Sozialpolitik- Sozialdemokratie. Ter 29. Februar kehrt nur alle vier Jahre wieder, aber ein Tag so voll seichten parlamentarischen Geplätschers, wie der gestrige Tonnerstag, wird leider im Reichstag noch oft wiederkehren. Aber es ist kennzeichnend, daß selbst die Debatte dieses Tages ohne sonderliche Höhepunkte sich fast ausschlief- lich um die Sozialdemokratie und die von ihr am stärksten betonte Forderung, die Sozialpolitik, drehte, wo doch die Beratung des R e i ch s a m t s des Innern so viel Spielraum läßt für die Behandlung anderer Fragen. Ein Sozialdemokrat kam gestern nicht zu Wort, und da war es denn mehr als charakteristisch, wie sich alle Redner, angefangen vom Staatssekretär Dr. Delbrück iiber den Reichsparteiler Freiherrn v. G a m p bis zu dem Nationalliberalen B a s s e r- mann und dem Fortschrittler D o o r m a n n auf einer Linie zusammenfanden: das Verdienst der Sozialpolitik nahmen sie samt und sonders für die bürgerlichen Parteien und auch für die Regierung in Anspruch und der Sozialdemokratie warfen sie ebenso samt und sonders vor, daß sie„extreme"(Delbrück ), „unbesonnene"(Bastermann und Doormann),„über alles Maß hinausschießende"(Gamp) Forderungen ausstelle, und daß sie. weil sie das Unerreichbare verlange, schuld sei, wenn nicht immer das Erreichbare erlangt werde. Freilich mußten eben- dieselben Redner anerkennen, daß die Sozialdemokratie doch viel getan habe, um die Sozialpolitik in Fluß zu bringen. Der Fortschrittler Doormann tat es, indem er sich hörbar an die Brust schlug und um die früheren Sünden des die Sozialpolitik ablehnenden Freisinns Reu und Leid trug, und der Herr Staatssekretär nannte die Partei sogar„ein trei- bendes Moment bei der Lösung allgemeiner Zeitfragen". Doch das Aber lag bei diesen Anerkennungen wie der Knüppel beim Hunde:„aber" die Sozialdemokratie stellt zu weit- gehende Forderungen,„aber" sie weiß nicht Maß zu halten usw. usw.— Die alte, abgedrehte Walze, die man bis zum Ueberdruß innerhalb und außerhalb des Parlaments ver- nommen hat. Das etwa war der Kern, herausgeschält aus dem Wust der gestrigen Debatten. Eine— seine Trabanten werden sagen„großzügige"— Rede des Herrn B a s s e r m a n n er- öffnete die Sihung. Herr Bassermann glich einem gewandten Tausendkünstler, der aus seinem Chapeau claque Blumen und Früchte, Stroh und Kieselsteine gefällig und ge- schickt hervorzaubert, denn er warf mit der gleick)en Eleganz neben einigen trefflichen Bemerkungen, Nichtigkeiten und Plattheiten auf den Tisch des Hauses und blieb vom Scheitel bis zur Sohle„maßvoll und besonnen" nach rechts wie nach links, und es war nicht mehr als ein Regieirrtum, wenn er während der ganzen Tauer seiner nicht kurzen Rede auf der linken Seite der Tribüne verharrte. Jedenfalls wurde ent- täuscht, wer erwartet hatte, der Führer des„linken Flügels" der Nationalliberalen— Herr Bassermann ist uns doch nicht böse?