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Kr. 56. 29. Jahrgang. 1. ßfilnjf des Jotmärto" Kerlim öolhUstt. DovNtrstag, 7. War; 1912. Unser Ltktnvahl abkommen. IV. Drei Punkte des Stichwahlabkommens sind es, die An- stoß erregen. Es heißt darin: 1. Die Erklärung der fortschrittlichen Kandidaten zu unserem Stichwahlabkommen ist als ausreichend anzusehen, wenn sie dahingeht, daß die von uns gestellten Bedingungen dem Programm der Fortschrittspartei entsprechen, das der Kandidat als für sich verbindlich erklärt. 2. Tie Zentralinstanz der Fortschrittlichen Volkspartei fordert öffentlich nicht aus, für uns zu stimmen, sondern nur unter keinen Umständen einem Kandidaten des schwarz-blaucn Blocks eine Stimme zu geben und mit aller Kraft auf die Zertrümmerung des schwarz-blauen Blocks hinzuarbeiten. 3. Wirdämpfen" den Wahlkampf in 16 Wahlkreisen. Am raschesten kann man wohl den ersten Punkt erledigen. Es ist einfach nicht einzusehen, warum uns die Erklärung des Kandidaten in der vorgeschlagenen Form nicht genügen sollte. Und es wäre ganz überflüssige Mühe, sich den Kopf über die Gründe zu zerbrechen, aus denen die Fortschrittler jene Form wünschten und es ablehnten, unsere in Jena aufge- stellten Stichwahlbedingungen ausdrücklich zu unterzeichnen. Ob es ihnen als eine Demütigung erschien, weil ein Zweifel an ihren programmatischen Grundsätzen, oder was sie sonst bewegte, kann uns gleichgültig sein. Unsere Stichwahlbedin- gungen in Jena waren in erster Linie doch im Hinblick auf den linken Flügel der Nationalliberalen aufgestellt worden. Wir erwarten wenig von der Volkspartei. Aber, daß sie hinter die Jenaer Stichwahlbedingungen zurückgehe, wird doch nie- mand im Ernste annehmen. Dazu sind diese viel zu bescheiden. Auch über den zweiten Punkt ist nicht viel zu sagen. Mancher Kritiker entrüstet sich darüber, daß die Fortschrittler nicht den Mut hatten, ihre Anhänger direkt zur Stimmabgabe für uns zu verpflichten. Wenn man sich unter einem Fort- schrittler einen ehernen Demokraten vorstellt, mag man wohl überrascht sein, daß sie nicht entschiedener die Wahl des Sozialdemokraten gegenüber dem Reaktionär forderten, son- dern sie nur indirekt empfahlen. Wer aber die bisherige Praxis der Fortschrittler bei den Stichwahlen kennt, wird in der vorgeschlagenen Wahlparole, durch die sie sich dem Zorn der Rechten aussetzten, bereits eine erhebliche Konzession finden, die uns auch eine erhebliche Reihe von Wahlkreisen zu- geführt hätte, wäre sie nur streng eingehalten worden. Da- ran, daß dies nicht geschah, hatte man alle Ursache, Kritik zu üben, das konnte aber naturgemäß erst nach der Wahl ge- schehen, nicht vor ihr, und beweist nicht, daß der zweite Punkt des Wahlabkommens verfehlt war, sondern nur, daß er die äußersten Grenzen dessen darstellte, was die Berliner Zentral- leitung als Leistung ihrer Wähler in Aussicht stellen durste. Die beiden Punkte haben denn auch bisher nur wenig Anfechtung erfahren. Woran aber ein erheblicher Teil unserer Genossen Anstoß nahm, das war dieDämpfung des Wahlkampfe s". In der Tat, eine neue und aus den ersten Blick recht befremdende Erscheinung. Mehrfach hat man es als eine bodenlose Unverschämtheit der Fortschrittler bezeichnet, uns ein derartiges Ansinnen zu stellen, und als eine ebenso bodenlose