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italienischen Regierung unternommen worden sind, um ihr eine Beschränkung der militärischen Ope- r a t i o n e n zu empfehlen. Die italienische Regierung behält sich volle Aktionsfreiheit vor, abgesehen von den türkischen Küsten deS Adriatischen und Jonischen Meeres. Ein türkisches Dementi. Konstantinopel , 7. März. Die Verhänguirg deS B e l a g e r u n g S- zustandeS in Alka wird amtlich dementiert. Die im Ausland verbreiteten Gerüchte, wonach der Ministerrat die V e r m i t t l u n g s- frage beraten habe und die Mehrheit der Minister geneigt sei, die guten Dienste der Mächte auf Grundlage der Anerkennung der religiösen Souveränität deS Sultans in Tripolis und der Eyrenaika und der politischen Souveränität über eine der beiden Provinzen anzunehmen, werden halbamtlich dementiert. Die Pforte sei mehr denn je entschlossen, die Rechte der Türkei auf die beiden Provinzen aufrechtzuerhalten. Ein neuer Kampf bei Margheb. Rom , 7. März. Nach einem Telegramm des Generals Reisoli wurden die Stellungen der Italiener auf der Anhöhe v o n M a r g h e b am ö. d. M. auf der östlichen Front vom Feinde angegriffen. Nach einem Kampfe, der von 10 Uhr abends bis 6 Uhr morgens dauerte, wurde der Feind mit schweren Verlusten zurückgeworfen. Die Italiener hatten einen Toten und drei Ver- wundete. Tripolis , 7. März. �Meldung derAgenzia Stefani".) Gene­ral Reisoli sandte heute weitere Einzelheiten über den letzten nächtlichen Kampf bei Margheb. Der Kampf dauerte bis in die Morgenstunden des 6. März. Die Angriffe waren sehr zahlreich und sehr heftig und wurden nur von kurzen Pausen unterbrochen, während deren der Feind immer neue Ver- stärkungen vorrücken ließ. Die feindlichen Truppen bestanden aus Arabern und regulären Türken und wurden auf mehr als 3000 Mann geschätzt. Die von den Italienern und ihren Kundschaftern gemachten Gefangenen beziffern die feindliche Stärke noch höher. Die Italiener hatten ein Jnfanteriebataillon, ein Mpenbataillon, zwei Bcrsaglieribataillone, zwei Feldbatterien und eine Gebirg?- battcrie ins Feld geschickt. Die Sperrung der Dardauelle». Koustaotinopcl, 7. März. Die Pforte verfügte, daß die Sperrung der Dardanellen bei Nacht nunmehr strengstens durchgeführt werden muß. Die Gerüchte, daß Rußland beabsichtige, Kriegs» schiffe in die Dardanellen zu entsenden, wird vom russischen Botschafter entschieden dementiert. Sie Revolution in China . Ein Geschäft für das internationale Bankkapital. London , 7. März. DieTimes* meldet aus Peking vom 6. d. M.: Der chinesische Finanzmini st er teilte am Sonn- abend den Vertretern der englischen, deutschen, französischen und amerikanischen Banken mit, daß für die diplomatischen Vertretungen Chinas im Auslande eine Million Tacls unbedingt nötig sei. Die Banken haben nun mit Zustimmung ihrer eigenen Regierungen und ebenso der ruffischen und japanischen Regierung Juanschikai zugesagt, eine halbe Million TaelS sofort, eine halbe Million in zehn Tagen und weitere Beträge später vorzu- schießen. Die Banken aller sechs Nationen werden unter später festzusetzenden Bedingungen beteiligt werden. Die Be- teiligung wird rückwirkende Kraft haben und auch den Vorschuß von zwei Millionen TaelS einschließen, der vorige Woche der Nankinger Regierung gewährt worden ist. DaS Abkommen über die Anleihe von 30 Millionen Mark zwischen der Russisch-Afiatischen Bank und dem Nankinger Schatzamt ist rückgängig gemacht worden. Die beabsichtigte Entsendung von Truppen aus dem Süden ist aufgegeben worden. Sei' italienische Partelooritand und die innere Kriie. Rom , den 2. März.