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Kr. 500. 28. Jahrg. KeW des JMirts" A�M fh Sien irt BMn 23. f nfitiht 1911 Der preuöilche Kultusmlnüttr vor dem kelchigericht. vetanntlich hat das Reichsgericht, II. Strafsenat, am LS. Juni IS 10 unseren verantwortlichen Redakteur Genossen Weber und den Redakteur der.Arbeiterturnerzeitung" W i l d u n g von der Anklage au» K 110 Str�G.-B. freigesprochen. Am 27. März 1909 hatte der.Vorwärts' dargelegt, datz der Erlaß des Kultusministers vom 7. August 1907 rechtsungültig ist, der die Schulaufsichtsbehörden anweist, die Erteilung von Turnunterricht von einem Erlaubnis- schein abhängig zu machen. Der.Vorwärts' hat in dem Artikel öffentlich aufgefordert,.den Anordnungen der Behörden, welch« die Erteilung von Turnunterricht gegen Entgelt oder dt« unentgeltliche Erteilung von Turnunterricht an nicht mehr schulpflichtig« jugend- lich« Personen auf Grund der Verordnungen von 1834 und 1839 verbieten, keine Folg« zu leisten.' Darin sollt« eine Aufforderung zum Ungehorsam gegen Anordnungen der Behörden liegen. Das Landgericht und das Reichsgericht sprachen frei, weil die Anord- nungen der Behörden der Rechtsgültigkeit entbehren, derKultn«. minister also zu einer gesetzwidrigen Handlung Behörde» aufgefordert und dies« st« begangen hatten. Am 17. September 1908 schloß sich der dritte Strafsenat de» Reichsgerichts in einer ähnlichen Anklage gegen de» Zahnarzt Smith in Hadersleben   dieser Auffassung an und sprach den vom Landgericht Flensburg   verurteilten Zahnarzt frei. Smith gab nun später eine Broschüre hevcmS, in der er den Kampf um die rechtlich« Stellung des Turnunterricht» aktenmäßig darstellt«. Am Schlüsse der Broschüre forderte er wiederum zum Ungehorsam gegen diejenigen Verfügungen auf, welch« die Erteilung von Turnunterricht ohne Erlaubnisschein an jugendlich« Personen unter 18 Jah«n verbieten. Er wurde wieder unter Anklage gestellt. Da» Landgericht Flensburg   sprach ihn am 8. Februar 1911 frei. Hiergegen legte die StaotSanwaltschast Revision«in. die am Donnerstag vor dem dritten Strafsenat de» Reichsgericht» zur Verhandlung kam. Die Verhandlung hatte da» überraschend« Ergebnis, daß der dritte Strafsenat beschloß: Da der Senat infolge eine» Urteil» de» zweiten Straf senat» außerstand« ist, ein« Entscheidung zu fällen, wird be- schlössen, den vereinigten Strafsenate» dt« Frag« zur Entscheidung vorzulegen. Gehören zur Jugend außer den schulpflichtigen Kindern und den Schülern höherer Lehranstalten auch noch solche nicht mehr schulpflichttge Per» sonen, die nach dem regelmäßigen Laufe der Dinge ein« höhere oder niedere Schule besuchen würden, ihr aber au» irgendwelchen Gründen ferngehalten werden, bei denen also der Schulunterricht ganz oder teilweise durch Privatunterricht ersetzt oder ergänzt wird? Hoffentlich wird der Kultusminister nun auch von den ver- einigten Strafsenaten verurteilt. Jiiis Induftne und Handel ShndikatSschmerzen. Die Differenzen im EtahlwerkSverbande scheinen größer zu sein, al» wie offiziell nach außen bekannt wird. Di«.Köln. Volks- zeitung', die über die internen Vorgänge gut unterrichtet wird, berichtet au» der Verbandsversammlung, daß die Verhandlungen die Lage als sehr verworren erscheinen lassen. Der Verbands- «rneuerung stellten sich groß« Schwierigkeiten in den Weg. Vor allem habe sich die Unmöglichkeit herausgestellt, die riesenhaften Forderungen der n�uen Werk« in Lothringen   und Luxemburg  unterzubringen. Ein« Hauptschwterigkeit bereitet der Anspruch der Deutsch  -Luxemburgischen Bergwerks A.