Nr. 97. 29. Zahrgavg.1. KtilM des Jutiüirts" Kerlim NcksMkreil-z, 86. Hnl lW.Keiebstag.40. Sitzung. Donnerstag, den 25. April 1912,nachmittags 1 Uhr.Am Tische des Bundesrats: Dr. Delbrück, v. Heeringen,b. T i r p i tz, Kühn.Die erste Beratung der Wehr- und Deckungsvorlagenwird fortgesetzt.Abg. Haußmann(Vp.): Die politische Lage ist nicht rosig, aberauch nicht schwarz, sondern grau; ich weise aus Tripolis hin,auf die Revolution in China, deren Folgen wir noch nichtkennen. Das Sicherheitsgefühl in Europa ist erschüttert und das istein wichtiger Faktor. Auch der Redner der äußerstenLinien erkannte an. daß das Sicherheitsgefühl nicht mehrvorhanden ist und daß die Völker bis an den Ab-grund eines Krieges geführt werden. Dann abermüssen wir alles � tun, um das Sicherheitsgefühl zu ver-stärken. Aus dieser Erwägung heraus müssen wir auchalles zur besseren Ausgestaltung der Wehrmachttun. Bezüglich der Deckung ist zu erwägen, ob nicht auch angesichtsder hohen Anforderungen in anderen Ressorts Ersparnisse gemachtwerden können. Aus jeden Fall muß endlich Schluß gemachtwerden mit weiteren Militärforderungen, dem Drängen nach er-höht er Vermehrung der Truppen treten wir mit allerEntschiedenheit entgegen. Das deutsche Volk will keinen Krieg,trotz aller Großsprechereien einzelner ist die große Mehrheit desdeutschen Volkes von einem tiefen Friedensbedürfniserfüllt.(Sehr richlig! links.) Das Treiben der Chauvinisten bei unsist geradezu gewissenlos. Herr v. Tirpitz hat nun gesagt,auf die Agitation des Flotten- und Wehrvereins habe er keinen Einfluß.Gewiß sind diese Vereine selbständig, aber sie entnehmen einen Teilihrer Kraft dem Rückhalt, den sie bei dem Pressebureau desReichsmarineamts durch Lieferung von Material finden. Die.Norddeutsche Allgemeine Zeitung" hat früher Herrnv. Tirpitz selbst nachgerühmt, daß er eine großangelegteAusklärungsarbeit mit Hilfe des Flottenvereinsbetrieben habe.(Hört! hört! links.) Wir erwarten eineAufklärung der Regierung über die mit dem englischenKriegsminister gepflogenen Verhandlungen und ihr Resultat.Ich komme zu dem Duell, das gestern der K r i e g s m i n i st e rmit dem Abg. Erzberger gehabt hat. Der Kriegsminister haterlebt, daß die bürgerlichen Empfindungen niibl die Auffassung derMilitärverwaltung sind. Der Abg. Paasche hätte übrigens einelohnende Aufgabe, wenn er als erster Vorsitzender des Wehrvereinsdafür sorgen würde, daß der Wehrverein nicht nur in die Be»völkerung die Auffaflung der Militärverwaltung, sondern auch inMilitärkreise die Auffassung der bürgerlichen Kreise hineintragenwürde.(Sehr richtig! links.) Der Kriegsminister hatden Erlaß, der in vorsichtigen Worten abgefaßt war, mit ver-blüffender Deutlichkeit ausgelegt, und den Grundgedanken dahinausgesprochen, ein Mann, der aus inneren Bedenken ein Duell ab-lehnt, ist nicht unwürdig, in dem Verband der Armee zu bleiben,aber er ist unmöglich in diesem Verband. Der Mann wird ein-geladen, sich zu entfernen— mit freundlichen Worten— aberes wird daran festgehalten, daß er nicht dorthin gehört.Es ist der Grundgedanke des bürgerlichen Lebens, daßdie Würdigkeit eines Menschen von seinen sittlichen Eigenschaftenabhängt.