Schwäche des Partei- Vorstands, es zuzugestehen. Es sei unsere heiligste Pflicht, keine Stunde zu versäumen, die wir der Aufklärung über unsere Ziele widmen könnten und der Parteivorstand habe diese heilige Pflicht mit Füßen getreten, indem er die Auf- klärungsarbeit für die Zeit der Stichwahlen in 16 Wahl- kreisen auf Geheiß der Fortschrittler verbot. Ist das wirklich geschehen? Um das beurteilen zu können, müssen wir uns nochmals der Situation nach dem 12. Januar erinnern. Das fortschrittliche Zentralkomitee erkennt, daß eine entschiedene Mehrheit der Linken ohne auS- giebigc Unterstützung der Sozialdemokratie nicht möglich sei. Entgegen den bisherigen Gepflogenheiten seiner Partei- genossen beabsichtigte es auch, diese Unterstützung zu veran- lassen, aber es mußte dabei mit der Wahrscheinlichkeit rechnen, daß sein Auftreten zu unseren Gunsten den Fortschrittlern die Wahlhilfe der Konservativen verscherzte und in schroffsten Gegensatz verwandelte, die sie sonst in ausgiebigster Weise er- warten durften. Und da erschien es nicht unbillig, wenn die Eortschrittler als Gegenleistung forderten, wir sollten in reisen, in denen wir ohne konservative Hilfe nicht siegen konnten, nicht eine Agitation treiben, um diese Hilfe an uns Leorg Friedrich Knapp . Knapp, der Straßburger Professor der Nationalökonomie, feiert heute seinen 70. Geburtstag. Er ist am 7. März 1842 in Gießen geboren, war ein Schüler de? berühmten Berliner Statistikers Eduard Engel und wurde dann Direktor des Statistischen Bureaus der Stadt Leipzig und Professor der Nationalökonomie zuerst in Leipzig und dann in Straßburg . Als Statistiker hat Knapp eine Reihe interessanter Beitrüge namentlich zur Lehre der Bevölkerung geliefert. Seine bedeutsamste Leistung aber liegt auf dem Gebiete der Agrargcschichte. Sein zweibändiges WerkDie Bauern- befreiung und der Ursprung der Landarbeiter in den älteren Pro- vinzcn Preußens", das 1887 erschien, ist in vieler Beziehung grund- legend geworden und hat zu zahlreichen ähnlichen Untersuchungen im In- und Auslande geführt. Namentlich der Lcgendenbildung, die sich an die Bauernbefreiung von 1816 knüpft, macht Knapp in diesem Werke gründlich ein Ende und weist nach, wie die gepriesene Reform unter dem Einfluß der Junker die Bauern nicht nur von den Lasten, sondern zugleich von dem größten Teil ihres Eigentums befreit hat. Leider wirkt die Darstellung unzureichend, wo sie die zweite Baucrnplünderung von 1848 ab schildert. Auf diese Haupt- schrift folgten 1891 vier Vorträge, dieDie Landarbeiter in Knecht- schaft und Freiheit" betitelt sind, sowie eine größere Anzahl spezieller Arbeiten und Aufsätze zur Agrargcschichte. Ein ganz anderes Gebiet behandelt dieStaatliche Theorie deS Geldes", die ISVö erschien. Ist Knapp als Historiker und Statistiker ein bedeutender Förderer der Wissenschaft gewesen, so wird seine Geldtheorie wohl als der interessante Versuch einer Systematik und Neubenennung moderner Geldcrscheinungcn angesehen werden können, jedoch gesagt werden müssen, daß sie unsere ökonomische Erkenntnis von dem Wesen des Geldes nicht bereichert. Hier zeigt sich die spezifische Schranke des Historikers, der meint, daß auch die komplizierten Erscheinungen kapitalistischer Wirtschaft durch einfache Beschreibung restlos erkannt werden können, während