-G. das Monopol der für die von ihr hergestellten breltflanschigen Grehträger zu behalten. Diese? Monopol wollen aber die andern südwestdeutschen Werke nicht einräumen. Buch in der Frage der Produkte B traten grund­sätzliche Gegensätze scharf zutage. Ein« Partei vertritt den Stand- Punkt, daß die Produkte B überhaupt nicht mehr kontingentiert werden sollten, die andere aber will unter keinen Umständen die Kontingentierung der Produkt« B fallen lassen. Man ging nach heftigen Auseinandersetzungen auseinander, ohne irgendwelche Be- schlösse gefaßt zu haben. Das klingt durchaus nicht hoffnungZ- voll! Zuckergewiunung und Zuckerbesteuerung im Jahre 1910/1911. In den.Vierteljahrsheften zur Statistik de» Deutschen Reiche  »' finden wir eine Uebersicht über die Zuckergewinnung und-Besteuerung m deutschen Zollgebiete während de» Betriebsjahre» 1. September 1910 bis 31. August 1911. ES hat sich demnach die Gesamtzahl der im Betriebe befindlichen Rübenzuckersahriken im Betriebsjahr gegen da» Vorjahr von 3SS aus 854. also um 2 vermindert. Die Zahl der Raffinerien ist von LS auf 8S zurückgegangen. Dazu kommen noch 6 MelasseentzuckerungSanstalten. Nichtsdestoweniger hat sich die mit Zuckerrüben bebaute Fläche wieder erbeblich vergrößert: sie betrug diesmal 477 909 Hektar gegen 4ö7 713 Hektar im Borjahre. Die benernte war dank der günstigen WitterungS- Verhältnisse de» Sommer» 1910 eine recht gute. Es wurden ins- gesamt tb 748 931 Tonnen Rüben geerntet, das sind 2350913 Tonnen mehr als im Vorjahre. Rur   daS Jahr 1901/02 brachte mit 10 012 887 Tonnen ein« noch größere Rübenernte. Die Zucker- ausbeute der Rüben betrug 15,98 Kilogramm aus 1 Doppelzentner gegenüber 15,11 Kilogramm im vorhergehenden Jahre. Di« ge- samt« Erzeugung aller BctriebSanstalten betrug nach Abzug de« Einwurfs auf den Rohzuckerwert umgerechnet 25 898 888 Doppel- zentner oder um 5 524 721 Doppelzentner mehr als tm Vorjahre. DaS ist die größte Zuckennenge, die jemals in Deutschland   gewonnen wurde. Auch der v« r b r a u ch an inländischem Zucker war im Betrieb». fahre beträchtlich gestiegen Er stellt« sich in BerbrauchSzucker um- gerechnet aui 12 417 782 Doppelzentner gegenüber 1l 342 408 Doppel- zentner im Vorjahre. Auf den Kopf der Bevölkerung umgerechnet ergibt das einen Verbrauch von 19 Kilogramm gegenüber 17,52 Kilo- gramm im Vorjahre. Hierzu treten noch 1293 Doppelzentner ans- ländischer Rohzucker, 13 244 Doppelzentner ausländischer Verbrauchs- zucker. wodurch sich der Jnlandkonsum pro Kopf nur um den minimalen Betrag von 0.02 Kilogramm erhöht. Einen bedeutenden Aufschwung gegen da« Vorjahr hat die Aus- f u h r genommen. Sie ist von 7 834 373 auf 11 165 352 Doppel- zentner in Rodzuckerwert gestiegen. Der meiste deutsche Zucker geht now England, vas im vetriedsjahe allein 4 477 189 Doppelzentner und 3 277 854 Doppelzentner BerbrauchSzucker ausnahm. Im Belriebsjohr 1910/11 bracht« der Zucker dem Staate eine v« r b r a u ck« a b g a b e von 173 283 000 M.. dazu 332 OOO M. Zoll für eingeführten Zucker, macht zusammen 173 595 000 M. Das fit auf den Kopf der Bevölkerung ein Bewag von 2,86 M.'oder aus die vier- bis fünfköpfige Familie um- gerechnet ein solcher von 10 M. Diese Steuer, die Armen absolut in der gleichen absoluten Höh« und darum un- vergleichlich schwerer trifft wie die Reichen, hat zur Folge gehabt. daß Deutschland  , daS erste ZuckerproduktionSland der Welt, einen noch nicht halb so großen Zuckerkonsum pro Kopf der Bevölkerung «ufweist, wie England, daS selbst überhaupt leine