Nr. 79. 29. Iahrgaas. 1 KcilU des Jormärts" Kerlim MM. MM«ch. z. April lAZ. ein fraircölisch-dentlches Parteifeit. Paris , 31. März.(Etg. 93er.) Die internationalen Kundgebungen des vergangenen kriti schen Sommers haben gestern ein freudiges Nachspiel erhalten. Die französischen Parteigenossen hatten nach dem Wahlsiege der deutschen Sozialdemokratie den Beschluß gefaßt, ihre brüderliche Mitfreude festlich kundzugeben. Jnnerpolitische Verhältnisse, besonders die Abhaltung des Parteitages im Februar, machten eine Verzögerung nötig. Aber der groß- artige Verlauf der gestrigen Manifestation hat bewiesen, daß die Vertagung dem Interesse, das die französischen Sozialisten dem Kampf der deutschen Genossen entgegenbrachten, keinen Abbruch getan hat. Es war von Anfang an bestimmt, daß die internationale Tendenz der Kundgebung in der Form der Veranstaltung selbst zutage treten sollte. Die Organisation wurde in die Hände der Verwaltungskommission der ge einigten Partei und des deutschen sozia listischen Leseklubs gelegt. Der deutsche Partei v o r st a n d delegierte Genossen Scheidemann , die elsaß -lothringische Landespartei den Ab geordneten von Metz , Genossen Dr. W e i l l, der nach den abgehausten Politikern, die hier bei den Reaktionären ständige Gäste sind, einmal die Stimme des Volkes seines Landes zur Geltung bringen sollte. Die Versammlung hatte ein außerordentliches Interesse wachgerufen. In der Salle Wagram, einem der schönsten und größten Versammlungsräume von Paris , waren schon lange vor der in Paris für den Versammlungsbeginn üblichen Zeit alle Räume dicht gefüllt und die Späterkommenden fanden nicht mehr alle Platz. Im ganzen waren an 6000 Menschen da, vorwiegend französische Arbeiter, aber auch sehr viel Deutsche und Russen. Auch die Kreise der französischen Intellektuellen hatten viele Besucher gestellt. Die Versammlung wurde mit der„Internationale" er öffnet, die der sozialistische Orchesterverein des XII. Arrondisse- ments vortrug. Die Menge sang das Lied mit und brachte Hochrufe auf die Internationale aus. Hierauf schlug Ge- nosse D u b r e u i l h. Sekretär der geeinigten Partei, folgendes Bureau vor: Vorsitzender: Genosse Vaillant, Beisitzer: Genosse B a b i o n. Vorsitzender des deutschen Lese- klubs, und R i e b k e. Sekretär des Pariser deutschen Ge> Werkschaftskartells. Die Wahl erfolgte mit Akklamation. Dubreuilh verlas ein Begrüßungsschreiben des Genossen Jules G u e s d e. dem sein Gesundheitszustand den Besuch der Versammlung, in der er das Wort ergreifen sollte, der- sagt hat. Genosse Saillant(mit Hochrufen auf die Kommune begrüßt) gibt der Genugtuung über den zahlreichen Besuch und über die Teilnahme der deutschen Delegierten Ausdruck: Wir feiern hier ein Familienfest. Der Sieg der deutschen Sozialdemo- tratie hat uns gleich einem eigenen Sieg gefreut. Der Redner erinnert an die Aktion, die das internationale Pro« letariat— und das deutsche mit besonderer Energie— im vorigen Jahre gegen den Krieg geführt hat. Die deutsche Wahlbewegung war eine Fortsetzung dieses Kompfes. Der Sieg der Sozial« demokratie war für uns keine Ueberraschung, denn er war die logische Folge der in Deutschland geleisteten Parteiarbeit. Vaillant schildert die deutsche Wahlkampagne, die das Prinzip nie aus dem Ange ließ und entschieden antimilitaristisch und anti- kakonialislisch war. Er schließt mit der Bitte an Scheidemann und Dr Weill, den deutschen Genossen zu sagen, daß die französischen mit ihnen eins sind im Kampf gegen den Krieg und für die Emanzipation des Proletariats.