— werde etwas davon vernehmen lassen, was im Schöße der Partei braut und gärt. Der Fortschrittler Doormann schwang auch das an muen Stecken gebundene Taschentuch des„maßvollen Fortschritts" und entsetzte sich vor dem Sturmbanner der sozialdemokratischen„extremen Forderungen". Daneben polemi- sierte er mit gutem Glück gegen die Absurditäten, die vor- gestern der Tischlermeister Pauli über Handwerk und Fort- bildungsschule zusammengeschwatzt hatte. Auch der Staats- sekretär Dr. Delbrück war„maßvoll und besonnen" und die Nationalliberalen sollten sich über diese RegierSng freuen, die in Worten wenigstens die Politik der mittleren Linie einhält. Das äußerte sich vor allem in der Stellung, die Herr Dr. Delbrück zum Koalitionsrecht einnahm. Er hält es für hinreichend gewährleistet— für Arbeiter und für Arbeit- geber, und lehnt mit derselben Entschiedenheit eine Erweite- rung wie eine Beschränkung dieses Rechts, etwa durch ein Arbeitswilligengesetz, ab. Ihm genügt der Paragraph 153 der Gewerbeordnung. Darob fuhr ihm der Reichsparteiler Frei- Herr v. Gamp- Massaunen derb an den Wagen. Auf die Anregung Sachsens und Hamburgs im Bundesrat hinweisend, verlangt er mit Nachdurck und Energie ein Streikbrechergesetz, damit sich vor allem die Kleinmeister vor dem Terrorismus der Sozialdemokratie schützen könnten, und hält zum zweiten die Seßhaftmachung der Arbeiter für ein probates Mittel zur Ueberwindung der Sozialdemokratie. Aber wichtiger als die all- gemeinen Expektorationen G a m p s sind zwei Sätze, die ent- weder dem Gehege seiner Zähne entfahren oder aber die er mit bewußter Offenherzigkeit— er ist sicher eine alte ehrliche Haut und kein Spaßverderber— vorträgt. Um eine Arbeits- zeitbeschränkung durchzuführen, hält er internationale Ab- kommen für nötig, und diese seien abzuschließen nicht von den Regierungen, sondern anzustreben von den Arbeiterorgani- sationen. Freiherr v. Gamp auf dem Boden der Arbeiter- organisation, und dazu noch auf internationaler Grundlage stehend— das Bild war nicht übel und weckte mit Recht stürmische Heiterkeit und stürmische Zurufe bei den Sozial- demokraten. Vorher aber hatte ein anderes Bekenntnis seiner schönen Seele Bewegung hervorgerufen. Das war der frei- mütige Satz:„Ich habe doch schließlich nicht so viel Anlaß, für die Monarchie und den Staat einzutreten, wie die Be° amten, die doch dafür bezahlt werden!" Das Wort sie sollen lassen stahn! Denn es zerbläst wie ein scharfer Windstoß all das Nebelgewölk der Patrotischen Phrasen, mit dem der Egoismus der herrschenden Klassen eingehüllt wird. Die Herrschasten, die in heuchlerischem Byzantinismus die Kinnbacken nicht weit genug auseinanderbekommen können und es für die mensch- liche und göttliche, die ethische und ewige Pflicht jedes Staats- beamten erklären, gegen die Sozialdemokratie zu arbeiten, denken in ihrem Innern von den Beamten verächtlich wie von einer Prätorianertruppe:„Die Kerls werden ja dafür be- zahltl" Das werden sich die Beamten merken und wir auch. Die Rede des Elsässers Will, der sich über eine Frage aus dem elsaß -lothringischen Landtag verbreitete, und dabei die elsaß -lothringische Sozialdemokratie als Regierungspartei verulkte, fand nicht mehr das Ohr des Hauses. Nach einigen persönlichen Bemerkungen, von denen besonders die Nichtig- stellung des Genossen Wurm wichtig war, wurde die Sitzung geschlossen. Heute 1 Uhr W e i t e r b e r a t u n g des Etats. 