.Menzeichen H Sir. 12/1912. 1EntlassuugSsKein.Der Stellmacher(folgt Name» hat die wegen Diebstahls bezw.schweren Diebstahls gegen ihn erkannten vier- bezw. sechsmonat«lichen Gefängnisstrafen abgebützt, und ist heute nach Görlitz(KreisGörlitz) entlassen worden, worüber ihm diese Bescheinigung erteiltwird. Führung während der Strafzeit: gut. Dieser Schein giltals Legitimation gegenüber der Attiengesell-1 ch a f t für Fabrikatron von Eisenbahnmaterialzu Görlitz und der Polizeiverwaltung Görlitz.(Stempel.)Senftenberg(Lausitz), den 2t. April 1912.Altrichter, GefängniSinspektor."Damit der Entlassene aber auch sicher nach Görlitz gehtund in der bestreikten Firma Arbeit nimmt, hat die Gefängnis�Verwaltung den ersparten Arbeitsverdienst zum größten Teilan die Polizeiverwaltung in Görlitz gesandt, wo ihn der Eni-lassene abheben kann. Diese Maßnahme entbehrt übrigensjeder gesetzlichen Begründung. Die Gefängnisverwaltungführt aber auch noch an, daß der Entlassungsschein als Legiti-mation gegenüber der Aktiengesellschaft gilt. Ein sichererBeweis dafür, daß ein Abkommen zwischen der Verwaltungdes Werkes und der Gefängnisverwaltung getroffen ist.Tic Schonung des Geldsaiks patriotische Pflicht.Mit einer Unverschämtheit, die selbst junkerliche Brutalitätin den Schatten stellt, wirft sich daS Zentrum als Schützerdes G e l d s a ck s auf. Diese„Volkspartei" segelt nun mitgeschwollenen Segeln in das Meer des wildesten Rüstungs-cifers hinein— aber es gebietet, den G e l d s a ck für dieKosten nicht in Anspruch zu nehmen. Zwar, des VaterlandesWohl gebiete die Zustimmung zu den neuen Wchrvorlagen,aber der Preis einer Erbschaftssteuer dafür sei denn doch zuhoch. Die„ K ö l n. V o! k s z t g."— Nr. 352— bemerktzur Forderung der Wiedereinbringung der Erbschaftssteuer-Vorlage:„Etwas anderes aber ist es, ob sie— die Liberalen— nichtdurch die Berquickung der Erbichaftssteuer mit den Wehrborlagendiese letztere ernstlick, gefährden. Di« Regierung selbst bat aufdie Aiedereinbringung der Erbansallsteuer verzichtet. Wie cSder Liberalismus'mit seinen Pflichten gegen daS Vaterland ver-einboreil will, sich zum Totengräber der auch von ihm al»notwendig erkannten Wehrvorlagen zu machen, mag er mit sichselber abmachen.'Also wenn die Erbanfall st euer wieder aufsTapet kommt, dann läßt daS Zentrum die Wehrvorlagenbegraben! Jetzt bezweifele noch jemand den lauteren Patrio-ftsuuts der— Zentrumsjesuiten.StaatsgefahrUche Waschfrauen.Am 7. Januar 1912 tagte während des Wahlkampfes eine Ver-saminlung in Neudorf bei Graudenz in der Wohnung des GenossenCzostek und im Hause des Genoffen Müller. Redner war dersozialdemokratische ReichStagSkandidat BlendowSki. An der Ver-sammlung beteiligte sich auch die Frau des Genoflen Hinz. DieEhefrauen der Genoffen Czostek. Müller und Hinz wuschen seitlänger als sieben, elf und drei Jahren Militärwäsche bei denJnsanterieregimentern 129 und 175 in Graudenz gegen einen monat-lichen Verdienst von je SS M. Nach den Stichwahlen wurden diedrei Frauen ohne Angabe von Gründen plötzlich entlassen.Die von den Bematzregelten vorgenommenen Nachforschungenergaben, daß die Frauen ausS Pflaster geworfen waren, weil sie an«mer sozialdemokratischen Bersammlnng teilgenommen oder ihreRäume dazu hergegeben hätte». Daß eine Frau obendrein noch einHoch auf die Sozialdemokratie ausbrachte, wurde ihr als besondersschweres Bergehen angekreidet.Di« brotlos gemachten Mütter wandten sich schriftlich an dieKommandantur und ersuchten um offizielle Untersuchung der Eni-lassungSgründ« und um Aushebung der Matzregelung. Von derKommandantur kam folgender höflicher und vielsagender Bescheid:.An Frau Lltvine Müller. Neudorf.Auf Ihren Antrag vom 20. Februar d. I. teilt Ihnen dieKommandantur mit, daß nach den eingeholten Ermittelungen keinGrund vorliegt, daS erlastene Verbot aufzuheben.