Nr. 97. 29. Iuhrgimg. 3. KcilM des.Ammts" Kcrlim WiksM fttüti. 26 Sfifl ini2. Stadtverordneten -Versammlung. 14. Sitzung vom Donnerstag, den 25. April, nachmittags 5 Uhr. Vorsteher Michelet eröffnet die Sitzung nach 5ü Uhr. Zunächst erfolgt die feierliche Einführung des in einer Ersatz- Wahl der 1. Abteilung gewählten Stadtverordneten Ullstein (Fr. Fr.). Mit großer Mehrheit ist in der Ausschußberatung die Ab- äuderung der Ordnung über den Anschluß an die Kanalisation und die Erhebung von Kanalisationsgebühren von 19l)8 angenommen worden. Diese Novelle bezweckt im wesenllichen eine Vereinfachung des Geschäftsganges; es soll die Aufnahme in- dustrieller unreiner Wasser in Mengen von über 19 009 Kubikmetern und reiner Abwässer von der Zustimmung des Magistrats abhängig gemacht und die zu zahlende Zusatzgebühr durch Gc- meindebeschlutz geregelt werden. Opposition hat im Ausschuß nur der neue§ W gefunden, wonach bei Eigentumswechsel der folgende Eigentümer mit dem Grundstück auch für die von den Vorbcsitzern noch nicht entrichteten Gebühren haften soll. Diese Vorschrift ist aber schließlich auch mit 8 gegen 6 Stimmen zur Annahme ge- langt. Referent ist Stadtv. Körte(Fr. Fr.). Stadtv. Landsberg (A. L.) kann sich mit dem neuen§ 25 nicht befreunden. Die Hausbesitzer seien doch schon belastet genug; da sei es doch verwunderlicki. daß der Magistrat eine neue dingliche Be- lastung für sie ersonnen habe. Die Bestimmung beruhe auf Vor. aussetzungen, deren finanzielle Tragweite geradezu winzig sei; in einem Jahre seien ganze 19 909 M. solcher Gebühren rückständig gewesen. Um solcher Lappalien willen mache man doch nicht neue Gesetze. Tatsächlich würde durch diese Neuerung die Beschaffung zweiter Hypotheken noch mehr erschwert. Stadtv. JustiZrat Hahn(A. L.) hält eS auch für nicht ratsam, so gelegentlich ein neues dingliches Recht zu statuieren. Beseitige die Mehrheit den§ 25, so möge man die bisher geltende Bestim- mung des Z 28 einfügen, wonach wenn in dem Halblahr, für welches die Gebühren noch nicht entrichtet sind, der Besitz wechselt, jeder Eigentümer als Gesamtschuldner haftet. Stadtrat Alberti tritt für die vom Magistrat vorgeschlagene Fassung ein. Bis 1998 sei diese geltende? Recht gewesen, dann von den Gemeindebehörden aufgehoben worden. Inzwischen hätten die Ausfälle an Gebühren sich so g e st e i g e r t, daß es wohl angezeigt sei. wenigstens den Versuch mit dem früheren Modus wieder zu machen. Eventuell solle die Versammlung wenigstens dem Antrag Hahn zustimmen. Stadtv. Koblenzer(Soz.): Wir werden für die MagiftratSvor- lajz« stimmen. Gegen diese ist sehr wenig vorgetragen worden. Man hat den Termin, bis zu welchem die Nachweise eingereicht werden sollen, den l. Januar— jeht ist es der 1. Februar— als zu früh bemängelt, aber ein ausschlaggebendes Gewicht legt auch Kollege Landsberg nicht darauf. Die dingliche Belastung hal- tcn wir für durchaus annehmbar, um so mehr, da es sich nur Die „Herrenwiese" in Neukölln, 26 226 Quadratmeter, soll für 462 233 M. an Neukölln veräußert werden. Stadtv. Bruns(Soz.): Wir halten den Moment nicht für ge- eignet, den Magistratsvorschlag anzunehmen. Eine gemischte Deputation berät seit einiger Zeit über die Frage, wie man den städtischen Grundbesitz in Treptow der Bebauung erschließen könnte, ohne daß Berlin die Wertzuwachssteuer verloren geht. Findet dieser Ausschuß einen Weg, so wird davon auch der übrige außerberlinische Grundbesitz, der sich im Eigentum von Berlin befindet, berührt werden. Deshalb sollte er st der Beschluß der ge- mischten Deputation abgewartet werden. Berlin geht nichts verloren, wenn wir einstweilen die Vorlage ablehnen. Stadtrat Rast: Das mutz ich bestreiten; Berlin würde sehr viel verlieren. 