(Stürmischer Beifall.) Dubreuilh(für den Conseil National ) begrüßt die deutschen Redner: Die vergangenen Monate haben uns gezeigt, daß sich etwas in der Welt geändert hat. Wir haben an Selbstbewußtsein gewonnen. Die Internationale will heute eine Realtität werden. Wohl ist die Habgier der Herrschenden noch immer lebendig, noch werden diplomatische Intrigen gesponnen. Aber die Herrschenden wissen jetzt, daß unsere Macht wächst, die in internationaler Ver- brüderuug die neue Gesellschaft errichten wird.(Beifall.) Grumbach (für den deutschen Leseklub): Wir wollen hier zeigen, daß die große Mehrheit des deutschen Volkes den Chauvinismus ver- wirft In diesem Augenblick gibt es keine Grenze.(Beifall.) Der Redner erinnert an Jaurös letzte Rede über Elsaß-Lothringen . Auch die deutsche Sozialdemokratie— sie allein in Deutschland — braucht sich nicht zu scheuen, über diese Frage zu reden. Sie hat stets die Rechte der Nationalitäten auf die Erhaltung ihres Volkstums an- erkannt. Aber wenn wir Elsaß-Lothringen die freie Selbstverwaltung geben wollen, so wollen wir nicht sein Schicksal durch den Krieg enl« scheiden.(Anhaltender Beifall.) � Hierauf.ergreift, stürmisch begrüßt, Dr. Wetll das Wort. Er führt, oft von Applaus unterbrochen, in französischer Rede folgendes aus: Auf dem Siege nach CancaSHIre. (Von unserem Korrespondenten.) Pontypool, 30. März. Da? Eisenbahnnetz des Landes ist vollständig desorganisiert. Die Zahl der Züge ist sehr gering und ihre Fahrzeit ist höchst un- gewiß. Nicht einmal die Stationsvorsteher können einem Auskunft geben. Nur die Fahrpreise sind dieselben wie früher— sehr hoch. Man springt in einen Zug und hofft, daß einem der liebe Gott gnädig ist und nach seinem Ziele führen wird Hätten die Reisenden von Merthyr nach Manchester nicht einen weilen Umweg über Bristol und Derby gemacht, so hätten sie nicht weniger als 8 Stunden in Pontypool au' einen Zug warten müssen. Das einzig Gute ist, daß die verschiedenen Eisenbahngeiellschaslen ein Abkommen getroffen haben, nach d�m sie sich gegenseitig verpflichten, alle Reisenden zu befördern, mit welchen Billetten sie auch versehen sein mögen. Auf Grund dieses Abkommens gelang es uns, etwa hundert Kilometer umsonst zu, fahren. was allerdings kein ungemischtes Vergnügen war. Dieses Arrangement, das der Bergarbeiterstreik den Gesellschaften aufgezwungen, dürfte übrigens die Konzentration in der Eisenbahnindustrie Großbritanniens , die vor etwa vier Jahren kräftig einsetzte, sehr beschleunigen. Die Ge- sellschaften haben jetzt eine Gelegenheit, die wirtschaftlichen Vorteile eines einheitlichen Systems praktisch zu studieren. Noch weniger zahlreich als die Personenzüge sind die Güterzüge. Die leeren Waggons stehen zu Hunderten an den Knotenpunkten der Bahnen. Die wenigen Wagen, die gefüllt sind, enthalten fast nur Kohlenstaub, den man jetzt in großen Mengen von den Zechenplätzen fortschafft. Vermischt mit dem Staub sind kleine Kohlenftückchen von der Größe einer Erbse oder Bohne. Das Zeug kostet den Kohlenbesitzern gar nichts. Denn hier in Wales wird der Arbeiter nicht für»through and through* Kohle, das heißt für Die Sozialisten Elsaß -Lothringens find glücklich, hier kundgeben zu können, tckie tief sie den Ideen der Internationale und des Friedens ergeben sind. Der Anteil, den wir an den Januarsiegen haben, erlaubt uns, diese Gedanken für unser Land in Anspruch zu nehmen und die Chauvinisten auf beiden Seiten der Grenze einander gleichzustellen. Wir haben 110 000 Stimmen aufgebracht und zu unserem Besitz Straßburg und Mülhausen Straßburg -Land, Kolmar , den Sitz unserer Nationalisten, und Metz , die Hauptstadt des brutalsten Militarismus hinzugewonnen. Wir hoffen aber, daß das nur ein Anfang ist und daß bald ganz Lothringen , namentlich das französische Lothringen mit seinem ungeheuren Kohlenbecken und seinen Hochöfen diesem Beispiel folgen wird. Dieses Arbeiterland