(Namen?) Generalleutnant und Kommandant."Wir haben demnach die Tatsache hier zuverzeichnen, daß die Militär-behörde drei Frauen auf die Straße wirft, weil sie sich erlaubten,in ihrer sreieu Zeit ihre politischen Rechte auszuüben. In derHandlungsweise der Behörde liegen Eingriffe in die privaten persön-lichen Angelegenheiten der Frauen, die mit der Wäscherei für dasMilitär gar nichts zu tun haben. Wo find die rechtlichen Unter-lagen zu finden, die gestatten konnten, den Waschftauen irgend einestrafbare hurrapatriotische Betätigung bei Strafe des HungerS vorzuschreiben?Genosse Czofiek und seine Eheftau bemühten sich mit Erfolg umArbeit bei der Wasserbauverwaltung. Doch schon nach kurzer Zeit,am IS. März 1912, sollten sie die Hungerpeitsche wiederzu kosten bekommen. Sie erhielten folgenden Brief(in ge-treuer Wiedergabe):.Herrn Czosfik.Teille Ihnen mit das Ich Ihnen nicht In Arbeit nehmenkann und Ihre Frau auch nicht. Den bei mir ist wasneie Seingegangen. Vollgedesse» kann Ich sie ein vier allemahl nicht nehmen, missen sich schon Andre Arbeit suchen.Ott Buhnenmeister."Gründe? Ein Narr fragt! Die wegen ihrer Ueberzeugung ver-'olgten Frauen Czossek und Müller sind die Haupternährerihrer sechs und neun Köpfe zählenden Familien. Diebeiden Männer können als Invaliden wenig verdienen.Die dritte Leidensgefährtin. Frau Hinz, hat eine fechSkkpfigeFamilie und der Mann sucht seit einem halben Jahre vergeblichArbeit.Ist das nicht ein prächtiger Staat, wo schon der Besuchoder die Duldung einer sozialdemokratischen Versammlung Verbrechengenug sind, ganze Familien mit völlig unschuldigen Kindern demHunger auszuliefern!Die sächsische Regierung weicht aus.Die.aussehenerregend« Nichtbestätigung des zum Oberbürge r m e i st e r v o n Zittau erwählten fortsdbrittlichen Bürger-meiiterS Dr. Rath aus Burgstädt hat die Veranlassung zu einerInterpellation der fortschrittlichen Fraktion der Zweiten Kammerdes Sächsischen Landtages gegeben, deren Mitglied Dr. Rath ist.Durch diese Jnierpellatlon wird die Regierung um Auskunft dar-über ersucht, waS sie gegen die Maßregelung Dr. Rath» durch dieKrcishauptmanilschaft zu tun gedenke. Der Regierung scheint dieseAnfrage, die sicher zu einer sehr lebhaften Debatte tm Landtagegeführt hätte, sehr unbequem zu sein, denn sie hat am Dienstag inder Zweiten Kammer eine Er.larung abgegeben, wonach sie dieInterpellation zurzeit nicht beantworten kann; erst dann wird siezu einer Beantwortung bereit sein, wenn die Beschwerde der städti-schcn Körperschaft in Zittau über diesen aufsehenerregenden Fallvon den maßgebenden Instanzen erledigt sein werde. Bis zudieser Zeit wird aber der Landtag nickt mehr beisammen sein. Aufdies« Weise glaubt die Regierung wohl um eine Erörterung überdie ihr unbequeme Sache HerutNäukomme»,Wermuth als Bürgermeister von Frankfurt a. M.