doch erst die theoretische Ergründung der ökonomischen Erscheinungen, wie sie zu ziehen, die ohne das Abkommen den Fortschrittlern zu Gute gekommen wäre. Faßt man dieDämpfung" der Agitation in diesem Sinne auf, dann verliert sie allen Anstrich eines Verbots der Aufklärung der Massen über unsere Ziele. Die sozialistische Propaganda wird in der Stichwahlagi- tation stets beengt sein, außer in Fällen, wo der Vorsprung unseres Kandidaten über den Gegenkandidaten so groß ist, daß es mir der Heranziehung unserer Reserven bedarf, um sicher zu siegen. In Fällen, wo wir auf gegnerische Stimmen angewiesen sind, um zu siegen, wird in der Regel die sozia- listische Aufklärung über unsere Ziele nicht sehr lebhaft in den paar Tagen der Agitation zur Stichwahl betrieben wer- den. Man wird bei solcher Agitation naturgemäß jene Seiten unserer Tätigkeit in den Vordergrund schieben, an denen einzelne Schichten unserer Gegner, die dem Proletariat öko- nomisch nahe stehen, interessiert sind. Dabei unseren Stand- Punkt zu wahren und doch Eindruck auf jene gegnerischen Schichten zu machen, die wir gewinnen wollen, ist nicht leicht. Durch dieDämpfung" der Stichwahlagitation in solchen Kreisen wird kaum eine Gelegenheit versäumt, prinzipielle sozialistische Propaganda zu treiben. So wichtig, ja, in ge- wissein Sinne unersetzlich die Agitation vor der Hauptwahl für die Aufklärung der Massen ist, so geringfügig ist der Nutzen der Stichwahlagitation in dieser Beziehung, wenig- stens in Wahlkreisen, in denen konservative Elemente die Stichwahl entscheiden und unser Sieg von diesen, nicht von unseren Reserven abhängt. Und um solche Wahlkreise handelte es sich. Auf der anderen Seite kam jener Gesichtspunkt in Be- tracht, den wir schon im vorigen Artikel erörtert: die große propagandistische Kraft, die uns erwachsen konnte, wenn unsere Partei als die stärkste in einer starken Linken aus dem Wahl- kämpf hervorging ein Resultat, nicht zu erreichen ohne das Stichwahlabkommen. Da erstand nicht die Frage, sollen wir unsere Propaganda einschränken, sondern vielmehr die Frage, was ist wichtiger für unsere propagandistische Kraft, die Reden und Flugblätter, durch die wir in den 16 Wahlkreisen während der paar Tage vor der Stichwahl zu deren Wählern zu sprechen vermögen, oder die überragende Stellung unserer Partei während der fünf Jahre des kommenden Reichstags in ihren Einwirkungen auf ganz Deutschland ? Das ist die entscheidende Frage für die Beurteilung unseres Stichwahlabkommens. Je nach ihrer Beantwortung wird man es gut heißen oder ablehnen. Diese Beantwortung selbst wird aber wieder in hohem Maße von der Bedeutung abhängen, die man der Stellung und Tätigkeit unserer Partei im Reichstag und den Parlamenten überhaupt für die Klassen- kämpfe des Proletariats, dessen Aufrüttelung und Organi- sierung als Klassenpartei beimißt. Wer darüber geringschätzig denkt, wird natürlich das Stichwahlabkommen verwerfen müssen. Aber mit den Argumenten der direkten Massenaktion, die man dagegen ins Feld führt, könnte man jede Beteiligung an den Stichwahlen, ja schließlich die Wahlbeteiligung selbst für unnütz erklären. Gänzlich deplaciert ist jene Entrüstung darüber, die so weit geht, in derDämpfung" der Wahlagitation ein vcr- stecktes Aufgeben der 16 Wahlkreise zu sehen