1: 05000 S00. Die.Krenzzeitung" hat die Revolution entdeckt! In fürchterlicher Aufregung macht sie der Ocffentlichkeit von dem.An- stürm auf die Verfassung" Mitteilung. Eö wird darauf hingearbeitet. „das Gleichgewichts!) zwischen den Rechten dcS Volkes und den Rechten der Krone zu Ungunsten der Krourechte zu verschieben." Hilfe. Hilfe I„In Wirklichkeit ist dieser An stürm revolutionär. Er hat den Zweck, in unsere festgefügte monarchische Ordnung Bresche zu schlagen. Mit derartigen Vorstößen hat noch jede Revolution ihren Anfang g e n o m m e n," Militär, Maschinengewehr«, Kanonen her I l Angstdelirien vor der kommenden Revolution gehören für die .Kreuzzeitung" zu den Folgen deS täglichen— Lebens, deswegen wollen wir uns dabei nicht weiter aufhalten. Interessanter erscheint es schon, die Behauptung zu beleuchten: das Gleichgewicht zwischen Volksrechten und Kaiserrechr solle zugunsten des Volkes be. seitigt werden. Bis jeyt besteht von dem.Gleichgewicht" in Wirklich« keit so gut wie nichts. Der Beweis ist sehr einfach. Die Reichs- Verfassung bestimmt im Artikeln— wir zitieren den ent- scheidenden Passus: Der Kaiser hat das Reich völkerrechtlich zu ver- treten, im Namen deS Reiches Krieg zu erklären und Frieden zu schließen, Bündnisse und andere Ver- träge mit fremden Staaten einzugehen. Gesandte zu be- glaubigen und zu empfangen. Artikel 12 lautet: Dem Kaiser steht es zu, den Bundesrat und den Reichstag zu b er u fe n. zn e rö s fn en, zu v ertagen und zu schließen- Artikel 17 lautet: Dem Kaiser steht die Ausfertigung und Verkündi« gung der Reichsgesetze und die Ueberwachung der Ausführung derselben zu. Artikel 18 lautet: Der Kaiser ernennt die R eich Sbeamten, läßt die- selben für das Reich vereidigen und verfügt erforderlichenfalls deren Entlassung. Artikel 36 lautet: Der Kaiser überwacht die Einhaltung deS gesetzlichen Ver- fahrcnS— bei der Zollerhebung— durch Reichsbeamte, welche er den Zoll- oder Sienerämtern und den Direktivbehörden der einzelnen Staaten beiordnet. Artikel 46 lautet— wir bringen immer nur die charakte- ristischsten Stellen aus den einzelnen Artikeln—: Bei eintretenden Notständen, insbesondere bei un- gewöhnlicher Teuerung der Lebens nrittel, sind die Eisenbahnverwaltungen verpflichtet, für den Transport, namentlich von Getreide, Mehl, Hülsenfrüchten und Kartoffeln, zeitweise einen dem Bedürfnis entsprechenden, von dem Kaiser festzustellen« den. niedrigeren Spezialtarif einzuführen. Artikel 50 lautet: Dem Kaiser gehört die obere Leitung der Post- und Telegraphenverwaltung, an. Die von ihm be« stellten Beamten haben die Pflicht und das Recht, dafür zu vrgen, daß die Einheit in der Organisation der Verwaltung und im Betriebe des Dienstes, sowie in der Qualifikation der Beamten hergestellt und erhalten wird. Dem Kaiser sieht der Erlaß der reglementarischen Fest- Atzungen und allgemeinen administrativen Anordnungen sowie d i e ausschließliche Wahrnehmung der Beziehungen zu anderen Post- und Telegraphenverloaltungen zu. Sämtliche Beamte der Post- und Telegraphenverwaltung find verpflichtet, den kaiserlichen Anordnungen Folge zu l e i st e n. Diese Berpflichtung ist in den Diensteid aufzunehmen. Die Einstellung der oberen Beamten geht für daS ganze deutsche Gebiet des Deutschen Reiches vom Kaiser auS» welchem diese Beamten den Diensteid leisten. Artikel 63 lautet: Die Kriegsmacht des Reiches ist eine einheitliche unter dem Oberbefehl des Kaisers. Die Organisation und Zusammensetzung derselben li eg t d em Kaiser ob, welcher die Offiziere und Beamten