Nr. 47.
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Sonntag, den 25. Februar 1912.
Proletarische und bürgerliche Frauenbewegung.
Sollte der Kaiser inzwischen seine Ansicht geändert haben? Oder sollte seine Gemahlin anderen Sinnes geworden sein und sollte sie wir wagen es kaum zu denken den Wünschen ihres Mannes zuwiderhandelnd, das Protektorat übernommen haben?
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Die scharfen Klassengegensätze, die die Gesellschaft zer-| Hindernisse starke find. In denen also die Ehemöglichkeit und klüften, finden in der Frauenwelt eine Rückspiegelung in den die Versorgung durch die Ehe für zahlreiche Frauen nicht verschiedenen Richtungen der Frauenbewegung. Mag für den eristiert. Hinzu kommt, daß das Hinauswandern einer Uneingeweihten auch nicht immer klar zum Ausdruck kommen, menschlichen Tätigkeit nach der anderen aus dem Bereich der welche Interessengegenfäße die Gründung der vielen Vereine Familie in die große soziale Gemeinschaft auch diesen Frauen und Vereinchen innerhalb der bürgerlichen Frauenwelt ver- den Lebensinhalt nahm, den ihnen früher die selbstanlaßten; um so klarer, und schärfer tritt dagegen der un produzierende Familie bot. Lebensinhalt und Lebensunter- Es ist etwas Herrliches" um das stolze Selbstbewußtüberbrüdbare Gegensab hervor, der die halt suchend, begehren sie Zutritt zu den liberalen Berufen, proletarische und die bürgerliche Frauen- auf die Erziehung und soziale Stellung sie verweist. Aber bewegung voneinander scheidet. hier gab und gibt es einen harten Rampf um Arbeits- und Wenngleich beide Bewegungen legten Endes wurzeln in Bildungsmöglichkeiten, die das Privileg der bürgerlichen der Revolutionierung der Frauenarbeit, als Folge der Männerwelt sind. grandiosen wirtschaftstechnischen Entwickelung, die den Kapitalismus zum Siege führte, so find sie doch in ihrem Ziel, ihrem Wesen, in der Art und in den Mitteln des Kampfes grundverschieden.
Ebenso verschieden, wie der Kapitalismus in feinem Siegeslauf für die Frauen der verschiedenen Bevölkerungsklassen nicht nur differierende, sondern auch entgegengesezte Folgen zeitigte.
Wir brauchen nur daran zu erinnern, wie die Frauen und Töchter der Kapitalgewaltigen, mit dem steigenden Goldstrom, der ihnen aus der kapitalistischen Produktion zufließt, im Ueberfluß die Mittel erhalten, um des Lebens Schönheiten und Annehmlichkeiten in vollem Umfange und bis zur Neige zu fosten; während dieselbe Produktionsweise, die Millionen weiblicher Arbeiter in Stadt und Land knechtet und aus beutet, den Frühling ihres Lebens knickt, ihre Gesundheit gerbricht, ihre ganze Arbeitszeit und Kraft beansprucht, für einen Lohn, der kaum zum Notwendigsten reicht. Weil nun weil aus ihrer Arbeitskraft das blinkende Gold gemünzt wird, das jenen im Ueberfluß zuströmt.
Die mannigfachen inneren und äußeren Lebensnöte trieben die Frauen und Töchter der Arbeiterklasse in die Erwerbsarbeit, in den. Dienst des profithungrigen Rapitals, nachdem die technische Entwickelung ihnen mit der Hauswirt schaftlichen Eigenproduktion gleichzeitig Lebensinhalt und Lebensunterhalt geraubt; dafür Unsicherheit der Eristenz und steigende wirtschaftliche Ausbeutung ihrer ganzen Klasse beschert hatte.
Bei diesem Kampf werden alsdann die bürgerlichen Frauen inne, wie wichtig der Besitz von Staatsbürgerrechten ist, die ihnen als Waffen dienen können und müssen, um sich ihren Anteil an den gesellschaftlichen Vorrechten der befizenden und herrschenden Klassen zu erobern.
Das Ziel der bürgerlichen Frauenbewegung ist also größtmöglichste Entwickelung- und Betätigungsmöglichkeit für die bürgerliche Frauenwelt innerhalb der heutigen Gesellschaftsordnung, in der sie, wenn auch nicht zu den höchsten, so doch zu den bevorrechteten Klassen gehören.