<Wie die„Frankfurter Nachrichten' melden, sucht der Vorschlags-aiisschutz des Frankfurter Magistrats den früheren Rcichsfchatz-sekretär Wermuth als Oberbürgermeister an Stelle des von seinemAmt zurücktretenden Dr. Adickes zu gewinnen. Bereits haben imKreise der Mitglieder des Magistratsausschusses zur Wahl bcS neuenOberbürgermeisters Vorbesprechungen stattgefunden. Es ist auchschon Fühlung mit Wermuth genommen worden, und auch auf dieserSeite ist der Plan nicht von der Hand gewiesen worden. Von Wer-muths Seite sind bereits Jnforinationci, über die Frankfurter Ver-Hältnisse eingezogen worden, so daß mit einer Besetzung des Frank-surter Oberbürgermeisterpastens durch ihn gerechnet werden kann.Als aussichtsreichster Kandidat neben Wermuth soll der Oberbürgcr-meist« von Königsberg. Körte, in Betracht kommen. Hierzu ist zubemerken, daß Körte noch kürzlich den ihm angetragenen Posten d«§Oberbürgermeisters von Breslau an Stelle von Bender abgelehntund erklärt hat, in Königsberg bleiben zu wollen.Bürgerliche„Jugendbildung" mit dem Schiesteisen.Die gewaltige Stimmenzunohmc, die unsere Partei bei denletzten Wahlen im Kreise Hanau-Gelnhaufen erzielte, hat unsereGegner veranlaßt, sich mit Hochdruck auf die Jugenderziehung zuwerfen. Mit„sanftem Druck" werden, besonders im Gebiet des oftgenannten Fürsten v. Wächtersbach alle abhängigen Elemente ver-anlaßt, ihre Kinder den staatstreuen Jugendvereinen zuzuführen.Welche„Bildung" den Kindern da geboten wird, kann man jetztSonntag für Sonntag sehen. Mit allerlei„Gewehr und GeWaffen"ausgerüstet, ziehen die„Pfadfinder", Turner und Jugendwehr hin-aus, um große KriegSspiele zu veranstalten; einer der hoffnungs-vollen Jünglinge brachte bei der letzten„Hebung" am AufenauerBerg sogar ein geladenes Tesching mit und schoß bei dem„Kriegs-spiel" einer Zuschauerin, einer jung verheirateten Frau MariaDeubert, ein Projektil in den Unterleib; die Frau wurde nach demHanauer Landkrankenhaus gebracht, wo sie unter gräßlichenSchmerzen verstarb. Die Sozialdemokraten aber— wollendie Jugend verrohen!_Die Mrren in Mrotcko.Die Anstifter des Aufruhrs in Fez.Paris, 2L. April. Der Sonderberichterstatter des„Matin" inFez meldet vom 20. April, die Niederwerfung des Auf-st a n d e S sei der Energie des Generals Brulard zu danken, dertrotz des Widerspruchs des noch immer allzu optimistischen Ge-sandten Rcgnault diejenigen Stadtviertel bombardieren ließ, in diesich die Meuterer geflüchtet hatten. Sofort nach dem Bombardementseien zahlreiche hervorragende Marokkaner in das Haus des Ge-sandten Rcgnault sowie aus das Konsulat und in das Haupt-quartier des Generals Brulard gekommen, um ihre ftanzosen-fteundliche Gesinnung zu beteuern und Pardon, zu erbitten. Manhabe ihnen erklärt, daß die Häuser bombardiert würden, falls s«nicht unverzüglich französische Fahnen aufsteckten. Alsbald seienauch die meisten Häuser mir Trikoloren geflaggt gewesen.Der Korrespondent berichtet weiter, es sei festgestellt, daßhervorragende Beamte des Machsen, darunter derStellvertreter und der Sekretär des Kriegsministers, zu den An-stiftern des AufstandeS gehörten. Auch der Sohn des Groß-wesirs El M o k r i, der Pascha des Stadtviertels Fez El Bali,stehe im Verdacht, mit den Aufrührern gemeinsame Sache gemachtzu haben, und sei deshalb abgesetzt worden.Neue Unruhen in Aussicht.Paris, 25. April. Der Kriegsminister, erhielt gestern, eine De-j>esche von General Moinier auS Fez. welche besagt, daß derTag am 23. ruhig verlaufen ist und die Unterwerfung der marokkanr.schen Truppen andauere. Die