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Ar. 40. 29. Iahrgiwg. 1. Irilap ks Jotmärts" ßttliiicr Sl>«Nllbklld, 17. Februar 1912. Reichstag» 7. Sitzung. Freitage den 16. Februar, nachmittags 1 Uhr. Am Bundesratstisch: v. Bethmann Hollweg  , Dr. Del- brück, Mermuth  , v. Tirpitz. Die erste Lesung des Etats wird fortgesetzt. Abg. v. Patzer lVp.s: Die Thronrede zeigt eine an er- kennenswerte Ruhe und Gelassenheit, nur darin stimme ich mit ihr nicht überein, daß eine vollständige Gesundung unserer Finanzen bereits erreicht sei. Dagegen sind wir ganz einverstanden mit den Darlegungen des Reichsschatzsekretärs. Seine WorteKeine Ausgaben ohne Deckung in bar" sollten wir statt der Bilder, die ja doch nie fertig werden, mit goldenen Lettern an die Wand des Reichstags über dem Präsidium malen lassen. (Heiterkeit.) Die Wahlen haben bewiesen, daß die übergroße Mehrheit des Volkes die Politik, die die ölegierung und die Mehr- heit dieses Reichstags seit Jahren befolgt hat, auss schärf st e verurteilt. Die agrarisch-konservative Hochflut ist im Rück- gang begriffen. Herr v. Hcydebrand ist mit dem Stichwort: Biegen oder Brechen" in den Wahlkampf gezogen und er hat sein Ziel erreicht: Der Bogen ist gebrochen und er wird nie mehr so geleimt werden wie er ge- wesen i st.(Heiterkeit.) Die Zunahme der sozialdemokratischen Mandate ist uns auch unangenehm, aber sehr erfreulich ist, daß dadurch die Sozialdemokratie gezwungen ist, eine veränderte Stellung im Reiche und hier im Hause einzunehmen. Die Rede des Abg. Frank war der beste Beweis dafür. Aus ihr klang das Gefühl der Verantwortlichkeit auch seiner Partei für das, was in diesem Hause geschieht. Und der Speisezettel, den er vortrug, enthielt bis auf wenige Ausnahmen nicht spezifisch sozialdemokra- tische, sondern allgemein demokratische Forderun- gen. Wie sind denn nun die Erfolge der Sozialdemokratie zu erklären? Aus der Agitation allein sicher nicht; denn wenn es auf die ankäme, müßte der Bund der Landwirte mit seiner Aufstäche- lung aller menschlichen Leidenschaften die größten Erfolge haben. (Sehr wahr! links.) Durchschlagend für die Stimmung der Masten sind die mit jedem Jahr steigenden Preise alles dessen, was der Mensch zum Lebensunterhalt notwendig hat.(Sehr richtig! links.) Man würde sich dem fügen, wenn man diese Preis- steigerung als die Folge einer natürlichen Entwickclung ansehen müßte. Aber jeder weiß, daß das n i ch t der Fall ist, daß sie zurückzuführen ist auf die Gesetzgebung, die seit Jahren unser Wirtschaftsleben beherrscht. Dazu kam die Empörung darüber, daß die einzig gerechte Steuer, die Nachlaßsteuer, von den Konservativen und dem Zentrum verworfen wurde und die Sorge, wie das weiter- gehen soll angesichts der Wahlparole des Herrn b. Hcydebrand vomlückenlosen Zolltarif".(Sehr wahr! links.) Wenn selbst Freiherr   v. Zedlitz und seine Gefolgschaft im preußischen Land- tage betonen, wie unheilvoll die Ablehnung der Erbanfallsteuer und die Verewigung der Liebesgabe gewirkt haben, brauche ich dazu gewiß nichts mehr sagen. Schon wesentlich belastet ist auch das Schuldkonto des Reiche? durch Matznahmen von Einzelstaaren, ich erinnere nur an die mecklenburgische und braunschwei- gische Verfassung. Die Reichsfinanzreform ist vom Reichs- schatzsekretär verteidigt worden mit dem Hinweis lediglich, daß auch schlechte Steuern Geld bringen. Die Bevölkerung will auf keinen Fall weitere ungerechte Steuern. Der Redner des Zentrum» hat jetzt schon erklärt, die Nachlatzsteuer würden sie als Brüs- kierung empfinden; nun, die Regierung wird es sich noch über- legen, ob sie den Parteien, diein schwerer Zeit die Reichsfinanz- resorm durchgeführt haben," dies Herzeleid anzutun. Das Z e n- t r u m hat aber durch seinen Redner gleichzeitig seine Abneigung gegen jede neue Steuer erklären lasten. Nun, die Nachlaß- st e u e r halten wir für eine gerechte Steuer, und wir sind bereit, sie zu bewilligen, um mit ihrem Ertrage eine Reihe ungerech- ter und unwirtschaftlicher Steuern abzu- schaffen.