Ar. 40. 29. Iahrgiwg.1. Irilap ks Jotmärts" ßttliiicrSl>«Nllbklld, 17. Februar 1912.Reichstag»7. Sitzung. Freitage den 16. Februar,nachmittags 1 Uhr.Am Bundesratstisch: v. Bethmann Hollweg, Dr. Del-brück, Mermuth, v. Tirpitz.Dieerste Lesung des Etatswird fortgesetzt.Abg. v. Patzer lVp.s: Die Thronrede zeigt eine an er-kennenswerte Ruhe und Gelassenheit, nur darinstimme ich mit ihr nicht überein, daß eine vollständige Gesundungunserer Finanzen bereits erreicht sei. Dagegen sind wir ganzeinverstanden mit den Darlegungen des Reichsschatzsekretärs. SeineWorte„Keine Ausgaben ohne Deckung in bar" sollten wir stattder Bilder, die ja doch nie fertig werden, mit goldenen Letternan die Wand des Reichstags über dem Präsidium malen lassen.(Heiterkeit.) Die Wahlen haben bewiesen, daß die übergroßeMehrheit des Volkes die Politik, die die ölegierung und die Mehr-heit dieses Reichstags seit Jahren befolgt hat, auss schärf st everurteilt. Die agrarisch-konservative Hochflut ist im Rück-gang begriffen. Herr v. Hcydebrand ist mit dem Stichwort:„Biegen oder Brechen" in den Wahlkampf gezogen und er hatsein Ziel erreicht: Der Bogen ist gebrochen und erwird nie mehr so geleimt werden wie er ge-wesen i st.(Heiterkeit.) Die Zunahme der sozialdemokratischenMandate ist uns auch unangenehm, aber sehr erfreulich ist,daß dadurch die Sozialdemokratie gezwungen ist, eine veränderteStellung im Reiche und hier im Hause einzunehmen. Die Rededes Abg. Frank war der beste Beweis dafür. Aus ihr klangdas Gefühl der Verantwortlichkeit auch seiner Partei für das, wasin diesem Hause geschieht. Und der Speisezettel, den er vortrug,enthielt bis auf wenige Ausnahmen nicht spezifisch sozialdemokra-tische, sondern allgemein demokratische Forderun-gen. Wie sind denn nun die Erfolge der Sozialdemokratie zuerklären? Aus der Agitation allein sicher nicht; denn wenn es aufdie ankäme, müßte der Bund der Landwirte mit seiner Aufstäche-lung aller menschlichen Leidenschaften die größten Erfolge haben.(Sehr wahr! links.) Durchschlagend für die Stimmung der Mastensind die mit jedem Jahr steigenden Preise alles dessen,was der Mensch zum Lebensunterhalt notwendig hat.(Sehrrichtig! links.) Man würde sich dem fügen, wenn man diese Preis-steigerung als die Folge einer natürlichen Entwickclung ansehenmüßte. Aber jeder weiß, daß das n i ch t der Fall ist, daß siezurückzuführen ist auf die Gesetzgebung, die seit Jahren unserWirtschaftsleben beherrscht. Dazu kam die Empörung darüber, daßdie einzig gerechte Steuer, die Nachlaßsteuer, von den Konservativenund dem Zentrum verworfen wurde und die Sorge, wie das weiter-gehen soll angesichts der Wahlparole des Herrn b. Hcydebrandvom„lückenlosen Zolltarif".(Sehr wahr! links.) Wenn selbstFreiherr v. Zedlitz und seine Gefolgschaft im preußischen Land-tage betonen, wie unheilvoll die Ablehnung der Erbanfallsteuer unddie Verewigung der Liebesgabe gewirkt haben, brauche ich dazugewiß nichts mehr sagen. Schon wesentlich belastet ist auch dasSchuldkonto des Reiche? durch Matznahmen von Einzelstaaren, icherinnere nur an die mecklenburgische und braunschwei-gische Verfassung. Die Reichsfinanzreform ist vom Reichs-schatzsekretär verteidigt worden mit dem Hinweis lediglich, daßauch schlechte Steuern Geld bringen. Die Bevölkerung will aufkeinen Fall weitere ungerechte Steuern. Der Redner des Zentrum»hat jetzt schon erklärt, die Nachlatzsteuer würden sie als Brüs-kierung empfinden; nun, die Regierung wird es sich noch über-legen, ob sie den Parteien, die„in schwerer Zeit die Reichsfinanz-resorm durchgeführt haben," dies Herzeleid anzutun. Das Z e n-t r u m hat aber durch seinen Redner gleichzeitig seine Abneigunggegen jede neue Steuer erklären lasten. Nun, die Nachlaß-st e u e r halten wir für eine gerechte Steuer, und wir sind bereit,sie zu bewilligen, um mit ihrem Ertrage eine Reihe ungerech-ter und unwirtschaftlicher Steuern abzu-schaffen.