(Lebhaftes Sehr richtig I) Seit 22 Jahren fordert dasParlament, daß die Duellverhältniffe geändert werden; seit 22 Jahrenist es nicht gelungen, dem Empfinden von neun Zehntel des VolkesRechnung zu tragen.(Widerspruch rechts.) Das Parlament istvom Kriegsminister, der hier mit solcher Deutlichkeit gesprochen hat,geradezu herausgefordert.(Sehr r,chtig I links.) Wirhaben jetzt wieder von einem Duell gehört, an dem ein Herrv. Heeringen beteiligt war. Er mußte eS annehmen unter einemmoralischen Zwang.(Zuruf: Unmoralischer Zwang I) Die bürger-lichen Parteien sollten zu ihrem Schutz Magregeln treffen. Es istunmöglich, daß in einem solchen Falle die Herren vom Ehren-aericht ihren Kollegen zum Duell zwingen und dann womöglich das-selbe Gericht im Namen des Königs den Menschen ver-urteilt, der unter ihrem Verdikt an dem Duell teilgenommenhat. DaS muß geändert werden. Ueberhaupt muß im Militär-verband für die innere Ueberzeugung des Menschen Raum geschafftkleines feuilleton.Erinnerungen an Millet. Die Persönlichkeit dcS französischenBauernmalers Millet, die ihren unvergänglichen Ausdruck in dermonumentalen Reinheit seiner Kunst gefunden hat, ist vielfach er-forscht worden, seitdem ein später Ruhm den lange Verachtetenerhoben hatte. Aber jedes neue Licht, das auf diesen eigenartigenCharakter fällt, gibt neue Aufschlüsse über das Wesen seiner Malerei,und man muß deshalb dem Millet-Forscher Bartlett dankbar sein,daß er die Erinnerungen, die er in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts unter den Freunden des Künstlers sammelte, nunmehr derOeffentlichkeit übergibt. Er teilt jetzt im„Century Magazine" dieAeußerungen mit, die ihm ein naher Freund Millets, der bekannteMaler von Tieren und Waldszenen, Karl Bödme r, übermittelthat. Ich erinnere mich noch an den Tag. so berichtet Bodmer. alsMillet und seine Familie auf dem schmalen Waldpfad nach Barbizonkam: es war der 13. Juni 1849. Was er und die Seinen in denersten sechs oder sieben Jahren litten, wird man nie ganz erzählenkönnen. Eines Tages schrieb mir Sensier, der Minister der schönenKünste wolle Millet 200 Frank geben, obwohl er eigentlich dagegenwar. Geld an solche Leute wegzuwerfen. Sensier bat mich, fest-zustellen, ob Millet das annehmen würde. Ich fragte ihn undMillet antwortete:„Ja, ich will eS nehmen unter jeder Bedingungund allen Umständen." Wer Millets Stolz und Feinfühligkeit kannte,mußte diesen Vorfall als einen Beweis für das Hoffnungslose seinerLage ansehen. Bald schrieb Sensier wieder an mich, Millet solle dochum Gotteswillen seine Art zu malen ändern, sonst werde er nieetwas verkaufen können. Damals kam Millet aus der schweren unddunklen Farbengebung heraus in eine klarere und hellere Art.Millet hätte sich nie von dem.einmal eingeschlagenen Wege seinerKunstrichtung abbringen lasten; er wußte ganz genau, was er tat.Millet. der sich selbst als Bauer fühlte, litt am meisten unterdem Verhalten der Bewohner von Barbizon, die im Künstler eingutes Objekt zum Gelderwerb sahen und ihn seine Not auf härtest«fühlen ließen. Manchmal stieg der Mangel an allem Nötigen indem kleinen Häuschen des Malers aufs höchste. Eines Tages, zuAnfang der SOer Jahre, kam ich wie gewöhnlich zu Millet ins Atelier,und das erste, was er mit einem gewissen Ingrimm zu mir sagte.war:„Ich habe jetzt einen neuen Weg, um Leinwand zu bekommen."