mutz dem Sozialismus gehören. Durch ihre Abstimmung hat die Bevölkerung Elsaß -Lothringens gegen den Mißbrauch protestiert, den die Wirrköpfe des Nationalis- mus mit der Vergangenheit und den schmerzlichen Krisen ihres Landes treiben. Elsaß-Lothringen hat diejenigen, die sie zum Vorwand für eine Politik kriegerischer Provokationen nehmen wollen, Lügen gestraft. Es will den Frieden durch den Sozialismus. Wir wollen nicht unsere nationale Persöw lichkeit aufgeben. Der sozialistische Internationalismus kann nicht mit der Negation der nationalen Idee verwechselt werden. Wir streben das Einvernehmen aller Länder und aller Nationen an. Die Nation aber ist die Gemeinschaft der Sprache, der Geschichte, der Traditionen, wie sie sich in der Seele eines Volkes und in allen seinen Bestrebungen kundgibt. Und der Sozialismus, der den vom Kapitalismus Enterbten alle Güter und Ergebnisse der Kultur zugänglich machen will, sollte die un- schätzbaren nationalen Werte bestreiten oder gar bekämpfen I Er hat im Gegenteil immer die unterdrückten Nationen verteidigt, er strebt das internationale Einvernehmen der frei konstituierten Nationen an. Elsaß-Lothringen weiß wohl, daß e» in den schwierigsten Augenblicken nur durch den Sozialismus verteidigt worden ist. In- dem es zu den Triumphen des Sozialismus beigetragen hat und sich mit Ihnen und der ganzen Internationale darüber freut, fühlt es wohl, daß der Sieg der Partei, weit entfernt davon, seinen nationalen Charakter zu bedrohen, es im Gegenteil vor den Brutalitäten des Chauvinismus beschützt, der in Deutschland genau so viel wert ist, wie in Frankreich. (Heiterkeit und Beifall.) Unser nationaler Charakter ist aber ganz und gar nicht derart beschaffen, wie ihn unsere Reaktionäre, die sich in Paris von allen Aniirepublikanern applaudieren lassen, hinstellen möchten. Wir im Elsaß haben in der Geschichte sicher mehr französische als deutsche Einflüsse erfahren. Es ist namentlich die große Revolution, die das politische Denken bei uns geformt hat. Aber muß nicht gerade darum Elsaß-Lothringen über die Siege der Sozialdemokratie Freude empfinden? Der Sozialismus ist eS, der die Re- volution fortsetzt und vollendet. Und die wahre Pflicht, die die politischen Traditionen unserem Land auferlegen, ist die Verwirklichung— heute innerhalb Deutschlands — der Forderungen der Sozialdemokratie. Dies ist die Revanchel (Beifall.) Der Kultus der Vergangenheit und unsere Hoffnungen ver- einigen sich in der sozialistischen Aktion. Der endgültige Sieg des Sozialismus wird der Sieg der unterdrückten Nationen sein. In der Internationale wird Elsaß-Lothringen seine Freiheit erringen. An diesem Tage aber werden die blauen Höhen der Vogesen und das Stromband des Rheins keine barbarische, trennende Grenzscheide der Nationen sein, sondern die Völker werden sich hier in einer großen, menschlichen Verbrüderung vereinen. Scheidemann , mit stürmischen Ovationen empfangen, hält in deutscher Sprache folgende Rede, die hernach vom Genossen G r u m b a ch übersetzt wird: Ich schätze mich glücklich, vor Ihnen sprechen zu können als der Delegierte der deutschen Sozialdemokratie. Als Vertreter von mehr als 1'/« Millionen deutscher Männer, die das 25. Lebensjahr vollendet haben, darf ich Ihnen sagen, daß sie mit Ihnen in Freundschaft leben, daß sie den Frieden wollen. Es ist eigentlich beschämend, dergleichen noch versichern zu müssen> denn es müßte selbst- verständlich sein. Wir Sozialdemokraten sind gewohnt, die politischen Erscheinungen auf ihre wirtschaftlichen Ursachen hin zu prüfen, und deshalb sind wir imstande, das, was man den nationalen Egoismus nennt, zwar nicht subjektiv zu billigen, aber objektiv zu begreifen. Wir wissen, daß der nationale Egoismus nichts anderes ist als der Egoismus einer herrschenden Klasse, der sich über die Interessen der Massen des eigenen Volkes mit der gleichen Brutalität hinwegsetzt, wie über die des Auslandes.