(Sehr richtig! links.) Soll Vertrauen zur Regierungwiederkehren, so muß unsere Wirtschaftspolitik auf eine andereBasis gestellt werden, so daß auch die Interessen des Handels undder Konsumenten gewahrt werden. Der Reichskanzler mögezu der Politik zurückkehren, die er beim ReichsvereinsgesetzRleims f euilleton»Lu�uSblume». Am Donnerstag feierte die Deutsche Gartenbau-Gesellschaft ihr neunzigstes StiflungSsest durch eine Blumenausstellung,die in den Räumen des Landwehr-Offizierkasinos abgehalten undderen Besuch weiteren Volksschichten durch einen übertrieben hohenEintrittspreis vereitelt wurde. Ob die verdienstvolle Gartenbau-Gesellschaft ihre doch recht weite Kreise interessierenden Bestrebungennicht in anderer Weise hätte demonstrieren können, soll hier nichtuntersucht werden. Man muß sogar zugeben, daß Räume, Eintritts-preis und Blumen insofern gut zusammenpaßten, als die Blumenund ihre Aufmachungen hier durchwegs Luxuszwecken angepaßt waren,Damit soll gleichwohl keine herabsehende Bezeichnung gegeben sein,denn der hier gebotene BlütenluxuS war trotz alledem ge-schmackvoll und weit entfernt von protzenhafter Aufdring-lichkcit, die nicht mit LnxuS zu verwechseln ist. Aus demgrauen Wintertage kam man zwischen Beete voll blühenderHyazinthen, Krokus, Schneeglöckchen, Maiblumen und Alpenveilchen.über die Schneeball- und Fliedersträucher ihre frischen Blütenballenneigten. Wie der Eingang eines FeslHauses bei feierlichen Anlässenzu schmücken sei, sollte damit gezeigt werden. Wieder anders warendie Treppen geschmückt, die zu den blumenerfüllten Festsälcn führten,Wie immer wurden hier die Tische mit den Orchideen am meistenbesucht, mit jenen exotischen Wunderpflanzen, in denen die Natursich selber zum Luxus der Farben und Formen hinauffteigert. Amaugenfälligsten wurde der Charakter der Ausstellung als einer Schaufür bezahlungSsäbige Luxusblumen im Festsaal, wo zwischen denlangen Reihen dicht gedrängter Gedecke Blumenschmuck die Tafelnzierte. Tulpen und prachtvolle Riesenlilien spielten hier eine Hauptrolle,und anheimelnd schaute der märkische Frühling in Gestalt blühenderHaselkätzchen aus den Vasen heraus. Diese wurden untereinanderdurch die langhingcstreckten. feinlaubigen Sprosse einer Asparagusartmit einander verbunden.Fröstelnd trat man aus dieser farbenfrohen Welt wieder in densinkenden Tag hinaus. Nur wenige Stunden hat diese Ausstellunggedauert, und nur ein lächerlich kleiner Bruchteil einer Dreimillionen-Bevölkerung hat sie gesehen oder richtiger, hat sie sehen dürfen,Luxus! Wie wäre es nun. wenn die Deutsche Gartenbau-Gesellschafteinmal zeigte, daß sie auch ander« kann? Wenn sie zu günstigerJahreszeit Rahmen und Eintrittspreis für eine Blumen« und Garten-bau-Ausslellung so wählte, daß große Scharen sich daran erfreuenund Nutzen daraus ziehen konnten? Lo,Politik im Konzertsaal. Eine ganz unglaubliche Begebenheitwird in einem vom-Verl. Tagebl/' wiedergegebenen offenen Briefbehandelt. Danach hat Richard Strauß., als er im Sinfonie-konzert der kgl, Kapelle Wagners Kaifermarsch dirigierte, beim Einsatzdes Chors sich zum Publikum umgewendet und„es mit einerunwiderstehlichen Gebärde