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1 Beilage zumVorwärts" Berliner VoMlatt. Nr. 236. Sonnabend, den'7. Oktober 1893. 16. Jahrg. Anch ein Sozialdemokrat? Aus Spanien wird uns im Auftrage der dortigen Partei- leitung von einem Genossen geschrieben: Im allgemeinen politischen Leben, gleichviel in welcher Partei dasselbe sich abspielen mag, gilt es mit Recht in den Augen aller aufrichtig denkender Männer als eine Feigheit, als eines ehrlichen Menschen unwürdig, isich hinter einem Pseudo- oder Anonym zu verbergen, um von diesem ungefährlichen Versteck aus Verdäch- tigungen und Verleumdungen gegen Andersdenkende zu schleu- dern; um so mehr müssen wir als Sozialdemokraten darauf achten, daß nicht dasselbe auch in unseren Reihen zu Tage tritt. Seitdem es seit geraumer Zeit ziemlich ungefährlich geworden ist. sich eine» Sozialdemokraten zu nennen, hat man die Beobach- tung machen können, daß sich Leute aus mehr oder minder zweifelhasten oder gar unlauteren Motiven an unsere Partei heranzudrängen suchen. Im Jnlande, wo sich die Ver- Hältnisse aus nahe liegenden Gründen leichter über- sehen lassen, gelingt es verhältnißmäßig leicht, un- lautere Elemente zu überführen und deren verderbliches Treiben an das Tageslicht zu bringen; dagegen ist es schwerer, Ver- leumdungen und Unrichtigkeiten über Parteiverhältnisse des Aus- landes ihrem Werthe nach zu prüfen, weil diese sich einer zu richtig zu stellen, aus dem einfachen Grunde schon, weil sie von dem Artikel nichts erfahren. So war es z. B. möglich, daß ein gewisser Ernst Bark aus Livland , welcher sich schon viele Jahre in Spanien aufhält, zu Ansang des Jahres 1891 in derNeuen Z e i t" einen Ar- tikel über die spanische Arbeiterpartei veröffentlichen konnte, welcher voll Unrichtigkeiten und Unwahrheiten war und daher geeignet sein mußte, den deutschen Genossen ein falsches Bild über spanische Parteiverhältnisse zu geben. Den spanischen Genossen wäre jener Artikel natürlich unbekannt geblieben, wenn nicht der Verfasser die bodenlose Kühnheit, um keinen anderen Ausdruck zu gebrauchen, gehabt hätte, denselben Artikel ins Spanische unter dem Titel:Der spanische Sozialis- mus beurtheilt von der deutschen sozialistischen Presse", zu über- setzen und zu veröffentlichen. Dieser Artikel mußte die größte Mißbilligung von seilen der spanischen Genossen hervorrufen; noch auf dem vorjährigen Kongresse in Malaga sprach man nur verschiedentlich die Verwunderung darüber aus, daß ein der- artiger Artikel, wie der von Back in derNeuen Zeit", ohne Rücksprache mit der spanischen Parteileitung habe veröffentlicht werden können. Wie groß aber war das Erstaunen, als ich vor längerer Zeit der spanischen Parteileitung einen neuen Ar- tikel desselben Bark mittheilte, welchen dieser allerdings niit der Unterschrist A. de Santaclara im Laufe des Monats Mai imVorwärts" veröffentlichte. Für mich war es von vornherein feststehend, daß Santaclara nur ein Pseudonym für E r n st Bark war, und ich würde sofort geantwortet haben, wenn es mir nicht darum zu thun gewesen wäre, das ausführlichste Material über Ernst Bark alias Santaclara, sowohl was ihn als Menschen, als auch als Politiker anbetrifft, zu erhalten. Alle politischen Freunde in der hiesigen Partei, unter denen ich nur Jglesias, Quejido, Morato, Diego und Valero nenne, haben mich in meiner Ansicht bestärkt, mich mit dem ausführlichsten Material versehen und mich zugleich er- mächtigt, von ihren Briefen, die in genannter Sache geschrieben wurden, beliebigen Gebrauch zu machen. Wenn ich nun von