— Aber das, was die Schürer des deutsch - französischen Gegensatzes treiben, hat mit dergleichen nichts zu tun. Dieses Treiben ist nicht nur absolut, sondern auch, soweit das Interesse der herrschenden Klasse in Betracht kommt, relativ bis zum Wahnsinn unvernünftig. Das ist nicht nationaler Egoismus, sondern Entäußerung jeglichen nationalen Jnteressenstandpunkts infolge einer fixen Idee— ist nationaler Doppel selbstmord. Wo auf dem Weltmarkt die konkurrierenden Jndustriekapitalisten einander den Rang abzulaufen suchen, da entstehen zwischen den herrschenden Klassen Haß und Streit und darum ist der deutsch -eng- tische und der deutsch -amerikanische Gegensatz immerhin begreiflich wenn auch tief bedauerlich. Nun aber sind die deutschen Kapitalisten vorwiegend industrielle Unternehmer, die französischen aber Händler und Finanziers und es ist überall in der Welt die Regel, daß der Jndustriekapitalist zwar mit seinesgleichen in Feindschaft, aber mit dem Finanz- und Handelskapitalisten in Frieden lebt. Wenn darum, auch vom Standpunkte der herrschenden Klasse aus, die gesamte Kohlenmenge, die er hinaufschickt, bezahlt, sondern nur für Stückkohle. An der Oberfläche der Grube wird die Stückkohle sofort von der Kleinkohle getrennt und dem Hauer nur das Gewicht der ersten angeschrieben. So wird aus der Tonne Kohle, d�ie der Arbeiter fördert, nur drei Viertel Tonne oder gar nur eine halbe Tonne. Und mit diesem unbezahlten Abfall machen die Kohlenbesitzer jetzt ein Bombengeschäft. Mein Reise- und Leidensgefährte war ein Kaufmann aus Nottingham , der die Arbeiterdörfer durchreiste und Weißwaren und Wollwaren an Privatkundcn verkaufte. Er versicherte mir, daß die Geschäfte durchaus nicht so schlecht gingen, als man annehmen könnte. Viele Bergarbeiter hätten noch immer Geld, um seine Waren zu kaufen. Er sprach über den Kohlenarbeiterstreik von dem Standpunkt eines Mannes aus, für deu die ganze Nation aus Geschäftsleuten besteht, um deren Schicksal sich der ganze Trubel dreht. Er hatte aber Sympathie mit der Minimallohnforderung einer Kunden, wie leicht verständlich ist. Nur hatte seine Sympathie mit der Arbeiterschaft Grenzen; denn er beschäftigte selbst eine Reihe Angestellte. „Die Forderung der Bergarbeiter, daß ein erwachsener Mann, der in der Erde arbeitet und Leben und Gesundheit aufs Spiel setzt, mindestens 6 Schilling den Tag verdienen soll", so hob er an, „scheint mir absolut gerechtfertigt. Nur bin ich der Ansicht, daß der Arbeiter dem Unternehmer auch eine gewisse Kohlenmenge garantieren 'ollte." Ich setzte ihm auseinander, daß dies im Bergbau unmöglich sei; denn der Arbeiter könne nicht für die Beschaffenheit der Arbeitsstelle und die Leitung der Grube, von welchen Umständen der Wert seiner Arbeitsleistung abhinge, verantwortlich gemacht werden. Er gab dies auch schließlich zu und fing au üster die Verderbtheit der Menschen zu moralisieren. Aller Fortschritt sei nur illusorisch. Dann kam er auf die Alkoholsrage zu sprechen und versicherte mir, daß der Alkoholgenuß wieder im Steigen begriffen sei. Ich erklärte ihm, daß ich mich in dieser Frage frei von jeder Schuld wisse; ich genösse nur wenig Alkohol, weil er mir nicht bekömmlich sei. Das gab dem zwei Länder dazu berufen sind, im besten Einverständnis zu leben, dann sind es Deutschland und Frankreich . Und in der Tat haben wir es ja auch erlebt, daß die Logik der Wirt- schaftlichen EntWickelung über die chauvinistischen Ideologien zur Tagesordnung übergegangen ist, daß französische Geldkapitalisten und