und zu erklären, da hätte man lieber gleich offen dort unsere Kandidaten zu- rückziehen sollen. Etwas derartiges war tatsächlich von fort- schrittlicher Seite gefordert worden, davon konnte aber unter keinen Bedingungen die Rede sein. Das hieß etwas ganz anderes, als dieDämpfung" des Wahlkampfes. Wie wenig diese die Wähler unserer Partei beirrt hat, zeigt folgende Tabelle: Die sozialdemokratischen Kandidaten erhielten Stimmen: Zunahme l-s-j oder Wahlkreis Hauptwahl Stichwahl 1. Oberbarnim.. 2. Liegnitz .... 8. Schönau-Hirschberg 4. Apenrade -Flensburg 5. Lauenburg ... 7. Hagen .... 8. Dithmarschen .. 9. Calw ..... 10. Balingen ... 11. Meiningen ... 12. Schauniburg.. 13. Lippe-Deünold. 14. Oldenburg I.. IS. Oldenburg II.. 16. Nordhausen. ,. Abnahme() bei der Stichwahl Marx als Erbe und Vollender der klassischen Nationalökonomie ent- wickelt hat, uns verstehen läßt, was von Knapp nur b e- n a n n t wird. Politisch ist Knapp nicht besonder? hervorgetreten. Doch hat er aus seinen sozialpolitischen Ueberzeugungen nie ein Hehl ge- macht, und er gehörte in den siebziger Jahren zu jenen, die gegen das herrschende Manchestertum die Notwendigkeit der Sozialpolitik proklamierten und deshalb von der liberalen Schule und den libe- ralcn Politikern als Kakhedersozialisten verspottet wurden. ES ist nicht uninteressant, bei dieser Gelegenheit an einen Auf- satz zu erinnern, den der..Volksstaat" am 5. März 1873 unter dem TitelEin ehrlicher Kathedcrsozialist" über Knapp veröffentlichte. Knapp hatte in Leipzig einen Vortrag über die FreihandelSkämpfc in England gehalten und nachgewiesen, wie diese Kämpfe nicht um Volksrechte, sondern um Klasseninteresscn geführt worden. Er hatte gezeigt, wie die Manchcsterleute nach ihrem Siege die Ver- sprcchungen, die sie dem Proletariat gemacht, gebrochen hatten und im Anschluß daran scharf die Lässigkeit und Bequemlichkeit kriti- fiert, mit der die deutsche Manchesterpartei der Arbeiterbewegung zugesehen habe. Dazu hatte damals der ,. Volksstaat" geschrieben: Die Art und Weise, wie Professor Knapp die gegenwärtige Gesellschaftskrise aufsaßt, stimmt durchaus mit der sozialistischen Auffassung überein, ist die sozialistische Auffassung. Es istein Klassen-, ein Jntcressenkampf", in dessen Mitte wir jetzt stehen; und wenn die herrschenden Klassen vonVolksrechten" sprechen, so geschieht das bloß, um den Beherrschten und Ausgebeuteten Sand in die Augen zu streuen, und das dumme, leichtgläubige Volk aufzustacheln, daß es für seine Feinde die Kastanien aus dem Feuer holt. Wie die Arbeiter in England von der Bourgeoisie gcnaSführt und mißbraucht worden sind, so in Frankreich , in Deutschland , überall, wo cS Bourgeoisie und Proletariat gibt. Daß die herrschenden Klassen die beherrschten bis zu einer ge- wissen Grenze auch g e i st ig beherrschen, liegt in der Natur der Dinge; denn sie besitzen nicht bloß die materiellen, sondern auch die geistigen Machtmittel, indem sie über die tochule, die Kirche, die Presse verfügen. Die Grenze dieser geistigen Herrschaft ist die Erkenntnis der beherrschten Klasse, daß die Sehen wir von Dithmarschen ab, wo die Genossen über das im Abkommen geforderte hinausgingen und jeden Kampf einstellten, dann finden wir fast in jedem der 16 Wahlkreise trotz derDämpfung" einen Stimmenzuwachs, obwohl