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cmgreifen soll, um das drohende Uebel von uns abzuwenden. Es könnte z. B. sich brieflich an das Zentralkomitee der Fraktion Lenin , ebenso wie an das Organisationskomitee� das den anderen Teil der Partei versammeln wird, wenden, um die einen wie die anderen zu ersuchen, die notwendigen Schritte zur Einigung unserer Organisation zu machen. Die sozialdemokratischen Arbeiter in Rußlands sind gegen jede Zersplitterung, so daß die Intervention des I. S. B. einen begeisterten Widerball bei ihnen wachrufen werden wird. Mit sozialdemokratischen Gruß G. Plechanoff. ?5. Bitte, werter Genosse, in Betracht zu ziehen, daß es sich nicht darum handelt, die Perantwortlichkeiren festzustellen. Es handelt sich bloß darum, die Wagschale weder auf die eine, noch auf die andere Seite sinken zu lassen und die Uneinigkeit objektiv zu bekämpfen. G. P. Sozialee. Ungeheuerliche Konkurrenzklauscl. Wie hart ein Konkurrenzklauselvertrag wirkt und dennoch vom Reichsgericht bestätigt wird, zeigt ein am 1. Mai vom Reichsgericht entschiedener Prozeß. Tie Bremen-Besigheimer Oelfabriken beschäftigen sich speziell mit der Raffinerie von Rohöl. Auf Grund eines im Jahre 188S erlangten Patentes stellen sie ein feines Speiseöl her, das nach ihrer Behauptung von anderen Oelfabriken nicht nachgeahmt werden kann. Mit den Bremen -Besigheimer Oelfabriken ist im Juli 1907 der Chemiker Dr. S. einen Anstellungsvertrag auf siinf Jahre eingegangen. S. erhielt jährlich 2499 Mark Gehalt. Er verpflichtete sich zur Geheimhaltung der Ergebnisse aller Arbeiten und übernahm auch die Verpflichtung, bor Ablauf von drei Jahren nach erfolgtem Austritt aus dem Geschäft der Oelfabriken in kein Konkurrenzgeschäft einzutreten, noch bei seiner Errichtung behilf- lich zu sein. Das Verbot erstreckte sich auf Teutschland, Oesterreich- Ungarn , Frankreich , Belgien und Holland . Beim Bruch der Kon- kurrenzklausel sollte S. für jeden einzelnen Fall eine Vertrags- strafe von 39 999 Mark zahlen. Im Juli 1999 hat S. das Ver- tragsverhältnis durch Kündigung gelöst und eine Stellung als Chemiker in einer belgischen Oelfabrik angetreten. Aus diesem Grunde haben die Bremen -Besigheimer Oelfabriken gegen S. Klage auf Zahlung von 39 999 M. Vertragsstrafe erhoben. Landgericht Bremen und Oberlandesgcricht Hamburg er- kannten auf Verurteilung des Beklagten. Das Oberlandesgericht führt zur Begründung seiner Entscheidung zunächst aus, daß die Ausschließung der Konkurrenz des Beklagten für den Zeitraum von drei Jahren keine übermäßige sei. Auf keinen Fall sei der Beklagte durch diese Konkurrenzklausel in unbilliger Weise in seinem Fortkommen beschränkt. Nur die Deutschland begrenzenden Staaten seien ihm verschlossen. Ein weites Gebiet wie England. Italien , Amerika stehen ihm frei. Sodann aber weist daö Ober- landeSgericht noch darauf hin, daß die Konkurrenzklausel sich auch nur auf die Fabrikation des Speiseöls und seine Nebenprodukte beziehe. Seine Kenntnisse in der übrigen Oelfabrikation könne der Beklagte überall vertuenden. Ten Antrag auf Herabsetzung der Strafe lehnt das Oberlandesgericht mit der Erwägung ab. daß sie dem Interesse der Klägerin entspreche, da sie ihre Fabrikation durch eigene Erfahrungen wertvoll gemacht und auf die bestehende Höhe gebracht habe. Der Beklagte hatte gegen das Urteil des OberlandeSgerichtS Revision eingelegt und gerügt, daß das OberlandeSgericht den Um- stand übersehen habe, daß er in den ihm erlaubten Gebieten Kennt- nisse fremder Sprachen besitzen mußte, die er sich nicht so schnell als es nötig war, aneignen konnte. Auch bemängelt die Revision die Höhe der Vertragsstrafe. DaS Reichsgericht hat die Revision zurückgewiesen und damit das Urteil deS Oberlandesgerichts Ham- bürg bestätigt.