(Eig. Ber.) Die eigenartige Stellung. die das Organisationsstatut der italienischen Partei der Parla- mcntsfraktion zuweist, brachte es mit sich, daß der Parteivorftand der Spaltung der Fraktion gegenüber keine Entscheidung treffen konnte. Die Fraktion unterliegt nicht der Jurisdiktion des Partei- Vorstandes, sondern lediglich der des Parteitags. Der Parteivor- stand hat sich denn auch zu der einzig möglichen Lösung entschlossen und hat den im Oktober dieses Jahres fälligen ordentlichen Parteitag für den Anfang Juni einberufen. Dieser Parteitag wird viel weniger über den Konflikt zu ent» scheiden haben, der heute die italienische Partei bewegt, als über die Schaffung eines Organisationsstatuts, da» die Möglichkeit aus- schließt, die taktische Einheit der Partei durch ähnliche Konflikt« aufzuheben und zu zerstören. Bis zum Juni kann sich in Italien vieles ändern. Der Krieg kann beendet sein, und die Wahlreform ist bis dahin vielleicht längst zum Gesetz geworden. Giolitti selbst kann seiner Allmacht müde geworden sein und sich einen Statthalter bestellt haben. Wir können uns also in drei Monaten einer ganz anderen Situation gegenübersehen, die vielleicht die Reformisten der Linken wieder mit denen der Rechten vereint, so daß der Wandel der äußeren Verhältnisse die Frage der Parteispaltung wieder ganz und gar in den Hintergrund rückt. Aber man darf nicht vergessen, daß die heutige Krise zu einer ernsten, die ganze Partei erschütternden Erscheinung erst dadurch wurde, daß im orga- nisatorischen Gesüge der italienischen Partei die Möglichkeit fehlte, die parlamentarischen Vertreter der Partei zum Ausdruck des Mehrheitswillens zu machen. In allen Parteien der ganzen Welt ergeben sich Meinungsdifserenzen, aber sie gefährden nicht das Leben und die Leistungsfähigkeit der Organisation, weil die Minder- heit sich der Mehrheit unterordnet. Die am 22. Februar durch die Spaltung der Fraktion offiziell gewordene Parteikrise datiert in Wirklichkeit nicht von diesem Tage her, sondern vielmehr vom 8. Februar, an dem in Bologna die Partcifraktion im Sinne TuratiS und gegen die Auffassung PrampoliniS der Minderheit das Recht gab, im Parlament selbständig vorzugehen. Diese Entscheidung und nicht die Frage deS Aufstehens oder Sitzenbleibens während der Ehrung für die in Tripolis Gefallenen hat dann die Sinnlosigkeit des weiteren Ver- bleibens in demselben Fraktionsverbande vor Augen geftihrt. Ter Partei ist wenig damit geholfen, wenn wirklich äußere Umstände wieder eine vorübergehende taktische Einheitlichkeit schaffen sollten. Mit dem Wechsel der Politik können die verschiedenen Fraktionen Ivieder auseinanderklaffen und kann sich der heutige Konflikt auS anderem Anlaß wiederholen, so lange nicht das Organisationsstatut den Begriff der Parteidisziplin in einer Weise schafft, durch die sich gewisse taktische Konflikte innerhalb der Partei gar nicht abspielen können. In Erwartung des Parteitages hat der Parteivorstand am 20. Februar eine Resolution angenommen, in der erklärt wird, daß er nur darum von seinem Rücktritt absieht, um mit allen Mitteln über die Einheit der Partei zu wachen, bis der Kongreß der Partei eine klare Richtschnur gegeben haben wird. Am Tage vorher hatte die Parlamentsfraktion selbst ihre Einigung auf der Grundlage der Parteidisziplin beschlossen, nachdem B i s s o l