dieser Ermächtigung nur einen beschränkten Gebrauch mache, so geschieht es aus dem Grunde, Ernst Bark alias Santa- c l a r a damit die Warnung zu geben, sich nicht wieder als Sozialisten auszuspielen oder Unrichtigkeiten über die spanische Arbeiterpartei in deutsche Parteiblätter zu lanziren, weil ich mich in diesem Falle gezwungen sehen würde, mir in keiner Weise Reserve aufzuerlegen. Es würde als verspätet angesehen werden müssen, wollte ich heute eine ausführliche Widerlegung der Unwahrheiten und Unrichtigkeiten des Bark'schen Artikels vom Monat Mai schreiben, da derselbe nicht mehr im Gedächtnisse der Genossen sein wird; nur die allergröbsten Jrrthümer und Unwahrheiten will ich her- vorheben. Der Zweck dieser Zeilen soll vielmehr sein, zu zeigen, daß Bark kein Recht bat, sich einen Sozialisten zu nennen und darum nicht befugt ist, als solcher über spanische Partei- Verhältnisse zu schreiben. Zunächst zu dem Artikel imVorwärts", worüber zu schreiben ich ausdrücklich von der spanischen Parteileitung ermächtigt worden bin. Bark schreibt:Spanien steht im Vorabende einer neuen Revolution und wiederum stellt die Geschichte das Pro- klein: Wird die Republik im Fette des Opportunismus ersticken, oder wird sie das ruhmreiche Banner der sozialen Reform auf- hissen?"Bald vielleicht bedarf Spanien der thätigen Hilfe aller ehrenhaften Weltbürger, denn in Spanien wird vielleicht bald der erste Akt gespielt der welterschütternden Tragödie der Befreiung des Proletariats." So angenehm eine der- artige Aussicht für alle Revolutionäre, insonderheit für die spanischen sein konnte, so illusorisch und nichtig in sich ist die- selbe. Spanien ist in ökonomischer Hinsicht ein gegen alle Kultur- staaten zurückstehendes Land; die großen Städte, in welchen sich ein klassenbewußtes Proletariat organisiren könnte, sind sehr gezählt; die bisher organisirte Arbeiterschaft ist der Zahl nach äußerst gering, man möchte fast sagen ohne Bedeutung; der Sinn für eine kräftige Organisation ist nur sehr mangelhaft aus- gebildet; kurz es fehlt an allen Vorbedingungen, um auf eine erfolgreiche Revolution hoffen zu dürfen. Die spanische Sozial- dcmokratie denkt auch gar nicht daran, ist vielmehr überzeugt, daß der Anstoß zur sozialen Revolution von einem hochentwickelten Kulturland Europas kommen muß. Die Insurrektion von Kartagena im Jahre 1873 hat nichts mit sozialen Ideen zu thun gehabt; sie war das Werk ehrgeiziger Bourgcois-Politiker, welche sich allerdings der Arbeiter bedienten, um sich die Kastanien aus dem Feuer holen zu lassen. Hätte es sich irgendwie um soziale Ideen ge- handelt, so mußten doch Theilnehmer an der Revolution heute Sozia- listen sein, aber es existirt nicht einmal ein sozialdemokratischer Verein in Kartagena . Auf die Insurrektion von Karragena hinzuweisen, ist also, gelinde gesagt, als verfehlt zu betrachten. Was Bark über die monarchischen Führer sagt, mag im Ganzen zutreffen; dagegen sind seine Aeußerungen über die Führer der ver- schiedensten republikanischen Parteien durchaus irrig. Die Herren Republikaner denken gar nicht daran, den Sozialisten in wgend einer Sache entgegenzukommen; sie sind in unserem Sinne reaktionär, wie es in Deutschland Leute vom Schlage Eugen Richters nur sein können. Die schönen Versprechungen von feiten mancher Republikaner sind eben weiter nichts als leere Versprechungen, an die zu erfüllen niemand denkt. Z o r i l l a zum Beispiel leugnet schlankweg, daß es eine soziale Frage gäbe, die mißlichen Verhältnisse haben nach ihm den Grund nur in dem monarchischen