schon bei der Hauptwahl die Beteiligten eine außerordentlich hohe gewesen. Was uns bei jenen Stichwahlen fehlte, waren sicher nicht die Reserven unserer Partei, sondern fast ausschließlich konservative Elemente diese Worte im umfassendsten Sinne gnommen, also Zentrum usw. mitgerechnet. Zwei dieser 16 Wahlkreise haben wir auch tatsächlich in der Stichwahl erobert. Das soll beweisen, daß der Parteivor- stand, der sie zu denaussichtslosen" gerechnet hatte, sich bei der Beurteilung der Sachlage irrte. Aber sie hatten als aus- sichtslos gegolten für den Fall, daß die Konservativen für den Fortschritt eintraten. Nordhausen wurde wohl gerade durch das Stichwahlabkommen gewonnen. Dieses Abkommen hatte die Antisemiten und Konservativen so sehr gegen den Frei- sinn verärgert, daß sie zu Hause blieben und so den Sieg des Genossen Cohn ermöglichten, der ausgeschlossen war, wenn jene Elemente sich auf Seite des Freisinns schlugen. Die Ein- beziehung des Wahlkreises Hagen in das Abkommen aber be- ruhte auf einem Mißverständnis und wurde sofort tatsächlich rektifiziert. Daß in keinem der betroffenen Wahlkreise die Genossen von dem Stichwahlabkommen entzückt waren, ist be- greiflich. Es war in der Tat eine harte Zumutung, die ihnen gestellt wurde: nach monatelangem, opfervollem Wahl- kämpf waren sie endlich so weit, ihren Kandidaten in hie Stich- Wahl zu bringen. Und nun, unmittelbar vor der entscheiden­den Schlacht, als sie sich anschickten, den letzten Nerv anzu- strengen, um den Gegner in den Sand zu strecken, was wenig- stens den sanguinischen unter ihnen erreichbar erschien, sollten sie den eigenen Eifer dämpfen I Es war eine starke Anforderung an die Disziplin unserer Genossen: übertrieben stark, wenn man dieDämpfung" des Wahlkampfes zu wörtlich nach den Anweisungen des Partei- Vorstandes auffaßte. Auf mehr durften die Fortschrittler doch nicht Anspruch erheben, als daß wir den Aerger der Konser- vativen über die fortschrittliche Stichwahlparole nicht sür uns ausnutzten und uns zu diesem Zwecke der Agitation in den Wahlkreisen enthielten, in denen die Konservativen zwischen uns und den Fortschrittlern entschieden. Wenn aber das Abkommen zu dieser Dämpsung unter anderem auch die Verpflichtung rechnete, den Wählern keine Stimmzettel zuzustellen und am Wahltage keine Schlepperdienste zu verrichten, so überschritt es damit die Grenzen des der Situation Entsprechenden, ja, des Erreichbaren. Denn den Parteigenossen in den erregten Zeiten einer Wahl unmittelbar vor der Entscheidung jede Be» tätigung, nicht nur agitatorischer, sondern auch organisatori- scher Art versagen wollen, heißt unmögliches von ihnen vcr- langen. Und ebensowenig am Platze war die Heimlichkeit, mit der das Abkommen eine Zeitlang behandelt wurde. Gewiß sind vertrauliche Besprechungen in solcher Situation nicht zu um- gehen und es geht nicht an, Mitteilungen oder Verhandlungen, die ein Dritter im Vertrauen mit uns gepflogen, ohne seine Zustimmung aller Welt mitzuteilen. Aber die Ergebnisse solcher Abmachungen, soweit sie Aktionen unserer Partei bedingen, müssen ihr mitgeteilt werden. Unsere Partei kann und darf keine Verpflichtungen eingehen, die sie nicht selbst nachzuprüfen vermag. Sollten die Fortschrittler Grund gehabt haben, zu wünschen, daß das ganze Abkommen ein