aufrührerischen Soldaten, die aufctiva 1000 geschätzt werden, sind aus Fez geflohen und haben sich insInnere des Landes begeben, um die Stämme für einen Aufstandgegen die verhaßten Franzosen zu begeistern. ES liegt also dieGefahr vor, daß man in vielleicht nicht allzu kurzer Zeit mitneuen größeren Unruhen zu rechnen haben wird.Angriffe auf die Spanier.Pari?, 25. April. Au» A r z i l a wird unter dem 24. April ge-meldet, die Djebala haben die Spanier bei Sidichcrif angegriffen;sie töteten einen und verwundeten zwei Mann.Die Lage in Fez.Fez, 25. April. Die französischen Truppen halten alle Torebesetzt. 89 fcherifische Deserteure sind durch die Bcnimter ange-halten worden, die vier von ihnen getötet haben. Die Entwaffnungder scherifischen Tabor widr fortgesetzt. Ein französischerT r a n s p o r t z u g ist bei Ethajeb angegriffen worden, wobeiztoei Schützen getötet wurden.Die Lage der Juden.Fez, 25. April. Siebentausend Juden, die bei demBlutbad in Mellah entkommen sind, haben hall» nackt inden Gärten de» Sultan» Zuflucht gesucht, wo sie sich o hn o O b d a chbefinden. Einige haben in den leeren Käfigen der Menagerie desSultans Unterschlupf gefunden. Man ist jetzt damit beschäftigt,ihnen Zelte zu errichten. Wäbrend des AufstandeS sind 51 Judengetötet und 36 verwundet worden.Oetternieb.Die Wiener Gem einderatswahle».Wie«, 25. April.(Privattelegramm des„Vorwärts".)Die Sozialdemokraten haben bei den Stichwahlender allgemeinen �Vählerklassc drei Wahlbezirkeerobert: den znMken, Leopoldstadt; den elften, Simmcring;und den fünfzehnten. Fünfhaus. Einen Wahlkreis, Meidling,hat die Sozialdemokratie verloren. Die Liberalen habeneinen Wahlkreis, die Innere Stadt, gewonnen. Alle übrigenWahlkreise haben die Christlichsozialen behauptet, so daß dieChnstlichsozialen drei Wahlbezirke verloren, die Sozial-demokraten zwei und die Liberalen einen gewannen. DaSGesamtergebnis der Wahl ist: Neun Sozialdcmo-k r a t e n. ein Liberaler, elf Christlichsoziale. ES ist ein b e-deutsamer Erfolg der Sozialdemokratie,wenn auch seine Größe infolge des fabelhaften Wahlschwindclsder Chnstlichsozialen hinter den Erwartungen zurückbleibt.Italien.Der Zusammentritt des italienischen Parlaments.Rom, 23. April.(Eig. Ber.) Entgegen dem Gerücht, das voneiner neuen Vertagung der italienischen Kammer wissen wollte,ist diese zum 30. April einberufen Wörde,» An erster Stelle werdenmehrere Konsumptivbudgets beraten werden, wobei sensationelleEnthüllungen in Aussicht gestellt werden, besonders solche über Miß-Wirtschaft in der Eisenbahnvcrwaltung. Der 6. Mai wird dannmit den Interpellationen ein Zurückkommen auf den Eisentrust-skandal bringen, und darauf beginnt dann die Diskussion über dieWahlreform, die vermutlich drei Wochen dauern wird. Der offi-ziöse„Messaggcro" will wissen, daß im Herbst des kommendenJahres die Parlamentswahlen mit erweitertemWahlrecht stattfinden sollen.Cnglanck.Liberale Wandlunge«.London, 23. April.