a t i seinen Rücktritt aus der Fraktion erklärt hatte, in der er sich heute als ein Element des Konfliktes und der Spaltung ansieht. Somit wäre die heutige Krise, soweit sie eine Krise der Taktik und der Disziplin war, im Sinne der Anerkennung der Disziplin gelöst worden. Um als taktische Krise die Bedeutung zu erlangen, die sie tatsächlich erlangt hat, mußte ihr freilich ein tieferer innerer Zwiespalt zugrunde liegen, eben die verschiedene Auffassung des Sozialismus: diesen Zwiespalt kann der nächste Parteitag klären, beseitigen wird er ihn nicht. In einem straff organisierten Partei- ganzen stellt er keine große Gefahr dar. Von den drei Erscheinungs- formen des Reformismus: dem Reformismus als Theorie, dem Re- formismus als Taktik und dem Reformismus als systematischer Negation der Disziplin und organisatorischen Einordnung schließt sicher die letzte die größte Bedrohung für unsere Partei ein. Aus der heutigen Krise ist gerade dieser Reformismus als Besiegter hervorgegangen. Bissolatis Austritt aus der Fraktion, dem sich am 2. März auch B o n o m i angeschlossen hat, hat sicher die Lage der Rechts- reformisten wesentlich verbessert. Biffolati hatte erklärt, in Modena und vorher, daß kein Mehrheitsbeschluß ihn jemals zwingen könnte, gegen die Wahlreform und gegen das Monopol zu stimmen. Für ihn war es also unmöglich, sich einer Fraktion anzuschließen, die von ihren Mitgliedern Disziplin fordert. Hätte er eine neue Fraktion der RechtSrcformisten bilden wollen, so wären ihm die Seinen blindlings gefolgt, so daß die Rechtsreformisten mit dem Odium der Disziplinlosigkeit vor den Parteitag von Reggio Emilia getreten wären. Wie tKimals, als er, ohne sich mit jemand anderem beraten zu habe», dem Rufe des Königs in den Quirinal folgte, hat sich auch diesmal Biffolati von den Gefährten losgeseilt, um diese nicht dazu zu verurteilen, die Wechselsälle seines Schicksals zu teilen. Es sei ausdrücklich hervorgehoben, daß Biffolati nicht aus der Partei ausgetreten ist, sondern nur aus deren parlamentarischem Verbände. Hoffentlich schafft der neue Parteitag eine Organisation, die es unmöglich macht, baß Mitglieder der sozialistischen Partei im Parlament wirken, ohne der sozialistischen Parlamentsfraktion an- zugehörcn, und daß dieser Fraktion Personen angehören, die außer- halb der sozialistischen Partei stehen. Die Kommission, die der Parteivorstand mit der Ausarbeitung der Reform des Organisa- tionsstatuts betraut hat, erweckt allerdings nicht übertriebenes Vertrauen. Sie besteht aus den Genossen Bidolli, Ciotti und P i g n a t a r i, die alle drei der äußersten Rechten der Partei angehören. Die kurze Episode der Spaltung der italienischen Parlaments- fraktion kann im Grunde als eine neue lehrreiche Lektion ange- sehen werden, die die Tatsachen dem italienischen Reformismus ge- geben haben. Es ist vielleicht nicht ohne Interesse, hervorzuheben, daß Turati an der Ablehnung der Pflicht der Disziplin festgehalten hat. Eines Sinnes mit Biffolati in den theoretischen Voraus- setzungen, stimmt er mit ihm auch darin überein, daß er den disziplinaren Zwang ablehnt: auf diese Weise blieb ihm zur Gel- tendmachung seiner momentanen taktischen Abweichungen kein an- deres Mittel als die Parteispaltung. Mit geradezu Fröbelscher Schlichtheit und Verständlichkeit haben die Tatsachen diesmal ge- zeigt, daß der Begriff der Partei mit der Disziplin steht und fällt. In Mailand hat man mit den Wahlbündnissen mit bürgerlichen Parteien