259 M. pro Quadratrute für ein Terrain, das noch gar keine Straßen hat. sind eine sehr hohe Summe. Heute bringt uns dieser Besitz so gut wie gar nichts, wir müssen aber doppelte Steuer bezahlen, da Rixdorf die Steuer für die nicht im Ort Ansässigen verdoppelt hat. Lassen wir den Besitz noch länger liegen, so wird sich unser Verlust nur noch steigern. Die gemischte Depu- tation berät ja nur über Treptow . Der Antrag der Sozialdemokraten wird abgelehnt und der Verkauf beschlossen. Schluß der öffentlichen Sitzung(48 Uhr. Huö der Frauenbewegung. Fraueuwahlrecht. Zu dem am 12. Mai 1912 stattfindenden Zweiten Sozial. demokratischen Frauentag ist soeben eine 16 Seiten starke Agitationszeitung für das Frauenwahlrecht erschienen, hevcnisgegeben von Klara Zetkin . Aus dem Inhalt heben wir hervor: DaS Fest der Blüte. Gedicht von Klara Müller-Jahnke.— Zum 12 Mai.— Die Schmerzensreichen. Gedicht von Ada Negri.— Die Internationa lität deS Frauentages. Von Adelheid Popp , Wien.— Für unser Recht. Aus der Rede von August Bebel zum ersten sozial- demokratischen Antrag, der 1895 im Deutschen Reichstage das Frauenwahlrecht forderte.— DaS Frauenwahlrecht, eine geschicht- lich begründete Forderung. Von Luise Zietz. — Das Bürgerrecht — ein Recht der Mütter. Von Berta Selinger.— Schicksal. Gedicht von Ada Negri.— Frauemvahlrecht und Klassenkampf. Von Rosa Luxemburg. — Warum fordern wir volles Bürgerrecht?— Mutter. Gedicht von Klara Müller-Jahnke.— Di« Bedeutung des Frauenwahlrcchts für die Arbeiterinnen. Von Gertrud Hanna . FrauenwahlrechtsbSvegung in Bayern Von Helene Grünberg.— Entfaltet aus der Hülle... Gedicht von Walt Whitman.— ________,_______________________ Als die Frauen in Finnland zum erstenmal zur Wahlurne gingen. um Wiedereinführung eines früher schon lange bestandenen Ver- Von Hilja Pärssinen, HelfingforS und anderes. hältnisses handelt. Auch 19 999 M. sind doch immerhin für den An künstlerischen Bildern enthält die Zeitung: Rufende Berg- arbeiterin. von Meunier.— Porträts der Sozialdemokratinnen im finnischen Landtag.— Walküre, von Stephan Sinding. — Die Aehrenleserinnen, von Millet.— Judith, von Botticelli . Der Preis der Nummer ist 19 Pfennig. Dieselbe ist von der Expedition der„Gleichheit" in Stuttgart , Furtbachstraße 12, sowie von den Buchhandlungen und Kolporteuren zu beziehen. Stadtsäckel schon ein Gegenstand. Stadtv. Sonncnfeld: Wir können doch nicht alle drei Jahre ohne die triftigsten Gründe unsere städtische Gesetzgebung ändern; die Bürgerschaft würde einen solchen Mangel an Stetigkeit nicht verstehen. Die Verwaltungsrechtsprechung erklärt die Dinglichkeit für nicht zulässig. Gewiß revidiert auch das Oberverwaltungs- gericht einmal seine Anschauungen, aber doch nicht alle drei Jahre. Daß der neue Besitzer für alle Schulden der Vorbesitzer haften soll, wäre eine große Ungerechtigkeit; das mutz zur Unsicherheit führen und auch die Hypothekengläubiger schädigen. Ich empfehle dagegen die Annahme des Antrages Hahn. Die Versammlung lehnt den§ 25 ab und nimmt den Antrag Hahn und mit diesem das abgeänderte Ortsstatut an. Die Besitzer des Hauses Friedrichstratze 224, Dr. Walter A b e l s d o r f und Professor Dr. B e r g e r, haben ihr Grund- stück an die Grundstückerwerbsgesellschaft Friedrichstraße 224 