Geheimnis bleibe, dann durfte es über- Haupt nicht abgeschlossen werden. So nützlich uns das Ab- kommen auch erscheint, uni den Preis der Umwälzung unserer demokratischen Grundsätze durfte es nicht erkaust werden. Das wollte aber der Parteivorstand sicher auch gar nicht. Hat er doch selbst zur Kritik seines Stichwahlabkommcns aus- gefordert. Bedauerlich ist bloß, daß dies nicht früher geschah und daß dadurch der Anschein erweckt wurde, als handle es sich hier um Dinge, die das Licht der Welt zu scheuen hätten. Das dürfte manchen Genossen gegen das Abkommen ein- genommen haben, der es sonst gebilligt hätte. Wer sich durch diese anscheinende Heimlichkeit nicht ver- stimmen läßt, das Stichwahlabkommcn als Produkt einer be- stimmten Situation prüft und einzelne Details der Dämpfung nicht allzuscharf beurteilt, da es sich hier um ein noch nie ver­suchtes Experiment handelt, das keine lange Vorbereitung und Ueberlegung gestattete, der wird Wohl mit uns zu der Ueber- zeugung kommen, daß der Vorstand bei seinem Abschluß im ganzen und großen vollkommen zweckmäßig gehandelt hat. Interessen der herrschenden und der beherrsch. ten Klasse einander feindlich sind, daß hinter den Schmeicheleien der Herrschenden für die Beherrschten nur Eigen- nutz und Arglist lauern, daß jeder Dienst, den die Beherrschten den Herrschenden leisten, die Macht der letzteren vermehren, die Ketten der ersteren befestigen muß. Der schwer st e Teil de» menschlichen Befrciungswcrkes ist es, den Unterdrückten und Ausgebeuteten diese Erkenntnis beizu- bringen. Haben sie dieselbe erlangt, so sind sie schon zu Drei- vierteln frei der Rest findet sich. Unsere Partei legt darum den Hauptschwcrpunkt darauf, in dem Arbeiter das Klassen. bewußtsein zu erwecken. Nicht, damit er seinerseits nach Klassenherrschaft strebe, sondern damit er sein Alles daran setze, die Klassenherrschaft durch Aufhebung des Klassen. gegcnsatzes vermittels der genossenschaftlichen Produktion prinzipiell zu vernichten. Wer aber die gegenwärtige gesellschaftliche Krisis als Klassenkampf auffaßt, steht auf dem Standpunkt des wirklichen Sozialismus, nicht deS KathcdersozialiSmuS"." Wenn aber dann das Organ der Eisenacher Arbeiterpartei hin­zusetzt, Knopps Vortrag beweise, daß die Wahrheit sich allmählich durchbohrt, und daß zwar nicht der KathedersozialiSmuS unter die Arbeiter, wohl aber der Arbeitersozialismus auf die Katheder dringt, so wissen wir heute, daß in Deutschland die Staatsmacht schon dafür sorgt, daß der Sozialismus den Kathedern ferngehalten wird und erinnern uns des skeptischen Wortes, das Victor Adler einmal geprägt hat, wonach Kathcdersozialisten jene heißen, die den Sozialismus fortgcworfen haben, um den Katheder zu behalten. Auf Knapp aber darf dieses Wort nicht angewandt werden. Er ist stets ein aufrechter Charakter gewesen, der aber sein Be- tätigungsfeld nie auf dem politischen Kampfplatz, sondern stets in der stillen Gelehrtenftubc gesucht hat. Und am Abend seines Lebens, den er in völliger geistiger und körperlicher Frische ver- bringt, darf er sich sagen, daß er nicht vergeblich gearbeitet hat. Er hat die wissenschaftliche Erkenntnis gefördert, und wir, die wir danach streben, daß unsere Politik nichts anderes ist, als ange» wandte Sozialwissenschast, können ihm gern dafür danke». v