Am Sonntag hat tn Berlin eine freie Kommission unter dem Borsitze des Landtagsabgeordneten Dr. Friedberg getagt die es sich zur Aufgabe gemacht hatte, den Versuch einer Ber- ständigung zwischen den Gegensätzen zumachen, die auf der letzten Zentralvorstandssitzung zutage getreten sind. Das Ergebnis dieser Verhandlung ist ein Kompromisivorschlag, der jetzt den einzelnen Gruppen zur Begutachtung und Entscheidung vorliegt. In einer Woche wird die Bescblusifassung der in Frage kommenden Organisationen erfolgen und im Falle der Annahme der Antrag gemeinsam von den Jungliberalen und den Gegnern eingebracht werden, so daß damit der eigentliche Anlaß zur Einberufung des Parteitages am 12. Mai in Wegfall käme. Der Parteitag hätte dann Gelegenheit— was unS auch wesentlich nützlicher erscheint—, sich mit der politischen Lage zu beschäftigen. Die Frage ist uur, ob die Anhänger BassermannS sich auf dieses faule Manöver einlassen werden. Frankfurter Universität. Wie telegraphisch aus Frankfurt a. M. gemeldet wird, haben die Stadtverordneten in ihrer gestrigen Sitzung nach dreistündiger Erörterung über die llniversitätsfrage in namentlicher Abstimmung die MogistratSvorlage mit 43 gegen 26 Stimmen angenommen. Die dichlgesüllte Galerie begrüßte das Ergebnis mit lautem Beifall. Der Vorsitzende, Geheinrer Justizrat Friedleben, bemerkte, daß die Stadlvertrelung noch selten einen Beschluß von so weittragender Bedeutung gefaßt habe, wie heute. Er hoffe, daß der Beschluß der Stadt zum Segen gereichen werde. Versprechen und Halten. In einer von Gemeindebamten aus allen Teilen Bayerns zahlreich besuchten Versammlung in München , der auch Vertreter der Regierung und aller Parteien des Landtages beiwohnten, wurde nach eingehenden Referaten einstimmig eine Resolution an- genommen, in der das Erstaunen ausgedrückt wird, daß die Staats- rcgierung trotz der früheren bündigen Zusagen nicht mehr gewillt ist. dem gegenwärtigen Landtag den versprochenen Gemeinde- bcamtengesetzentwurfs vorzulegen. Die Gemeindebeamten emp- finden dies als eine schwere Zurücksetzung ihres Standes und richten an den Landtag die Bitte, der Staatsregierung gegenüber durch einstimmigen Beschluß die Bereitwilligkeit zur Behandlung des Gesetzentwurfs noch in dieser Session zu erklären. Die Staats- regierung wurde um baldige Vorlage des Entwurfs ersucht. Zur Maifeier. Das oldenburgische Staatsministcrium verbot die öffentlichen Umzüge bei der Maifeier in Rüstringen . ES ist das erste Mal. daß dort der Maifeierumzug verboten wird. Hoffentlich geben die Wähler im Rüstringcr ReichStagswahlkreisc am 26. April auf dies? gänzlich ungerechtfertigte Maßnahme die richsige Antwort! Neben den Behörden sind auch die Scharfmacher an der Arbeit, den Arbeitern ihren Weltfeiertag zu nehmen. Der Arbeitgeber- schutzverband für das deutsche Holzgewerbe, die Freie Vereinigung der Holzindustriellen von Groß-Berlin, der Zentralvorstand der Bautischlermeister Berlins und Umgegend, sowie die Berliner Metallinduftriellen u. a. Verbände haben beschlossen, jeden Arbeiter, der am 1. Mai feiert, zu entlassen und vor Montag, den 6. Mai, nicht wieder einzustellen._ Kadavergehorsam bis i«S Lazarett! Der Soldat WilmS vom Grenadierregiment Nr. 161 war im Dezember v. I. im Dresdener Garnisonlazarett untergebracht. Hier soll er dadurch gegen die Lazarettbestimmungen verstoßen haben, daß er eines Sonntags Geschwistern von sich vom Fenster aus zu- winkte! W. durfte am fraglichen Tage keinen Besuch empfangen. bat