G. m. b. H. verkauft, und es ist ihnen die Wertzuwachssteuer im Betrage von 3199 M. abverlangt worden. Sie petitionieren um N i ch t b e i t r e i b u n g dieses Betrages, da der neue Erwerber, eben diese Gesellschaft, bankrott sei, sie auch durch eigenartige pekuniäre Machenschaften der Gesellschafter materiell schwer gescha- digt worden seien. Der Petitionsausschuß beantragt U e b e r- Weisung zur Erwägung. Stadtv. Brückner(Soz.): Wir beantragen llebergang zur Tagesordnung, weil wir den Instanzenweg noch nicht für erschöpft halten, weil wir aber auch Billigkeitsgründe zunächst nicht walten zu lassen vermögen. Geschäfte der Art, wie hier gemacht worden sind, grenzen geradezu an sträflichen Leichtsinn. Die Verkäufer mußten sich doch über die Person des Käufers unter. richten; haben sie das unterlassen, so müssen sie die Folgen tragen. Sie haben nicht die notwendige Sorgfalt beim Verkauf beobachtet, sie können daher nicht mit einem solchen Antrag an die Stadt kommen. Erst vor kurzem haben wir in einem ähnlichen Falle den Antrag angesehener Geschäftsleute um Befreiung von der Warenhaussteuer au? gleichen Erwägungen abgelehnt. Der Ausschußantrag auf Ueoerweisung zur Erwägung ist auch nur mit einer Stimme Mehrheit gefaßt worden. Der Magistrat hat ja schon selbst ein Entgegenkommen gezeigt, wie man es nur selten findet, indem dem Betreffenden gestattet ist, Papiere zu hinter- legen. Der Antrag auf Uebergang zur Tagesordnung wird abge- lehnt, ebenso bleibt der Ausschußantrag auf Ueberweisung zur Erwägung in der Minderheit. Die Petition der ständigen wissenschaftlichen Mitglieder des städtischen Untersuchungsamtes um anderweitige Regelung ihrer Bezüge wird dem Magistrat nach dem Antrage des Petitionsausschusscs als M a- t e r i a l überwiesen. Von dem Wortlaut des Gutachten, welches der Magistrat dem Ministerium in Sachen des Gesetzentwurfes über die Ausübung der Armenpflege bei Arbeitsscheuen und säumigen Nährpflichtigcn erstattete, nimmt die Versammlung Kenntnis. Der„Deutsche Tauerflug 1911/12" ist seitens der Veranstalter unter örtlicher und zeitlicher Beschränkung in einen Wettflug „Rund um Berlin" umgewandelt worden. Letzterer vermeidet die gegen den Dauerflug geltend gemachten Bedenken. Der Wettflug soll am 2 4. und 2 5. A u g u st stattfinden und die Flugbahn nur 96 bezw. unter Einziehung des Flugplatzes Bork 159 Kilbmeter betragen. Für____..... den Dauerflug hatten die städtischen Behörden am 8. Juni 1911 j ihm verschwisterten Prostitution in endloser Folg« stets' neue 59 999 M. bewilligt, davon sollen 19 999 M. zur Unterstützung des Scharen von Opfern zu. Als waschechter Bourgeois hat Stead, Wettfluges„Rund um Berlin " verwendet werden. der auch in anderen Dingen— so in seinen Bestrebungen für den Stadtv. Unger<A. L.): Der alte Plan krankte an den zu un- Weltfrieden— stets in Halbheiten stecken blieb, an die geheuren Organisationskosten; der neue reduziert diese Ausgaben tieferen Zusammenhänge des Mädchenhandels und der mo- nicht unerheblich. Es ist aber auch das Interesse Hannovers und dornen Prostitution mit der kapitalistischen Ordnung nicht gedacht, Hamburgs in Wegfall gekommen; das Interesse BcüinS, des Zen- als er gegen die ekelhaftesten Auswüchse der geschlechtlichen Un- trums der Flugzeugindustrie, ist aber geblieben. Wir halten 19 999 sittlichkeit zu Felde zog. So mußte dieser Ideologe es erleben, daß Mark für zu wenig und bitten, die Angelegenheit nochmals in jede Befchdung der Prostitution, welche die wirtschaftliche