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Nr. 95. 29. Jahrgang. 1. Anläse i>tgöoniiirte" Kerlim WMM Mtttmch. 24. M l912. Keicbstag. 44. Sitzung. Dienstag, den 23. April IlZIZ, nachmittags 1 Uhr. Am Tische des Bundesrats: v. Bethmann Hollweg  , Dr. Delbrück, v. Heeringen, v. Tirpitz, Kühn. Die erste Beratung der Wehrvorlage und der Teckungsvorlage wird fortgesetzt. Abg. Gans Edler Graf zu Putlitz  (kons.): Wir müssen allen Vorkommnissen, allen Explosionen, die auf internationalem Gebiet vorkommen können, gegenüber gewappnet sein. In weiten Kreisen der Bevölkerung ist die Empfindung verbreitet, dah wir gefährlichen Explosionen ausgesetzt sind, und datz die Forderungen der Vorlage nicht weit genug gehen. Der Kriegs- minister wird in der Kommission nachzuweisen haben, daß die Forderungen genügen, um unsere Rüstung zu vervollständigen. Das Schwergewicht unserer Rüstung liegt im Landheer. Die Er- höhung der Mannschaftslöhnung begrüßen wir mit Freuden und wünschen, daß sie so früh wie möglich Platz greifen soll. Die Denkschrift über die Deckung zeigt, daß die Grundsätze, die mit dem Staatssekretär Mermuth   vereinbart sind, innegehalten werden, daß nämlich Anleihen nur'für werbende Anlagen auf- zunehmen sind, und daß die Schulden deS Reichs nach einem be stimmten Plan getilgt werden. In dem Etat von 1912 ist sogar mit der Tilgung noch über den vereinbarten Plan hinausgegangen, und deshalb hat der Staatssekretär Mermuth   mit seinen Ausführungen in einem Artikel in jüngster Zeit nicht recht, die Deckung ist vielmehr ans durchaus soliden Grundsätzen aufgebaut. Gegen den Vorschlag, das Branntweinkontingent aufzuheben, haben wir schwere Bedenken: trotzdem wollen wir der Re- gierung in der Beseitigung der so vielfach mißverstandenen und ge- schmähten Liebesgabe entgegenkommen, falls die Vorlage in der Kommission so gestaltet werden kann, daß die landwirtschaftlichen Brennereien in allen Teilen Deutschlands   lebensfähig erhalten bleiben. Die Ausführungen des sozialdemokratischen Redners haben wieder gezeigt, daß sie die Wehrvorlagen nicht vom nationalen Standpunkt betrachten, sondern von ihrem i n t e r- nationalen. Sie wollen dem Staat, den sie umstürzen wollen, nichts bewilligen: das ist nur konsequent. Aber nicht konsequent ist es, wenn sie sich gegen ihre Bezeichnung als vaterlandslos wenden. Inkonsequent ist es auch, wenn sie sagen, bei einem Ueberfall werden sie sich wehren. Womit denn? Etwa mit der Miliz? Darüber will ich erst gar nicht reden.(Lachen bei den Sozialdemokraten.) Es fehlt Ihnen auch der deutsche Geist, unser Geist, der uns dahin gebracht hat.(Zuruf bei den Sozial- deinokraten: Nach Fenal) Die Offiziere von 1896 haben auch die Freiheitskriege durchgekämpft und das gut gemacht, was sie verschuldet hatten. Den Sozialdemokraten fehlt der Geist, der davon durchdrungen ist, daß wir alles ein- setzen müssen für unser Vaterland, gerade das Gegenteil wird von Ihnen gepredigt, und leider zum Teil mit Erfolg.  (Sehr wahr! rechts.) Sie hassen und verleumden unser Heer, weil es Ihnen nicht dienstbar ist, sondern unseren deutschen   Stand- Punkt gegenüber ihrem internationalen zur Geltung bringt.(Zu- stimmung rechts.) Die Junker suchen Kriege, sagte gestern der Ab- .,. geordnete Haase, um ihre Ruhmsucht zu befriedigen.(Zuruf bei den Sozialdemokraten: Um zu verdienen! Ruf rechts: Pfui!) Präsident Kaempf: Der Ruf Pfui ist nicht parlamentarisch. Abg. Gans Edler zu Putlitz(fortfahrend): Wo wären wir hin- gekommen, wenn wir wehrlos gewesen wären: wo wäre denn der glänzende Aufschwung unseres Wirtschaftslebens geblieben. In immer weitere Kreise dringt die Ueberzeugung, daß der Militarismus, wie Sie sagen, unsere Wehrkraft, wie ich sage, auch der Hort für das Weiterblühen unseres Wirtschaftslebens ist.