen. Erst die Arbeiterjugendbewegung gab der Re-gierung den Gedanken ein, Fortbildungsschulen zu gründen, umdem sozialdemokratischen Einfluß entgegenzuwirken. Sie holtedeshalb den Rat und das Gutachten des Landtages über eine Vor-läge ein, die den Gemeinden gestattete, nach ihrem Gutdünken obli-gatorische Fortbildungsschulen einzurichten.Der Wortführer der Großbauern erklärte, der Vorlage zu-zustimmen. Manche brauchen zwar keine Fortbildungsschulen,aber die Landgemeinden würden schon nicht so unvernünftig sein,sie einzurichten. Auf dem Lande sei, Gottlob, noch die Ansicht derGroßgrundbesitzer allein maßgebend. Er habe auch nur die Volks-schule besucht und keine Fortbildungsschule gesehen und sei dochein gescheiter Mann geworden. Ein anderer Großbauer war des«halb gegen die Fortbildungsschule, weil dann die Söhne reicherBauern mit den Ochsenjungen auf einer Bank sitzen müßten. Dasmöge in Süddeutschland angehen, wo die meisten Bauern kleineBauern seien, in Braunschweia habe man aber große Bauern, dieließen sich ein solches Sammelsurium von einer Fortbildungsschulenicht gefallen.Ganz aus dem Herzen des Landtag? und von lebhaftem Bei-fall unterbrochen, sprach ein anderer Großbauer. Ein Mensch, derdazu bestimmt sei, sich mit körperlicher Arbeit sein Brot zu ver-dienen, brauche neben Religion nur Lesen, Rechnen und Schreibenzu lernen. Das gäbe die besten Landarbeiter, die müßten demLande erhalten bleiben. ES sei auch ganz falsch, wenn man sage,die Fortbildungsschule solle der Jugend Achtung vor der Autorität,vor Sitte und Anstand beibringen. Dazu brauche man keine Schule,das besorge der Knüppel viel besser. Knüppel aus dem Sack! müssees heißen. Die Polizisten und Gendarmen müßten das Rechterhalten, ohne weiteres handgreiflich zu werden. Prügelsreiheitfür Polizei und Gendarmerie sei die beste Fortbildungsschule. DieBauern würden keine Dienstboten unter 13 Jahren mehr ein-stellen, wenn diese in die Fortbildungsschule müßten. Wenn diePfarrer auf Herz und Gemüt der schulentlassenen Jugend ein-wirken wollten, sollten sie sich mit dieser in den Spinnstubenzusammenfinden. Der Volksvertreter schloß unter dem lebhaftenBeifall deS Landtages mit den Worten:„Ich bleibe bei meinerAnsicht, daß unser Herrgott die Welt regiert und der Knüppel dieMenschheit."Gewaltig donnerte auch gegen die Fortbildungsschule einschwerreicher Großbauer namens Schliepbacke, der gleichzeitig auchder LandeSsynode angehörte. Dieser Kulturträger wurde kurzdarauf wegen Betruges zu 6 Wochen Gefängnis verurteilt, weiler sich eine falsche Viehwage fabriziert und damit Jahre lang dieViehhändler schwer betrogen hatte. Im Landtage floß er abervor bäuerlicher Ehrbarkeit förmlich über.Schließlich wurde die Fortbildungsschulvorlage doch angenom-men, nachdem der jetzige StaatSminister Hartwieg dem Landtagedie feierliche Versicherung gegeben hatte, daß es der Regierungnicht um die Förderung des Wissens, sondern nur um die BildungdeS Charakters und Gemüts zu tun sei.Derselbe Minister hatte auch zwei großbäuerische Abgeordneteauf den Fortbildungsschultag nach München entsandt, sich vonihnen aber versprechen lassen, daß sie dort kein Wort reden würden.Er befürchtete mit Recht, daß sie, wenn sie den Mund auftäten, dasganze Herzogtum Braunschweia blamierten.Daß in einem solchen Musterlandtage für da» gleiche Land-tagSwahlrecht