«Wie denn?" fragte ich.„Ach. ich nehme amerikanische Potasche,reibe sie nachts über ein altes Bild, am morgen wasche ich das ab,und dann habe ich eine saubere schöne Leinwano."„Du willst mirdoch nicht sagen, daß Du auf diese Weise Deine fertigen Bilderzerstörst?" schrie ich auf.„Nicht alle, aber die meisten, besondersdie historischen, die werde ich doch nie verkaufen."„Um Gottes-willen," rief ich,„ich bitte Dich, höre damit aus, das ist abscheulich,das darfst Du nicht."„Aber ich muß, ich muß doch Leinwand haben,um zu malen. Jetzt bin ich an dem Bilde," und er wies auf dasherrliche Oedipusbild. Schlietzkich sagte er:„Willst Du den Oedipushaben?" und als ich mich erst toeigerte, sagte er mir, dann würde eres uitwcigerlich zerstören. Ich nahm das Bild daher an. MilletsAtelier war in den ersten Jahren in einer alten, dumpfigen Scheuer,die im Winter nicht zu heizen uild sogar für Tiere unbrauchbar war.Ruhig und ohne jede Bitterkeit ertrug er nicht aur die leiblichenwerden. Lebhafte Zustimmung links.) Wir nrüssen sie reklamieren.Auch gegen den Geheimrat C z e r n y ist eingeschritten worden. EinManu, der Generalazt war, der im rüstigsten Alter stand, der derWistenschaft nicht zu beschreibende Dienste getan hat und ganzeGenerationen von Aerzten erzogen hat, die mit Achtung und Ver-ehrung zu ihm aufsehen. Er mußte aus dem Militärverbande aus-treten, weil er eine Ansicht über die letzten ReichstagSwahlen ge-äußert hat, die der seiner liberalen Partei in Baden ent-sprachen hat. Das kann auf die Dauer nicht so weiter gehen, diesenUebertreibungen muß daS Volksbewußtsein entschieden entgegentreten.(Lebhafter Beifall links.)Staatssekretär v. Tirpitz: Ueber das Nachrichtenbureau habe ichneulich schon das Erforderliche ausgesprochen. Ich muß auf dasentschiedenste bestreiten, daß daS Nachrichtenbureau sich irgend wiebeteiligt habe an einer Hetze gegen England. Daß ichkeinen Einfluß auf den Flottenverein habe, haben die scharfen An-griffe bewiesen, die dieser Verein seinerzeit gegen mich gerichtet hat.Kriegsminister v. Heeringen: Nur zwei Worte gegenüber demAbg. Haußmann.(Heiterkeit links.) Profeffor C z e r n y hattein dem erwähnten Artikel allerdings an einigen Stellenangestoßen. Es wurde ihm dies mitgeteilt und der General-stabsarzt der Armee bat ihn um eine persönliche Unterredung.Professor Czernh ist auf diese Sache überhauptnicht eingegangen.(Lebhaftes Sehr richtig I Sehr gut Ilinks.) Ohne daß seitens der Militärbehörde überhaupt die Absichtvorlag, ihm seine Verabschiedung auch nur nahe zu legen, hat ersofort sein Abschiedsgesuch eingereicht. Ich nehme an,daß in der Kommission näher auf den Fall eingegangen werdenwiro, ebenso wie auf die Duellfragen und den Fall Sembath.(Lachen links.)Abg. v. Liebert(Rp.): Die Militärvorlage wäre bester schonsieben Monate früher gekommen. Damals haben weiteKreise des deutschen Volkes erklärt: Wir wollen keinen Kriegwegen Marokko, aber wir wollen eine Verstärkung unsererRüstung, damit wir achtunggebietend im Rate derVölker dastehen. Leider bringt die Vorlage noch nicht die Ver-wirklichung der allgemeinen Wehrpflicht. Diese hat neben anderenVorzügen auch den. ein Erziehungsorgan gegen die Irrlehren derSozialdemokratie zu sein.