(Bravo  ! rechts) Abg. Bassermanu(natl.): Wir sind bereit, das zu be- willigen, was zur Verstärkung unserer Wehr- kraft notwendig ist. Die Branntweinvorlage beantragen wir nicht der Budgetkommission, sondern einer besonderen Kommission von 28 Mitgliedern zu überweisen, im Interesse einer möglichst schleunigen Erledigung auch dieser Vorlage. Der Reichskanzler hat gestern die Linke beschwört, auf die E r b s ch a f t s st e u e r jetzt im kleines feuilleton- AuS der Geschichte der Dardanellen. Es ist nicht da? erstemal, daß italienische Kriegsschiffe die alte Kaiserstadt des Ostens be- drohen: schon vor vielen Jahrhunderten war Konstantinopel   das Ziel ilalienischer Großmachtspolitik. Die stolzen Republiken Genua  und Venedig   vertraten die Ansprüche auf die Seeherrschaft im Mittelmeer   mit weit größerer Energie und mit weit stärkeren Er- folgen, als das Hans Savoyen. Damals, im Zeitalter der Kreuz- züge, war freilich Konstantinopel   noch nicht in den Händen der Moslems, eS war bielmehr die Hauptstadt des griechischen Reiche?. Die Bewegung, die wir Äreuzzüge nennen, war nichts anderes, als der gemeine Versuch der römischen Kirche, der italienischen Kaufleute und der französischen  Aristokratie, den Orient zu erobern. In diesem Lichte gesehen erscheint es ganz begreiflich, daß die Kreuzfahrer ebenso gut die christlichen Griechen wie die ungläubigen Türken angegriffen haben. So hat in, Jahre 1204 die venezianische Flotte, zum Teil bemannt mit französischen   Rittern und unter dem Segen des Papstes, Kon- stantinopel erobert. Die Selbstzerfleischung der Griechen hatte den Abendländern den Weg in die für die damalige Kriegstechnik unein- nehmbare Riesenfestung gebahnt. Die Stadt wurde mit unerhörter Grausamkeit behandelt, und dann teilten die Sieger die Beute. Der Doge Enrico Dandolo   von Venedig   hat damals so viel Land im Orient annektiert, wie Herr Giolitti zu erobern auch in seinen kühnsten Träumen nicht hoffen dürfte: der größte Teil von Griechen- land, Kreta   und die meisten Inseln des Aegäischen MeereS ge- horchten seitdem der mächtigen italienischen Republik  . Die Ehre, in Konstantinopel   den Kaiser zu spielen, gönnten die klugen Venezianer einem unternehmenden belgischen Grafen. Seine Kaiserherrlichkeit dauerte freilich nicht lange. Das Operettenreich der französischen  Abenteurer im Osten dauerte im ganzen nur ein halbes Jahr- hundert: dann jagten die Griechen die verhaßtenFranken  " wieder aus Konstantinopel   heraus und gewannen ihre Selbst- pändigkeit wieder. Die Macht der italienischen Städte freilich konnte auch das neu- erstandene griechische Reich nicht mindern: Venedig   behielt all seine zahlreichen Niederlassungen und in dem Konstantinopeler Stadtviertel Pera entstand eine genuesischeKolonie.die sich völlig unabhängig von der griechischen Regierung verwaltete. Die Italiener blieben die wahren Herren des Ostens und als die Türken im Jahre 14ö3 Konstantinopel einnahmen, haben sie tatsächlich nicht gegen die Grieche», sondern gegen die Italiener zu kämpfen gehabt. Die Türken entwickelten seit Anfang des 14. Jahrhunderts unter der jungen Dynastie der Osmanen eine gewaltige Expansionskraft und bald war Konstanti- nopel die einzige griechische Insel, die aus dem Meere des Islam noch hervorragte. In dieser Not warf sich der griechische Kaiser den Abendländern völlig in die Arme. Aber die große Masse des griechi- schen Volkes wollte von dieser Kapitulation nichts wissen: sie zog die türkische   Herrschaft der europäischen, die praktisch eine italienische war. bei weitem vor. So sah sich der letzte byzantinische Kaiser zur Verteidigung seiner Hauptstadt aus die Hilfe einiger tauseud Italiener, die damals in Konstantinopel  lebte», angewiesen. Die Türken des IS. Jahrhunderts waren für Interesse der Einigkeit der Parteien zu verzichten. Weshalb wendet sich nicht der Reichskanzler mit dieser Mahnung an die fechte des Hauses(Sehr' gut! links), damit sie im Interesse der nationalen Wehrkraft auf ihren Wider st and gegen die Erbschafts   st euer verzichtet.