Damit ist der unüberbrückbare Gegensatz zwischen proletarischer und bürgerlicher Frauenbewegung in ihrem innersten Kern in Kürze aufgezeigt. Es ergibt sich daraus natürlich, daß auf beiden Seiten, selbst bei Aufstellung ganz gleicher Reformforderungen, eine ganz verschiedene Bewertung dieser Reformen Platz greift, die wiederum in den verschiedenen Maß von Energie und Entschlossenheit zum Ausdruck kommt, mit dem für ihre Berwirklichung gefämpft wird. Es sei nur erinnert an die Forderung des Frauenwahlrechtes. Die Lürgerlichen Frauen stehen feineswegs geschlossen hinter dieser Forderung. Ganz abgesehen von jenen reaktionären bürgerlichen Frauengruppen, die vollständig unter dem Bann des Zentrums und der Konservativen stehen und die Forderung des Frauenwahlrechtes ablehnen, sind auch unter den übrigen Frauenrechtlern recht unsichere Kantonisten. Und wenn wir sie auf Herz und Nieren prüfen, wie sie zum gleichen Wahlrecht stehen, wird man finden, daß das Gros sich gern mit einem beschränkten Wahlrecht zufrieden gibt. Es kümmert sie wenig, daß durch ein beschränktes Frauenwahlrecht just jene ausgeschlossen werden, für die der Besitz dieses wichtigen Staatsbürgerrechtes mehr und mehr zu einer sozialen Lebensnotwendigkeit geworden ist: die Arbeiterinnen.
Jedoch, geradezu überwältigt find wir von dem großen, unbeugsamen Bürgerſtolz vor Königsthronen", von dem die Brust der bürgerlichen Frauen geschwellt gewesen sein muß, als sie gingen und um das Protektorat der Kaiserin nachsuchten, nachdem sie im vergangenen Jahr- Protestversammlungen gegen die Königsberger Raiserrede abgehalten haben. fein" bürgerlicher Frauen, die nicht eifrig genug haschen fönnen nach einem Strahl fürstlicher Gnade.- Eine sehr heterogene Gesellschaft ist es, die in der kommenden Woche im Zoologischen Garten fongreſselt und sich in dem Glanze fürstlicher Protektion sonnt. Nicht weniger denn 84 Vereine und Vereinchen der verschiedensten Richtungen verzeichnet das offizielle Programm: Baterländische Frauenvereine, konfessionelle Vereine der verschiedenen Befenntnisse, Vereine, die rein charitativen Charakter tragen, daneben Frauenstimmrechtsvereinigungen und christliche und Hirsch- Dunderſche Arbeiterinnengruppen. Reaktionäre und Radikale vereinen sich auf der gemeinsamen Grundlage ihres Bekenntnisses zum Rapitalismus.
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Die sozialdemokratischen Frauen und die weiblichen Mitglieder der freien Gewerkschaften, also fene Frauengruppen, die berufen sein werden, die entscheidenden Schlachten für die Befreiung des Weibes zu schlagen, fte fehlen. Sie haben auf diesem Kongreß nichts zu suchen! Sie find dort zu finden, wo sich die Sturmkolonnen wider den Kapitalismus formieren.
In 7 der größten Säle Berlins werden sie am Sonntag, den 3. März, zusammentreten, um freudig und stolz ihr Bekenntnis zum Sozialismus abzulegen. Sie grüßen im Sozialismus den Menschheitsbefreier. Verband sozialdemokratischer Wahlvereine Berlins und Umgegend.
Ein Fingerzeig.