gebrochen, in Modena mit dem systematischen Ministerialis- mus: in Reggio Emilia muß nun dieser neuen Orientierung der Mehrheit die organisatorische Möglichkeit gegeben werden, die prak- tische Haltung der Minderheit zu bestimmen. Findet dann diese Minderheit in ihrer theoretischen Ueberzeugung ein unüberwind- liches Hindernis, sich den praktischen Forderungen der Mehrheit zu fügen, dann find die Folgerungen aus dieser Situation für die Minderheit leicht zu ziehen. politilebe üebcrftcht. Berlin , den 7. März 1912. Das Ende der Generaldebatte. Aus demReichstag,?. März. Den letzten Tag der Generaldebatte über den Etat des Reichsamt des Innern leitete Genosse P e u s mit einer eingehenden Behandlung der Landarbeiterfrage ein. An die Spitze seiner Erörterung stellte er die Forderung des unbedingt freien Koalitionsrechtes und die Aufhebung aller altertümlichen Bestimmungen, unter denen die land- und forstwirtschaftlichen Arbeiter heute noch zu leiden haben. Seiner Forderung gab er eine wirkungs- volle Begründung durch die ausführliche Schilderung der Ver- Hältnisse, wie sie sich mehr und mehr, namentlich durch die Einführung der Maschine entwickelt haben. Er konnte nach- weisen, daß vor allem die Zunahme der Saisonarbeit den Landarbeiter vielfach von dem. was man menschliche Wohnung nennt, vollständig losgelöst hat, und daß auch die Löhne so niedrig sind, daß allerdings deutsche Arbeiter nur schwierig gewonnen werden können. Man kann es verstehen, daß diese Wahrheiten auf der rechten Seite des Hauses mit wenig Freude aufgenommen wurden. Diesen Herren ist es aller- dings angenehmer, durch allgemeine Redensarten über Rettung des Mittelstandes ihre Wähler und sozusagen ihr Gewissen zu beruhigen. Unser Redner gab indessen auch eine scharfe Kritik dieser angeblichen Mittelstandspolitik, der in der Tat bisher jeder Erfolg versagt bleiben mußte, während der Bauer für die Gedanken und die Wirksamkeit des Sozialismus immer zugänglicher wird. Das konnte er auch gegenüber dem Liberalen Kerschensteiner betonen, der tags zuvor alles Heil lediglich in der Ausbildung der Persönlichkeit hatte erblicken wollen. Der Zentrumsredner Dr. P f e i f fe r hielt eine längliche, mit mancherlei Zitaten belastete Rede, um zu dem erwarteten Schluß zu kommen, daß vor allem eine..religiös-sittliche Er- ziehung" notwendig sei. Viel unverhüllter zeigte Graf K a n i tz von den Konservativen die Absichten der Reaktion. Er gab klar zu verstehen, daß nach der Auffassung seiner Freunds nicht einmal der bestehende Zolltarif ausreichen werde. Er fand hierfür die absolut eindeutige Wendung, daß die beste Verteidigung der Hieb ist. Allerdings war er vor- sichtig genug, die vom Abg. Gothein geforderte Enquete über die Wirkungen der Zölle auf die Landwirtschaft als über- flüssig abzulehnen. Tie sehr veraltete, und kaum durchführ- bare Forderung eines Sparkassenzwanges stellte der National- liberale G ö t t i n g auf. Als letzter Redner sprach ein Jjunger von der Fortschrittlichen Volkspartei , der Abg. Wein- Hausen, der die Ausdehnung des Koalitionsrechtes und seine Sicherstellung, für Arbeiter und Angestellte, forderte. Er verlangte auch, namentlich mit Rücksidjt auf die jetzt gerade drohenden Kämpfe im Wirtschaftsleben, den Ausbau des Tariswesens und ein verständiges Eingreifen der Regierung. Tann endlich war der Staatssekretär in den Genuß seines Gehaltes gekommen, und die Einzeldebatte konnte einen kleinen Anfang nehmen, der nach der für morgen