der den LandtagSwahlkreiS HadSheim- Landser in der Zweiten Kammer vertrat. Es sind wiederum unerhörte Beispiele von geistlichem Amtsmistbrauch zugunsten deS Zen- trums, die vor Gericht dargetan worden sind.— In dem Urteil, welches die Wahl des Abg. H o e n kassiert, hebt das Gericht bei Aufzählung der KassierungSgründe hervor, das Hauptgewicht sei auf die geistliche Beeinflussung zu legen. Neben anderen komme in Be- tracht, daß in Wustweiler der Pfarrer auf der Kanzel eine Wahlversammlung des Zentrums angekündigt habe. In Saareins» mingen hat der Pfarrer am Schluß seiner Predigt erklärt: Zen- trum müsse die Parole sein. In Folpersweiler habe der Pfarrer ebenfalls auf der Kanzel erklärt: Wer fein Wahlrecht nicht ausübe, begehe eine s ch w e r e S ü n d e. Es widerspreche dies sowohl der kirchlichen Lehre als auch den Richtlinien deö Bischofs. In Hundlingen habe der Pfarrer den Katechismus von Spirago benutzt und gesagt, liberal sei so viel als sozial- demokratisch. In diesen Orten allein seien 260 Stimmen abgegeben worden, die Mehrheit Hoens betrage aber nur 46, deshalb sei die Wahl für ungültig zu erklären. Die Kosten fallen der StaatSkasie zur Last. In dem Urteil über die Wahl in HabSheim-Landser sReichStagswahlkreis Mülhausen) wird festgestellt, daß in einer ganzen Reihe von Ortschaften die Geistlichkeit Wahlübergriffe verübte; es genügen aber die festgestellten Mißbräuche schon in zwei Ort- schaften, um die Wahl für ungültig zu erklären, da der Zentrums- kandidat bei dem entscheidenden zweiten Wahlgang nur 32 Stimmen mehr erhielt, als der von den Liberalen unterstützte sozialdemo- kratische Gegner. Bezeichnend für den S e e l e n z u st a n d der Zentrumspriester sind die eigenen Erklärungen der als Zeugen vernommenen beteiligten Geistlichen dieser zwei Ortschaften. In Rülisheim hielt der Pfarrer am Wahltag i n d e r Kirche eine Wahlrede, über die er selbst vernommen wurde. Er sagte aus, er habe folgendes ausgeführt:„Wem jetzt die Augen nicht aufgehen, da er sieht, wie unsere Gegner, der Liberalismus und der Sozialismus, Hand in Hand gehen, dem ist überhaupt nicht mehr zu helfen. Da könnte man wohl auch sagen: Israel , daß du vcr- dirbst, ist deine eigene Schuld. Es tue deshalb ein jeder seine Pflicht nach seinem Gewissen. Er sage nicht, auf meine Stimme kommt es nicht an; bei einer Nachwahl kann eine Stimme den Ausschlag geben." Der Pfarrer gab dieser Wahlrede die Form einer Predigt und schloß sie mit dem Worte„Amen". Auch in Kötzingen predigte der Pfarrer am Wahltage und sagte darüber vor Gericht aus:„Am 29. Oktober(Tag der Nachwahl) habe ich i m Haupt gottes dienst bei der Predigt noch eine Bemerkung etwa folgenden Inhalts beigefügt; Es gibt zwei Strömungen, die eine will 1. konfessionslose Schule. 2. Trennung von Kirche und Staat, 3. Zustände wie in Frankreich und Portugal , 4. Abschaffung der Ehe und Beraubung der Kirchengütcr. Wenn Ihr das wollt, Ihr Männer, könnt Ihr das zeigen. Ob ich dabei direkt auf die Wahlen Bezug nahm, weiß ich nicht mehr bestimmt. Ich fuhr dann fort: Ich hoffe, daß die Männer verständig genug sind und für die konservative Ordnungspartei eintreten. An weitere Einzelheiten erinnere ich mich nicht mehr. Ich wollte natürlich, daß meine Bemerkung den Wunsch zum Ausdruck bringe, daß meine Pfarrkinder für den Zentrumskandidaten Brogly und nicht für Müller (den Sozialdemokraten) stimmen sollten." In der neuesten Nummer der Münchener.Jugend' läßt dieses Witzblatt zur Kennzeichnung des seelsorgerlichen Geisteszustandes in Bayern einen Pfarrer sagen:.Bal mir erst omal die .Feuerbestattung eingeführt hält'n, nacha tätet Ihr Liberalen und Sozis mit an' toten Großvata schließli aa no' Eure Wohnung heizen.' Der Scherz dieses Witz- fjlattcS wird im schwarzen Oberelsaß durch die Wirklichkeit in greulicher Weise übertroffen. Denn da sagte nach einer Bekundung Vor Gericht ein Hetzkaplan deS Zentrums am Wahltage im Hoch- a m t einer Dorfkirche:„Die Liberalen und Sozialdemokraten wollen die F e u e r b e st a t t u n g einführen: Bedenkt, Gläubige, daß man daraus ausgeht, aus Eurer Asche künstliche Dmigmittel anzu- scrtigcu!.