Aus den Reihen dieser Frauen und Mädchen rekrutiert Eine wertvolle Mitteilung zu den Steuerfragen, die gegenfich die proletarische Frauenbewegung, deren wärtig den preußischen Landtag beschäftigen, macht die Zeitschrift Kampf nicht nur den Auswüchsen des Kapitalismus, den vorVerwaltung und Statistik"; eine Mitteilung, die zum mindesten handenen sozialen Schranken und einzelnen politischen Fesseln geigt, wie wenig die Agrarier daran denken, von ihren durch die gilt, sondern die darüber hinaus ihren Angriff gegen die Die eine große Schwesternschaft, die angeblich unter den Zölle toloffal gesteigerten Einnahmen auch den entsprechenden BeiExistenz des Kapitalismus, gegen die Frauen bestehen soll, sie ist in der Regel dann nicht auffindbar, trag zur Steuer zu zahlen, und wie langsam die preußische Bureaugeltende Eigentumsordnung und die auf wenn sie sich zugunsten der proletarischen Schwestern erweisen fratie sie dazu zu zwingen imstande ist. Die Zeitschrift„ Verfie beruhenden Klassengegensäge richtet. müßte. waltung und Statistit" ist gewiß eine unverdächtige Quelle, denn Die proletarische Frauenbewegung ist also nicht nur eine re- Die proletarischen Frauen haben derartige Versiche- fie wird, herausgegeben von Mitgliedern des Königlich preußischen formistische, sondern eine revolutionäre Bewegung, rungen als den Tatsachen widersprechend, als„ Liebesfabbelei" Statistischen Landesamts. In ihrem Januarheft wird in einem deren Ziel die Verwirklichung des Sozia- stets zurückgewiesen. Theoretische Erkenntnis und praktische Artikel zahlenmäßig nachgewiesen, daß das veranlagte Einkommen lismus ist. Die klare Erkenntnis der treibenden Kräfte Erfahrung hat sie gelehrt, daß sie nicht an der Seite bürger- aus Grundvermögen auf dem Lande bei den Steuerpflichtigen mit und Entwickelungsgesetze unseres Wirtschaftslebens hat den licher Frauen, sondern in den Schlachtreiben des mehr als 3000 M. fich im Jahre 1910 ganz sprunghaft gegen das proletarischen Frauen die Gewißheit gegeben, daß die Entlassenbewußten Proletariats gegen die Vorjahr vermehrt hat, und zwar in einer so plöklichen Weise, wie wickelung dem Sozialismus entgegenführt und daß seine Ver- bürgerliche Männer- und Frauenwelt ihren das seit Bestehen der Einkommensteuer noch nie vorgekommen ist. wirklichung allein die Vorbedingung ist für ihre Befreiung wirtschaftlichen und intellektuellen Auf- Es betrug z. B. dieses Einkommen im Jahre aus den zwiefachen Fesseln, aus den Fesseln, die sie bedrücken als Weib und als kapitalistisch Ausgebeutete.
stieg und ihre endgültige Befreiung erringen müssen.
1907 1908
0
868,6 Millionen Mart,
0
1909
1910
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385 404,8 445,7
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Die proletarischen Frauen führen diesen ihren BeUnd hätte es noch eines praktischen Beweises bedurft, um freiungskampf in den Reihen ihrer männlichen Klassen- diese Ueberzeugung zu erhärten, so hätte der lezte Wahlgenossen, mit denen sie durch das gleiche Schicksal, durch das kampf ihn geliefert. Ueberall waren bürgerliche Rednerinnen Während die Steigerung von 1907 auf 1908 und ebenso von gleiche Interesse verbunden sind. In den Reihen der Ge- an der Arbeit, um die Frauen der Besitzenden zu sammeln 1908 auf 1909 nur jedesmal 17-19 Millionen Mart ausmacht, be= werkschaften geht der gemeinsame Kampf gegen und sie in den Kampf gegen die Sozialdemo- trägt sie von 1909 auf 1910 41 Millionen. Und der Verfasser bekapitalistische Ausbeutung und für bessere Lohn- und Arbeitsbedingungen.
In der sozialdemokratischen Partei geht ihr gemeinsames Ringen um notwendige Reformen, um Staatsbürgerrechte, um Demokratisierung unseres Staatslebens, also um Besserungen und Erleichterungen in der Gegenwart und darüber hinaus, um die Eroberung der politischen Macht als Mittel zur Verwirklichung des Sozialismus.
tratie zu führen.( Siehe auch den Wahlkampf in Berlin I.) Die bürgerlichen Frauen suchten also nach Kräften den legislativen Einfluß der politischen Partei zu schwächen, die allein als konsequente Vorfämpferin für das volle Bürgerrecht des Weibes anzusprechen ist. Ein Beweis, wie viel stärker und lebendiger in ihnen das Bewußtsein ihrer bürgerlichen Klaffenzugehörigkeit wirkt, als die Solidaritätä mit ihren Geschlechtsgenossinnen.