ausgefordert, sich von den Plätzen zu er-heben." Mit Recht weist der Einsender diese Kapellmeisterhcrrlichkeitund(was schlimmer ist) furchtbare Geschmacklosigkeit mit den Wortenzurück:»Künstlerische Gesichtspunkte können hierfür nicht in BetrachtKimmen. Eine politische Kundgebung aber war weder im Programmund bei der elsaß-lothringischen Frage getrieben hat;das wird zur Beruhigung beitragen. Sonst kann die Regierung mitEngelszungen den Zusammenschluß der bürgerlichen Elemente prc-digen— bei der nächsten Gelegenheit kommt dann docheine weitere Million sozialdemokratischer Stimmzettelhinzu.(Sehr richtig! bei der Volkspartci.)— Wegen unsererStichwahlparole sind wir angegriffen und die Schrittmacherder Sozialdemokratie genannt worden.(Sehr richtig! rechts.) Wirsind dadurch, daß wir eine gerechte Politik treiben, vielmehr dasletzte Bollwerk gegen die Sozialdemokratie.(Schallende Heiterkeit rechts und im Zentrum.) Die Parteien, dieden Zolltarif gemacht haben, sind nicht die Schrittmacher derSozialdemokratie, sondern haben sie künstlich erzeugt und gezüchtet.(Sehr richtig! bei der Volkspartei.) Unsere Stichwahlparole warlediglich die ehrliche Konsequenz aus unserem gegen den schwarz-blauen Block gerichteten Wahlkampf.(Lebhafte Zustimmung bei derVolkspartei.)Welche Partei und welcher Abgeordnete kann denn behaupten,daß seine Anhänger noch nie versucht haben, den Sozialdemo-kratenindenSattelzuheben! Ich will doch mal sehen,wer sich meldet.(Große Heiterkeit links.) Auch die„NorddeutscheAllgenieine Zeitung" hat uns wegen unserer Stichwahlparole desVerrats an der Sache des Bürgertums bezichtigt.(Sehr richtig!rechts.) In Wahlflugblättern scheint ja ein starker Ton nicht vcr-meidbar; aber hier handelt es sich nicht um ein Wahlflugblatt,sondern um eine Zeitung, und da sollte der Reichskanzler seinenEinfluß geltend machen, den Redakteur in die Schranken zurückzu-weisen, auf deren Einhaltung zu dringen wir berechtigt sind.(Zu-stimmung b. d. Vp.) Deutschland krankt an dem Zwiespalt, daß indem Lande des allgemeinen Stimmrechts und der allgemeinenWehrpflicht die Regierung und die Rechte an einer Politik fest-halten wollen, die von der Mehrheit der Wähler gemißbilligt wird.Das ist unlogisch und unmöglich. Die Verfassung und das allge-meine Stimmrecht besteht, und nur ganz kleine Minoritäten habendie Frivolität, daran mit Gewalt rütteln zuwollen. Man muß eben mit dem allgemeinen Stimmrecht re-gieren.(Lebhafte Zustimmung links.)Dann einige Worte zurAuswärtigen Politik.Unsere wichtigsten Posten im Ausland sollten endlich ohne Ansehender Person, ohne Haß und Gunst, nur nach dem Grundsatz derAuswahl des nach seiner Befähigung Tüchtigsten besetzt werden.(Bravo! links.) Uebcrhaupt mutz in unsere ganze Diplomatie mehrLicht und Luft hinein. Es geht nicht länger, daß nur einigewenige Wissende, Informierte sich für befugt erachten, mit den Ge-schicken des Volkes zu spielen.(Sehr richtig! links.) Was gesternder Herr Reichskanzler über unser Verhältnis zu England mit-teilte, kam mir vor wie ein Sonnen st rahl nach langen, trübenTagen. Wir können nur wünschen und hoffen, daß die Verhand-lungen mit England von bestem Erfolge begleitet sein werden.(Bravo! links.) Sehr dringend ist weiter dieNeueinteilung der Wahlkreise.Sie hätte nach der Verfassung längst entsprechend der Vermehrungder Bevölkerung erfolgen müssen. Man hat sie bisher lediglichunterlassen, um auf diese Weise die Resultate des allgemeinenWahlrechts zugunsten bestimmter Richtungen zu korrigieren.