System; außerdem hat er erklärt, daß man den Arbeitern nur Zugeständnisse macheu könne, soweit nicht die Interessen des Kapitals dadurch geschädigt werden z Zorilla denkt auch nur an eine Militär- revolution, um sich zum Herrn von Spanien zu machen. Von S a l m e r o n kann man ähnliches sagen; vielleicht ist er noch mehr Bourgeois als Zorilla; er will unter anderem die Kirche als Staatssache beibehalten wissen, ebenso wie er ein Anhänger der stehenden Heere ist. Pi y Margall, der persönlich gewiß ein Ehrenmann ist, kann man am besten mit einem deutschen Kathedersozialisten vergleichen. Mit den arbeitersreundlichen Ideen der Republikaner ist es nicht weit her, und die Sozialisten würden Verrath an ihren eigenen Ideen verüben, wenn sie nur einen Augenblick mit den Bourgeoisrepublikanern sympathisiren wollten; nein, es gilt, dieselben unaufhörlich zu bekämpfen, um die zahlreichen Arbeiter, welche ihnen noch nachlaufen, in unser Lager herüberzuziehen") Bei dieser Gelegenheit eine kurze Zwischenbemerkung. Man darf die verschiedenen Putsche und Ausstände, welche in letzter Zeit in Spanien vorgekommen sind, nicht ernst nehnien; es sind momentane Wuthansbrüche, welche keine weiteren Folgen haben und häufig durchaus unberechtigt gewesen sind. Je länger man in Spanien weilt, desto kindischer erscheinen einem die nutzlosen Aufstände und Metzeleien. Die Monarchie ist schwach, aber die Opposition ist noch viel schwächer, weil ihr die Organisation und die innere Kraft fehlt. Von den heutigen Republikanern ist nicht das Geringste zu erwarten, und ich würde es betlagen, wenn auch nur ein einziger Arbeiter seinen Arm bieten würde, um den ehrgeizigen Plänen der ehrlosen Bourgeois- republikaner Vorschub zu leisten. Ein klassenbewußter Arbeiter setzt auch nicht die geringste Hoffnung auf einen Republikaner. Nach dieser kurzen Abschwenkung wieder zu Bark. Wenn dieser sagt:Der spanische Sozialismus hat beschlossen, in zwei getrennten Armeekorps ins Treffen zu ziehen: die gemäßigteren Sozialisten-Demokraten haben sich der föderalistischen Partei als deren radikalster Flügel angeschlossen und spornen von dort aus die ganze Partei der Republikanischen Union beständig an; die in- transigenten Sozialisten derArbeiterpartei" unter der tüchtigen Leitung des Doktor Vera, Jglesias und Quejido haben die Taktik der deutschen Sozialdemokratie beibehalten, schüren den Klassew kämpf, greifen die zögernden Bourgeoispolitiker des Republikanis- mus an und bleiben ihnen feindlich und fern, um aus diese Weise dieselben zum Vorwärtsgehen zu zwingen, und zu ver hüten, daß die Bourgeoisphrase den sozialistischen Sauerteig überwuchert", so spricht er in dem ersten Theile des Satzes eine grobe und zwar bewußte Unwahrheit aus; denn es ist nie und nimmer beschlossen worden, wäre auch ebenso undenkbar, als wenn man sagen wollte, die deutschen Sozialdemokraten und Unabhängigen" haben beschlossen, getrennt vorzugehen. Eine gemäßigte sozialistische Partei existirt überhaupt nicht; was existirt istLa Democrada Social", eine Gruppe mit eigenartigen politischen Anschauungen, gegründet von Bark(Santaclara) und einigen anderen, welche nur einige Dutzend Mitglieder umfaßt und daher ohne jegliche Bedeutung ist. Diese Gruppe hat niemals Beziehungen mit der spanischen Arbeiterpartei gehabt, wenn man nicht die zahlreichen Verleumdungen, welche von ihr ausgingen und in ihren verschiedenen Blättern(wirklichen Eintagsfliegen) sehr häufig von Santaclara unterzeichnet waren, als solche an- sehen will. Wenn Bark behauptet, daß die