aber trotzdem mit seinem Bruder aus dem Korridor ein paar --Worte gewechselt. Vom Sanitätsunteroffizier dieserhalb zur Rede gestellt, hat er geäußert:„Ich kann doch vor ineinen Bruder nicht ausreißen!" W. soll dann einige Befehle unbefolgt gelassen, eine unmilitärische Haltung eingenommen, die Hacken nicht fest zusammen- genommen und mit den Händen herumgefuchtelt haben! Der leicht erregbare und an einer Nervenkrankheit leidende Mann wurde wegen dieses Vorfalls zu der äußerst harten Strafe von 21 Tagen strengen Arrest! verurteilt, wegen Achtungsverletzung, Un- gehorsams und Beharrens im Ungehorsam— im Lazarett! Dagegen legte W. Berufung ein. Es nützte jedoch dem kranken Mann nichts. Die Berufung wurde verworfen! Das Dresdener Kriegsgericht ist der Meinung, daß die vom Standgericht verhängte Strafe durch- aus angemessen ist, denn es sei schon berücksichtigt worden, daß zur fraglichen Zeit eine„geringe Beeinträchtigung der Willensfreiheit' vorgelegen hat l Vle Mimn in JMarohfco. Paris , 23. April. Nach den Berichten der Blätter aus Fez kann es keinem Zweifel unterliegen, daß der Auf- st a n d der marokkanischen Soldaden einem wohl vor- bereiteten Plane entsprang. Alle Soldaten des Machsen überfielen ihre Jnstruktionsoffizierc, machten mehrere nieder unb zogen dann durch die Straßen, wobei sie ausriefen, der Augenblick sei gekommen, um die Euro- päer davonzujagen. Die Bevölkerung jubelte ihnen überall mit großer Begeisterung zu. Furchtbare Szenen spielten sich beim Angriff der Marokkaner auf das Haus der französischen Telegraphiften ab. Die Angreifer erstiegen die Terrasse und durchbrachen sie, um in das Innere des Hauses zu gelangen. Da sie zurückgeschlagen wurden, schleuderten sie durch das Loch brennende Balken hinein und schütteten Pc - troleum darauf. Erst dann konnten sie eindringen und metzelten drei Telegraphisten nieder. Der vierte, welcher einen Selbstmordversuch unternommen hatte, wurde von den Ma- rokkanern als tot liegen gelassen und entkam später. Er erlag jedoch, wie es heißt, der erlittenen Verwundung. Der„F i g a r o" gibt die Zahl der bei dem Aufstand in Fez umgekommenen französischen Offiziere, Soldaten und Staatsangehörigen insgesamt auf 118. die der Verwundeten auf 104 an. Nach einer Meldung aus A r s i l a vom 22. AprU hat der Dschebala-Stamm die schcrifischen Truppen in Arbaua ange- griffen.'' � Mehrere Blätter treten nachdrücklich dafür ein, daß weitere�Truppen nach Marokko entsandt werden, da die gegenwärtig dort befindlichen Streitkräfte durchaus unzu- länglich seien und in dem ungeheuren Gebiet unmöglich über- all die Ausstände unterdrücken und die Ordnung aufrecht- erhalten könnten. Erregung der spanischen Zone. Madrid , 23. April. Wie aus Melilla den Blättern ge- meldet wird, ist von den spanischen Lagern aus eine Gärung unter den Eingeborenen auf dem linken Ufer des Kcrt- fluffes beobachtet worden. Diese Gärung wird auf Aufwiege- lungen der Kabylen zurückgeführt, die aus dein Innern des Landes kommen. Die deutsch -französische Marokkokonfercng. Beru, 23. April. Die schweizerische Gesandtschaft in Paris hat dem Bundesrat uiitgeteilt, daß in ofsizilleu Kreisen die Absicht bestehe, die deutsch.fr an zö fische Kon. ferenz, die in Ausführung des Marokkovertrages die ge- nauen Grenzen der abzutretenden Gebiete am Kongo festsetzen soll, im Mai d. I. nach Bern einzuberufen. Die Konferenä M»«L vier deutschen und vier französischen Delegierten bestehen. Truppeusendungen nach Marokko . Paris , 23. April. Nach einer Blättermeldung erhielt der Gou- verneur von Französisch-Westafrika den Befehl, unver- züglich ein Bataillon Senegalschützen und ein Ba- taillon Fremdenlegionäre nach Marokko zu senden. Ferner heißt es, daß Regnault die Aufstandsbewegung schon vor einiger Zeit befürchtet und die Entsendung von Verstär- k u n g e n verlangt habe, was jedoch rundweg verweigert worden sei. Oeftermeb. Glänzender Erfolg der Sozialdemokraten bei den Wiener Gemeindewahlen. Wien , 23. April. (Privattelegramm des„Vorwärts".) Die Wiener Gemeinderatswahlen brachten- der Sozialdemokratie einen großen Erfolg. Von den 21 zur Wahl stehenden Gemeindebezirken wurden sechs von den sozialdemokratischen Kandidaten, Schuhmeier, Reumann, Winarsky, Skaret, Domes und Wutschel, erobert. In a ch t Bezirken stehen die sozialdemokratischen Kandidaten außerdem noch in Stichwahl. Die C h r i st l i ch- sozialen haben von den bisher von ihnen innegehabten 14 Mandaten nur 3 behaupten können. An 4 Stich- Wahlen sind die Liberalen, die bisher kein Mandat besaßen, beteiligt. Bon den Kandidaten der tschechischen Se- paratisten sind 3 in die Stichwahl gedrängt. Bielohlawek , der Führer der Christlichsozialen, steht in einer Stichwahl, die für ihn sehr schlecht aussieht. Schweiz . Gute Resultate. Zürich , 22, April. (Eig. Ber.) Sonntag Kar für uns ein guter Tag. Im Kanton Neuenbürg ist unser Genosse Graber im zweiten Wahlgang mit 16100 gegen 02S8 Stimmen, die auf seinen freisinnigen Gegenkandidaten fielen, in den National- rat gewählt worden. Die Konservativen hatten Stimmenthaltung beschloffen. Gegenüber dem ersten Wahlgang hat unser Genosse 3176, der unterlegene Gegner 3000 Stimmen gewonnen. Mit Graber hält der siebzehnte Sozialdemokrat seinen Ein- zug in den Nationalrat. In Zürich brachten die Wahlen der Bezirksanwälte(Unter- suchungsrichter) die Wiederwahl unserer Genossen Kaufmann , Heußer und Siegfried sowie die Neuwahl des Genoffen Dr. Hüppi, so daß nun unsere Partei 4 von den 10 Bezirksanwälten in ihren Reihen zählt. Der Versuch unserer Genossen, den bürgerlichen Bezirksanwalt Hensser wegen unbefriedigender Amtsführung durch unseren Genossen Leuthard zu ersetzen, scheiterte an dem Verzweif- lungskampfe der verbündeten Bürgerlichen. Unser Genosse Leut- hard erhielt 11073, Heusser 13133 Stimmen. Die Schuld daran trägt die Arbeiterschaft im sozialdemokratischen AussersihI, die leicht 2000 Stimmen(Leuthard erhielt 5842 Stimmen) mehr hätte auf- bringen und uns den Sieg sichern können. Erfreulich ist auch die Annahme des Proporzgesetzes im Kanton Genf , die mit einer Mehrheit von zirka 700 Stimmen erfolgte. Nach dem neuen Gesetz müssen die Gemeinderatswahlen in allen Gemeinden mit mehr als 3000 Einwohnern nach dem Proporz vorgenommen werden. Also ein neuer Sieg des Proporz- gedankens. Rußland. Der Massenmord in den sibirischen Goldminen. Der Umfang des Arbeitermassakers in den sibirischen Goldminen hat sich, wie wir voraussahen, viel größer er- wiesen, als die amtlichen Mitteilungen ursprünglich angaben. Insgesamt sind 270 Personen getötet und 250 der- w u ndet worden! Der Dumaabgeordnete B e l o u s s o w erhielt von den Arbeitern im Streikgebiete folgendes Tele- gramm, das die Ursachen des Konfliktes und den Verlauf des Blutbades wahrheitsgemäß schildert: „Wir warteten friedlich auf volle Entlohnung und wandten uns an die Rechtsanwälte in JrkutSl mit der Bitte, in Anbetracht der Verletzung unseres Arbeitsvertrages durch die Lenaer