Zuckerproduktion| betreibt, aber dem Zucker anderer Länder ungehinderten Eintritt gewährt. Dort verzehrt jeder Einwohner tm Durchschnitt 37 Kilo- gramm Zucker jährlich._ Fusionen. Der Drang zu Fusionen ist noch nie so stark her- vorgetretenen als wie in diesem Jahre. Schon wieder sind ein paar Zusammenschlüsse gesichert. Der Bergtsche Gruben, und Hütten- verein in Hochdahl   wird dem Hochofenwerke Lübeck   angegliedert, da» sein Aktienkapital von 3 auf 8zh Millionen Mark erhöht. Die Westfälischen Drahtwerke in Werne   sollen mit der Aplerbecker Hütte verschmolzen werden, indem diese? Werk sein Vermögen aus da» erster« überträgt. Eine Kapitalserhöhung von öff, auf 8% Millionen Mark bildet die finanzielle Basis der Zusammenlegung. Bei beiden Verschmelzungen ist da» Bestreben maßgebend, die Ge- winnung von Rohmaterial und Halbzeug sowie die Weiterverarbei- tung in eine Hand zu bringen. Kapitalskonzentration in England. Die Konzentration de» Kapitals geht in den letzten Jahren in England in einem sehr flotten Tempo, wenn auch in aller Stille vor sich. ES vergeht kaum ein Monat, in dem nicht von einer Zu- sammenlegung von Betrieben in irgendeiner Industrie gemeldet wird. Eine der letzten Kapitalskombinationen war die Vereini- gung der Allgemeinen Londoner OmnibuSgesellschast»(Kapital: 3 Millionen Liversterling) mit den unterirdischen Bahnen der Hauptstadt, wodurch die Konkurrenz in der Personenbeförderung in großem Maßstabe ausgeschaltet worden ist. Die letzte Kapitals- konzentration betrifft die Schiffahrt. Die.Royal Mail Steam Packet Company' und.MessrS. Elder, Dempstcr and Co. Ltd.', zwei Gesellschaften, die unter einer Leitung stehen, haben die .Union Castle Mail Steamsbip Co. Ltd.' gekauft. Dieses aewal- tige Unterilehmen umfaßt jetzt nicht weniger al» sechs Gesellschaf- ten, von denen manch« wiederum ursprünglich au» mehreren klei- neren Gesellschaften hervorgingen. An der Spitze diese» Unter- nehmenS, dem nunmehr Schiffe von einem Gehalt von 1290 000 Tonnen gehören, steht das früher« liberale Parlamentsmitglied Sir Owen Philipps, den man den.Koloß der See' genannt hat. Soziales. Landflucht. Die Dezembernummer deSReichSarbeitSblatteS" Vev öffentlicht auf Grund des JnvalidenmarkenaustauscheS die Ergebnisse der Binnenwanderung von Arbeitern im Jahre 1910. Es zeigt sich uns da eine noch größere Wanderung vom Osten nach dem Westen als im Jahre 1909. Eine riesige Völkerwanderung innerhalb Deutschlands  findet statt. Große Scharen strömen von dem Osten, der seinen Bewohnern nicht mehr ge- nügende Nahrung gibt und sie in menschen unwürdiger Lage hält, nach dem Westen. Aus den fünf Provinzen: Ost- und Westpreußen  , Pommern  , Posen und Schlesien   wanderten nach dem Westen unter Abzug aller vom Westen nach dem Osten zurück gezogenen oder von einer dieser Provinzen in die andere gezogenen Arbeiter im Jahre 1909 ab: 847 897, im Jahre 1910: 384 891. Nicht gezählt sind hierbei die Familienmitglieder. An Ueberschuß von Afr ziehenden gegenüber Zugezogenen weisen im Jahre 1910 auf (die in Klammern beigefügten Zahlen beziehen sich auf das Jahr 1909): Ostpreußen   79132(75 694), Westpreußen   64 512 (65 480), Pommern 45 627(31332), Posen 72 752(74 323), Schlesien   102 868(101068). Woher kommt diese Vertriibung der Arbeiter auS ihrer Heimat? Sie ist im wesentlichen in wirt- schaftlichen Ursachen begründet: die niedrigen Löhne. der Saisonbetrieb der Arbeit auf dem Groß grundbesitz infolge der veränderten Produktionsweife, die jeder Menschlichkeit oft hohnsprechende Behandlung und Verpflegung