kein Verständnis zu finden ist, liegt auf der Hand.Bei allen Wahlrechtsdebatten hielten sämtliche Landboten an demDreiklassenwahlrecht fest. Der Abgeordnete Kleye, der gleichzeitigauch der nationalliberalen Fraktion de» Reichstages angehört, er-klärte ganz treuherzig:„Meine Herren, wenn wir daS allgemeine,gleiche, direkte und geheime Landtagswahlrecht einführen, dannverschwinden nicht nur sämtliche Herren, die jetzt die Stadt Braun-schweig im Landtag« vertreten, sondern wir graben unS alle da»Grab. ES kommt keiner von un» wieder in den Landtag. DeS»halb wollen wir nicht Selbstmord begehen und halten an der Drei-klassenwahl fest." Auch dieser Volksvertreter fand den ungeteiltenBeifall des ganzen Landtages.Diese Proben mögen genügen, um den Lesern einen Begriffvon der geistigen, politischen und kulturellen Höhe zu geben, aufder das braunschweigische Parlament steht. Dabei ist Braunschweigkein Mecklenburg, sondern ein Industriestaat, das älteste nieder-sächsische Kulturland, das im Herzen der verkehrsreichsten unddichtbevölkertsten Gegend Niederdeutschlands liegt.J3ug der Partei.Totenliste der Partei.In Hamburg ist am Mittwochabend Genosse MatthiasOckelmann im 37. Lebensjahr? gestorben. Matthias Ockelmannwar schon in sehr jungen Jahren ein überzeugter Anhänger der� Sozialdemokratie-, noch zu den Zeiten des Allgemeinen DeutschenArbeitervereins gehörte er zu den eifrigsten Agitatoren. Er hattenach vollendeter Schulzeit da» Drechslerhandwerk erlernt, fand abermit seinem regen Geist darin keine Befriedigung und sattelte nochum. als er schon die ersten Jünglingsjahre hinter sich hatte. Erwurde Lehrer und hat dann eine lange Reihe von Jahren alssolcher gewirkt. Eins nur machte ihm in jener Zeit oft Pein, daßer nicht mehr öffentlich für seine politische Ueberzeugung wirkenkonnte, wie in jüngeren Jahren. Dafür blieb er aber im stillenimmer in engem Konnep mit der Partei und besonders verband ihnmit dem leider schon so zung verstorbenen August Geib enge Freund-schaft.Al» dann 1897 die Hamburger Kirchenschulen eingingen,weigerte die Oberschulbehörde sich, Ockelmann mit in den Volksschub-dienst zu übernehmen, wie eS mit den meisten anderen Lehrern derKirchcnschulen geschehen ist. Ob das wegen seiner politischen Ge-sinnung geschehen, ist schwer festzustellen. Der Verstorbene tratdann im Sommer 1897 al» Korrektor beim Hamburger„Echo"ein, welche Stellung er versah, bis er im August 1900 vom GeWerk.schaftskartell zum Arbeitersekretär gewählt wurde. Alssolcher hat er mit unermüdlichem Eifer sich den neuen ihm er-wachsenen Aufgaben gewidmet und manchem Arbeiter und mancherArbeiterin zu ihrem Recht verholfen. Im Jahre 190? wurde Ockel-mann bei der halbschichtigen Erneuerung der Bürgerschaft, derersten unter dem neuen Klassenwahlrecht, auch in die Burgerschaftgewählt. Leider sollte es ihm nicht beschieden sein, das Mandat biszu dessen Ablauf auszuüben.Alle, die ihm im Leben näher getreten sind, die seine Herzens-güte schätzen lernten, wie überhaupt alle, die mit ihm in Berührungkamen, werden ihm ein treues Angedenken bewahren,poUeeiliestes, GeriesttUebeo ufw.Mit zwei größeren Preßprozesscn,die sich gegen unser Bruderorgan, die„Bergische Arbeiter-stimme" in S o l i n g e n richteten, hatte sich die E l b e r f e l d e rStrafkammer in zweitägiger Sitzung zu befassen.Angeklagt waren die Redakteure