(Sehr richtig! links.) Soll Vertrauen zur Regierung wiederkehren, so muß unsere Wirtschaftspolitik auf eine andere Basis gestellt werden, so daß auch die Interessen des Handels und der Konsumenten gewahrt werden. Der Reichskanzler möge zu der Politik zurückkehren, die er beim Reichsvereinsgesetz Rleims f euilleton» Lu�uSblume». Am Donnerstag feierte die Deutsche Gartenbau- Gesellschaft ihr neunzigstes StiflungSsest durch eine Blumenausstellung, die in den Räumen des Landwehr-Offizierkasinos abgehalten und deren Besuch weiteren Volksschichten durch einen übertrieben hohen Eintrittspreis vereitelt wurde. Ob die verdienstvolle Gartenbau- Gesellschaft ihre doch recht weite Kreise interessierenden Bestrebungen nicht in anderer Weise hätte demonstrieren können, soll hier nicht untersucht werden. Man muß sogar zugeben, daß Räume, Eintritts- preis und Blumen insofern gut zusammenpaßten, als die Blumen und ihre Aufmachungen hier durchwegs Luxuszwecken angepaßt waren, Damit soll gleichwohl keine herabsehende Bezeichnung gegeben sein, denn der hier gebotene BlütenluxuS war trotz alledem ge- schmackvoll und weit entfernt von protzenhafter Aufdring- lichkcit, die nicht mit LnxuS zu verwechseln ist. Aus dem grauen Wintertage kam man zwischen Beete voll blühender Hyazinthen, Krokus, Schneeglöckchen, Maiblumen und Alpenveilchen. über die Schneeball- und Fliedersträucher ihre frischen Blütenballen neigten. Wie der Eingang eines FeslHauses bei feierlichen Anlässen zu schmücken sei, sollte damit gezeigt werden. Wieder anders waren die Treppen geschmückt, die zu den blumenerfüllten Festsälcn führten, Wie immer wurden hier die Tische mit den Orchideen am meisten besucht, mit jenen exotischen Wunderpflanzen, in denen die Natur sich selber zum Luxus der Farben und Formen hinauffteigert. Am augenfälligsten wurde der Charakter der Ausstellung als einer Schau für bezahlungSsäbige Luxusblumen im Festsaal, wo zwischen den langen Reihen dicht gedrängter Gedecke Blumenschmuck die Tafeln zierte. Tulpen und prachtvolle Riesenlilien spielten hier eine Hauptrolle, und anheimelnd schaute der märkische Frühling in Gestalt blühender Haselkätzchen aus den Vasen heraus. Diese wurden untereinander durch die langhingcstreckten. feinlaubigen Sprosse einer Asparagusart mit einander verbunden. Fröstelnd trat man aus dieser farbenfrohen Welt wieder in den sinkenden Tag hinaus. Nur wenige Stunden hat diese Ausstellung gedauert, und nur ein lächerlich kleiner Bruchteil einer Dreimillionen- Bevölkerung hat sie gesehen oder richtiger, hat sie sehen dürfen, Luxus! Wie wäre es nun. wenn die Deutsche Gartenbau-Gesellschaft einmal zeigte, daß sie auch ander« kann? Wenn sie zu günstiger Jahreszeit Rahmen und Eintrittspreis für eine Blumen« und Garten- bau-Ausslellung so wählte, daß große Scharen sich daran erfreuen und Nutzen daraus ziehen konnten? Lo, Politik im Konzertsaal. Eine ganz unglaubliche Begebenheit wird in einem vom-Verl  . Tagebl/' wiedergegebenen offenen Brief behandelt. Danach hat Richard Strauß.  , als er im Sinfonie- konzert der kgl, Kapelle Wagners Kaifermarsch dirigierte, beim Einsatz des Chors sich zum Publikum umgewendet undes mit einer unwiderstehlichen Gebärde ausgefordert, sich von den Plätzen zu er- heben." Mit Recht weist der Einsender diese Kapellmeisterhcrrlichkeit und(was schlimmer ist) furchtbare Geschmacklosigkeit mit den Worten zurück: »Künstlerische Gesichtspunkte können hierfür nicht in Betracht Kimmen. Eine politische Kundgebung aber war weder im Programm und bei der elsaß  -lothringischen Frage getrieben hat; das wird zur Beruhigung beitragen. Sonst kann die Regierung mit Engelszungen den Zusammenschluß der bürgerlichen Elemente prc- digen bei der nächsten Gelegenheit kommt dann doch eine weitere Million sozialdemokratischer Stimmzettel hinzu.(Sehr richtig! bei der Volkspartci.) Wegen unserer Stichwahlparole sind wir angegriffen und die Schrittmacher der Sozialdemokratie genannt worden.(Sehr richtig! rechts.) Wir sind dadurch, daß wir eine gerechte Politik treiben, vielmehr das letzte Bollwerk gegen die Sozialdemokratie. (Schallende Heiterkeit rechts und im Zentrum.) Die Parteien, die den Zolltarif gemacht haben, sind nicht die Schrittmacher der Sozialdemokratie, sondern haben sie künstlich erzeugt und gezüchtet. (Sehr richtig! bei der Volkspartei.) Unsere Stichwahlparole war lediglich die ehrliche Konsequenz aus unserem gegen den schwarz- blauen Block gerichteten Wahlkampf.(Lebhafte Zustimmung bei der Volkspartei.) Welche Partei und welcher Abgeordnete kann denn behaupten, daß seine Anhänger noch nie versucht haben, den Sozialdemo- kratenindenSattelzuheben! Ich will doch mal sehen, wer sich meldet.(Große Heiterkeit links.) Auch dieNorddeutsche Allgenieine Zeitung" hat uns wegen unserer Stichwahlparole des Verrats an der Sache des Bürgertums bezichtigt.(Sehr richtig! rechts.) In Wahlflugblättern scheint ja ein starker Ton nicht vcr- meidbar; aber hier handelt es sich nicht um ein Wahlflugblatt, sondern um eine Zeitung, und da sollte der Reichskanzler seinen Einfluß geltend machen, den Redakteur in die Schranken zurückzu- weisen, auf deren Einhaltung zu dringen wir berechtigt sind.(Zu- stimmung b. d. Vp.) Deutschland   krankt an dem Zwiespalt, daß in dem Lande des allgemeinen Stimmrechts und der allgemeinen Wehrpflicht die Regierung und die Rechte an einer Politik fest- halten wollen, die von der Mehrheit der Wähler gemißbilligt wird. Das ist unlogisch und unmöglich. Die Verfassung und das allge- meine Stimmrecht besteht, und nur ganz kleine Minoritäten haben die Frivolität, daran mit Gewalt rütteln zu wollen. Man muß eben mit dem allgemeinen Stimmrecht re- gieren.(Lebhafte Zustimmung links.) Dann einige Worte zur Auswärtigen Politik. Unsere wichtigsten Posten im Ausland sollten endlich ohne Ansehen der Person, ohne Haß und Gunst, nur nach dem Grundsatz der Auswahl des nach seiner Befähigung Tüchtigsten besetzt werden. (Bravo  ! links.) Uebcrhaupt mutz in unsere ganze Diplomatie mehr Licht und Luft hinein. Es geht nicht länger, daß nur einige wenige Wissende, Informierte sich für befugt erachten, mit den Ge- schicken des Volkes zu spielen.(Sehr richtig! links.) Was gestern der Herr Reichskanzler über unser Verhältnis zu England mit- teilte, kam mir vor wie ein Sonnen st rahl nach langen, trüben Tagen. Wir können nur wünschen und hoffen, daß die Verhand- lungen mit England von bestem Erfolge begleitet sein werden. (Bravo  ! links.) Sehr dringend ist weiter die Neueinteilung der Wahlkreise. Sie hätte nach der Verfassung längst entsprechend der Vermehrung der Bevölkerung erfolgen müssen. Man hat sie bisher lediglich unterlassen, um auf diese Weise die Resultate des allgemeinen Wahlrechts zugunsten bestimmter Richtungen zu korrigieren.