« Und in der mit solchen„Predigten" erzeugten Stimmung gehen die Wähler dann nach Schluß deS„Hochamtes" zur Wahl I Man kann sich da auf neue Wahlkämpfe heftigster Art gefaßt machen, denn eine solche Priesterschaft kann sich unmöglich zügeln. Staatsanwalt und Gemeindevertrcter. An militärischen Einrichtungen darf auch in Bayern nicht der leiseste Tadel geäußert werden, das ist offenbar für die Nürnberger Staatsanwallschaft ein feststehendes Diktum. Der �Reichstags abgeordnete und Gemeindebcvollmächtigte Genosse Simon in Nürnberg soll am 22. Januar 1999 in einer Sitzung deS Gemeindekollegiums in Nürnberg folgende Aeußerung in bezng aus die Iliiteroffiziersschulen gemacht habeu: Wenn Schutzleute gegen das Publikum massiv vorgehen und mitunter roh werden, so hänge das mit ihrer Erziehung auf den UuteroffizierSschulen zusammen. Genosse Simon hatte daran anknüpfend eine Mitteilung wieder gegeben, die ihm von einem früheren Unteroffizier gemacht worden war. Wegen diesen Aeußerungen, die also drei Jahre zurück liegen und die Simon in seiner Eigenschaft als Gemeindebevoll� mächtigter gemacht hatte, wurde Strafantrag gestellt. Der RechtSbeistand des Genossen Simon, Genosse Dr. Süßheim, erhob die eiilsprechenden Einwendungen gegen diese seltsame Klage und wandte sich entschieden dagegen, daß ein Mitglied eines Ge- mcindekollegiums wegen Aeußerungen, die eS im Kollegium in Wahrung berechtigter Interessen gemacht hatte, noch nach Jahren strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werde. Es sei Pflicht eines Gemeindevertreters, seine Anschauung rückhaltlos zum Ausdruck zu bringen. DaS Landgericht Nürnberg wies darauf die Anklage ab. Dem Staatsanwalt leuchtete das nickt ein. Er hat gegen den landgerickt- lichcn Beschluß Beschwerde eingelegt. Es wäre ein schöner Zustand, wenn künftig die Gemeindevertretersitzungen der Kontrolle des Staatsanwalts unterstellt würden frankmeb. Der italienisch-französlsche Zwischenfall. In der Kammersitzung am Montag verlas Ministerpräsident Poincare ein Schreiben der türkischen Botschaft be- treffend die Ueberfahrt der Abordnung vom Roten Kreuz. Die Regierung habe den Generalrosidcnten in Tunis hier- von in Kenntnis gesetzt und ihm lediglich empfohlen, die Identität der Mitglieder der Abordnung sorgfältig feststellen zu lassen. Poin- rare erklärte, er habe die italienische Regierung der französischen Neutralität bei verschiedenen Gelegenheiten versichert, so noch am 17. Januar, aber ohne Zweifel sei die Beschlagnähme der„Manuba" erfolgt, bevor der italienische Botschafter seiner Regierung die Er- klärungen, deren Aufrichtigkeit er nicht beargwöhnen konnte, habe übermitteln können. Er(Poincare ) habe nach Rom und Cagliari telegraphiert, die türkischen Passagiere nicht auszuliefern, das nach Cagliari adressierte chifferierte Telegramm sei als u n e n t- z i f f e r b a r zur Wiederholung zurückgekommen. Andererseits habe die italienische Regierung dem französischen Geschäftsträger in Rom die Bersicherung gegeben, die Passagiere seien türkische Offi- ziere und könnten zu Kriegsgefangenen gemacht werden. Der Ge- schäftsträger habe geglaubt, um ernste Schwierigkeiten zu vcr- meiden, den französischen Konsul in Cagliari auffordern zu müssen, fich der italienischen Auffassung anzuschließen. Diese An- Weisung sei im Vertrauen auf die von der italienischen Regierung| d. h. gegebenen Aufschlüsse erfolgt, aber See otkoManische Botschafters den Volksmassen offenbark, halte daran fest, daß die Reisenden dem Roten Halbmond angc- hörten. Frankreich hätte sie weder nach dem Völkerrecht noch nach dem Zivilrecht ausliefern sollen.