Anarchisten eines Tages Arm in Arm mit den Sozialisten gehen werden, so mag das vielleicht für ihn zutreffend sein; aber die ehrlichen So- zialistcn bedanken sich für eine solche Gesellschaft, die sich aus vielerlei ehrlosem Gesindel und manchen konfusen und verirrten Arbeitern zusammensetzen und hier in Granada , nach der Be- hauptung verschiedener angesehener Republikaner, mit den Jesuiten die intimsten Verbindungen unterhalten sollen. Die Anarchisten sind nicht so harmlos, wie derVorwärts" glaubt; davon kann man sich aus den letzten Nummern der spanischen anarchistischen Blätter überzeugen, welche den Züricher Kongreß behandeln; von den sozialdemokratischen Blättern sind sie auch gebührend abgefertigt worden. Ein Kongreß anarchistischer und so- zialistischer Vertreter in Barcelona im Jahre 1891 hat gar nicht statt- gefunden, scheint lediglich nur eine Erfindung Bark'scher Natur zu sein, wie es auch pure Erfindung ist, daß die Anarchisten eines Tages mit den Sozialisten kämpfen werden; vielmehr sind die Anarchisten nahe mit den Föderalisten verwandt, und man kann auch hier von Bourgeois-Anarchisten und A n a r ch i st e n- Bourgeois sprechen. Die hiesigen Anarchisten sollten mit den deutschen Unabhängigen" einen internationalen Bund gründen; sie sind einander wcrth, und vielleicht übernimmt Bismarck oder Cänovas die Präsidentschaft. Was Bark weiter sagt über die Tilgung der öffentlichen Schulden, ist auch pure Erfindung; man denkt in der republikanischen Union nur an die Abschaffung der Zivilliste, nicht einmal an die Aufhebung der Subventionen für die Kirche. Dies wenige mag genügen, um dem Leser die Art und Weise der Berichterstattung Bark's über spanische Parteiverhältnisse kurz vor Augen zu führen. Es ist nicht nöthig, dem Bark'schen Artikel gegenüber die sozialistische Arbeiterpartei Spaniens zu vertheidigen. Die von derselben eingeschlagene Taktik ist im wesentlichen dieselbe, wie die der deutschen Sozialdemokratie; aber es ist hier unendlich schwerer, lebenskräftige Organisationen zu schaffen. Die Gründe sind zum Theil äußerer, zum Theil innerer Natur. Spanien ist kein Industrieland, es kennt keine industrielle Neserve-Armee, wie andere Kulturländer, wenn es auch viele Arme und Bettler aufweist. Was aber eine kräftige Arbeiterorganisation, besonders in Andalusien , hindert, ist der eigene Volkscharakter. Ueber zwei Jahre weile ich in Andalusien , und habe Organisationen entstehen und vergehen sehen. Die- selben gehen an der furchtbaren Indolenz und Gleichgilligkeit, an der überaus mangelhaften Bildung des Arbeiters zu Grunde. Bon kilassenbewußtsein ist hier kaum die Rede, noch viel weniger von einer klaren Erkenntniß dessen, um was es sich handelt. Es giebt Leute, die zu gleicher Zeit allen Parteien angehören und blindlings irgend einem politischen Phrasendrescher folgen. Aufklärung und Erziehung müssen hier noch alles thun. In Deutschland macht man sich keinen Begriff von den Mühen, welche sich Leute wie Jglesias und andere um die Organisation der Arbeiter geben; aber niemand erkennt die bisherige Schwäche der Arbeiterpartei so sehr an, als gerade diejenigen, denen das Wohl derselben am nächsten liegt. Unaufhaltsame Arbeit, unbeugsamer Wille und uneigennützige Hingabe für unsere Sache schaffen auch hier Licht und Leben. Wollte man dem Volke schmeicheln und ihm, wie Bark(Santaclara), einreden, daß es reif und gerüstet für eine soziale Revolution sei, man würde die Schuld eines schweren Verbrechens auf sich lade». Hier heißt es, das Volk erziehen und nicht, es