(Sehr wahr! links.) Kommt es zur Neueinteilung der Wahlkreise, wird man auch nicht vorübergehen können an der Verhältnis- wähl. Am meisten würde es zur Gesundung des politischen Lebens beitragen, wenn das Stich wahlverfahrcn ganz beseitigt werden könnte.(Sehr richtig! links.) Für die Fortführung der sozialen Gesetzgebung werden wir natürlich alle Kraft einsetzen. WaS uns sonst am Hev- zen liegt, ergibt sich aus den Initiativanträgen. Vor allem möchten imr, daß in der Reichsversichcrungsordnung die Altersgrenze von 76 auf 65 Jahre herabgesetzt wird. Das ist nptwendig, nachdem inzwischen die Regierung selbst zugegeben hat, daß unsere Finanz- läge weit günstiger ist, als der Herr Reichsschatzsckretär es bei der Beratung der Reichsversicherungsordnung hinstellte.(Sehr gut! links.) Was wird nun aus diesem Reichstag werden? Be- sonders empfohlen hat sich ja der Reichstag durch seine Tätigkeit in den ersten acht Tagen nach außen nicht.(Heiterkeit.) Wir wollen diese Vorgänge als vorgesehen noch verlangte das Publikum spontan nach ihr. Ihr Ver« halten war eine Ueberrumpelung, ein Zwang." Vielleicht hat Herr Strauß Gründe, sich bei den Hohenzollern  anzubiedern. Er veranstalte alsopatriotische Bierabende" mit Militärmusik, bringe Hochs aus, lasse Tusch blasen, in Sektionen antreten, stramm stehen usw. Zweifellos wird er zahlende Teil- nehmer dafür finden. Geht sein politischer Ehrgeiz höher, nun so steige er in die Arena der Volksversammlung,' wo freilich mit solchen Mätzchen nichts anzufangen ist und dem kgl. Generalmusik- direktor ein anderer Marsch geblasen werden könnte.Will drr Herr Strauß ein Tänzchen wagen?" Wir wollen ihm gerne auf spielen. Mufik. Die Thpographia, der Gesangverein Berliner   Buchdrucker und Schriftgicßer, gab am Mittwoch(im Konzertsaal der Hochschule) einen Volksliederabend. Das Konzert war erfolgreich und verdienstvoll und würde wohl noch verdienstvoller gewesen sein, wenn die Veranstalter es kühn als»Konzert der Beispiele und Gegen- beijpiele" bezeichnet hätten. Man kennt ja die glückliche Methode der'ästhetischen Kritik, dem Guten das schlechte in schlagenden Gegenbeispielen gegenüberzustellen; und das Stuttgarter Landes- gewerbemuseum enthält auch ein Museum von Geschmacksverirrungen. Längst, schon vor mehr als zwei Jahrtausenden, kannte man die Verwertung volkstümlicher in kunstmätziger Musik. Dabei ist eine Bearbeitung" nötig; und da trägt nun jede Zeit ihren Kunst- gcschmack in die Vorlagen hinein. WaS wir diesmal hörten, waren also nicht schlechtweg Volkslieder aus dem sechzehnten oder sonst einem Jahrhundert, sondern Zurechtmochungen, von denen es sich nun fragt, wie weit sie unvermeidlich sind und den alten Grundcharakier wahren. Da wird vielleicht manchem Zuhörer aufgefallen sein, wie so anders das von H. R e i m a n n bearbeitete .Wächterlied" von 1535 und etwa der von I. F. R e i ch a r d t komponierteWeiße Hirsch" oder auch G i r s ch n e r sHüte dich" klangen, als das meiste übrige, einschließlich anderer Rennannscher Bearbeitungen und besonders derer von F. i l ch e r. Dort eine mehr dem Text folgende und rhythmisch freiere Musik, hier eine rhythmisch einförmigere mir marsch- oder tanzmäßigem Singsang, eine Tafelmusik, eintönig bis herab zur Langweile, unnatürlich nicht nur durch solche Betonungen wie»Weit in die Welt hinaus." Wir werden wohl nicht zu den Modernisten oder Straußen- farmern gerechnet werden; aber den Wunsch, nicht allzuweit hinter dem zurückzubleiben, was heute an Einsicht in frühere Gcschmack- losigkeiten erreicht ist. dürfen wir doch aussprechen, und eine Programmnummer