anberaumten Wahl des Präsidiums fortgeführt werden wird. Eine Abrechnung mit Herrn Lenste. Mit dem Finanzminister L e n tz e, der sich allmählich in die Rolle eines Sozialistentöters versetzen zu können glaubt, hielt Genosse Borchardt am Donnerstag im Abgeordnetenhause eine gründliche Abrechnung. Bei der zweiten Lesung des Etats der Ver- waltung der direkten Steuern hatte der ehemalige nationalliberale Oberbürgermeister und jetzige preußische Finanzmmistcr eine Lanze für die Landräte eingelegt, als wenn er einer der ihrigen wäre. Alles, was über Steuerdefraudationen auf dem Lande in den letzten Jahren in die Oeffentlichkeit durchgesickert ist, stellte Herr Lentze rundweg in Abrede. Obwohl sein eigener Erlaß ihn Lügen straft, lobte er die Landräte als Vorsitzende der Veranlagungskommissioncn bis über den Schellendaus, und der Beifall der Rechten spornte ihn zu immer weiteren Phrasen an, die schließlich ihren Höhepunkt in dem bekannten Klagelied über die hohen Gewerkschastsbeiträge er- reichten, die die Sozialdemokraten den Arbeitern angeblich ans der Tasche nehmen. Uns hatte damals die Mehrheit das Wort zur Er- widerung abgeschnitten. Aber Genosse Borchardt holte das Ver- säumte nach, und trotz der wiederholten Versuche des amtierenden Vizepräsidenten Krause, ihn mundtot zu machen, gelang es ihm, seine Rede zu Ende zu führen und in scharfer und geschickter Weise dem Minister nicht nur das Ungebührliche seines Benehmens den Sozialdemokraten gegenüber vor Augen zu führen, sondern auch die sachliche Unrichtigkeit der Lentzeschen Behauptungen nachzuweisen. Der konservativ-klerikalen Mehrheit war das Vorgehen unseres Redners natürlich in höchstem Maße unangenehm. Aber sachlich konnten sie nichts erwidern, und so blieb ihnen denn nichts anderes übrig, als die Rede, die sich zu einer wuchtigen Anklagerede gestaltete, mit anzuhören und zu schwelgen. Und auch der angegriffene Minister schwieg. Was hätte er auch den Tatsachen cutgegenstellen können! Im übrigen ist auS der Beratung des Etats des Finanz- Ministeriums die Bewilligung des Korruptionsfonds in den Gemarken zu erwähnen, gegen den nur Polen , Sozial- demokraten. Fortschrittler und Zentrum stimmten. Vorher hatte das Haus den Bericht der Budgetkommisfion den konservativ-klerikalen Antrag betreffend die Anstellun» von Vor­sitzenden der Veranlagungskommissionen anstelle der Älndräte ent- gegengenommen. Die Antragsteller taten das klügste, was sie tun konnten, sie zogen ihren Antrag, den die Kommisston als erledigt betrachtete, zurück. Geändert wird dadurch an den Verhältnissen nichts, die Landräte werden, wenigstens solange Herr Lentze den Ministersessel ziert, nach wie vor den Vorsitz in den Veranlagung?- k.ommissionen führen, und die Steuerdefraudationen auf dem Lande werden weiter in Blüte stehen. Freitag: Etat der Bauverwaltung. TrtS Herrenhaus gegen die Arbeitsscheue«. Wenn die hohe Staatsregierung die Vorlage über die Zwangsarbeit der Arbeitsscheuen und säumigen Nährpsiich- tigen just zuerst im Hause der Erlauchten und Edlen einge- bracht hat, so ist das ihr gutes Recht und niemand, der verfassungstreu ist, wird daran was auszusetzen haben. Um so mehr freilich an der Vorlage selbst, die bestimmt, daß die Arbeitsscheuen und säumigen Nährpflichtigen, deren Ange- hörige von der öffentlichen Armenpflege unterstützt werden müssen, zwangsweise in einer öffentlichen oder entsprechend eingerichteten privaten Arbeitsanstalt zur Arbeit angehalten werden können. Und das bis auf ein Jahr und länger.