(Beifall.) Allein die Wiederauslieferung der Verhafteten an Frankreich würde diesem die not- wendige Feststellung gestatten. Er habe unverzüglich dement. sprechende Maßregeln ergriffen, und er habe das volle Vertrauen daß die italienische Regierung die Notwendigkeit anerkennen werde den Zwischenfällen eine Lösung zu geben, die der Gerechtigkeit ent- sprechen und eine Wiederholung derartiger Zwischenfälle verhin dern werde. Die Regierung des Königreichs habe bemerken lassen, Italien könne nicht ausschließlich zugunsten Frankreichs auf das Durchsuchungsrecht verzichten, aber sie habe erklärt, daß sie bereit sei, die durch die Zwischenfälle aufgeworfenen Fragen zu prüfen. und habe versprochen, die italienische Flotte werde bei der Aus Übung ihres Auftrags alle Rücksichten beobachten, die gegenüber einer befreundeten Nation beobachtet werden müßten. Er sehe in dieser Erklärung ein Unterpfand für eine baldig« Lösung und zweifle nicht, daß diese Lösung nach Freilassung der türkischen Reisenden direkt zustande kommen werde in einer freundschaft- lichcn Auseinandersetzung zwischen beiden Regierungen. Eine Wolke, so schloß Poincare , die vorüberziehe, könne den Horizont nicht verfinstern.(Beifall.) Die Besprechung über die Zwischen fälle wurde darauf geschlossen. Genossen I a u r e s schreibt in der„H u m a n i t e" über den Zwischenfall:„Wenn Frankreich und Italien nicht von Wahnsinn befallen sind, so wird der Zwist, bei dem keine ernstlichen Interessen auf dem Spiele stehen, bald geregelt sein. Die Rede Poincares wird durch ihren maßvollen und festen Ton sowie durch ihren versöhnlichen Geist gewiß dazu beitragen.' Eine anscheinend offiziöse Zeitungsmeldung besagt, die fran> zö fische Regierung habe der italienischen Regierung be kanntgegeben, daß, falls die 2 9 türkischen Reisenden des Dampfers„Manuba" nach Tunis oder Marseille , nach Ajaccio oder nach Toulon gebracht würden, eine Untersuchung über ihre Identität eingeleitet werden solle. ES würden alle italienischen und türkischen Zeugen angehört werden, und falls sich unter den Reisenden Militärpersonen befänden, würde ihnen die Fortsetzung ihrer Fahrt nicht gestattet werden. Unter der Be- dingung, daß die italienische Regierung diesem Ansuchen Folge leiste, habe sich die französische Regierung bereit erklärt, alle an- deren Punkte des Streitfalles dem Haager Schiedsgericht zu unterbreiten. Falls Italien jedoch diese Vorbedingungen nicht annehmen sollte, sei die französisch« Regierung entschlossen, ohne Schwäche ihre Forderungen durchzusetzen. Zürhcl Das Ende des Revolutionsparlaments. Genosse Parvus schreibt uns aus Konstantinopel : Nach seiner Zusammensetzung bestand das erste Parlament i» der Hauptsache aus Gutsherren, Beamten und Geistlichen und einer Beimischung von Advokaten und Kaufleuten. Das war durchaus natürlich, denn die türkische Revolution kam ja nicht wie in Nußland von unten, und die Volksmassen mußten erst zur politischen Betätigung erzogen werden. Die herrschenden Elemente waren die ersten am Platze, um ihre Interessen unter dem neuen Regime wahrzunehmen, und sie bildeten dieses erste Parlament. — Zunächst stand das Parlament im Banne der revolutionären Auto- rität des„Komitees". Wer das„Komitee" zeigte durch seine Tätig- keit nach der Revolution, daß es selbst Fleisch vom Fleische und Blut vom Blute dieser herrschenden Elemente sei. Es suchte sich gerade auf diese herrschenden sozialen Schichten zu