(Sehrwahr! links.) Kommt es zur Neueinteilung der Wahlkreise, söwird man auch nicht vorübergehen können an der Verhältnis-wähl. Am meisten würde es zur Gesundung des politischenLebens beitragen, wenn das Stich wahlverfahrcn ganzbeseitigt werden könnte.(Sehr richtig! links.) Für dieFortführung der sozialen Gesetzgebungwerden wir natürlich alle Kraft einsetzen. WaS uns sonst am Hev-zen liegt, ergibt sich aus den Initiativanträgen. Vor allem möchtenimr, daß in der Reichsversichcrungsordnung die Altersgrenze von76 auf 65 Jahre herabgesetzt wird. Das ist nptwendig, nachdeminzwischen die Regierung selbst zugegeben hat, daß unsere Finanz-läge weit günstiger ist, als der Herr Reichsschatzsckretär es bei derBeratung der Reichsversicherungsordnung hinstellte.(Sehr gut!links.)Was wird nun aus diesem Reichstag werden? Be-sonders empfohlen hat sich ja der Reichstag durch seine Tätigkeitin den ersten acht Tagen nach außen nicht.(Heiterkeit.) Wirwollen diese Vorgänge alsvorgesehen noch verlangte das Publikum spontan nach ihr. Ihr Ver«halten war eine Ueberrumpelung, ein Zwang."Vielleicht hat Herr Strauß Gründe, sich bei den Hohenzollernanzubiedern. Er veranstalte also„patriotische Bierabende" mitMilitärmusik, bringe Hochs aus, lasse Tusch blasen, in Sektionenantreten, stramm stehen usw. Zweifellos wird er zahlende Teil-nehmer dafür finden. Geht sein politischer Ehrgeiz höher, nun sosteige er in die Arena der Volksversammlung,' wo freilich mitsolchen Mätzchen nichts anzufangen ist und dem kgl. Generalmusik-direktor ein anderer Marsch geblasen werden könnte.—„Will drrHerr Strauß ein Tänzchen wagen?" Wir wollen ihm gerne aufspielen.Mufik.Die Thpographia, der Gesangverein Berliner Buchdruckerund Schriftgicßer, gab am Mittwoch(im Konzertsaal der Hochschule)einen Volksliederabend. Das Konzert war erfolgreich undverdienstvoll und würde wohl noch verdienstvoller gewesen sein,wenn die Veranstalter es kühn als»Konzert der Beispiele und Gegen-beijpiele" bezeichnet hätten. Man kennt ja die glückliche Methodeder'ästhetischen Kritik, dem Guten das schlechte in schlagendenGegenbeispielen gegenüberzustellen; und das Stuttgarter Landes-gewerbemuseum enthält auch ein Museum von Geschmacksverirrungen.Längst, schon vor mehr als zwei Jahrtausenden, kannte man dieVerwertung volkstümlicher in kunstmätziger Musik. Dabei ist eine„Bearbeitung" nötig; und da trägt nun jede Zeit ihren Kunst-gcschmack in die Vorlagen hinein. WaS wir diesmal hörten,waren also nicht schlechtweg Volkslieder aus dem sechzehntenoder sonst einem Jahrhundert, sondern Zurechtmochungen, von denenes sich nun fragt, wie weit sie unvermeidlich sind und denalten Grundcharakier wahren. Da wird vielleicht manchem Zuhöreraufgefallen sein, wie so anders das von H. R e i m a n n bearbeitete.Wächterlied" von 1535 und etwa der von I. F. R e i ch a r d tkomponierte„Weiße Hirsch" oder auch G i r s ch n e r s„Hüte dich"klangen, als das meiste übrige, einschließlich anderer RennannscherBearbeitungen und besonders derer von F. i l ch e r. Dort einemehr dem Text folgende und rhythmisch freiere Musik, hier einerhythmisch einförmigere mir marsch- oder tanzmäßigem Singsang,eine Tafelmusik, eintönig bis herab zur Langweile, unnatürlich nichtnur durch solche Betonungen wie»Weit in die Welt hinaus."Wir werden wohl nicht zu den Modernisten oder Straußen-farmern gerechnet werden; aber den Wunsch, nicht allzuweit hinterdem zurückzubleiben, was heute an Einsicht in frühere Gcschmack-losigkeiten erreicht ist. dürfen wir doch aussprechen, und eineProgrammnummer wie»Hüttelein, still