(Lachen bei den Sozialdemokraten.)Redner erörtert weiter Einzelheiten der Vorlage vom militär-tech-nischen Standpunkte aus. Wer die Vorlage bewilligt, ist Pazifist.Die Verweigerer aber dienen dem Krieg.(Bravo! rechts.)Abg. ColShorn(Welfe) erklärt die Bereitwilligkeit seinerFreunde, die Verstärkung deS Heeres zu prüfen, lehnt aber dieFlotten Vorlage ab. Die tief bedauerliche Erklärung desKriegsministers über das Duell müsse in der Kommission gründlicherörtert werden.In bezug auf die Deckung sei den Vorschlägen der Regierungzuzustimmen, von der Erbschastsstener dürfe keineRede sein, sie sei eine ungleichmäßige und daher ganz un-gerechte Besitzsteuer.(Zustimmung rechts.)Abg. Wurm(Soz.):Zwischen Ihnen und uns herrscht der Gegensatz ver-schieden er Weltanschauungen. Diejemgen. die dieInteressen des Kapitalismus vertreten, brauchen den Militarismus,aber diejenigen, die die Interessen des Proletariats vertreten, ver-langen den friedlichen Wettbewerb der Völker. Derselbe Gegensatzherrscht auch in unserer Finanzpolitik. Gerade vor einemhalben Jahrhundert hat ein Mann hier in Berlin zuerst auf diesenGegensatz zwischen Ihnen und uns hingewiesen, den man dafür auchwegen Verächtlichmachung der StaatSeinrichtungen mit vier MonatenGefängnis bestrafte. Ferdinand Lassalle war eS, der daraufhinwies, daß von jeher die privilegierten Stände dieSteuerlasten von sich abwälzten auf die be-herrschten Klassen. Dabei wurde nach demselben Rezept ver-fahren, das schon in der Mitte des 17. Jahrhunderts ein geistlicherWürdenträger dem Kardinal Richelieu gegenüber mit den Worten zumAusdruck brachte:„Die Anschauung der Kirche ist es, daßfür die Bedürfniste des Staates das Volk beisteuert sein Gut,der Adel sein Blut, die Geistlichkeit die Gebete".Daran hat sich nur geändert, daß vom Volke jetzt Gut undBlut genommen wirb.(Sehr richtig I bei den Sozialdemwtraten.) Der ganz« Verlauf unserer Finanzpolitik beweist, wie rechtLassalle hatte. Worauf beruht denn das Reich? Auf Lebens-mittelzöllen, auf Verbrauchsabgaben, die d'Qualen des Hungers und der Not, sondern auch die schlimmerengeistigen der Geringschätzung und Verachtung. Obwohl er nie eineKlage laut werden lieh und mit Glauben und Geduld auf seinerGaleere arbeitete, erschien mir sein Leben wie ein grausamer tra-gischer Traum. Sein Leben verfloß in einer beständigen Angst, inseiner Kunst nicht den Ausdruck zu finden für die edlen und großenEmpfindungen, die ihn erfüllten, für dir ideale Stimmung, mit derer alles umhüllte.Die Juden in Marokko. Der jüngste Ausbruch desmohammedanischen Fanatismus in Fez ist auch den marokkanischenJuden zum Verhängnis geworden und hat zu einem furchtbarenBlutbade unter ihnen geführt. Die Geschichte der Juden imscherifischen Reiche bildet überhaupt nur eine lange Kette vonLeiden und Drangsalen. Ihre Ahnen hatten freilich einst, als sienoch auf der anderen Seite der Straße von Gibraltar, inGranada und Cordova, den glänzenden Städten des spanischenKalifenrcichs, ansässig waren, bessere Tage gesehen. Die JudenNordafrikas sind mänlich zum allergrößten Teil Abkömmlinge derFamilien, die bei der Christianisierung der Pyrenäenhalbinsel ausSpanien und Portugal vertrieben worden sind. Da