aufreizen; hier heißt es, ihm energisch die Wahr- heit sagen, die edlen Seiten seines Charakters wecken und nicht, es in trügerische Hoffnungen wiegen und die verderblichen Eigen- schaften seines stürmischen Wesens ausstacheln(Schluß folgt.) Lultclles; Die Wahl der Berliner Delegirte» zum Kölner Parteitag wurde am Freitag Abend unter reger Belheiligung der Parteigenossen vorgenommen. Wegen der Kürze der Zeit, die uns zur Verfügung steht, müssen wir betreffs des Verlaufs der Versammlungen und der beschlossenen Anträge auf die morgen zur Veröffentlichung gelangenden ausführlichen Ver- sammlungsberichte verweisen; für heute beschränken wir uns darauf, die Namen der gewählten Delegirte» mitzutheilen. Gewählt wurden: Im ersten Wahlkreis(Gratweil's Vierhallen): M e tz n e r und Felgentreff. Im dritten Wahlkreis(Sebastianstr. 39): Hasche! und Grauer. Im fünften Wahlkreis(Schweizer-Garten): I o st; als Stellvertreter: N i e d e r a u e r. Im sechsten Wahlkreis(Germania -Festsäle): V ö l k e l und M i l l a r g. Nchtnilg! Die für morgen, Sonntag, nach Geisler's Restaurant, Fennstraße, einberufene Volksversammiung findet nicht statt, da das Lokal den baupolizeilichen Vorschriften nicht genügt. Arbeiterrisiko. In höchste Lebensgefahr zu ertrinken gerieth gestern srüh gegen 7 Uhr der aus Zerpenschleuse mit seinem Kahn an der Marschalls-Vrücke liegende Schiffer Paul Neumann. Derselbe hatte Mauersteine ans Land zu bringen und befand sich gerade auf dem Steg, der das Schiff mit dem Lande verbindet, als das Brett plötzlich zusammenbrach und er sammt der Karre ins Wasser stürzte. Auf seine Hilferufe eilten einige in der Nähe der Unglücksstelle beschäftigte Arbeiter her- bei, denen es mittels langer Stangen nach vielen Bemühungen gelang, den fast Leblosen aus dem Wasser zu ziehen. Ein schnell hinzugezogener Arzt mußte lange Wiederbelebungsversuche an- stellen, die endlich auch nnt Erfolg gekrönt waren. Vom grünen Tisch des Magistrats. Ein ungeheurer Spektakel, welcher durch Freiheitsberaubung mehrerer hundert Personen hervorgerufen wurde, entstand gestern Vormittag in der Engros -Markthalle in der Neuen Friedrichstraße. Durch eine vor wenigen Tagen erlassene Verordnung des Markthallen- Kuratoriums ist bestimmt worden, daß die obige Halle Punkt 10 Uhr Vormittags geschlossen werden soll. Pünktlich, zur fest- gesetzten Zeit, um 19 Uhr, als sich noch der größte Theil der Käufer und Verkäufer in der Halle befand, erschienen die Pförtner derselben und schloffen die jammtlichen Thüren und Ausgänge zu. Alles Jntervenire» der Gefangenen nützte nichts, Schutz- leute und Polizeilieutenants, Käufer und Verkäufer verblieben alsGefangene" in der Halle, bis endlich gegen»11 Uhr, nach­dem die Eingeschlossenen'gedroht, alles zu demoliren. geöffnet wurde. Die vom grünen Tische her erlassene Verordnung scheint die Verhältnisse des praktischen Lebens außer Acht gelassen zu haben; vielleicht liegt auch ein Mißverständniß der ausführenden Beamten vor. Die Eiseubahn-Verwaltnng spart sehr am««rechten Ort. Der Bahnsteig auf dein Anhalter Bahnhof ist gesperrt. Man hat aus Ersparnißrücksichten die drei Zugänge zum Bahn- steige an den Thüren besetzt, wo jetzt alle Fahrkarten durchlocht werden. Hierdurch soll, wie verlautet, die Möglichkeit geschaffen werden, daß künftig nur ein einziger Schaffner jeden Zug be- gleitet. Ueber die Folgen dieser Maßregel für das Publikum wird uns berichtet: Wer einen ankommenden Bekannten oder Verwandten erwartet und seinen Obolus für« die Bahnsteigkarte geopfert hat, kann, wenn er oben die