und klein", dürfen wir dochwegwünschen. Und dann die Verdcrbungen, wie das für Solo-stimme mit charakteristischer Klavierbegleitung komponierte„Wiegenlied" von B r a h m s. in Bearbeitung von A. Zander(dem 1843geborenen Liedertafeldirigenten)! Da hatte 1867 ein Jemand„Wanderers Nachtlied" von Goethe ganz gräßlich umgcdichtet, undder sonst geschmackvolle F. Kuhlou es komponiert— nicht eben sehrvolksmäßig. Soll uns etwas Derartiges gar als künstlerisches Rechtgelten? IDer Chor, gegen 136 Mann stark, unter Alexander Wein»b a u m s Direktion, und in Sololiedern Paula Weinbaum,leistetett stimmtechnisch recht Gutes, wie immer. Auffallen kann abereine Kinderkrankheitansehen.(Sehr gut! links.) Da kommt die äußerste Linke desReichstages und erklärt sich zur pflichtgetreuen Mitarbeit bereitund eine Reihe anderer Paresen lehnen d«s ab, einmal weil sienicht auf monarchischer Grundlage stehe, und das andereMal, weil sie sich nicht ausdrücklich auf vollständige Er-füllung aller höfischen Verpflichtungen ein-schwören lassen will. Das sind doch eigentlich, im Lichte betrachtet,keine sachlichen Gründe, das ist einfach die Unmöglichkeit,sich rechtzeitig innerlich in eine neue Situation einzuleben, die nuneinmal geschaffen ist und noch lange Jahre nach mensch»lichem Ermessen unser politisches Sein beHerr-scheu wird. Bis jetzt ist ja alles glatt gegangen. Es hat zuallen Zeiten Parlamente gegeben, die über keine feste Mehrheitan der einen oder anderen Seite verfügten, und das waren garnicht mal die schlimmsten Parlamente. Gewandte Regierungenarbeiten gar nicht ungern mit solchen Parlamenten und erzielenoft recht große Erfolge durch die kluge Ausnutzung dieser taktischenSituation.(Heiterkeit und Sehr gut! links.) Darum habe ichkeine Besorgnis für das Schicksal dieses Reiqhstages. Teilsmit banger Sorge, teils mit froher Hoffnung haben, viele geglaubt,dem ncugewählten Reichstag gleich den Totenschein mit indie Wiege legen zu dürfen.(Heiterkeit.) Aber hier ist kein Platzfür lachende Erben noch für trauernde Verwandte, die Dingeiverden ganz normal verlaufen. Dazu ist nur nötig, der ehrlicheWille von allen Seiten zum Zusammenarbeiten. Die Herren vomZentrum haben sich ja gestern dazu bereit erklärt, ruhig undsachlich mitzuarbeiten. Wir erklären uns darüber hinaus auchbereit zur vorurteilslosen Mitarbeit. Wir haben im Gegen-satz zum Zentrum in den letzten Tagen gezeigt, daß es uns mitdiesem Wollen auch ernst ist und so wird es auch bleiben.(Leb-haftcr Beifall links.)'Reichskanzler v. Bethmann Hollweg:.Mir kommt es darauf an, die Stellung der Verbnn-d et e n Regierungen zu den Wahlen und ihrem Ergebnisdarzulegen. Die rückwärts gerichteten Vorwüvfe gegen die Regie»rung, die wir gestern gehört haben, halte ich für ungerecht, vorallem den Vorwurf, die Regierung hätte nichts zur Aufklärung überdie Finanzreform getan oder nicht zur rechten Zeit. Darüber hatsich eine Legende gebildet. Wenn die Herren die Güte haben woll-ten, die erste Rede nachzulesen, die ich im Winter 1969 vor demReichstage gehalten habe, so werden Sic finden, daß ich die Not-wendigkeit des Zustandekommens der damaligen Finanzgesetz-gebung und ihre Annahme durch die Verbündeten Regierungen vonvornherein scharf betont habe. Ich habe damals und auch späterwieder darauf hingewiesen, daß das Zu/standekommen der Finanzreform eine notwendige Voraussetzung der Gesundung unserer Fünanzen ist! Und durch eine große Anzahl von Pressemit-t e i l u n g e n ist Front gemacht worden gegen die unrichtige Dar-stellung des Verhältnisses der einzelnen Steuern gegeneinander.Des näheren können Sie sich ja darüber beim Herrn Schatzsekretärerkundigen. Eins habe ich nicht getan: �Ich habe die Ablehnung der Erbanfallsteucr nicht verteidigt(Lebhaftes Bravo! links), oder schärfer gesagt: Ich habe die Art undWeise nicht verteidigt, wie sich die Konservativen und dasZentrum damals gegen die Erbanfallsteuer festgelegt haben.