(Sehr richtig I links.) Als die Wehrvorlage auftauchte, hatte wohl jeder den Eindruck, daß ein großzügiger Plan vorlag, eine erhebliche Verstärkung der Wehrkraft vorzunehmen und als Deckung vor allem die Erbschafts- steuer. Ich erinnere an die Worte des Reichskanzlers gegenüber dem Abg. Speck, der die Wiedereinbringung der Erbschaftssteuer als Brüskierung der Rechten bezeichnet hatte.(Sehr gut I links.) Inzwischen sind Wochen ins Land gegangen. Herr Mermuth   ist gegangen, Herr Hertling ist Schöpfer des parlamentarischen Systems in Bayern   geworden.(Heiterkeit links.) Herr Mermuth   ist doch offenbar gegangen, weil er die vorgesehene Deckung nicht für ausreichend hielt. In seinem Artikel in derDeutschen Revue" betont Herr Mermuth   ausdrücklich, daß jetzt eine Besitz- steuer vor allem an der Reihe war, d. h. also die Erbschaftssteuer. Wir begrüßen es ja, daß Herr Kühn auch auf dem Standpunkt der Erbanfallsteuer steht. Er sagt, sie wird kommen, heute nicht, aber später.(Heiterkeit). Heute fußt man auf den zu erwartenden lieber- fchüssen. Was wird dann aus der beabsichtigten Herabsetzung der Altersgrenze für die Altersrente, aus der Beseitigung des S ch e ck st e m p e l s. wenn alle Ueberschüsse für Heer- und Marinezwccke verbraucht werden.(Sehr gut I links.) Für die Aufhebung der Liebesgabe sind wir im Prinzip durchaus, es fragt sich nur, ob nicht schließlich der Konsum dadurch erheblich b e l a st e t wird. Wir behalten uns vor, in der Deckungsfrage eventuell mit Initiativanträgen vor- zugehen.(Bravo  ! links.) Die Heeresvorlage hat das Ziel, die Armee schlagfertiger zu machen und wir werden anerkennen müssen, daß die Heeresverwaltung mit der Ausfüllung der bestehenden Lücken unserer militärischen Organisation auf dem richtigen Wege ist. Tatsäch- lich erfolgt bei uns die Heranziehung der waffenfähigen Mannschaften bei weitem nicht in dem Maße wie in Frankreich  . Bei kommenden Reformen wird zu erwägen sein, die Ersatzreservisten zu regelmäßigen Uebungen heranzuziehen und dafür die älteren Jahrgänge etwas zu entlasten. Der Redner geht dann zustimmend auf die militärischen Einzelheiten der Vorlage ein. Auf unser Offizierkorps sind wir stolz. Die Heeresverwaltung sollte aber darauf achten, daß die Offiziere nicht zu alt werden, ehe sie in Hauptmanns- und Majorsstellungen aufrücken und Regimentskommandeure werden. Die Niederlage von Jena   ist verschuldet durch ein veraltetes Offizierkorps. In gewisser Hinsicht wird ja jetzt durch die geforderten Neuformationen Ab- Hilfe geschaffen, da die Avancementsverhältnisse dadurch verbessert werden. Die Flotten» ovelle will den Mißstand beseitigen, daß bei der Entlassung der Reservisten im Herbst die Kriegsfähigkeit erheblich herabgesetzt wird, und sie will die für den Kriegsfall zur Verfügung stehenden Schiffe vermehren. Darin liegt absolut nichts Agres- s i v e s. Auf unser Verhältnis zu England brauchen wir bei dieser Gelegenheit nicht einzugehen, nachdem der englische   Marineminister erklärt hat, keineswegs nur auf die Entwickelung der Flotte in Deutschland   Rücksicht zu nehmen, sondern auch auf die in anderen Ländern. Der deutsche Flottenverein und der alldeutsche Verband haben große Verdienste um die Hebung unseres nationalen Bewußtseins: aber man darf sie doch nicht ohne weiteres mit der Marineverwaltung identifizieren. Herr v. Tirpitz ist der großzügige Organisator der deutschen   Flotte, der dabei jedes Uebermaß von Forderungen zu ver- meiden gewußt hat, sondern ruhig und stetig unsere Flotte auf den schönen Stand gebracht hat, den sie heute hat.