oft beträchtliche� Ver- spätung des Zuges erfährt, nur unter Verlust der 19 Pf. den Bahnsteig verlassen oder muß auf dem zugigen Platze ausharren. Die Wartesäle kann er nicht vom Bahnsteig aus betreten; denn alle dahin führenden Thüren tragen schwarz aus weiß die Bezeichnung:Geschlossen". Ebenso geht es solchen Personen, die kurz vor Abgang eines Zuges ein- treffen, ihre Abtheilung aber nicht mehr erreichen. Sie müssen mindestens den Versuch machen, die Erlaubniß des Stations- Vorstehers zum Verlassen des Bahnsteigs zu erwirken, um nicht der Fahrkarte verlustig zu gehen. Was das bedeutet, kann man ermessen, wenn man bedenkt, daß auch Vorortzüge nach verschie- denen Richtungen von jenem Bahnhofe abgehen. Daß auch der Oekonom , der seine Pacht an die Behörde zahlt, durch die Neu- einrichtung leidet, ist klar. Aber auch an wunderlichen Zwischen- fällen fehlt es nicht. Ein in der Werkstatt des Bahnhofes be- schäftigter Arbeiter wollte vorgestern Abend um 7V» Uhr seinen Nachhauseweg über den Bahnsteig durch den Ausgang nach der Möckernstraße nehmen. Auch ihm wurde eine Karte abverlangt, und er mußte sich, da er eine solche nicht hatte, in die Werkstatt zurückbegeben und auf einem anderen Wege entfernen. Ein an- derer Bericht theilt noch mit: Großer Unmuth herrscht in Lichterfelde gegen die Eisenbahnverwaltung der Potsdamer Bahn über die allzuweitgehende Ausnützung der Räume des dortigen Bahnhofs zur Anbringung von Reklamen und über die Zurück- Weisung des unentgeltlichen Anschlags wichtiger Kommunalsachen. So ist z. B. die fernere nnentgeltliche Aushängung des am Bahn- Hofe angebrachten Ortsplanes von der Eisenbahnverwaltung jetzt endgiltig abgeschlagen worden, während andererseits die Reklame- tafeln förmlich überhand nehmen. In bezug auf letzteren Punkt hat nunmehr der Gemeindevorstand von Groß-Lichterselde dem dortigen Westverein mitgelheilt, daß in Verfolg eines schon 'rüher dagegen ergangenen Gesuches jetzt wiederum die erforder- ichen Schritte gethan werden sollen. Und betreff des Orts- planes hat der Westverein beschlossen, die erwähnte, als un- erhört bezeichnete Thatsache im weitesten Umfange bekannt zu machen. ") Das will aber sehr klug und vorsichtig gemacht sein. Sonst arbeitet man für die pfäffisch-monarchische Reaktion. Auch in Deutschland gab es eine Zeit lang Sozialisten, die den Kampf gegen die Fortschrittspartei für die Hauptsache hielten sehr zur Freude der Stöcker und Bismarck . Heute hat diese Taktik keine Anhänger mehr. Red. desVorwärts". Tod eines sspielenden Kindes durch Neberfahreu. Ein chwerer Unglücksfall, der den Tod eines Kindes herbeiführte, er- eignete sich gestern Abend SVs Uhr vor dem Hause Greifswalder- straße. Daselbst spielten mehrere Kinder Versteck, darunter der 8 Jahre alte Knabe Heinrich Schlüter; derselbe lief blind- lings in einen vorbeifahrenden Kohlenwagen hinein, wurde von der Deichselstange erfaßt, zu Boden gerissen und ehe es der Kutscher verhindern konnte, ging dem Knaben das Vorderrad über Brust und Beine. Mit noch schwachen Lebenszeichen wurde der Be- dauernswerthe nach der elterlichen Wohnung getragen und schleu- nigst ein Arzt geholt. Derselbe konnte nur noch den bereits ein- getretenen Tod durch Verblutung feststellen. Dem Kutscher trifft nach Angaben von Zeugen keine Schuld. Paletotmarder. Ein Spezialist unter den Dieben, der die Wartezimmer der Aerzte während der Sprechstunden plünderte, ist in der Person des erst im Juli d. I. aus dem Gefängniß entlassenen Willi S. von der Kriminalpolizei ermittelt und ver- haftet worden.