- Wenn der Referent, der Oberbürgermeister der boruffi- scheu Stadt Königsberg. Herr Körte, und der Regierungs- Vertreter Unterstaatssekretär H o l tz, diese Vorlage damit bp- gründete, daß das soziale Gefühl innerhalb der Fa» milie gestärkt werden müsse(durch die Wegreißung der Eltern von den Kindern zur Fabrikarbeit?!), daß mißbräuchliche Ausbeutung der Armenpflege vermieden werden soll, daß das Gesetz nicht übermäßig oft angewendet werden würde, daß es(durch Drohung) vorbeugend wirken werde so täuscht das alles nicht über die fatale Aehnlichkeit mit der Fürsorge- erziehung hinweg und läßt das alles nicht darüber hinweg- sehen, daß hier preußische Verwaltungsbehör- den über eine Art strafrechtlicher Freiheitsent- ziehung, also über einen Gegenstand des Reichsrechts entscheiden sollen. Es muß anerkannt werden, daß Oberbürgermeister K i r s ch n e r- Berlin diese scharfen Züge in dem sich wohl» wollend gebenden Antlitz des Gesetzes entdeckte und scharf die Zuständigkeit des R e ich s t a g s betonte. Aber im Herren- hause hat der preußische Junkerparlamentarismus einen seiner Schlupfwinkel, da verfangen solche Argumente ver- teufelt wenig. Wie übrigens Herr Kirschner dazu kommt. die oOOl) Elenden, die allnächtlich das Berliner Obdachlosen- asyl auffuchen, die glücklich sind, da eingelassen zu werden, als größtenteils arbeitsscheu zu bezeichnen, wird er gelegent- lich vielleicht zu erläutern die Güte haben, wenn auch die Immunität ein Zurrechenschaftziehen darüber ausschließt. Dagegen muß Herrn Kirschner unbedingt zugestimmt wer- den, wenn er die Verfügung über die Freiheit eines Menschen nicht der Verwaltung, nur der Justiz überantwortet sehen- will. Das Gesetz wurde schließlich angenommen, jedoch mit der voin Landeshauptmann v. Dziembowski-Posen beantrag- ten selbstverständlichen Einschränkung, daß bei nur vorüber- gehender Unterstützungsbedürftigkeit, bei Arbeits- und Er- werbsunfähigkeit des Unterstützungspflichtigen, oder wenn er doch wenigstens entsprechend dem Grade seiner Erwerbs- fähigkeit seine Unterhaltspflicht zu erfüllen strebt, die Zwangsarbeit nicht eintreten kann. Die Unterhaltspflicht für Kinder soll bis zu ihrem voll- endeten 16. Jahre bestehen, auch Kinder, die ihre Eltern trotz deren Bedürftigkeit und öffentlicher Unterstützung nichts geben, sollen unter das Gesetz fallen, wogegen Oberbürger- meister Dr. Bender-Breslan einige nicht unberechtigte Bedenken äußerte. Ueber das Gesetz wird ja ausführlicher zu sprechen sein, sobald es in das Dreiklassenhaus kommt. Die übrige Tagesordnung war gleichgültig: Aenderung von Gerichtssprengeln. Nur bei der Vorlage über die Ver- tretung der Berliner israelitischen Synagogengemcinde brach Graf Oppersdorf eine Lanze für die angeblich bedrohten Jüdisch-Orthodoxen, mit dem Erfolg, daß die Vorlage erst einer Kommission zugewiesen wurde. Will der Herr Graf etwa ein jüdisches Zentrum gründen? Nette Bauernfreunde! Der Brandenbnrgische Provinziallandtag statte sich am 4. März mit einer Vorlage zu beschäftigen, die der Förderung der bäuer- lichen Besiedelung dienen sollte. E» hat sich eine Gesellschaft Eigene Scholle* unter Beteiligung zahlreicher Kreis- und Stadt- bestörden sowie privater Gesellschaften gebildet, die die Vermehrung der Bauernstellen, Ansiedelung von Arbeitern und Befestigung des bäuerlichen Besitzes betreibt. An dieser Gesellschaft sollte sich die Provinz mit 2 Millionen Stammeinlage beteiligen. Im ersten