derselben ernennt, und für welchen dieselben nebst de» Mannschaften eidlich in Pflicht zu nehmen sind. Artikel 66 lautet: Das gesamte Konsulatswesen des Deutschen Reiche« steht unter der Aufsicht des Kaisers, welcher die Konsuln anstellt. Artikel 63 lautet: Die gesamte Landmacht deS Reiches wird ein ein- heitlicheS Heer bilden, welches in Krieg und Frieden unter dem Befehl deS Kaisers steht. Der Kaiser hat die Pflicht und da» Recht, dafür Sorge zu tragen, daß innerhalb des deutschen HeereS alle Truppen- teile vollzählig und kriegstücktig vorhanden find und daß die Ein- heit der Orgaiiisalion und Formation, in Bewaffnung und Kom- mando, in der Ausbildung der Mannschaften, sowie in der Onali- fikation der Offiziere hergestellt und erhalten wird. Zu diesem BeHufe ist der Kaiser berechtigt, sich jederzeit durch In- spcktionen von der Verfassung der einzelnen Kontingente zu über- zeugen und die Abstellung der dabei gefundenen Mängel an- zuordnen. Der Kaiser bestimmt den Präsenzstand, die Gliederung und Einteilung der Kontingente deS ReichSheereS. sowie der Organisation der Landwehr, und hat das Recht, innerhalb de« Bundesgebietes die Garnisonen zu bestimmen, sowie die kriegsbereite Aufstellung eines jeden Teiles des ReichSheereS anzuordnen. Artikel 64 lautet: Alle deutschen Truppen sind verpflichtet, den Be- fehlen des Kaisers unbedingte Folge zu leisten. Diese Verpflichtung ist in den Fahneneid aufzunehmen. Die Höchstkommandierenden, sowie die Offiziere und alle Festmigskommandanten werden vom Kaiser ernannt. Artikel 66 lautet: DaS Recht. Festungen innerhalb deS Bundesgebiete» anznkegen, steht dem Kaiser z u, welcher die Bewilligung der dazu erforder- lichcn Mittel beantragt. Artikel 68 lautet: Der Kaiser kann, wenn die öffentliche Sicherheit in den Bundesgebieten bedroht ist. einen jeden Teil desselben in Kriegszustand erklären. Man kdmme unS angesichts dieser geradezu unglaublichen Reichs- Verfassung nicht mit der Einlvendung. die angeführten Aufgaben würden ja durch ein Heer von Beamten erledigt, und die Getdmittel müßten ja doch vom Parlament bewilligt werden. Das Entscheidende bleibt, das ganze deutsche Boll ist in seinen Entscheidungen auf einen Mann gestellt. Da ist noch nichts von gleichen Rechten des BolkeS zu spüren. Wir wollen, daß nicht ein Mann über 65 Millionen herrscht, sondem daß die 66 Millionen b'e stimmen, waS zu tun!und zu lassen istl_° nichts ans der üeichichte gelernt! Wie die von ihnen gezüchteten hochtragenden ostpreußisch- holländischen Zuchtkühe, weißen Land-Edelschweine oder Fett- steißschafe bilden auch die Junker Ostelbiens eine ganz eigen- artige Rasse. Ihre Stoffwechselorgane haben sich infolge ihrer einseitigen Lebensbetätigung allzu üppig auf Kosten des Ge- Hirns entfaltet. Deshalb ist es auch durchaus begreiflich, daß sie aus der Geschichte ganz andere Lehren ziehen wie andere nicht an Mikrocephalie leidende Leute. Tie von dem franzö- fischen Historiker Mignet aus der Geschichte der großen fran- zösischen Revolution gezogene Lehre, daß, sohgld eine Reform notwendig geivorden und der Zelkpunkt ihrer Durchführung gekommen ist, sie keine Gewalt der Bevorrechteten auszuhalten vermag, existiert für den preußischen Turchschnittsjunker ebensowenig wie der Ausspruch des deutschen Historikers Dahlmann, daß