Gesellschaft gerichtliche Forderungen- gegen sie ein- zureichen. Anfangs April wurde der Gendarmerierittmeister Treschtschenkow und Soldaten nach den Goldbergwerken geschickt. Unsere Delegierten versuchten wegen unserer Forderungen mit dem Rittmeister, dem der Chef der Polizei Vollmachten erteilt hatte, in Verhandlungen zu treten. Der Rittmeister fuhr sie roh an, überschüttete die Delegierten mit den gemeinsten Schimpfwortcn und jagte sie hinaus. Am 16. April wurden unsere Delegierten, angeblich weil sie sich nicht beim Unter- suchungsrichter zum Verhör eingefunden hatten, verhaftet und nach dem Gefängnis in Bodaibo transportiert. Dabei hatten 10 von ihnen nicht einmal die Aufforderung hierzu er- halten. Da wir die Verhaftung für ungesetzlich hielten, begaben wir uns am 17. April zu dem Bezirksingenieur Tultschinski und dem Rittmeister Treschtschenkow in den Nadeswerken mit der Bitte, die Verhafteten frei zu geben. Während die Menge mit Tultschinski unterhandelte, ertönte das Kommando zum Schießen. 270 Personen sind getötet, 250 verwundet. Tultschinski ist wie durch ein Wunder unver- sehrt geblieben. Nach der ersten Salve legte sich die Menge auf die Erde. Tultschinski lag mitten in der Menge. Man schoß auf Fliehende und Liege ndc.- Jeder feuerte fünfzehn Kugeln ab. Unter den Verwundeten befinden sich zwei Frauen. In der Menge ist ein Landpolizist getötet. Wir wiederholen, daß wir uns keine Gewalttaten erlaubte». Bringt eine Interpellation ein, bemüht Euch, die sofortige Unter- suchung der systematischen ungesetzlichen Handlungen der Direktion der Lenaer Gesellschaft durchzuführen, die zur gesetz- lichen Arbeitsniederlegung der Arbeiter geführt haben, ferner auch die Untersuchung gegen die ungesetzliche Handlungsweise des Rittmeisterz Treschtschenkow zu erzielen, der gegenwärtig um die Einführung des Kriegszustandes und um Truppen- scnduugen aus Jrkutsk petitioniert." Die R e g-i c r u n g versuchte in ihrer ersten Mitteilung über diese grauenhaften Ereignisse die Sache so darzustellen, als lväveir 3000 Arbeiter, mit Stangen und Steinen be- waffnet, gegen das Militärkommando vorgegangen. Im übrigen versuchte sie nach alter Manier, den„Aufruhr" der Arbeiter auf politische Gründe und die„Agitation" des Streikkomitees zurückzuführen, an dessen Spitze angeblich ein Verbannter stand. Die Unsinnigkeit dieser Darstellung war ohne weiteres tlar, denn wenn es sich in der Tat um 3000 be- waffiiete Arbeiter gehandelt hätte, so hätte ein zehnmal kleineres Militärkommando mindestens Tote und Verwundete davongetragen. Die Truppen haben aber nicht die gerüigsten Verluste davongetragen. Ferner beweist die Tatsache, daß der Bezirksingenieur sich mitten unter den Arbeiter» befand, die völlige Lügenhaftigkeit der amtlichen Darstellung. Die Re- gieruug gibt denn auch in ihrer zweiten Mitteilung zu, daß die„Unruhen" dadurch hervorgerufen wurden, daß die Ver- waltung die Hauptforderungesi der Skreikenden nicht be- willigte, sie exmittieren wollte, ihnen die Lieferung von Lebensmitteln, die sonst nicht zu beschaffen waren, verweigerte und das Streikkomitee verhaften ließ. Die ungeheure Zahl- der Opfer sucht die Regierung dadurch zu entschuldigen, daß die Soldaten auf 110 Schritt Entfernung in die Menge zu feuern begannen. Dadurch gibt die Regierung selbst zu, daß die Schlächterei ohne jede Schuld der Arbeiter, auf Veran- lassung der Behörden und der Direktion, vorgenommen wurde. Die Dumainterpellation. Petersburg » 22. April. In der