Aus- einem Ausschusse von 19 Mitgliedern zu prüfen.! beutung des Menschen durch den Menschen unangetastet läßt, dazu Stadtrat Selbcrg: Der neue Wettflug geht„Rund um verurteilt ist, ein Kampf von Pygmäen gegen ein hünenhaftes Berlin ", die Vororte aber, die am meisten davon haben, geben nichts Scheusal zu bleiben. Auch seine FricdcnsiLcc mußte er scheitern dazu her. Für Berlin scheinen uns 19 999 M. ausreichend. sehen. Und als Stead so jäh aus dem Leben gerafft wurde, ward Nach Ablehnung des Antrags Unger wird die Magistratsvor- er selbst ein Opfer des Mammonismus unserer Zeit, dessen ruch- läge angenommen, 1 loser Profitgier die Toten der Titanic geschuldet sind.— SS. Th. Stead und sein Kampf gegen de« Mädchenhandel. Unter den auf so gräßliche Weise umgekommenen Opfern des Schiffbruchs der Titanic befand sich auch der bekannte englische Journalist und Friedensapostel William ThomaS Stead . Die Nachricht von seinem tragischen Ende weckt die Erinnerung an das erste Auftreten dieses WanneS in der Oeffcntlichkeit, das einer Sache galt, die für die Frauenwelt von ganz besonderem Interesse ist. ES war im Jahre 1885, als die englische„Pall Mall Gazette " ihre weltbekannt gewordenen Enthüllungen über den„Jungfrauen- Tribut im modernen Babylon " brachte. Stead war der Leiter einer von jenem Blatte ernannten Kommission, die dem englischen Mädchenhandel auf die Spur kommen sollte, indem sie sich mit Inhabern und Insassinnen von Bordellen in Verkehr setzte. Ent- setzliche Dinge, wie sie grausiger sich keine Phantasie vorstellen kann, wurden damals offenbar. Der Bericht dieser Kommission wurde geprüft und in allen Teilen bestätigt durch eine andere Kommission, der der Bischof von London , der Erzbischof von Canterburh der Lordmayor und andere hervorragende Männer angehörten. Stead selbst sagte in seinem Bericht, daß seine Kommission nur die Oberfläche des Gegenstandes streifen konnte. DaS Unternehmen wurde in 6 Wochen durchgeführt mit einem Gesamtaufwand von 899 Pfund Sterling. Das war nach SteadS Worten„weniger als ein reicher Mann für die Korruption eines einzigen Ladenmädchens besserer Klasse, sagen wir die Tochter eines Pfarrers oder eines DokterS, verwenden würde". DaS typisch« Laster der Männer in den oberen GesellschastS- schichten deS als so sittenstreng verschrienen England ist die Ent- jungferungSmanie, die in ihren scheußlichsten Auswüchsen schließ- lich zur Kinderprostitution und zur Einrichtung von Kinderbor- bellen geführt hat. Wie Kauf und Verkauf von Kindern und eben erblühter Jungfrauen gehandhabt, wie diese durch List eingcfangen, durch Betäubungsmittel wehrlos gemacht werden, um die viehischen Gelüste reicher Wüstlinge zu befriedigen, das ist in den Enthüllun« gen der„Pall Mall Gazette " mit allen Einzelheiten beschrieben worden. Um alle Wünsch« ihrer zahlungsfähigen Kunden zu er- füllen, stellten diele Bordelle eigene Aerzte an. die den ihnen zu- geführten Mädchen nach eingehender Untersuchung Jungfrauen» atteste ausstellten. Da die Nachfrag« nach Jungfrauen aber das Angebot sehr oft überstieg, bestand neben dem„reellen" Jung- frauenschacher ein ausgebreiteter Handel mit„gefälschten" Jung- frauen. Es ist natürlich unmöglich, an dieser Stelle auf Einzel- heiten jenes schmutzigsten aller Geschäfte einzugehen. Genug. Stead konnte das Verdienst für sich in Anspruch nehmen, eine»noralische Pestbeule aufgedeckt zu haben. Seine Ent- hüllungen gaben das Signal für die ersten Anläufe zur Bekämp- süng deS Mädchenhandels, der bisher