die natürliche EntWickelung eines baufälligen Hauses sein Umsturz ist. Nach junkerlicher Auffassung wären alle neueren Revolutionen der Weltgeschichte und ganz be- sonders die große französische Staatsumwälzung am Ende des achtzehnten Jahrhunderts nicht eingetreten, falls nur die Monarchen und ihre leitenden Staatsmänner größere Energie bewiesen und die unzufriedenen Volksmassen von vornherein rücksichtslos niederkartätscht hätten. Hätte z. B. Lud- wig XVI., statt die Rcichsstäude einzuberufen, sukp ohne weiteres mit Leib und Seele in den Dienst der Hof- und Feudal- aristokratie gestellt und in genügendem Maße die Kanonen sprechen lassen, das ancien regime würde noch in aller seiner mittelalterlichen Herrlichkeit existieren. Daß die richtige Ver- Wendung von Kanonen das sicherste Mittel ist, notwendige Reformen aufzuhalten und Revolutionen vorzubeugen, ist bei den preußischen Normaljunkern fast zu einem historischen Dogma geworden. Daher ist es eine ganz natürliche Erschei- nung, daß die preußisch-junkerliche Rasse, sobald �sie ihre Vorrechte bedroht und dunkle Gewitterwolken am politi- scheu Horizont heraufziehen sieht, nach dem starken Staats- manne schreit, der,„royalistischcr als der König selb st", das gewünschte Niederkartätschen mit der nötigen Präzision und Skrupellosigkeit besorgt. Ter Schrei nachdem starken Mann— auf Gehirnqualität wird kein Wert gelegt— taucht deshalb jetzt fast täglich in den vaterländischen Blättern vom Schlage der„Kreuzzeitung " und der„Deutschen Tageszeitung" auf. immer intensiver und brutaler. So bringt die„Deutsche Tageszeitung" in ihrer gestrigen Abendnummer wieder einen„D i e r o t e Gefahr" überschriebenen Artikel, verfaßt von einem Herrn Herbert von Platen, in welchem mit der ganzen Ungeniertheit,- deren ein echter preußischer Junker fähig ist, der Staats- streich und die Anwendung der Kartätschen gegen die„auf- gestachelten Instinkte" der„bis ins Innerste verhetzten Massen" gefordert wird. Mit Bewunderung rühmt der Ver- fasser seinen Bismarck, der im Januar 1899„auch seinem Allerhöchsten Herrn" gegenüber mit aller Schärfe die Ansicht vertreten habe, daß die Regierung unverzüglich„m i t a l l e n dem Staate zu Gebote stehenden Mitteln" den Kampf gegen die Sozialdemokratie aufnehmen müsse. Ein solcher Staatsmann von gleicher Gemütsrobustigkeit tut nach Herrn von Platens Ansicht not— er darf sogar noch etwas brutaler, noch etwas skrupelloser sein, damit das junker- liche Animalreich in seiner kulturhistorischen Pracht erhalten bleibe und endlich denen die freche Schnauze gestopft werde, die diese Pracht nicht anerkennen wollen. Dem Herrn v. Beth- mann Hollweg traut Herr von Platen die gewünschten Ouali- täten nicht zu, allem Anschein nach auch keinem der anderen heutigen Minister. Deshalb müssen andere, stärkere Persön- lichkciten an das Staatssteuerruder I Mit offener Verachtung der heutigen Staatsgrötzen schreibt Herr von Platen: .Wer die Massendemonftrationen der Genossen in Berlin miterlebt hat, wem die Asphaltdünfte und die Lektüre deS.Verl. Tagebl." die Sinn« noch nicht getrübt haben, fragt sich: Wie ist es im preußischen Staate möglich, daß die die RegierungSgewalt führenden Personen solche Vorübungen zur Revo- lutiön ruhig geschehen lassen? ES ist«in schöne» Ding um