der Islaman sich tolerant ist, wenn er auch dem Andersgläubigen die volleGleichberechtigung nicht zusteht, so war den Juden in den Tagendes maurischen Spaniens freieste Entfaltung ihrer Eigenart ge-stattet. Es blühte damals eine eigene jüdisch-arabische Literatur,deren edelsten Vertreter. Jehuda ben Halevi, Heines begeisterteWorte dem deutschen Gebildeten zu einer greifbaren Persönlichkeitwerden ließen. Die Eroberung Granadas durch die christlichenSpanier machte der jüdischen Kultur in Spanien jäh ein Ende.Die vielfach herrschende Anschauung, als ob die Spanier nur ausGlaubensfanatismus die Mauren und Juden vertrieben haben,stimmt mit den historischen Tatsachen nicht übcrein. Der Islamhatte damals, im 18. Jahrhundert, die Hoffnung noch nicht auf-gegeben, Spanien wieder zurückzuerobern; im Falle einer Landungder Mauren hätten sich aber die Juden und Mohammedaner derPyrenäenhalbinsel einmütig erhoben und so der neuen maurischenInvasion die Wege geebnet.Von den vertriebenen Juden ging ein Teil in die Türkei,wo die„Spaniolcn" nock? heute eine bedeutende Rolle, namentlichz. B. in Saloniki spielen; manche Familien wanderten nachVenedig aus; einer solchen Familie entstammte Lord Beaconsfield,der berühmte englische Staatsmann. Die Hauptmasse der Ver-triebencn aber wandte sich nach Marokko. Hier war freilich vondem Glanz der alten arabischen Kultur nicht viel übrig geblieben,und in der neuen Umgebung sanken auch die spanischen Judenrasch von ihrem einstigen hohe» Bildungsniveau herab. Diewilden Berbcrstäiume, die das Land als Nomaden durchstreiften,machten ihnen die Pflege des Ackerbaues unmöglich, der ewigeKrieg aller gegen alle untergrub jeden Handel und Verkehr; dieStelle der vornehmen Dynastie von Granada nahmen hier brutaleDespoten ein. die die Juden bis aufs Blut aussaugten und zumSpielball ihrer Tyrannenlaunen machten. Hauffs bekanntesMärchen von„Abner dem Juden" spiegelt die Verhältnisse, wiesie hier bis zum heutigen Tage herrschen, wider. Es ist, wie ge-sagt, nicht der Jslavi an sich, der die marokkanischen Judenmittleren und ärmeren Schichten weit mehr belasten, wie dieReichen. Die indirekten Steuern haben den Nachteil in unseren,den Vorzug in Ihren Augen, daß sie von der Volksmasse nicht sonachgerechnet werden können. Bemerkt werden sie allerdings gründ-lich, gemerkt sind sie auch von unseren 4>/z Millionen Wählern, abernachgerechnet können sie nicht so werden. Das ist ja auch der Grund-gedanke Bismarcks gewesen; Bismarck erklärte sicki deshalb fürdie indirekten Steuern, weil der einzelne dabei nicht so merke, wie-viel auf ihn kommt.Im Jahre 1872 betrugen die indirekten Steuem 616 Nil-lionen, im letzten Etat waren es, bevor er frisiert war,1561 Millionen(Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.) und nachdem der neueStaatssekretär sich als Schatzgräber versucht hatte, kamen noch70 Millionen an Zöllen hinzu, und es wurden nocheinige Millionen herausgerechnet, so daß wir auf 1840 Millionengekommen sind.(Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.) Aberdamit nicht genug, daß das System der indirekten Steuern daseinzige ist, das im Deutschen Reiche ausgebaut wurde, man hatunter Bismarcks Führung noch ein System ausgebaut, das einSondergeschenk den Großen bringt, das ist jene Liebesgabe,mit der wir uns zu beschäftigen haben. Man hat imWahlkampf gesagt, das Wort„Liebesgabeupolitik" sei einesozialdemokratische Erfindung. Der historischen Wahrheit zuliebesei festgestellt, daß eS zuerst am 11. Mai 1887 hier ge-braucht wurde und zwar von dem konservativenAbgeordneten v. Wedelt- Malchow, welcher sagte, fürdie 100 Millionen neuer Belastung müsse man doch denBrennern eine Liebesgabe geben. Doch kaum war ihmdas Wort entfahren, möcht' er's im Busen gern bewahren. Esbrach eine stürmische Heiterkeit loS, und Herr v. Wedell-Malchowfügte verlegen hinzu, man müsse den Brennern doch als billigdenkender Mensch diesen kleinen Lorteil geben. Also in vollemVerständnis für die Zuwendung an die Brenner quittierte Herrv. Wedell-Malchow mit seinem Dank. Gleichzeitig und kurz vorherhaben wir auch dieZückerliebesgobe gehabt, durch die bis jetztaus den Taschen des Volkes an die Zuckerfabrikanten 1400 Mill. M.gezahlt sind; durch die Branntweinliebesgabe sind in dieTaschen der großen Brenner aus denen der Aernuten der Armen1100 Millionen Mark gewandert. Das Branntweinsteuergesetz von1887, daS die Liebesgabe schuf, belastete den Liter Branntwein stattmit 5 Pf. mit 30 Pf., jetzt ist er mit 38 Pf. belastet. Damals hatman nicht gewagt, das Gesetz so abzufassen, wie es mit Hilfe derHerren vom Zentrum, der Konservativen und Nationalliberalenjetzt abgefaßt i>t. Es gibt wohl kein zweites Gesetz, das ein solchesgesetzgeberisches Monstrum,ein solches Ungeheuer ist, toie dieses, nur verständlich für den, derals Fachmann sich hineinarbeiten kann, und der dabei auch noch miteiner außerordentlichen Fähigkeit begabt fein muß, die wirrenSchleichwege dieses Gesetzes zu wandeln. Es hat 186 Para«a ra p h en und dazu noch 636 verschiedene AusführungS»bestimmungen. Nicht weniger als zwölfmal ist es abgeändertworden. 17 verschiedene Gruppen von Brennereien werdendarin aufgezählt, jede davon aber setzt sich noch wieder aus 12 zu-f a m m e n. Der ganze komplizierte Bau ist ein Meisterstückschlauer und hinterlistiger Berechnung, im Interesse bestimmterCliquen der Großbrenner, bestimmter einflußreicher politischerGruppen. Im Interesse der notleidenden Landwirtschaft sei dasGesetz erlaffen, sagte man. Das war die erste unrichtige Be-bauptung. DaS Gesetz soll die Brenner gegen die Erbfihung derKartoffelpreise schützen, dabei spielen die Startaffeln, die in derBrennerei verbraucht werden, gar keiss Rolle, eS find nur7—8 Proz. unseres Gesamtverbrauchs. Unter 53/t Millionenlandwirtschaftlicher Betriebe sind noch nicht 14 000, die inirgend einer Art mit Brennereien zu tun haben, alsoein ganz verschwindender Teil. Es wird geschieden zwischenlandwirtschaftlichen und gewerblichen Brennereien. Sie sagen.nur wo der Brenner auch Besitzer des Gutes ist, handelt essich um eine landwirtschaftliche Brennerei. Das ist aber nicht wahr.Die Schlempe auch aus den sogenannten gewerblichen Brennereienbekommt daS Vieh als Viehfutter, und zwar kommt diese Schlempeauf den Markt, wo sie von Tausenden von kleinen Bauern gekauftwird, während die Schlempe Ihrer„landwirtschaftlichen Brennereien"nur dem Großgrundbesitzer zugute kommt. Sie behauptenja immer, Sie vertreten