(Wiederholter Beifall links.) Wie hätte ich das machen sollen, nach-dem die Verbündeten Regierungen gerade diese Steuer mit beson-derem Nachdruck gefordert hatten und angesichts der Möglichkeit,daß das Reich auf diese Steuer zurückkommen muß.(Zustimmunglinks.) Ter Abgeordnete Speck hat gestern für den Fall, daß dieRegierung diese Art von Bcsitzsteuer doch wieder einbringen sollte,das als eine Brüskicrung der Parteien bezeichnet, welcheden damaligen Entwurf abgelehnt haben. Das ist ein sehr starkesWort(Hört! hört! links), hinter den, sich Machtansprüche verbergen,die ich nicht anerkennen kann. Die Regierung bringt ihre Vorlagennach sachlichen Gesichtspunkten ein. Da sollte von Brüs-kierung nicht gesprochen werden.(Sehr richtig! links.)Die Bemerkung des Abg. Speck hat mir aber zu gleicher Zeitgezeigt, wie die Erbschaftssteuer weit über ihre wirkliche Bedeutunghinaus zu einer hochpolitischen Frage erhoben worden ist.(Sehrrichtig! im Zentrum.) Und was ist das Ergebnis gewesen?' uDort auf der Linken sitzen die lachenden Erben.(Heiterkeit.) Daß das so kommen mußte, war von Anfang an mitdoch, daß die einen wie die andere sich manche Gelegenheiten ent-gehen ließen, niit kräftiger Farbe und abwechselungsreicher Wärmeins Zeug zu gehen.Dazwischen brachte der Konzertmeister A. Wittenbergeinige fast gar nicht volksmäßige Violinstückchen zu Gehör, rein undgenau, und mit Temperament, wenn's Virtuosentum galt— etwaseintöniger, wo's schlichte Lyrik galt.«.Humor und Satire.Rotundenzensur in Königsberg.Die hiesige Garnisonverwaltung—(wir sind schon weit in der Kultur!)die brauchte zwecks ToilettegestaltungPapier- und zwar Makulatur.Doch darf kein Blatt von jener Sorte,so roh, so r o t und so verderbtdarunter sein—An solchem Ortekann man nie wissen, ob das färbt.Ertappt man etwa die Rekruten,und lesen sie solch ein Traklat,und grab, wenn sie— Rcveille tuten:das wäre glatter Hochverrat!Wir dürfen dieses nicht beklagen!—....Kreuzzeitung"...„Post"— nun weg ist weg Ilind sie erreichen sozusagenden eigentlichen Bestimmungszweck.Kurt.*Jenseits von Gut und Böse.Was ist'S eigentlich mit dem„wirklichen" Liberalismus? EineAnbelserei zwischen dem..Reichsboten" und der„Täglichen Rund-schau" gab vor einigen Tagen die Antwort. Wir empfehlen denDialog jedem Nationalliberalen zum Studium..„ Der„Reichsbote" nannte die»Tägliche Rundschau' alle Tageliberal.Die„Tägliche Rundschau" protestierte und erklärte derlei Be-Merklingen für eine Denunziation.Der„Reichsbote" fragte in seiner nächsten Nummer ganz ver-blufft: Jst denn liberal sein eine Schande?Die„Tägliche Rundschau" antwortete prompt: An sich istnichts weder gut noch böse. Das Denken macht esdazu!So diskutierten die„Tägliche Rundschau' und der»Reichsbote'in der Präsidentenwahlwochc.'_Notizen.— Folgen derLustbarkeitssteuer. Die MadriderTheaterdircltorcn haben im Einverständnis niit den Autoren undSchauspielern beschlossen, von Sonnabend ab alle Theater so langegeschlossen zu halten, bis ihren Klagen über zu hohe Besteuerungdes Theatergewerbes durch Steuerermäßigung abgeholfen wird.(Dem Berliner Magistrat zur dringenden Beachtung empfohlen!)