stützen, sich dem sozialen Milieu des Parlaments anzupassen. Und es entfernte sich zielbewußt von den Volksmassen. So geringfügig auch die Organisationen des„Komitees" vor der Revolution waren, so hatten sie doch einige Fühlung mit Ar- beitern und Handwerkern, und einige ihrer Mitglieder unterstützten die Schaffung von Handwerkerverbindungen. Das hörte mit der Revolution auf. Die Handwerkerorganisationen wurden bernach- lässigt, die Komiteeleute entfernten sich immer mehr vom werk- tätigen Volke und nahmen schließlich den Arbeitern gegenüber eine direkt feindliche Stellung ein. Wenn auch die Gesetze, die das Streikrecht der Arbeiter der öffentlichen Betriebe einschränken, unter dem Druck der Großmächte votiert wurden, so ist doch der Polizeikampf, der gegen die Arbeitergewerkschaften und gegen die sozialistischen Organisationen geführt wird, der eigenen Initiative des„Komitees" zuzuschreiben. Das„Komitee" war überhaupt bestrebt, sich nicht als revolu- tionäre, sondern als staatserhaltende Kraft zu entfalten. Getreu dieser Taktik suchte eS auch in der auswärtigen Politik Anschluß nicht an die Völker, sondern an die herrschenden Ele- mente. Sie erlebten die Genugtuung, daß die türkische Revolution nicht nur salonfähig, sondern selbst hoffähig wurde. DaS Land aber bat das schwer büßen müssen. Sie suchten Freundschaft mit der Hochfinanz, und die Hoch- finanz verlangte, daß sie ihr ihr Vaterland verkaufen. Sie suchten Freundschaft mit den Regierungen, und die Re° gierungen verlaligten, daß sie ihnen ihr Vaterland verraten. Indessen je mehr der revolutionäre Nimbus des„Komitees" schwand, desto mehr wagten sich im Parlament einzelne Interessen- gruppcn hervor. Ter Kampf um die Macht, um die periodische Ausnützung der politischen Stellung, um die Teilung der Beute, der alle politischen Vertretungen charakterisiert, wenn sie sich aus Leuten zusammensetzen, die an eine bevorzugte soziale Stellung, cm Macht und Reichtum gewöhnt sind, griff immer mehr um sich. Da einige unter den Komiteeleuten auch persönlich zeigten, daß sie eS wohl verstehen, Rang und Stellung zu erreichen und den politischen Einfluß geschäftlich auszunützen, so faßten die Alten die Jungen einfach als Emporkömmlinge auf, die sich in ihre Reihen drängten. Unter diesen Umständen war sowohl ein Pak- tieren mit den Jungen wie aber auch ein Widerstand ihnen gegen- über möglich. Die Alten begannen sich zu regen; ja, sie traten jetzt selbst als Junge aus, lernten die parlamentarischen Waffen zu gebrauchen und machten Opposition— zum Schutz« des Paria- mentarisn.us, im Interesse ihres eigenen Emporkommens. So entstand ein wahres Chaos von Jnteresienkämpfen. Intrigen, Beütcjägerei, ein persönliches Ringen und Würgen, wobei kein Mittel unbenützt blieb, inklusive Meuchelmord und Landesverrat— kurz, die alte B y z a n z lebte unter dem parla- mentarischen Regime wieder auf. Aber wenn auch der Parlamentarismus diese EntWickelung nicht hat verhindern können, so führt er doch selbst über sie hinaus. Die wilden Kämpfe kleiner Gruppen lassen keine einzelne dieser Gruppen aus die Dauer an der Macht festhalten. Die Gruppe, die an der Macht ist. vereinigt schließlich alle anderen gegen sich. Das ist es, was jetzt in der Türkei geschehen ist. woraus sich der Bruch zwischen der Regierung und vem Parlament erklärt. So- dann aber spielen sich alle diese Jntercssenkämpfe im Parlament vor den Augen des Volkes, in breiter Oeffentlichkeit ab, sie dis- kreditieren die Parteien und erwecken den Protest der Volks- Massen, wobei die jedesmalige Opposition eifrig bemüht ist, diesen Protest durch ihre Agitation möglichst zu verschärfen und zu ver- allgemeinern. Und diese umstllrzlerische Wirkung deS Parlaments, daß das Parlament