Reichsduma wurden heute die von den Oktobrifien, Kadetten und Sozialdemokraten cingebrach- ten Interpellationen über die Vorgänge in den Lena- Goldwäschereien erörtert. Der Führer der Oktobristen G u t s ch- k o w betonte dabei, daß die Menge keine Gewalttätig- leiten begangen habe, die den Wpffengebrauch von feiten des Militärs gerechtfertigt hätten. Petersburg, 23. April. Die Reichsduma nahm mit großer Mehrheit die Dringlichkeit der Interpellationen über die Er- e i g n i s s e am Lena ström an, die von den Kadetten, Sozial- demokraten und Oktobristen eingebracht worden sind. Der sibirische Abgeordnete Schilo brachte einen Borschlog der Arbeiterpruppe ein, nach welchem die Vorkommnisse durch eine Parlamentskommission untersucht werden sollen. Der sozialdemokratische Abg. T s ch i l i k i n stellte im Namen einer Gruppe sibirischer Abgeordneter einen Antrag, in dem die Notwendigkeit einer Gesetzesvorlage zur Regelung der Dingung von Arbeitern für die Gold- und Platinwerle, femer zur Regelung der Arbeitszeit und der Wohnungsverhältnisse sowie Ein- beziehung der Arbeiter der Goldwäschereibezirke in Sibirien in die Unfall-. Kranlheits- und Jnvoliditätsversicherung betont wird- Die Interpellation der Sozialdemokraten wurde mit 97 gegen 75 Stimmen abgelehnt, die Interpellationen der Kadetten und Oktobristen mit großer Majorität angenommen. Der Präsident der Duma erklärte, daß über den Vorschlag der Arbeitergruppe nicht ab- gestimmt werden könne, da er ungesetzlich sei. perNen. Wachsende Anarchie? Täbris , 23. April. (Meldung der Petersburger Telegraphen- agentur.) Aus Khalkhal(Bezirk von Ardebil) treffen alarmic- rende Nachrichten ein, daß die Anarchie im Wachsen begriffen sei. ES wird ein Uebergreifen der Anarchie auf den Karadag und den an Rußland grenzenden Landstrich befürchtet. Die Kaufleute sind benachrichtigt und die Abscndung von Worcn aus Ardebil eingestellt worden. Argentinien . Wahlsieg in Bnenos-Aires. In den jetzt beendeten argentinischen Parlamenistvahlen wur- den in der Hauptstadt 2 Sozialisten gewählt. Dem vorletzten Ab- geordnetenhaus gehörte Genosse P a l a c i o an. Bei den vorigen Wahlen gelang es den Machenschaften der Regierung, die bekannt- lich vor der Verwendung von Lockspitzeln und den rohesten Zer- störungsakten gegen Bibliothek und Druckerei der Partei nicht zurückscheute, ihn zu verdrängen. Inzwischen gelang es, die Zeitung wieder herzustellen. Die Wahl zweier Abgeordneter (deren Namen noch nicht gemeldet sind) ist die Ouitiung über die Hooliganpolitik der herrschenden Clique, zugleich ein Sieg über die parlamentarismusfeindliche Agitation der Anarchisten, die in der vielfach noch sehr rückständigen, meist aus Italien und Spanien stammenden Arbeiterklasse bisher noch viel Einfluß gehabt hat. Soziales. Elend der Ziegeleiarveiter. Aus Herzfelde wird unS geschrieben: Die Ziegeleikampagne, die alljährlich mit Eintritt der wärmeren Jahreszeit in bedeutend verstärktem Maße einsetzt, hat auch in diesem Jahre die hiesigen Ziegeleibesitzer wieder veranlaßt, Hunderten von deutsch -russischen Arbeitern auf ihren Betrieben Beschäftigung zu bieten. Von den hiesigen Arbeitern ist aus den hiesigen Ziegeleien jedoch kaum die Hälfte beschäftigt, weil der überaus karge Lohn in keinem Verhältnis zu der schweren Arbeit steht und die Arbeitsverhältnisse für die Arbeiter außerordentlich ungünstig sind. Im Winter, wo vornehm- lich nur hier ansässige Arbeiter beschäftigt sind, beträgt die Ent- lohnung pro