der Landarbeiter, die übermäßig lange, durch keinerlei Schutzgesetze für Leben und Gesundheit gemil- derte Arbeitszeit, die Lohndrückerklauseln in den Arbeitsverträgen, die Erschwerung des Aufkom mens lohnender Industrie und gewerb- licher Beschäftigung durch Zölle und künst l i ch e Einschränkung des Verkehrs, die Heran ziehung von völlig rechtlosen Ausländern, von Soldaten, Ge fangenen, Zuchthäuslern und Korrigenden als Schmutzkon kurrenten der ländlichen Arbeiter sind die Hauptgründe für diese vom Großgrundbesitz verschuldete Landflucht. Zu diesen wirtschaftlichen Gründen tritt die völlige Unzulänglichkeit der Schulen, die Erschwerung des Fortkommens der Kinder durch systematisches Drängen der Großgrund- befitzer, die Gelegenheit zur besseren Ausbildung der Kinder 'zu erschweren. Die Abwanderung wird verschuldet durch die Großgrund- besitzer. Und das Vertreiben der Landarbeiter aus ihrer Heimat ist ihnen genehm: je größer die Zahl der Abwandern- den, desto leichter wird dem Großgrundbesitz die Aufrechterhal- tung seines politischen Einflusses auf die Zurückgebliebenen, wirtschaftlich völlig Abhängigen. Desto leichter verbleiben ihnen Reichstagsmandate durch Beeinflussung. Wer irgend Fühlung mit dem Osten hat, versäume nicht, seine im Osten verbliebenen Bekannten und Verwandten auf die Wichtigkeit des Kampfes gegen die Junker und die völlige Freiheit bei der Wahl aufmerksam zu machen. Die Weih- nachtszeit bietet die günstigste Gelegenheit hierfür. Gerichts- Zeitung Unterhaltung ist grober Unfug. Diesen neuesten MechtSgrundsatz hat daS Schöffengericht, Ab- leilung 141, au? Anlaß des CaföhauskcllnerstrcikS bei Naglcr am Donnerstag aufgestellt. Gegen den Cafekellner vraes« hatte die Polizei einen Straf- befehl wegen grobe« Unfug» erlassen, weil er in der Nacht zum 18. Oktober 1911 durch Ansprachen an Passanten Aufsehen erregt und eine Menschenansammlung zu veranlassen gesucht hatte. Da- gegen hatte Herr Braese gerichtliche Entscheidung beantragt. In der Hauptvcrhandlung wurde er durch Rechtsanwalt Wolfgang Heine  verteidigt. Der als Zeuge vernommene Polizcileutnant Bieling gab folgen. de» an: Er habe den Angeklagten und einen anderen unbekannt gebliebenen Mann an der Ecke der Stallschreiber- und Prinzen- straße stehen sehe«. Der andere habe Flugblätter verbreitet, sich aber entfernt, al» der Leutnant herankam. De Leutnant habe noch gehört, wie Angeklagter zu einer Gruppe von fünf bis sechs Leuten die Worte sprach:.kein Lohn, keine Kost". Diese seien dabei stehen geblieben. Der Angeklagte Braese bestritt gar nicht, diese Worte gesagt zu haben, erllärte dies aber folgendermaßen: er sei auf dem Wege zum Kottbuser Tor dort vorbeigekommen und habe einige Herren gesehen, von denen einer ein Flugblatt in der Hand hielt. Eine» aus dieser Gruppe habe die Frage gestellt, weshalb die Kellner bei Naglet streikten; darauf habe er sich veranlaßt gesehen, zu ant- warten: weil sie weder Lohn noch Kost erhalten. Weder habe er einen Auflauf veranlassen wollen, noch habe irgend ein Mensch daran Aergernis genommen. Für die Vorgänge auf der Straße hatte er einen Zeugen Bressen genannt, der aber nicht erschienen war. Der Angeklagte betonte ferner, daß er sofort, trotz seiner Legitimation, verhaftet und drei Stunden in Haft behalten worden sei, bis er auf den Gedanken gekommen sei, da» Mitgliedsbuch der gelben Organisation vorzuzeigen, der er früher angehörte. Daraus sei er sofort entlassen worden. Polizeileutnant Bieling bestritt, daß dt« Entlassung mit der gelben Legitimation