die Politik der herrschenden Elemente sie war der zweite und auSschlag- gebende Grund für die Auflösung des türkischen Parlaments. fmnlanck. Fortschreiteiide Regierungsbarbarei. Unser finnländischer Mitarbeiter schreibt uns: Seitdem Ko- kowzew die Liquidation der politischen Erbschaft Stolypins in trautem Einvernehmen mit den echtrussischen Pogromisten betreibt, wird auch in Finnland die von Stolypin inaugurierte Erobc- rungspolitik energisch fortgesetzt. Die russische Regierungsbarbarei bleibt sich eben überall treu. Ob sie ihre bluttriefenden Hände nach Persien , nach der Mongolei , nach dem Balkan oder nach Finn- land ausstreckt, überall ist Vernichtung von Menschenglück, Tod und Zerstörung ihr Ziel. Nicht die«gelbe Gefahr" bedroht die heiligsten Güter der Völker Europas , eine wirkliche Gefahr für die Zivilisation ist der russische Zarismus, der mit der Blutgier eines Vampyrs die Kulturfeindschast des Barbaren vereinigt. Ueberall heftet sich Verrat, Gemeinheit, Blut und Tod an seine Fersen. Man sollte meinen, daß die russischen Regierungsbarbarcn wenigstens in Europa , vor den Augen der„zivilisierten Welt" doch etwas weniger brutal sein müßten als in Asien . Aber weit gefehlt! Der russische Zarismus ist sich dessen bewußt, daß er in der kapita- listischen Reaktion Westeuropas seinen sichersten Rückhalt hat, und daß alle Prinzipien der Humanität und des Fortschrittes vor dem Ränkcspiel der internationalen Diplomatie zerschellten. Die Herr- schenken Klassen Europas liebäugeln sogar mit dem barbarischen Zarismus und verleihen ihm eine Stärke und einen Einfluß, der seiner inneren Kraft keineswegs entspricht. DaS Schicksal Persiens und Finnlands , die Qualen der russischen Freiheitskämpfer und der infame Justizmord an den sozialdemokratischen Abgeordneten der zweiten Duma sind dem bürgerlichen Europa höchst gleichgültig. In Finnland hat die russische Regierung bisher nicht den nötigen Anlaß finden können, um ebenso wie in Persien mit Kriegsgerichten und Hinrichtungen, mit Mord, Brand und Plünde� rung vorzugehen. Sie versucht es deshalb, von der reaktionären Duma unterstützt, mit der„friedlichen Durchdringung" des Landes. Dies System besteht in folgendem: Vor allen Dingen werden mit Hilfe deS klingenden Mammons käufliche Elemente unter den finnischen Reaktionären gesucht, die der russischen Regierung bei ihrer Unterdrückungspolitik zur Hand gehen. In der höchsten Verwaltungsbehörde, dem Senat, gibt es bereits solche Elemente aus den Reihen der Altfinnen, die bereit sind, auch die brutalsten Verfügungen des Säbelsenats mit zu unterzeichnen. Die Polizei hat bereits längst aufgehört, etwas anderes zu sein als ein In- strument der Unterdrückung des Volkes. Auch die finnische Justiz ist bereits von der russischen Regierung zertrümmert worden. Bis- her war der Richterstand, da er unabsetzbar ist, soweit daS in einem Klassenstaate möglich ist, dem Gesetze treu. Nun ist aber die ju- ristische Abteilung des Senats in eine Instanz umgewandelt war- den, wo alle Prozesse ihre endgültige Erledigung finden. Die zahl- reichen Majestätsbeleidigungs- und Landesverratsprozesse fanden früher ihre endgültige Erledigung in den Hofgerichten. Gegen Freisprechung der Hofgerichte fand keine Appellation an den Senat statt. Jetzt ist es anders geworden. Die freisprechenden Urteile der Hofgerichte werden im Senat zu harten Verurteilungen um- gewandelt. Mehrere Redakteure der Arbeiterpresse sind auf diesem Wege in den Kerker gekommen. Auch die Verantwortlichkeit der Beamten ist nun von dem Prokurator Chosjainow zertrümmert worden. Sämtliche Klagen, die in der letzten Zeit wegen Ver- letzung der Versammlungs-, Rede- und Preßfreiheit gegen eine Reihe von Beamten erhoben wurden, sind