(Bravo  ! bei den Nationalliberalen.) Den Ausgangspunkt für diese Vorlagen bilden die Vorgänge von Marokko   und Agadir  . Blitzartig ist damals die Ge- fahr der internationalen Lage erleuchtet worden, und das Volk hat volles Verständnis dafür, daß es not tut, unsere Wehr zu verstärken. Auch die Sozialdemokratie mutz anerkennen Redner zitiert einen Artikel derLeipziger Volks zeitung" und desVorwärts" daß der Chauvinismus in Frankreich   gestiegen ist. Dann muß man aber auch die Konsequenzen ziehen und die Lücken in unserer Wehr aus- füllen. Wir stimmen den Vorlagen zu und hoffen, daß ihre Zeit höchst moderne Soldaten: die Erfindung der Kanonen, die damals ebenso viel Sensation machte, wie heute die des Aeroplans, wurde vom Sultan   aufs geschickteste in den Dienst seiner Sache ge- stellt: die türkische   Artillerie schoß die früher unüberwindlichen Mauern in Trümmer, und die Italiener wurden bis auf den letzten Mann zusammengehauen, lieber den Leichen der Italiener aber reichten sich damals Griechen und Moslems die Hand; der Orient gehörte wieder sich selbst. Seit jener Zeit sind die Dardanellerf und mit ihnen Konstantinopel   unbestritten in den Händen der Türken geblieben. Der Flug von Peking  »ach Paris  . Der Plan eines Weitfluges von Peking   nach Paris   ist nunmehr gesichert. Die Organisatoren des Unternehmens haben nun. nachdem die meteorologischen Beob- achtungen aus Rußland   und Sibirien   vorliegen, in einer Sitzung die Einzelheiten der Konkurrenz ausgearbeitet. Der Flug geht durch die Gobiwüste, die Route ist Peking  , Kalgan  , Tuering, Urga, Kiachta  , Baikalsee. Die Flieger folgen dabei der die Gobiwüste durchque- renden Telegrapbenlinie, die alle 225 Kilometer eine Station hat. Dann führt der Weg durch die Lüfte über Jrkutsk nach Tomsk  , weiter nach Omsk  , nach Kasan  , nach Nischninowgorod, Moskau   und Warschau  . Von Warschan wendet sich die Etappenstraße südöstlich nach Wien  und führt schließlich über Trieft, Genua  , Avignon  , Lyon   nach Paris  . Die ineteorologischen Auskünfte haben ergeben, daß die Witterungs- Verhältnisse ini September am günstigsten sind, sowohl in Sibirien  wie in Nordchina ist dann die Regenzeit vorüber und die Winde wehen durchschnittlich mit einer Geschwindigkeit von vier bis fünf Metern in der Sekunde. Die Flieger werden also voraussichtlich Anfang September von Peking   aufbrechen. Einstweilen stehen Preise für 155 000 Frank zur Verfügung. Bedingung für die Ausführung des Planes ist, daß mindestens fünf Konkurrenten an dem Fluge teilnehmen. Der Mensch als elektrische Maschine. Nach einer Berechnung in derElectric World" verbraucht ein erwachsener Mensch von durch- schnittlicher Kraft etwa LVz Kilowattstunden an Energie täglich durch seine Bewegung, Muskeltätigkeit, geistige Anstrengung und Wärme- entwickelung. Das entspricht einer fortgesetzten Verausgabung von etwa 100 Watt, wie sie durch einen Motor von V« Pferdestärke ge­liefert werden könnte. An Wärme verliert der Mensch trotz seiner hohen Körpertemperatur und großen Körperwärme volle 50 Watt- stunden in einer Stunde, so daß darauf etwa die Hälfte seines Energieverbrauchs entfällt. Die Wärmeentwickelung des Menschen- körpers ist ungefähr der einer elektrischen Glühlampe von 16 Kerzen gleich. Humor und Satire. Nachklänge vom Streik der Bergarbeiter. Der englische   Soldat: Wenn die Verständigung unter den Nationen und die offiziellen Schiedsgerichte für Konflikte zwischen Unternehmern und Arbeitern innner allgemeiner werden, bleibt uns weiter nichts übrig, als ein Engagement in einem Zirkus zu suchen. Einfache Feststellung: Wenn wir arbeiten, kümmert sich kein Mensch um uns; legen wir aber die Arbeit nieder, dann ist gerade das Gegenteil der Fall. sie zum Frieden beitragen werden: denn sie werden die Kriegslust in anderen Ländern dämpfen und so der Vermehrung der Macht Deutschlands   und der Erhaltung des Friedens dienen.  (Bravo  ! bei den Nationalliberalen.) Abg. Dr. Müller-Meiningen  (Vp.): Wir stimmen der Verweisung der Wehrvorlagen an die Budgetkommission und der Deckungs- Vorlage an eine besondere Kommission zu. Wenn sie sich aber nicht bis zu Pfingsten erledigen lasten, so ist das nicht Schuld des Reichstages, sondern der Regierung(Sehr richtig! links), die den Reichstag nicht nur bei dieser Gelegenheit sehr merk- würdig behandelt hat. Ich erinnere nur an die überhastete Beratung der Pensionsversicherung der Privatbeamten im letzten Reichstage. Seit dem November hat die Negierung gewußt, daß diese wichtigen Vorlagen kommen werden, sie hat aber keine Vorsorge getroffen, daß der Reichstag früher zusammentreten konnte. Jetzt aber drängt man plötzlich. Es wird ein. Raubbau mit der Arbeitskraft des Parlaments getrieben. Fast sämtliche Parteien dcS Hauses sind mit dieser Be- Handlung des Reichstages durch die Regierung sehr unzufrieden. (Abg. Ledebour  : Der Reichstag hat die Abänderung selbst in der Hand I  > Er wird auch auf Mittel und Wege sinnen müssen, diesen Zustand abzuändern.(Zuruf bei den Sozialdemokraten: Soll er's doch I) In der H e e r e s v o r l a g e werden wir das, was uns als notwendig nachgewiesen wird, bewilligen. Aber wir sind fern von einem blinden Vertrauen zu der Regierung, sondern werden die Vorlage objektiv prüfen. Wenn wir einfach den militärischen Sachverständigen vertrauen wollten, wäre der Reichstag ganz überflüssig. Mit de» Bindungsgesetzen sollten wir ein für allemal ein Ende machen, denn bei der technischen Entwickelung ist die Bindung doch nicht einzuhalten. Der Agitation der Chauvinisten entgegenzutreten, sollte eine gemeinsame Aufgabe der Regierung und des Volkes sein. Selbst Mitglieder dieses HauseS haben sich die gröbsten Taktlosigkeiten dem Ausland gegenüber geleistet. Der betreffende Herr fühlt es jetzt selbst, er wird ganz rot.(Große Heiterkeit rechts.) Mit großer Genug- tuung haben wir die Bemühungen eines hervorragenden Mitgliedes der englischen   Regierung bemerkt, die Reibungs- flächen zwischen England und Deutschland   zu vermindern. Ich nehme an, daß diese Verhandlungen mit England durch die jetzige Vorlage nicht unterbrochen werden. Sehr bedenklich ist die Tätigkeit des Pressebureaus des Reichsmarine- .a m t s.(Sehr wahr! links.) Auf die sofortige Kriegsbereitschaft der Armee und Flotte legen auch wir größten Wert. Im einzelnen bedarf die Vorlage. genauer Prüfung. Die Steigerung der Pensionen hat man noch gar nicht berücksichtigt. Mit den 800 Millionen, mit denen man rechnet, wird zweifellos nicht aus- zukommen fein. Um so notwendiger sind Ersparnisse auf anderem Gebiet. Da ist sehr wichtig die militärische Aus- bildung der Jugend und die Verkürzung der Dienstzeit. Leider fehlt es der Militärverwaltung an dem guten Willen zu solcher Sparsamkeit. Sie hält zähe an den dekora- tivsten Sachen und Sinekuren fest. Dabei hat 1908 Bülow dem Reichstage in der feierlichsten Weise derartige Sparsam» keit versprochen. Diesen Wechsel hat die Militärverwaltung nicht eingelöst. Also die Budgetkommission wird Arbeit in Hülle und Fülle haben, und es kann keine Rede davon sein, daß wir mög- lichst schnell alles in Bausch und Bogen bewilligen. Noch viel peinlichere Prüfung ist notwendig in der Deckungs- frage. Wir haben gewiß keine Ursache, der Regierung Steuern auf dem Präsentierteller entgegenzubringen, wir haben auch die Steuerscheu deS NeichSschatzsekrctärs, aber wir wollen auch nicht mir offenenAugenin die alte Finanzmisere hinein- rennen.