weder für die Regierungen, noch für die Oeffentlichkeit existiert hatte. Aber ei blieben Versuche mit untauglichen Mitteln am untauglichen Objekt. Denn bis zur Stunde blüht der Mädchenhandel nach wie vor; er wird nur raffinierter betrieben als vordem. Das moderne Babylon existiert in allen sogenannten Kultur- ländern, und überall, wo es arme, ausgebeutete Menschen gibt, treiben Not und Unwissenheit dem Mädchenhandel und der mit Der schweizerische Arbeiterinnenvcrband hielt am Sonntag in Basel seine Delegiertenversammlung ab, die von Delegierten aus 12 Sektionen besucht war. Der Verband hat im Jahre 1911 einen Vermögensbestand von 1165,49 Fr. erreicht. wozu noch der Preßfonds mit 475,39 Fr. kommt. Von den Be- schlüssen erwähnen wir: Prüfung der Frage durch Redaktion und Zentralvorstand, ob nicht das Format der heute monatlich erscheinenden„Vorkämpferin" vergrößert und das Blatt alle 14 Tage herausgegeben werden kann; Anschluß der Sektionen an die lokalen Arbeiterunionen; Nichtzugehörigkeit sozialdemokratischer Arbeiterinnen- vereine zu bürgerlichen Frauenorganisationen; Aufstellung eines Arbeitsprogramms durch den Zentralvorstand und die Arbeiterinnen- sckrelärin. Die nächstjährige Delegiertenversammlung findet in Ölten statt._ Hus aller Tlelt. fjofUcbheit vor den(Hahlen. Man schreibt uns aus Brüssel : Die Generalwahlen am 2. Juni machen den Klerikalen große Angst. Die Regierung und die klerikalen Abgeordneten sind daher von einer Sanftmut, Auf- merksamkeit und Höflichkeit gegen die Wähler, die unbeschreiblich ist. Besonders große Ehre ist kürzlich einem Eisenbahn- a r b e i t e r widerfahren, dem ein Baron und ein Graf, beide Mit- glieder der klerikalen Partei, höchst eigenhändig die Mitteilung einer— Lohnaufbesserung machten. Das kleine Schriftstück ist ein Musterexemplar von Höflichkeit und es verdient schon darum eine größere Publizität, damit die Welt erfährt, wie herzlich und schlicht auch die Aristokraten mit einem simplen Arbeiter umzugehen der- stehen— wenn die Wahlen vor der Tür stehen. Die Karte lautet wörtlich: Herr Graf von Limburg-Stirum und L. von Du BuS von Warnaffe Mitglieder der Deputiertenkammer haben die Ehre und das Vergnügen Ihnen mitzuteilen. daß Ihr Lohn vom 1. Mai dieses Jahres an von 8 Frank 49 Centimes auf 3 Frank 69 Centimes erhöht wird. Sie(die Herren Deputierten nämlich, Anmkg. des Korresp.) entbieten Ihnen die Versicherung ihrer ganz er- gebenen Gefühle. Nicht alle Tage wird einem Eisenbahnarbeiter eine Lohnerhöhung von 29 Centime? in einer so erlesenen Form angezeigt.— Erficht man aus dieser Anzeige, wie merkwürdig, sagen wir, erzieherisch Wahlen auf die Umgangsformen von Aristokraten und Volk wirken, so ist leider nicht daraus zu entnehmen, aus welchen Gründen dem Arbeiter die 29 Centimes Lohnerhöhung zuge- sprachen wurden- Hat der Arbeiter die Lohnerhöhung zu Recht er- halten? Wie kommen dann die Deputierten dazu, ihm davon Mitteilung zu machen? Oder bekam er etwa die 29 Centimes auf dem Wege der Protektion, durch die Vermittlung des Herrn Grafen und des Herrn Baron? Dem Herrn von Broguevill« wären nach allem, was man sonst von ihm hört und sieht, auch diese kleinen Wahlgeschäftchen schon zuzutrauen. Jedenfalls mutz es schon ganz miserabel um die klerikalen Wahlaussichten stehen, wenn die Aristokraten zu dem Verzweifelsten Mittel greifen und mit Arbeitern— höflich reden. � Das Leichenfeld im Meere. Die Passagiere des in New Dort eingetroffenen Dampfer» Bremen " erklären, sie seien so dicht