deutsches Unternehmertum untereinander Bündnisse eingegangen sind, um das deutsche und das französische Proletariat oder auch fremde Völker gemeinsam auszubeuten. Hier ist die nationale Phrase nicht der konkrete Ausdruck vorhandener Interessengegensätze, sonder» nur die gedankenlose Formel einer überlebten Konvention und die vollendete Heuchelei. Ihr seid so einig, können wir den herrschenden Klassen in Deutschland und Frankreich zurufen, daß Ihr in der ganzen Welt Eure Geschäfte miteinander betreibt. Ihr seid so einig, den Profit miteinander zu teilen, den Ihr aus der Ausbeutung deutscher und französischer Arbeiter zieht. Ihr seid so einig, daß ihr beide in der aufstrebenden Macht des Proletariats Euren gemeinsamen Feind seht, den Ihr nach Kräften niederzuhalten bestrebt seid. Warum seid Ihr nicht auch einig, uns die furchtbare Last der Rüstungen ab- zunehmen, die uns schier erdrücken, um für alle Zeit das scheußliche Gespenst zu verscheuchen, das uns bedroht und dessen Existenz dauernde Qual und Schande für zwei große zivilisierte Völker be« deutet— den Gedanken eines neuen Krieges I? Krieg! Ihr wißt eS diesseits, und wir jenseits der vogesen wiffen, was der Krieg bedeutet. Aber was heutzutage daS schlimmere Schicksal für ein Volk wäre, zu siegen oder besiegt zu werden, wer vermag das zu entscheiden? Mehr als 41 Jahre find verflossen, seit ich als Kind den letzten französischen Kaiser Napoleon Hl. auf Wilhelmshöhe bei meiner Vaterstadt Kastel ge« sehen habe. Aber mehr habe ich damals gesehen: Zerschossene und verkrüppelte Soldaten, Deutsche und Fran- z o s e n. Mein eigener Vater ist an den Strapazen des Kriege? als Mann von 37 Jahren gestorben. Ich hasse den Krieg, wie ich den Militarismus hasse, und mein Leben gehört dem Kampfe wider den Militarismus und wider den Krieg. Und wie ich, so denken und kämpfen in Deutsch - lattd Millionen. Das haben uns neuerdings jetzt wieder die Wahlen zum Reichstag bewiesen. Es gibt keinen Wähler im Deutschen Reiche, dem unsere Gegner nicht hundertmal gesagt haben, daß wir den gewaltsamen Umsturz wollen, daß wir Feinde der Armee, der Monarchie, des Vaterlandes seien. Der Erfolg war, daß wir eine Million mehr Stimmen erhielten, als in dem Jahre 1907. Es scheint demnach, daß ungeheure Massen der Wähler sich gesagt haben: Wenn diese Sozialdemokraten von der bestehenden Ordnung keinen Stein auf den anderen lasten wollen, dann sind sie uns gerade recht. Millionen Wähler stimmten für uns, obwohl ihnen un- zählige Male gesagt worden war. daß wir bei der Marokko - k r i s e des vorigen Jahres unser Vaterland schnöde im Stich ge- lassen und mit dem Hochverrat gespielt hätten. Sie stimmten für uns, obwohl man versucht hatte, uns mit allen Hunden eines ent- fesselten Chauvinismus aus dem Felde zu hetzen, und so darf ich denn mit Recht sagen, daß die Mahlen im Januar dieses Jahres das schlimmste Fiasko bedeuten, das der nationalistiscljc Geist in Deutschland jemals erlebt hat. Ich darf es offen aussprechen: sie bedeuten eine starke Hoffnung im Sinne jenes dauernden wirklichen unzerstörbaren Friedens, den wir anstreben. Sie bc- deuten ein Frtthlingserwachen friedlicher Kulturgcsinnung nach Jahrzehnten rauhen Kriegssinnes und brutaler Willkür. Unsere Wahlen bedeuten— ich will mich vorsichtig ausdrücken— noch keine unbedingt zuverläßliche Sicherung gegen jeden Krieg, wohl aber eine ausreichende Gewähr dafür, daß Deutschland niemals einen leichtfertigen Angriffskrieg gegen eine fremde Macht unternehmen wird. Denn mit vielen Millionen Sozialdemokraten im Laude kann keine Regierung einen Angriffskrieg wagen. Und so wird die Hoffnung zur Gewißheit, daß das deutsche und französische Proletariat in gemeinsamer brüderlicher Arbeit