die Interessen der Bauern. Dabei istdrangsaliert; eS ist die traurige Verkommenheit Marokkos, die andem Ruin der Viertelmillion Menschen, die in den Ghettos desLandes zusammengepfercht leben, die Schuld trägt. Die franzö-fische Herrschaft wird hier Wohl auch entschieden Wandel schaffen,wie sie es in dem benachbarten Algier getan hat, wo die Judenseit über 40 Jahren französisches Bürgerrecht besitzen.Der Beginn der Mandelblüte. Während in Deutschlands Gauenerst in diesen Tagen unter dem Einfluß der Frühlingssonne dieMandelbäume ibre Blüten entfalten und die Aefte mit einem lichten,schimmernden Blütenkranz umkleiden, hat, man in Frankreich und inEngland in diesem Jahre eine ungewöhnlich frühe Mandelblüte er-lebt. In Wandsworth in der Nähe von London haben die Mandel-bäume in diesem Jahre bereits Ende Februar in Blüte gestanden:ein Ereignis, das zu so früher Zeit zu den Seltenheiten zählt. Wieder„Gardener Ehronicle" mitteilt, haben die an demselben Mandel-bäum vorgenommenen Beobachtungen für die letzten acht Jahrefolgende Blü:-zeiten ergeben: Im Jahre 1004 am 2t. März. 1903am 7. März. 1908 am 28. Februar, 1907 am 20. März, 1908 am23. März. 1909 am 1. April, 1910 am 12. März, 1911 am 11. Märzund in diesem Jahre bereits an: 24. Februar. Und ähnliche Fest-stellungen konnten in Fraukreich gemacht werden. So haben Eng»land und Frankreich in diesem Jahre einen ungewöhnlich frühenBeginn der Baumblüte zu verzeichnen, während wir in Deutschlandim Gegensatz zum Jahre 1911 in diesem Jahre wohl im allgemeinenvon einer sehr späten Baumblüte sprechen können.Notizen.— Strindbergsletzte Pläne galten nicht einem RomanRobespierre", vielmehr einem Drama, das zur Zeit Ludwigs XVI.von Frankreich spielt. Ferner trug er sich mit der Absicht, denenglischen Grubenarbeitcrstreik dramatisch zu gestalten, und zwarmit der ausgesprochenen Tendenz, dabei die Uncntbehrlichkeit derArbeiterklasse darzutun. Schließlich wollte er noch die Reihe seinerhistorischen Erzählungssammlungen um eine neue vermehren, dieden Titel„Der schwedische Robinson" sührcn und mit einer Dar-stellung des schwedischen Generalstreiks von 1909 enden sollte. DieseArbeiten, die ihn bis in die letzten Tage noch beschäftigt haben, er-weisen sein unvermindertes Interesse und Verständnis für die wich-tigsten Fragen unserer Gegenwart, und es zeigt die ganze Ahnungs-losigkeit unserer Luxusliteraten, Strindberg schon seil geraumerZeit als schöpferisch verbraucht abzutun-— Zwei Millionen für daS Hygienemuseum.Für die Errichtung eines deutschen Hyqienemuseums in Dresdenist die sächsische Regierung bereit. 2 Millionen Mark bewilligen.—Die Arbeiterschaft wird sicher die Idee eines solchen Museums leb-hast fördern, wenn sie die Gewißheit erhält, daß die UnterlassuugS-'ünden der Hyqieneaiisstellilng dabei nicht wiederholt werden.— Moskau wächst. Nach der letzten Volkszählung hatMoskau 1 813 923 Einwohner, während Petersburg deren nur1 399 139 zählt. Wie die russischen Blätter feststellen, ist Maslauaugenblicklich die achtgrößtc Stadt der Welt und unter ollen Groß-tädtcn diejenige, deren Bevölkerung am schnellsten zunimmt. FallsMoskau in demselben Maße weiter wächst wie bisher, wird eS iydrei Jahren mehr als 2 Wllioirkn EinnMaer.Haien,