ein ruhige» Gewissen, da» wir uns mit der friedlichen Be- kämpsung der Umswrzmächte dewahrrn zu können glauben;— die nach uns kommen, können sich damit abfinden! Die Sozial- demokraten sind ja bündniefähig geworben, sie werden regte. rungSfähig, wie man e» bei der elsaß -lothringischen Ver» sassungSfrage mit Staunen sah. Man braucht kein Prophet zu sein, um zu erkennen, wohin die Reise geht. Da» eine ist gewiß, daß die EntWickelung der Ding« rapide ihren Lauf nimmt. datzeSvielleichtStröme von Blut und Tränen unserm deutschen Volke kosten wird, da» wieder gut zu machen, wa» unsere Generation in Humanitätsduselei au» Mangel an Mut und VerantwortlichkeitSgesühk ver» säumt hat. Gott gebe dem deutschen Volke bald einen Führer. «inen Mann mit eisernem Rückgrat, wie Uork und Bismarck e» waren, der sich plus roxsliste qus le roi neben seinen Allerhöchsten Herrn hin- stellt, der den Mut hat, Partei zu nehmen, ein Panier aufzu- pflanzen, um da» sich die Treuen sammeln können zum Kampf gegen den Umsturz. Hier gibt es kein Paktieren, kein Hoffen auf den Revisionismus, hier gilt cS den offenen Republikanern wie den verkappten ein donnernde»„Halt" zuzurufen, ch« im» die Sturmglocken des Aufruhrs das„Zu spät" in die tauben Ohren läuten!" Wen Herr von Platen für den Berufenen zur Nieder- kartätschung der Volksmassen hält, verrät er nicht. Vielleicht, da er mit seinem vollen Namen unterzeichnet, sich selbst; viel- leicht Herrn v. Hcydebrand, Herrn Georg Oertel , Herrn Elaro v. Oldenburg oder eine andere januschaucrliche Gestalt. Für gewiß scheint Herr v. Platen anzunehmen, daß die Erstickung der Forderungen des Proletariats im Blut unter allen Um- ständen gelingen muß. Er scheint nicht zu wissen, daß bei den Revolutionen, die bisher die Geschichte zu verzeichnen hat, es vielfach anders gekommen ist und mancher der Ka- valiere und Aristokraten seinen einfältigen Kopf verlor. politische(lebersicbr. Berlin , den 29. Februar 1912. Gegen die Gewerkschaften. Fast scheint eS, als ob jede Debatte deS Dreiklassenparlaments auf eine Hetze gegen die der Regierung und den bürgerlichen Par- tien unbequemen Gewerkschaften hinauslaufen muß. Am Donners- t a g zeterte man zunächst in Erledigimg des Restkapitel« dcS Handels» etat « noch ein Weilchen über die Teilnahme der Gewerkschaften an paritätischen Arbeitsnachweisen. Nach dein Urteil aller Sach- verständigen haben sich die Gewerkschaften große Verdienste um den Arbeitsnachweis erworben, nach Ansicht der Mehrheit de» Junker- Parlaments stören die Gewerkschaften den sozialen Frieden und müssen deshalb von einer Mitarbeit ferngehalten werden. Daß dieselben Herren auch von einer Arbeitslosenversicherung nichts wissen wollen. sei nur nebenbei erwähnt, gewissermaßen als kennzeichnend für das geringe soziale Verständnis derer, die sich in Preußen Volksvertreter nennen. Nach Genehmigung de» HandelSctatS wurde der Etat der direkten Steuern in Angriff genommen. In mehr als rinstündiger, von tiefer Sachkenntnis zeugender Rede besprach Genosse B o r ch a r d t zunächst die Ergebnisse der Steuerveranlagung, au« denen er den nur allzu begründeten Schluß zog, daß fast die Hälfte der preußischen Be- völkerung ei» Einkommen von weniger als 900 M. und mehr als
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