wohl imstande ist, den Raufbolden diesseits und jenseits der Vogesen rechtzeitig die Waffen aus der Hand zu schlagen. Es gilt in beiden Ländern die Ueberzeugung zu festigen, daß es in ihnen nie Wieden zum Kriepe kommen kann, kommen darf, kommen wird. Von den verbrecherischen Illusionen eines solchen Krieges lebt der Militaris- mus beider Länder; ohne sie wird er überflüssig, lästig und lächcr- lich. Er kann nicht leben von einer Vergangenheit, die weit hinter uns liegt oder von einer Zukunft, die niemals kommen darf. Das Lebenselement des Militarismus ergibt eine Gegenwart, die mit Kriegsgefahren geschwängert zu sein scheint. Er muß die Völker in ständiger Kriegsfurcht erhalten, um seine erpresserische Schmarotzer- existenz fristen zu können. Alle Vernunft und jedes Interesse beider Völker, von einer winzigen Minderheit der Kriegsspekulanten, abgesehen, drängt zum Frieden und zur dauernden freund- schaftlichen Verständigung zwischen Frankreich und Deutschland . Wir kommen dem Ziele immer näher, und wenn wir es mit leiden- schaftlicher Energie zu erreichen suchen, werden wir es erreichen. Es soll in Deutschland keine Kanone gegossen werden in Gedanken an Frankreich . Und es soll in Frankreich kein Soldat einexerziert werden in Gedanken an Deutschland . Die herrschenden Klasten mögen sich hüten, ihre leßtr Karte auf einen kriegerischen Zusammenstoß im Herzen Europas zu setzen. Sie könnten dieses Spiel verlieren und ihren eigenen Untergang nur beschleunigen..> Wir wollen den Frieden! Wir wollen aber nicht den Frieden wie er jetzt ist, diesen nervenzerrüttenden Waffenstillstand bis zu einm Ungewissen Termin, sondetn denFrieden, der ungestört bleibe von jedem Gedanken an ein möglfflfies Ende. Wir wollen den Frieden, der nicht gestützt wird durch neue Militärvorlagen, Kaufmann eine Gelegenheit, über mich zu triumphieren. Er be- merkte mit großer Genugtuung, daß er seit Jahren strenger Abstinenzler sei; was bei mir der physischen Abneigung entspringe, di bei ihm die moralische Ueberwindung: „Wissen Sie," sagte er,„bei all diesem Jagen nach Wohlstand und Glück vergessen die Menschen den moralischen Faktor. Viel wichtiger als hohe Löhne und dergleichen ist die Gnade GotteS , die der Mensch iin Herzen fühlen mutz." Dieser Sprung von der Oetonomie in die Theologie brachte mich etwas in Verwirrung; aber es gelang mir doch einzuwenden, daß das zufriedene Gemüt doch eine solide materielle Unterlage haben müsse.. Das Endresultat unserer ökonomisch-theologischen Diskussion war, daß der Kaufmann aus Nottingham zur Ansicht gelangte, daß er ein Freund der Sozialreform sei, nur müsse sie maßvoll betrieben werden. Augenblicklich könne es dem Lande nicht schudei:. wenn einmal auf ein paar Jahre Halt gemacht würde. Das Land müsse Ruhe haben. Die Regierung ruinie-e die Partei unser Kaufmann war ein Liberaler); schuld an dem Verlust Süd- Manchesters sei das Versicherungsgesetz. Ihm selbst werde die Ber- icherung 1ö Pfd. Sterl. im Jahre kosten und er habe im vergangenell Jahre nur 3>/z Proz. an seinem Kapital verdient. Vor allen Dingen müsse das Land jetzt Ruhe habey. Ich versicherte ihm, daß daran nicht zu denken sei, daß ber Stein, den die Bergarbeiter ins Rollen gebracht, nicht aufgehalten werden könne, daß sich die Arbeiter in anderen Berufen schon an- chickten, gleich den Bergarbeitern einen Minimallohn zu fordern, daß auch die Textilarbeiter... Diese Ausführungen stimmten ihn melancholisch. Er begann, eine Ansicht über den Minimallohn zu qualifizieren und zu rcvi- diercn. Als ich den Kaufmann aus Nottingham verließ, schien eS mir, daß die konservative Partei in Nottingham bald einen neuen Rekruten erhalten wird,
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