auf Verfügung deS ProkuratorS, dessen Pflicht es ist, Recht und Gesetz im Lande auf- recht zu erhalten, abgewiesen worden. Derselbe Beamte �at zugleich verfügt, keine Anklagen gegen Beamte aus ähnlichen An- lassen anzunehmen. Der Vernichtung der bürgerlichen Freiheiten ist damit Tür und Tor geöffnet. Dies alles genügt aber den Petersburger Raubpolitikern noch nicht. An die Stelle der finnischen Beamten sollen nun russische Kreaturen kommen. Zu diesem Zweck ist in der Duma eine Vor- läge über die Gleichberechtigung der Russen in Finnland eingc- bracht und angenommen worden. Ihm folgte das Gesetz über die „gleichartige Regelung" des Presse- und VereinLwesenS in Finn- land wie in Rußland . Erwähnt sei noch daS Bestreben der russischen Militärs in Finnland , durch provokatorische Maßnahmen den Boden für den Belagerungszustand vorzubereiten. In der- selben Richtung arbeitet auch der Generalgouverneur Sehn, der durch Auskundschaftung der Vorstandsmitglieder verschiedener Ver- eine und Verbände, vor allem der Arbeitervereine Material für die künftigen Proskriptionslisten zu beschaffen sucht. So sieht es nun in Finnland mit der russischen Eroberungspolitik aus. Die Selbsttätigkeit des sinnischen Volkes wird auf allen Gebieten gehemmt, die finnische Staatskasse wird von den Petersburger Bankerotteuren ausgeplündert und das mühsam aufgerichtete Gebäude des Fort- chritts verfällt der barbarischen Unkultur einer Rotte fauler Macht- Haber, die den Kadaver des russischen Absolutismus hüten, Letzte rfochrichteti« Maura wird nicht Canalejas Nachfolger. Madrid , 23. Januar. Die Rückkehr der Konservativen zü( Macht, welche heute morgen für fast wahrscheinlich angesehen wurde, erscheint nunmehr schtoicriger. Man spricht von einem liberalen Kabinett unter Mo rat oder NomanoneS. Die liberale Presse gibt ihrer einstimmigen Verblüffung über die Krise Ausdruck und erhebt Einspruch gegen die Art und Weise, wie diese hervorgerufen worden sei. (Canalejas hat aus Umtriebe MauraS demissioniert.) Dringender als die Notstandsbcseitigung. Petersburg, 23. Januar. (W. T. B.) Der Marineminister for- derte heute im Ministerrat einen Nachtragskredit von 11509 009 Rubel zum Van der Schwarzen Meer-Flotte. Frauen als Falschmünzer. Köln , 23. Januar. (H. B.) Zwei im benachbarten M ü l- heim a. Rh. wohnende Frauenspersonen wurden gestern abend hier verhaftet, weil sie falsche Zweimarkstücke verausgabt hatten. Eine von ihnen ist geständig, die Geldstücke selbst hergestellt zu haben, die andere ist bei der Anfertigung behilf?» gewesen. Auch in anderen Vororten KölnS sind falsche Zweimarkstücke verausgabt worden. Aerantw WI6frtW«iM m-r-rin Inseratenteil m--sin'Driiit ii.Berlaa: Vorwärts Buckdr. u Verlaasansfalt Nledcrgebrannte Färberei. Eilenburg , 23. Januar. (W. T. B.) In der Eilenburger Kattun-Manufakwren-Aktiengcsellschast brach in der vergangenen Nacht vermutlich infolge Selbstentzündung ein größeres. � u e r aus, das die Färberei z e r st ö r t e. Der Schaven ar». Maschinen und Gebäuden ist durch Versicherung gedeckt. Ter chaoen an Waren ist u n e r h e b l i ch. Die Betriebsstörung wird nach Mitteilung des Vorstandes nur eine kurze sein, da ein Um- sichgreifen des Feuers aus die übrigen Gebäude verhindert wird. Eisenbalinunglnck. Bukarest , 23. Januar. (P. C.) Heute ereignete sich bei Bra- nesti auf der Strecke Bukarest — Konstanza ein Zusammenstoß zweier Eisenbahnzüge. Beide Lokomotiven wurden aus den Schienen geschleudert und eine Anzahl Waggons umgeworfen. Zwei Personen des Zugpersonals sind tot, vier Reisende wurden schwer, eine größere Anzahl leicht verletzt. Pai>l?'nqe?�Eo..Berlin ?!1V. Hierzu 3 Beilagen«.Nnterhaltungsbl.
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