(Eig. Ber.) Südwales wurde bisher stetsals die Hochburg dcS Liberalismus betrachtet. Kaum daß die Kon-serdativen dort dann und wann einen Kandidaten mit Mühe undNot durchdrückten. An der Spitze des südwalisischen Liberalismusstehen die großen Unternehmer des Fürstentums. Vor allem ist esder Zcchengewaltige D. A. Thomas, der in dem Bergarbeiter-streik eine so große Rolle spielte, der dort den Ton angibt. EinIlonkonsormist wie die Mehrheit des walisischen Volkes, ist er derHauptverfechter der Entstaatlichung der anglikanischen Kirche inWales und hat diesem Zwecke schon viel Geld geopfert. Ueberhaupthat er es verstanden, sich bei dem Kleinbürgertum und den liberalenArbeitern durch große religiöse Spenden äußerst populär zu machen.Wenigstens bis zum Ausbruch des Streiks konnte man sagen, daßniemand mehr Anspruch auf den Titel König von Wales hatte alsKönig Thomas. Aber die arbeiterfreundliche Haltung einigerliberaler Parlamentsmitglieder hat Herrn Thomas verschnupft.Er findet, daß der Liberalismus nicht mehr das ist, was er früherwar. Das sind ja halbe Sozialisten, sagt Herr Thomas vondiesen armen Schluckern von Liberalen, die sich durch ihre ar-beiterfteundliche Haltung nur die Stimmen der immer mehr demSozialismus zuneigenden Arbeiter sichern wollten. Auch mit derliberalen Regierung steht Herr Thomas nicht auf gutemFuße. Es wurmt ihn. daß sich die Ztegierung, die von den Stimmender Arbeiter lebt, während des Streiks den gefährlichen Scharf-macher drei Schritt vom Leibe hielt. Er wird auch nicht vergessenhaben, daß ihn Herr Asquith in einer der Sitzungen zwischenBergarbeiter- und Arbeitgebcrvertretcrn zum Gaudium der Ar-beitcr schmählich blamierte.„Herr Thomas", sagte der Premier-minister,„Sie bestehen auf die Erfüllung des Vertrages vom Jahre1919?"—„Ja."—„Aber Sie haben doch erklärt, daß Sie bereitsind, über die abnormen Stellen, einen Punkt, der im Vertrag nichterwähnt wird, zu verhandeln?"— Lange Verlegenheitspause.—„Die Heiligkeit des Vertrags kann daher nicht als Grund für IhreWeigerung, den Minimallohn zu diskutieren, in Betracht kommen."Herr Thomas ist grimmig verstimmt und will eS nun derRegierung fühlen lassen. Unter dem Vorwande, daß die liberaleParteiorganisation in Südwales und Monmontshire in Gefahr ist,von den Sozialisten erobert zu werden, hat er eine Bewegung in-szeniert, die den Liberalismus von den„halben Sozialisten" säu-bern soll. An Geld mangelt es der Bewegung natürlich nicht.Der Hauptzweck ist, den„halben Sozialiften", die unter der libc-ralen Flagge segeln, bei allen Wahlen streng orthodoxe Liberaleentgegenzustellen, ob nun diese Kandidaten von der liberalenParteileitung genehmigt worden sind oder nicht. Der Kreuzzug sollauch auf andere Landesteile übertrogen werden.Man hat es hier also mit einem Versuch zu tun, eine groß-kapital! st ische liberale Partei zu gründen. Vielleichtbrauchte dieser der Verstimmung eines oder einiger Magnaten cnt-sprungenen Bewegung nicht allzu viel Bedeutung beigemessen wer-den, wenn sie ein vereinzeltes Spmptom wäre. DaS ist sie abernicht. Eine ähnliche Bewegung ist von dem Haupt der Baum-Wollindustrie, dem liberalen Herrn M a c a r a ins Lebe» gerufenworden. Vor etlichen Monaten gründete dieser, wie hier berichtetwurde, eine parlamentarische Liga zur Vertretung der Arbeit-geberinteressen. Vor kurzem veröffentlichte diese Vereingung einRundschreiben, in dem von dem schnellen Fortschritt der Bewegungdie Rede war und auf den Erfolg des Bundes der Industriellen inDeutschland hingewiesen wurde.Euq Induftm und DandeLReuteukurse.J» einer großen Zahl von europäischen Staaten ist der Kur»der Staatsanleihen infolge dauernder Zunahme der Schulden er-heblich gesunken. In Preußen beschäftigt sich der Landtag geradejetzt mit einem Gesetzentwurf, durch den Sparkassen gezwungenwerden sollen, einen Teil ihrer Einlagebestände