D i t t m a n n und Deisel; siewurden beschuldigt, den Vikar K ö r w e r und den HauptlehrerSahn in Hilden durch zwei Artikel beleidigt zu haben. Weiterdem sollte Deisel in einer in Hilden abgehaltenen Versammlungin einer Rede die beiden Herren auch noch beleidigt haben. Weiterwar Deisel zur Last gelegt, den Polizei sergeantenFreitag in Solingen durch einen Artikel beleidigt zu haben.Vor Eintritt in die Verhandlung beider Pro-zesse lehnten die Angeklagten vier der daS Kol-legium der I. Strafkammer bildenden Richterals befangen ab. Die Besorgnis der Befangenheit ergebesich aus Prozessen gegen die Angeklagten, in denen die ersteKammer schon entschieden habe, namentlich aber aus den in diesenProzessen gefällten Urteilsgründen. Ein aus drei anderen Richterngebildetes Kollegium wies nach mehr als dreistündiger Beratungden Antrag der Beklagten als unbegründet zurück mit der Be-gründung, daß die Stellung, die das erkennende Gericht bisher inden Prozessen gegen die Angeklagten eingenommen habe, zu irgend-welchem Mißtrauen eine Veranlassung nicht gebe.In der e r st e n zur Verhandlung stehenden Sache handeltees sich um angebliche öffentliche Beleidigung durch die Kritik einesFürsorgeverfahrens, das auf Betreiben des Vikars K ö r w e r unddes Hauptlehrers Sayn zu Hilden gegen einen Pflegesohn desFabrikarbeiters Peter Sand in Hilden eingeleitet worden war.Die„Bergische Arbeiterstimme" hatte sich des Sand angenommen,der den Jungen bereits 11 Jahre lang in Pflege gehabt hatte, undwurde das Vorgehen des Geistlichen zunächst in einem Artikel„Zentrumstoleranz" gegeißelt. Insbesondere wurde angedeutet.das der Vikar Körwer und der Hauptlehrer Sayn nur umdeswillen gegen Sand bezw. dessen Pflegesohn vorgegangen seien,weil Sand aus der katholischen Kirche ausgetreten und einemGünstling deS Vikars zu einer Goldstrafe von 4ö M. wegen ver-leumderischer Beleidigung verholfen habe. Die Borstellungen beidem VormundschaftSgerichtS hatten den Erfolg, daß die Ueber-führung deS Jungen m eine Fürsorgeanstalt beschlossen wurde, undzwar hieß es in der Begründung deS Beschlusses, daß Sand invezug auf die Erziehung des Jungen mit der Geistlichkeit undLehrerschaft nicht Hand in Hand gegangen sei. Die„Arbeiter-stimme" hatte schließlich das Verhalten des Kaplans mit mehrerenkräftigen Ausdrücken gekennzeichnet. Der Einsender des Artikels undder verantwortliche Redakteur Wendemuth, der damals zeich-nete, wurden vor das Schöffengericht in Solingen gestellt, vondiesem aber freigesprochen, weil es den Wahrheitsbeweis für er-bracht hielt. Sand wurde danach von seinen„guten Freunden"des Meineids beschuldigt und verhaftet. Das Verfahren gegenihn wurde aber bald wieder eingestellt; auch eine BetrugSanzeigewegen angeblich zu viel erhobener Zeugengebühren, die gegen ihnerhoben war, wurde fallen gelassen. Nunmehr veröffentlichte die„Arbeiterstimme" zwei weitere Artikel, in denen sie ausführte, daßdas gegen Sand eingeleitete Untersuchungsverfahren wegen Mein-eids wahrscheinlich auf Intrigen von katholischer Seite zurückzuführensei. Nach stundenlanger Beweisaufnahme, in der ein Amtsrichter, zweiSchöffen und ein AmtSanwalt zugunsten der Angeklagten aus»sagten, kam daS Gericht zu der Ueberzeugung, daß die beiden An-gellaaten in dem guten Glauben gewesen seien, nicht Sand, sondernder Vikar Körwer und der Hauptlehrer