zusammenhäng« und behauptet«, sie wäre wegen Ueberfüllung der Wache erfolgt. Auch bestritt er, daß sein scharfe» Vorgehen durch sein« persönlichen Beziehungen zu Nagler bcetn- flußt wäre. Der Verteidiger erklärte, daß schon nach Bieling» Darstellung die Anklage nicht ausrecht zu erhalten wäre, weil ein grober Unfug selbst dann nicht vorliegen würde, wenn Angeklagter die Leute angesprochen hätte. UebrigenS beantragte er Ladung de» Bressen. DaS Gericht lehnte diese ab und verurteilte den Angeklagten über den Antrag de» Staatsanwalt» hinaus zu 38 M. Geldstrafe. In der Begründung sagte der Vorfitzende, daß die Kellner zwar das Recht hätten, sich in geschlossenen Versammlungen unteretn» ander über ihre Angelegenheiten auszusprechen, daß e» aber.unter allen Umständen verwerflich wäre, solche Dinge auf die Straße zu tragen' und daß e» geeignet wäre, jeden anständig denkenden Menschen zu belästigen, wenn ihm gesagt würde, weshalb die Kellner streikten. Die Vernehmung des Bressen wurde abgelehnt, weil er der Teilnahme verdächtig wäre. Beiläufig bemerkt, war in der Verhandlung nicht da? geringste vorgekommen, wa» diese Unter- stellung gerechtfertigt hätte. Uebcr seine Tätigkeit war überhaupt nicht gesprochen worden. Das blutige Eifersuchtsdrama, welches stch am 30. August in einem Hause der Grenadierstratze abgespielt und ein Menschenleben zum Opfer gefordert hat, hatte gestern vor dem Schwurgericht des Landgerichts I   unter Vorsitz de» Landgerichtsdirektors Dr. Neuenfeld fein ernste» Nachspiel. Die gegen den 22 Jahre alten Klempner Elia? Schmuckler gerichtete Anklage lautete auf Totschlag und schwere Körperverletzung. Der aus Galizien   stammende Angeklagte lernte 1908 in Krakau  den Tapezierer Waldberger kennen, der eine damals 18 Jahre alte Tochter Marie besaß. Er gewann bei seinem längeren Verkehr in der Familie da» Mädchen lieb, letztere hatte ihn auch gern und eS kam zu einem ernsten Liebesverhältnis. Die beiden jungen Menschen wünschten, daß dieses Verhältnis zum Ehebunde führen möchte und haben sich, wie der Angeklagte sich ausdrückte,.durch einen Schwur fest in die Hand verbunden". Der Angeklagte hatte auch den festen Vorsatz, das Mädchen zu heiraten. Er bat den Vater um seine Zustimmung, dieser aber wollte davon noch nichts wissen, da der junge Mann noch nicht einmal feiner Militärpflicht genügt hatte und noch nicht selbständig war. Maries Eltern, der- zogen nach Prag   und der Angeklagte ging dann auch dorthin, da er aber dort keine Arbeit bekam, ging er nach Berlin  , wo er Arbeits» gelegenheit fand. Einige Zeit darauf zog auch Familie Waldberger nach Berlin   und die beiden jungen Leute blieben weiterhin in Verkehr. Auf nochmalige Anfrage verweigerte der alte Waldberger wieder seine Zustimmung. Als das Mädchen schwanger wurde, ver- bot er oem jungen Mann da? HauS. Der Angeklagte ging dann nach Krakau   zurück, blieb aber mit dem Mädchen noch in brief- lichem Verkehr, der auch noch nach der am 20. April 1911 erfolgten Geburt ihres Kindes anhielt. Schmuckler geriet dann aber in ge- waltige Erregung, als das Mädchen, welches er noch immer als feine Braut betrachtete, plötzlich alle seine Briefe unbeantwortet ließ. Inzwischen hatte nämlich Marie Waldberger einen Händler Sokol kennen gelernt, der dem Vater nicht sehr angenehm war. da dieser allerlei Ungünstiges über ihn gehört hatte, der e» aber ver­stand, sich bei der Mutter und dem Mädchen selbst einzuschmeicheln. Marie W. verlobte sich mit ihm, da sie annahm, daß Schmuckler ihr untreu geworden sei und deshalb gar nichts