Ganz anders die bürgerliche Frauen- Diese Tatsache tritt natürlich noch um so krasser in die bewegung. Sie fordert zwar eine Reihe von Reformen Erscheinung, wenn bürgerliche Frauen als Arbeitgeberinnen im Interesse der Frau, tritt auch mehr oder minder ge- proletarischen Frauen und Mädchen gegenüberstehen. Da schlossen für die Erfüllung dieser Forderungen ein, steht aber hört alle„ Schwesternschaft" auf und in der unbarmherzigsten bollständig auf dem Boden der heutigen Wirt- Weise wird die Geißel der Ausbeutung geschwungen. schaftsordnung, die sie zu stügen und zu befestigen sich bemüht.
merkt dazu: Man kann die Tabelle noch beliebig weiter bis zum Jahre 1892 zurüdführen, und man wird finden, daß im großen Durchschnitt die Steigerung der Vorjahre nicht unwesentlich hinter der des Jahres 1910 zurückbleibt.
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Woran mag das liegen? Sollten wirklich die Einkünfte aus ländlichen Grundvermögen ganz plötzlich in dem einen Jahre so stark gestiegen sein? Der Verfasser ist nicht dieser Meinung. Er bemerkt, daß die Steigerung am auffallendsten ist in Ostpreußen , Westpreußen , Pommern und Sachsen , also in den Provinzen, wo der Großgrundbesiz am fräftigsten vertreten ist, ferner in Han nover und Hessen- Nassau . Daß die Ernte oder die gesamte land. wirtschaftliche. Konjunktur gerade im Jahre 1909( in welchem die Veranlagung für 1910 gemacht wurde) in allen eben genannten Von all diesen Tatsachen wird man auf dem Frauen- Provinzen und auch im Durchschnitt des ganzen Staates um soviel fongreß, der vom 27. Februar bis zum 2. März im Festsaal besser gewesen sein sollte als 1908, ist kaum anzunehmen." Jedendes Restaurants im Zoologischen Garten stattfindet, nichts zu falls ist nichts davon bekannt geworden. Wenn das aber nicht der hören bekommen. Mit dem Kongreß, der eine Veranstaltung Fall ist, so bleibt nur übrig, daß im Jahre 1909 ganz plötzlich die des Bundes deutscher Frauenvereine ist, ist eine Ausstellung Steuerbehörden bei der Einschäßung sehr viel kräftiger zugefaßt für Frauenarbeit verbunden, die unter dem Protektorat der haben müssen. Das ist es denn auch, was der Verfasser annimmt. Kaiserin steht. Und wie er diese Vermutung begründet, das gewährt einen un gemein interessanten Einblick in die Geheimnisse der preußischen Bureaukratie.
Zunächst ein Wort dazu, aus welchen Kreisen sich ihre Anhänger refrutieren. Sie kommen sehr wenig aus jenen Gesellschaftsschichten, die wir eingangs nannten, aus den Familien der Kapitalgewaltigen, überhaupt wenig aus den reichsten und höchststehenden Gesellschaftsklassen. Von dort tommen nur vereinzelte Frauen, solche, die von der entsetz- Wir glaubten zunächst, uns geirrt zu haben, als wir das lichen Dede und Leere eines Lebens ohne jede nützliche Tasen. Nicht allein, weil wir nie von einer aktiven Teilnahme Arbeit angewidert sind, die es satt haben, lediglich als oder auch nur von einem Interesse der Kaiserin an der Frauen- Als eine große Errungenschaft der Miquelschen Steuerreform. ,, Amüsiervogel im goldenen Käfig" zu vegetieren. Im bewegung etwas gehört haben, sondern auch um deswillen, von 1891 wird es von jeher gepriesen, daß sie an die Stelle der ehe. übrigen refrutieren sich die bürgerlichen Frauen aus den weil wir der Abneigung des Kaisers gegen die Frauen- maligen Schätzung des Einkommens die eigene Angabe des Kreisen der Mittel- und Kleinbourgeoisie und denen der In- bewegung gedachten. Sind doch kaum 11/2 Jahr ins Land ge- Steuerpflichtigen gesezt hat, nach der sich angeblich eine ge tellektuellen. Also aus jenen Gesellschaftskreisen, in die durch gangen, seitdem er seine Königsberger Rede hielt, in der er naue Veranlagung machen läßt. Nun aber erfahren wir den Kapitalismus mit seinem Um und Auf die Unsicherheit den Frauen die politische Betätigung verwies und die häus- was wir freilich auch so schon wußten, daß das ländliche Einder Existenz getragen ist und in denen die Ehehemm- und liche Beschäftigung als die allein dem Weibe zustehende pries. I kommen bis auf den heutigen Tag immer noch geschätzt wird,
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