wie»Hüttelein, still und klein", dürfen wir doch wegwünschen. Und dann die Verdcrbungen, wie das für Solo- stimme mit charakteristischer Klavierbegleitung komponierteWiegen­lied" von B r a h m s. in Bearbeitung von A. Zander(dem 1843 geborenen Liedertafeldirigenten)! Da hatte 1867 ein Jemand Wanderers Nachtlied  " von Goethe ganz gräßlich umgcdichtet, und der sonst geschmackvolle F. Kuhlou es komponiert nicht eben sehr volksmäßig. Soll uns etwas Derartiges gar als künstlerisches Recht gelten? I Der Chor, gegen 136 Mann stark, unter Alexander Wein» b a u m s Direktion, und in Sololiedern Paula Weinbaum, leistetett stimmtechnisch recht Gutes, wie immer. Auffallen kann aber eine Kinderkrankheit ansehen.(Sehr gut! links.) Da kommt die äußerste Linke des Reichstages und erklärt sich zur pflichtgetreuen Mitarbeit bereit und eine Reihe anderer Paresen lehnen d«s ab, einmal weil sie nicht auf monarchischer Grundlage stehe, und das andere Mal, weil sie sich nicht ausdrücklich auf vollständige Er- füllung aller höfischen Verpflichtungen ein- schwören lassen will. Das sind doch eigentlich, im Lichte betrachtet, keine sachlichen Gründe, das ist einfach die Unmöglichkeit, sich rechtzeitig innerlich in eine neue Situation einzuleben, die nun einmal geschaffen ist und noch lange Jahre nach mensch» lichem Ermessen unser politisches Sein beHerr- scheu wird. Bis jetzt ist ja alles glatt gegangen. Es hat zu allen Zeiten Parlamente gegeben, die über keine feste Mehrheit an der einen oder anderen Seite verfügten, und das waren gar nicht mal die schlimmsten Parlamente. Gewandte Regierungen arbeiten gar nicht ungern mit solchen Parlamenten und erzielen oft recht große Erfolge durch die kluge Ausnutzung dieser taktischen Situation.(Heiterkeit und Sehr gut! links.) Darum habe ich keine Besorgnis für das Schicksal dieses Reiqhstages. Teils mit banger Sorge, teils mit froher Hoffnung haben, viele geglaubt, dem ncugewählten Reichstag gleich den Totenschein mit in die Wiege legen zu dürfen.(Heiterkeit.) Aber hier ist kein Platz für lachende Erben noch für trauernde Verwandte, die Dinge iverden ganz normal verlaufen. Dazu ist nur nötig, der ehrliche Wille von allen Seiten zum Zusammenarbeiten. Die Herren vom Zentrum haben sich ja gestern dazu bereit erklärt, ruhig und sachlich mitzuarbeiten. Wir erklären uns darüber hinaus auch bereit zur vorurteilslosen Mitarbeit. Wir haben im Gegen- satz zum Zentrum in den letzten Tagen gezeigt, daß es uns mit diesem Wollen auch ernst ist und so wird es auch bleiben.(Leb- haftcr Beifall links.)' Reichskanzler v. Bethmann Hollweg  :. Mir kommt es darauf an, die Stellung der Verbnn- d et e n Regierungen zu den Wahlen und ihrem Ergebnis darzulegen. Die rückwärts gerichteten Vorwüvfe gegen die Regie» rung, die wir gestern gehört haben, halte ich für ungerecht, vor allem den Vorwurf, die Regierung hätte nichts zur Aufklärung über die Finanzreform getan oder nicht zur rechten Zeit. Darüber hat sich eine Legende gebildet. Wenn die Herren die Güte haben woll- ten, die erste Rede nachzulesen, die ich im Winter 1969 vor dem Reichstage gehalten habe, so werden Sic finden, daß ich die Not- wendigkeit des Zustandekommens der damaligen Finanzgesetz- gebung und ihre Annahme durch die Verbündeten Regierungen von vornherein scharf betont habe. Ich habe damals und auch später wieder darauf hingewiesen, daß das Zu/standekommen der Finanz­reform eine notwendige Voraussetzung der Gesundung unserer nanzen ist! Und durch eine große Anzahl von Pressemit- t e i l u n g e n ist Front gemacht worden gegen die unrichtige Dar- stellung