mehr von sich hören ließ. In Wahrheit hatte sie aber seine Briefe gar nicht erhalten, diese waren vielmehr von Sokol stets abgefangen und vor ihr ver- borgen worden. Da daS Mädchen zu Hause vor ihrem erzürnten Vater keine Ruhe mehr hatte, mietete Sokol für sie und das Kind eine Wohnung. Der Angeklagte reiste Mitte August nach Berlin  . Er erfuhr hier zu semem Entsetzen, daß Marie W. sich mit Sokol verlobt habe. Er ermittelte ihre Wohnung und ging zu ihr, um sich nach dem Befinden seine? Kindes zu erkundigen und sie zu bewegen, daS Liebesverhältnis mit Sokol zu lösen. Er bat sie fuß- fällig, wieder zu ihm zu halten, hatte aber keinen Erfolg: das Mädchen erklärte, daß sie ihn sehr gern gehabt habe, nun aber trotz des Widerspruchs ihrer Familie den Sokol heiraten werde. Das Sinnen und Trachten des Angeklagten, der schon einmal nächtlicherweile den Versuch gemacht hatte, sich zu strangulieren, war nun fort und fort darauf gerichtet, den Sokol zu bewegen, ihm das Mädchen wieder abzutreten und seine Aufregung stieg, als er sah, daß alle? vergeblich war. Am 30. August war eine letzte Aussprache zwischen dem alten Waldberger, dessen Sohn und den Angeklagten einerseits und dem Sokol sowie der Marie andererseits in dem Mayschen Lokal in der Grenadierstraße verabredet worden. Als der Vater �eine Tochter bewegen wollte, wieder zu dem Angeklagten zu halten, gab diese eine schnippische Antwort, e» kam schon vor dem Lokal zu einem heftigen Auftritt und als der Vater seiner Tochter eine Ohrfeige verabreichte und Sokol darauf den Vater angriff, entstand auf der Straße ein Auflauf. Die Parteien gmacn nun in das Maysche Lokal. Hier sagte der Angeklagte zu Sokol: .Laß' mich doch die Marie heiraten, ich habe sie doch so lieb! Nach einer vorher mit dem Mädchen getroffenen Verabredung er- klärte Sokol darauf: er wolle sie ihm abtreten, wenn er ,hm vorher seine Auslagen in Höhe von 300 M. erstattet. Nun aber trat, ebenfalls nach Verabredung, daö Mädchen vor und rief:Nein, ich will nicht wieder zu ihm gehen! Ich will Tlch heiraten! Kaum war dies Wort gesprochen, da zog Sckmucklcr, ohne etwas zu sagen, einen Revolver aus der Tasche und schoß zweimal auf das Mädchen, welches sofort bewußtlos zusammenbrach. Ein Schuß hatte ihren reckten Arm getroffen, der zweite ihren Kopf gestreift. Schmucklcr richtete dann den Revolver auf seinen Nebenbuhler unv dieser sank. von drei Kugeln getroffen, tot zu Boden. Schmuckler richtete dann den Revolver gegen seine eigene Schläfe, es waren jedoch keine Patronen im Revolver. Als er sich darauf mit einem auf dem Büfett liegenden Messer den Hals aufschneiden wollte, wurde er von mehreren Personen daran gehindert und zur Wache gebracht. Die Marie W. kam ins Krankenhaus Friedrichshain  , von wo sie nach einiger Zeit als geheilt wieder entlassen wurde. Ter Angeklagte behauptete gestern, nicht zu wissen, wie er zu der Tat gekommen. Als das Mädchen jenes Wort gesprochen, sei e» ihm gewesen, als ob Leute auf ihn eindrängten, ihm sei ganz schwarz vor Augen geworden und er habe sich kaum auf den Füßen halten können..... Die Geschworenen verneinten die Schuldfragen nach versuchtem und vollendetem Totschlage, bejahten dagegen die Schuldfragcn nach Körperverletzung mit tödlichem Ausgange»nd Körperverletzung mittels gefährlichen Werkzeuges unicr Zubilligung mildernder Um- stände. Der Staatsanwalt beantragte eine Gefängnisstrafe von zwei Jahren und drei Monaten. Das Urteil läutete auf VA Jahre Gefängnis unter Anrechnung von drei Monaten der erlittenen Untersuchungshaft.