in StaatSpapierenanzulegen. Davon erwartet man. wenn auch vergeblich, eineHebung der Kurse der preußischen»ind der Reichsanleihen.Auch in Frankreich will man dem Sinken der Renten-kurse begegnen. Eine Senatskommission hat den Vorschlaggemacht, die französischen StaatSrenien von der Einkommensteuerzu befreien. Ob diese Maßnahme den beabsichtigten Erfolg habe»wird, ist nicht so sicher als die Tatsache, daß sie eine Benachteiligungder Proletarier bedeutet. Denn nur Begüterte können natürlich alsRentner ihr Leben zubringen und dazu noch den Vorteil der Steuer-freiheit genießen. Sicher ist weiter, daß diese Maßregel, wenn sieauS einem Plan zur Wirklichkeit würde, für den französischen Staateinen großen SteuerauSfall nach sich ziehen würde. Der Ausfallmüßte dann durch vermehrte Anleihen wieder gedickt werden.Ein rentabler Pflug.Ein Motorpflug, der wenigstens schon jetzt für seinen Erfindersich gut rentiert, wurde von einem Herrn v. Meyenburg konstruiert.Das FabrikationSrecht für Deutschland und Norwegen verkaufteer an die SiemenS-Gesellschaff und zwar zu dem netten Preisevon 139999 M. und dem Ansprüche auf 9 P roz. vom Bertaufs-preise eines jeden Pfluges. Das ist für den Erfinder zweifellosein seines Geschäft. Der Verkauf des FobriiatiousrechteS für dieübrigen europäischen Staaten wird vielleicht noch mehr einbringen.Das hängt natürlich sehr davon ab, wie sich der Pflug in derPraxis bewährt. Dem Motorpflug des Herrn von Meyenburgwird als Ergebnis eingehender Untersuchungen nachgerühmt, daßer den Boden in einer vorzüglichen Weise 3 Dezimeter durch einFraisershilem auflockere. Er wird von einem 18 PS. Benzinmotor-Automobil itber das Feld getrieben. Daß er wirklich ganz be-sondere Leistungen vereinige, dafür spricht schon der von der«iemens-Gesellschast gezahlte hohe Preis für das Fabrikations-recht und die gugeswlckene hohe Lizensabgabe. Mit seiner LeistungS-fähigkett und seinem relativ geringen Gewicht von nur 13 Zentnernsoll der neue Motorpflug alle anderen vorhandenen Systeme weitin den Schatten stellen. Entspricht er den Erwartungen, dannsteht auf den großen Gütern eine wesentliche Umwälzung in derbisherigen Betriebsweise bevor. Eine große Anzahl Arbeitskräftewird der Motor ersetzen. Aber die Veränderung in der Betriebs-weise bedingt auch eine höherstehende Arbeiterschaft. Der Sieges-zug der landwirtschaftlichen Maschinen läßt auch die Arbeiter mitihren höheren geistigen und materiellen Ansprüchen in der Land-Wirtschaft vordringen. Jede Verbesserung in der landwirtschaft-lichen Betriebstechnik mit der Verdrängung einer größeren Anzahlvöllig ungelernter Arbeiter durch eine kleinere Anzahl vorgebildeter.ist ein Nagel am Sarge der Feudalherrschaft. Insofern könnenwir jede Revolutionierung der Betriebsweise auch, als einen po-litischcn und kulturellen Forischrttt begrüßen.Melkinaschinen.Mit der Konstruktion einer tadellos funktionierenden Melk.Maschine hat die Technik einen neuen Triumph erzielt. Einemaschinelle Melkanlage für 189 Kühe ist seit einem halben Jahreauf dem Sophienhose in Ostholstein in Betrieb. 16 Melkmaschinenwerden von einem 6 PS Benzinmotor bedient. Die ganze Anlageerfordert nur noch 5 Leute zum Anlegen der Apparate und gering-iügiges Nochmelken. Der Vorzug der maschinellen Melkerei, beider die Tie« durchan» ruhig sind, besteht in d« Schnelligkeit,Sauberkeit und großen Ersparnis an physisch« Arbeitskraft.