des Verhältnisses der einzelnen Steuern gegeneinander. Des näheren können Sie sich ja darüber beim Herrn Schatzsekretär erkundigen. Eins habe ich nicht getan: Ich habe die Ablehnung der Erbanfallsteucr nicht verteidigt (Lebhaftes Bravo! links), oder schärfer gesagt: Ich habe die Art und Weise nicht verteidigt, wie sich die Konservativen und das Zentrum damals gegen die Erbanfallsteuer festgelegt haben. (Wiederholter Beifall links.) Wie hätte ich das machen sollen, nach- dem die Verbündeten Regierungen gerade diese Steuer mit beson- derem Nachdruck gefordert hatten und angesichts der Möglichkeit, daß das Reich auf diese Steuer zurückkommen muß.(Zustimmung links.) Ter Abgeordnete Speck   hat gestern für den Fall, daß die Regierung diese Art von Bcsitzsteuer doch wieder einbringen sollte, das als eine Brüskicrung der Parteien bezeichnet, welche den damaligen Entwurf abgelehnt haben. Das ist ein sehr starkes Wort(Hört! hört! links), hinter den, sich Machtansprüche verbergen, die ich nicht anerkennen kann. Die Regierung bringt ihre Vorlagen nach sachlichen Gesichtspunkten ein. Da sollte von Brüs- kierung nicht gesprochen werden.(Sehr richtig! links.) Die Bemerkung des Abg. Speck hat mir aber zu gleicher Zeit gezeigt, wie die Erbschaftssteuer weit über ihre wirkliche Bedeutung hinaus zu einer hochpolitischen Frage erhoben worden ist.(Sehr richtig! im Zentrum.) Und was ist das Ergebnis gewesen?' u Dort auf der Linken sitzen die lachenden Erben. (Heiterkeit.) Daß das so kommen mußte, war von Anfang an mit doch, daß die einen wie die andere sich manche Gelegenheiten ent- gehen ließen, niit kräftiger Farbe und abwechselungsreicher Wärme ins Zeug zu gehen. Dazwischen brachte der Konzertmeister A. Wittenberg einige fast gar nicht volksmäßige Violinstückchen zu Gehör, rein und genau, und mit Temperament, wenn's Virtuosentum galt etwas eintöniger, wo's schlichte Lyrik galt.«. Humor und Satire. Rotundenzensur in Königsberg  . Die hiesige Garnisonverwaltung (wir sind schon weit in der Kultur!) die brauchte zwecks Toilettegestaltung Papier  - und zwar Makulatur. Doch darf kein Blatt von jener Sorte, so roh, so r o t und so verderbt darunter sein An solchem Orte kann man nie wissen, ob das färbt. Ertappt man etwa die Rekruten, und lesen sie solch ein Traklat, und grab, wenn sie Rcveille tuten: das wäre glatter Hochverrat! Wir dürfen dieses nicht beklagen! ....Kreuzzeitung  "...Post" nun weg ist weg I lind sie erreichen sozusagen den eigentlichen Bestimmungszweck. Kurt. * Jenseits von Gut und Böse. Was ist'S eigentlich mit demwirklichen" Liberalismus? Eine Anbelserei zwischen dem..Reichsboten" und derTäglichen Rund- schau" gab vor einigen Tagen die Antwort. Wir empfehlen den Dialog jedem Nationalliberalen zum Studium. . DerReichsbote" nannte die»Tägliche Rundschau' alle Tage liberal. DieTägliche Rundschau" protestierte und erklärte derlei Be- Merklingen für eine Denunziation. DerReichsbote" fragte in seiner nächsten Nummer ganz ver- blufft: Jst denn liberal sein eine Schande? DieTägliche Rundschau" antwortete prompt: An sich ist nichts weder gut noch böse. Das Denken macht es dazu! So diskutierten dieTägliche Rundschau' und der»Reichsbote' in der Präsidentenwahlwochc.'_ Notizen. Folgen derLustbarkeitssteuer. Die Madrider  Theaterdircltorcn haben im Einverständnis niit den Autoren und Schauspielern beschlossen, von Sonnabend ab alle Theater so lange geschlossen zu halten, bis ihren Klagen über zu hohe Besteuerung des Theatergewerbes durch Steuerermäßigung abgeholfen wird. (Dem Berliner Magistrat zur dringenden Beachtung empfohlen!)