Woche und Maim 10—16 M. Naturgemäß kann damit, unter Berücksichtigung der teueren Lebensbedingungen, keine Familie, die hier durchschnittlich aus 5 Köpfen besteht, auskommen. Um ihr Leben fristen zu können, müssen die Arbeiter nun bei den Schlächtern, Krämern usw. sich die Waren auf Kredit geben lassen. Sobald nun die wärmere Jahreszeit beginnt und die Tage länger werden, letzt die Ziegelindustrie lebhafter ein. Um die Schulden. die im Winter bei den Krämern usw. gemacht worden sind, abzu- tragen, nehmen jetzt auch die Ehefrau des Arbeiters und teilweise auch noch die Kinder aus den Ziegeleien Beschäftigung. Die Arbeitszeit ist in dieser Periode unnatürlich lang. In der Regel beträgt sie durchschnittlich, sage und schreibe: 15 und mehr Stunden pro Tag. Die Arbeiter, die im Akkord arbeiten, vornehmlich die „Streicher" gönnen sich, um einen möglichst„hohen" Lohn zu er- schuften, sogar kaum die Zeit zum Essen; vom Einhalten der auf dem Papier angegebenen Pausen ist gar keine Rede. Man wird einwenden können, daß das ja dann nur die Schuld der Arbeiter selbst fei: doch wer die Verhältnisse kennt, urteilt darüber anders. Die deutsch -russischen Arbeiter sind natürlich den Unternehmern als billigere und willigere Arbeitskräfte viel lieber, weshalb auch von Jahr zu Jahr mehr davon auf den hiesigen Betrieben beschäf- tigt werden. Besonders die Ziegelei der Gebr. Manu Hierselbst, die, nebenbei bemerkt, pro Jahr 40 Millionen Steine produziert und eine der größten Firmen der Provinz Brandenburg ist, be- schäftigt fast ausschließlich fremde Arbeiter. Wenn oben gesagt wurde, daß letztere von den Ziegeleibesitzern als billigere Arbeits- kräfte vorgezogen werden, so ist das aber nicht so zu verstehen. als wenn sie noch niedriger als die hiesigen Arbeiter entlohnt wer- den würden. Nein, oft ist sogar das Gegenteil der Fall. Die Unternehmer wissen diesen Arbeitern aus anoere, weniger auffällige Weise die Taschen zu leeren. Diese Arbeiter werden nämlich in Kasernen ober Kantinen, in denen sie in Massen dicht nebeneinander gepfercht Hausen und die oft vor Schmutz förmlich starren, unter- gebracht. Was sie zum Lebensunterhalt brauchen, wird ihnen ge- liefert. Hervorzuheben ist, daß in diesen Kantinen der Alkohol- k o n s u m enorm ist. An jedem Sonnabend werden dann bei der Lohnzahlung die entsprechenden Abzüge vorgenommen. Da sich die Arbeiter ihren Lohn' meistenteils nicht berechnen können, nehmen sie, was ihnen gegeben wird. Nur selten kommt es vor, daß sie gegen etwaige falsche Berechnung des Lohnes Einspruch erheben.— Das Los eines Ziegeleiarbeiters und seiner Familie ist wahrlich nicht zu beneiden. Diese Verhältnisse sind geeignet, in den Arbeitern die größte Erbitterung gegen die kapitalistische Mrtschaft hervorzurufen. Trotzdem halt eS aber furchtbar schwer, die Ziegeleiarbeiter unserer Organisation zuzufiihen, weil ihre Erbitterung vielfältig in völlige Gleichgültigkeit und Stumpfsinnig- keit auswächst bczw. ausgewachsen ist. Deshalb ist auch einiger- maßen erklärlich, wenn die Arbeiler vielfach ihre Sorgen in Alkohol zu ersäufen suchen. Um auch diese Arbeiter, deren Zahl keineswegs gering ist, und vornehmlich die jugendlichen Arbeiter, zu tüchtlgen, zielbewußten Sozialdemokraten heranzubilden, ist noch ein großes Stück Arbeit zu leisten. Hoffentlich sind die jetzt wieder in die Wege geleiteten diesbezüglichen Bestrebungen bald von Eckolg gekrönt.'*©{«» auK 3. Beilage.),
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