(Sehr richtig I links.) Es fragt sich sehr, ob sich die Schätzung der Ueberschüsse als richtig erweisen wird. Wie sich doch die Verhältnisse und die Menschen ändern. Als Reklameschild über das Reichsschatzamt sollte man die Inschrift hängen:Hier wird unübertreffliche Stimmungsschnellmalerei getrieben." Herr Mermuth   war der Schwarzmaler, Herr Kühn ist jetzt der R o t m a l e r. Noch im Dezember hat uns Herr Mermuth   händeringend dargelegt, es sei absolut kein Geld da zur Herabsetzung der Altersrente von 70 auf 65 Jahre. Aus Geldmangel hat man durch die Verweigerung eines ausreichenden Wöchnerinnenschutzes das kulturelle Niveau des Reiches heruntergedrückt.(Unruhe rechts. Sehr wahr! Aristokratische Menschenfreundlichkeit: Ich wünsche gewiß den Arbeitern alles nur denkbare Wohlergehen, aber ich danke bestens dafür, sie allzu sehr in meine Nähe kommen zu lassen. DieArbeitund die Wissenschaft. Auf dem Bündnis zwischen Kapital, Arbeit und Grund und Boden beruht das Wirt­schaftsleben der Gesellschaft. Was wird aber aus dieser warm- herzigen Theorie, wenn wir die Arbeit einstellen? Sie wird sehr schnell erfroren sein, wenn wir nicht Kohlen herauf- fördern, sie zu erwärmen. Die Harmonie zwischen Kapital und Arbeit. (John Bull  , Hände und Arme voll strotzender Geldbeutel zum Berg- arbeiter.) Du siehst doch lieber Freund, daß eS mir bei allem guten Willen unmöglich ist, Dir die Hand zu drücken. Der englische   Gruben Herr und die Fußball spielenden Bergleute. Solange sie sich die Zeit vertreiben, indem sie sich gegenseitig Fußtritte versetzen, habe ich nichts zu be- fürchten.(Aus der.sLivtto au Beurr e".) Notizen. Bühnenchronik. Der Präsident der Genostenschaft Deutscher Bühnenangehöriger. Hermann Nissen  , wird sich wieder als Schauspieler betätigen. Er ist vom 1. September ab für das Deutsche   Schauspielhaus verpflichtet, mit einem Normalvertrag natürlich. DasDeutsche Künstlertheater�, zu dessen Gründung sich die Mitglieder des LessingtheaterS nach dem Ausscheiden deS Direktors Brahm zusammengeschlossen haben, hat sich am Sonnabend endgültig konstituiert. Das Stammkapital be- trägt 790 000 M. Wo das Ensemble sein Heim aufschlagen wird, ist noch nicht entschieden. Die Zahl der Sozietäre beträgt äugen- blicklich 13. Ein Museum für Kunst- und Kulturgeschichte in Lübeck  . Die Pläne für den Ausbau des Lübecker   St. Annen- Klosters   zum Museum für Kunst- und Kulturgeschichte sind nunmehr, wie im«Cicerone" gemeldet wird, gebilligt worden. Da die Bürger- schaft zugleich den Betrag von 130 000 M. dafür genehmigte, ist das Projekt gesichert. Die internationale Kunstausstellung in Venedig   wurde am Dienstag, den 23., eröstnet. Das Fremden- geschäst blüht. Verlorene Schiffe im Jahre 1911. Eine Statistik, die jetzt besondere Beachtung verdient, stellt die Zahl der 1911 unter- gegangenen Schiffe zusammen. 542 Dampfer und Segler aller scc- fahrenden Nationen sind den Wellen zum Opfer gefallen. England steht mit seiner mächtigen Handelsflotte natürlich an erster Stelle. Seine Verluste betragen 173 Schiffe, davon 123 Dampfer. Die Vereinigten Staaten haben den Verlust von 75 Schiffen zu beklagen. Norwegen   steht an dritter Stelle mit 73 Schiffen, von denen 25 Dampfer sind. Dann kommt Deutschland   mit 39 Schiffen, darunter 26 Dampfern. Die Zahl der verlorenen französischen   Fahr- zeuge beläuft sich auf 31, von denen 14 Segelschiffe waren. Schweden   und Rußland   haben einen Verlust von je 30 Schiffen aufzuweisen, Italien   den von 17. Spanisn den von 1b und Dänemarl den von 11 Schiffen,