Sayn hätten die Unwahr-heit vor Gericht ausgesagt; es billigte beiden Angeklagten denSchutz deS§ 193(Wahrung berechtigter Interessen) zu und ver-urteilte sie nur wegen Beleidigung in der Form, und zwarDeisel zu ISO M. und D i t t m a n n zu 100 M. Geldstrafe.Wegen der Rede wurde Deisel freigesprochen.In der z w e i t e n zur Verhandlung stehenden Sache mußte sichDeisel wegen angeblicher Beleidigung des PolizeisergeantenFreitag in Solingen verantworten. In der..BergischenArbeiterstimme" vom 17. Juli dieses Jahres erschien ein Artikel,der über eine skandalöse Schuhmannsgeschichte aus Köln berichtete.Der Artikel war einem auswärtigen Blatte entnommen. Der inFrage kommende Kölner Schutzmann hatte sich dem Publikumgegenüber die schwersten Ausschreitungen zuschulden kommenlassen; trotzdem wurde ihm von seinem vorgesetzten Kommissar dasbeste Zeugnis ausgestellt. Dem fraglichen Artikel war eine Be-merkung angeknüpft, in der ein Vergleich mit anderen Schutz-leuten gezogen wurde. Diese Bemerkung bezog der Polizei-sergeant Freitag von Solingen, trotzdem weder derName eines Schutzmannes, noch ein Ort angegeben war.auf sich und setzte dieserhalb den Staatsanwalt in Be-wegung. In der Verhandlung wurde Freitag als Zeuge be-fragt, weshalb er sich durch die fragliche Bemerkung beleidigt fühle.worauf er antwortete:„Einige Kollegen hätten ihmauf der Wacht st übe gesagt, eS stehe ein Artikelin der„Arbeiter ftirnntc", der offenbar auf ihn(Freitag) gemünzt fei." Er habe deshalb Strafantraggestellt. Die Polizeisergeanten PaaS und Funk, die als Zeugengeladen waren und auch vernommen wurden,.wußten nunüberhaupt nichts von dem Artikel, der für Frei-tag beleidigend fein sollte. ES ist jedenfalls auffallend,daß diejenigen Schutzleute, die Freitag auf den Artikel aufmerksamgemacht haben sollten, nicht geladen waren, sondern nur solche, dienon der Existenz des angeblich für Freitag beleidigend sein sollen-den Artikels nicht einmal eine Ahnung hatten. Die Strafkammererachtete jedoch eine Beleidigung Freitags(der früher im großenWahlrechtsdemonstrationsprozesse gegen die„Arbeiterstimme" alsZeuge auftrat) für vorliegend und verurteilte den GenossenDeifel zu nicht weniger als drei Monaten Ge-fängnis. Daß Gericht glaubte noch besonder? bevorheben zumüssen, daß unser Solinger Bruderblatt es besonder» darauf an-lege, das Ansehen der Polizeiverwaltung und ihrer Beamten inder Bürgerschaft zu schmälern und zu untergraben. Gegen dieUrteile ist natürlich Revision eingelegt worden.Ein aufgekivbene» Urteil.Im April diese? Jahres brachte unser Parteiorgan. daS„Saal-selber Volksblatt", eine Korrespondenz aus Walldorf, diedie Arbeitsverhältnisse in der Malzfabrik des Fabrikanten OttoPfosfen in Welkershausen kritisierte. Durch diese Kritik fühlte P.sich beleidigt, lief zum Kadi vnd hatte auch die Genugtuung, daß Ge-nosse Redakteur Zorn vom Schöffengericht in Meinungen zu dreiWochen Gefängnis verurteilt wurde, obwohl der WahrheitÄewe:«für die betreffend« Notiz erbracht worden war. Gegen dieses Urteillegte Zorn Berufung ein und erzielte damit kostenlose Frei-sprechung vor der Mciningcr Strafkammer. Der Privatklägerhat nun außer dem verlorenen Prozeß noch zirka 2S0 M. Kosten zutagen. In der Urteilsbegründung führte die Strafkammer aus,daß in dem beanstandeten Artikel überhaupt keine Beleidigung enb-halten gewesen sei.