an den Leichen der Titanic" vorbeigefahren, daß sie die einzelnen Personen hätten unterscheiden können. So sahen sie eine weibliche Leiche, die in jedem Arme ein Kind hielt, und ein Ehe- paar, das sich umschlungen hatte. Drei Personen hielten noch einen Dcckstuhl fest; alle hatten Rettungsgürtel um. lleberall auf dem Meere sah man Rettungsgürtel umherschwimmen. Die Mehrzahl der Leichen trieb zwischen zwei Eisbergen, von denen der eine zersplittert worden ist, als er mit der„Titanic" zu- sammenstieß. Viele von den weiblichen Passagieren der„Bremen " schrien beim Anblick all dieser Leichen laut auf. Der zur Aufsuchung der Leichen ausgesandte Dampfer „Mackay-Bennet" meldet, daß er 295 Opfer der„Titanic"- Katastrophe geborgen habe. Der Kapitän glaubt, daß die Mehrzahl der Leichen niemals wieder an die Meeresoberfläche gelangen werde. Verhaftung von Pariser Apache«. Die Verfolgung des Banditen B o n n o t, der am Mittwoch den Unterchef der Pariser Sicherheitspolizei, I o u i n, erschoß, hat Donnerstag früh zur Verhaftung mehrerer angeblich Mitschuldigen geführt. Die Mitglieder der Räuberbande nennen sich„Anarchisten", um ihren Verbrechen ein politisches Mäntelchen umzu- hängen. Die Verhafteten sind R o u l o t, genannt Lerulot, der Herausgeber der Zeitung„Anarchie", und B suchet, der Verleger der„Anarchie". Beide wurden in Paris festgenommen, Sie vermittelten den Verkehr zwischen den einzelnen Mitgliedern der Bande. Später nahm die Polizei in Les Lilas den„Anar- chisten" D u b o st. einen Freund Bonnots, in Haft, von dem man allerdings noch nicht genau weiß, welche Rolle er gespielt hat. In Alfortville wurde eine Frau Marie Besse, die Geliebte Simentoffs, festgenommen, da man auch sie zu den Helfershelfern Bonnots rechnet. Die Haussuchung, die in der Wohnung des„Anarchisten" Andrs Maurice Vorgenommen ivorden war, weil man glaubte, daß die Wohnung eine Zufluchtsstätte Bonnots sei, hatte kein Ergebnis. Kleine Notizen. In des Tigers Zähnen. Eine Schreckensszene spielte sich in dem in Lübeck gastierenden Tierzirkus Malferteiner ab. Ein Ober- Wärter begab sich in den Käfig der Königstiger, um ihn zu säubern. Als der Wärter einen der Tiger einen Augenblick unbeachtet ließ. stürzte sich dieser auf ihn und riß ihm große Stücke Fleisch a u s d e n W a d e n, die er gierig verschlang. Auf das furchtbare Geschrei des Verletzten und des Publikums, das panikartig ins Freie rannte, kamen die übrigen Wärter dem Angegriffenen zu Hilfe. Erst als man der Bestie eine Gabel durch die Nase stieß, fuhr das Tier zurück und ermöglichte es so, daß der Wärter geborgen werden konnte. Seine Verletzungen sind aber furchtbarer Art. Der vergiftete Meßwcin. Die Geschworenen von R e g g i o C a l a b r i a haben den Priester N a s o des Giftmorde» schuldig befunden, worauf ihn daS Gericht zu dreißig Jahren Zuchthaus verurteilt hat. Wir haben über die Affäre, die durch dieses Urteil ihren Abschluß findet, seinerzeit berichtet. Der Pfarrer von S. Ferdinando wurde »ach der Messe von heftigen Vergiftungserscheinungen befallen, so daß der Verdacht laut wurde, daß der Meßlvein vergiftet war. Um jeden Verdacht von sich zu weisen, trank der Sakriftan anS der Flasche, in der er den Wein aufbewahrte, erlag aber mit dem Pfarrer den Wirkungen des GistcS. Da der Priester N a f o in Feindschaft mit dem Pfarrer lebte, fiel der Verdacht auf ihn, und die Verdachtsgründe waren so schwer, daß sie zur Verurteilung geführt habeu.
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