(Aktenzeichen: III. 416/11.) Das Urteil zeigts aufs neue, wie dringend notwendig ein Verbot der Konkurrenzklauscl ist. Vom Polizeikampf gegen Rummelplätze. Ter Kasseler Polizeipräsident versuchte die Dauer der Belusti- gungen, welche der Volksmund unter dem Sammelnamen Rummelplätze" kennt, zu beschränken, indem er die Genehmigung solcher Belustigungen auf der Leistnerschen Wiese nur immer für drei aufeinander folgende Tage erteilte. Namentlich ging er da- von aus, daß durch einen länger anhaltendenRummel" die Ge- sundheit der Umwohner geschädigt werden würde. Die Lustbarkeitsunternehmer, Rudolph und Gerhardt, fochten diese Beschränkung im BerwaltungSstreitverfahren an und er- zielten, daß das Obervcrwaltungsgericht am Montag, nach Ein- holung von Gutachten des Kreisarztes und des Medizinal-Kolle- giums der Provinz Hessen-Nassau die Verfügungen des Polizei- Präsidenten, durch welche die Beschränkung der Erlaubnis auf drei Tage ausgesprochen worden war, außer Kraft setzte. Begründend wurde ausgeführt: Allerdings bestehe in Kassel (was auch in an­deren Orten der Fall ist, eine Polizeiverordnung, die von einer vor« herigen Erlaubnis abhängig mache das Aufstellen von Karussells, Schießbuden, Schaubuden usw. bei Messen, Marktfesten und bei jeder anderen Gelegenheit an den, dem öffentlichen Verkehr dienen- den Straßen, Wegen und Plätzen. Die Polizeibehörde habe aber gleichwohl nicht das freie Ermessen. Die Verordnung sei nur so aufzufassen, daß die Genehmigung notwendig sei, daß bei ihren Entscheidungen sich aber die Polizei an ihre gesetzlichen Befugnisse halten müsse und die Erlaubnis nur versagen und beschränken könne, soweit polizeiliche Gründe dies rechtfertigen. In diesem Sinne betrachtet, sei die Polizeiverordnung gültig. Vorliegend frage es sich nun, ob gesundheitspolizeiliche Gründe die polizeiliche Beschrän- kung rechtfertigten. Da komme entscheidend in Betracht das Gut- achten des Meoizinal-Kollegiums. Dieses habe ausgeführt: Man könne allerdings von Belästigungen der Umwohner durch das Ge- rausch der Orgeln. Karussells und des Publikums deS Platzes sprechen. Eine Gesundheitsschädigung sei aber nicht anzunehmen. Eine Gefahr für die Gesundheit bestehe erst dann, wenn befürchtet werden müsse, daß das Geräusch im Körper des ihm ausgesetzten Individuums Organveränderungen oder Störungen von Tätig- keiten von Organen verursachen, welche die Zeit der unmittelbaren Einwirkung des Geräusches überdauern. Das sei hier nicht anzu- nehmen. Deshalb sei die durch die Klage angefochtene Beschränkung außer Kraft zu setzen._ Beschäftigung schulpflichtiger Kinder i« Gewerbebetrieb. Das Landgericht Chemnitz Hai am 39. Januar d. I. den Schieferdecker Heinrich Müller wegen Vergehens gegen das Kinder- schutzgesetz zu 3 Tagen Gefängnis verurteilt. Als der Angeklagte im vorigen Jahre ein durch Feuer zerstörtes Dach neu zu decken hatte, duldete er es. daß sein damals 13 Jahre alter Neffe sich dabei betätigte. Dieser leistete nämlich an den Nachmittagen den Hand- werkern dadurch Hilfe, daß er, auf eine Leiter steigend, diesen die Schieferplatten zureichte. Da der Knabe zwar über 13 Jahre alt, aber noch zum Besuche der Volksschule verpflichtet war und auch nicht zu dem Sausstand des Angeklagten gehörte, so hatte M. sich gegen die ZZ 2 und 4 des genannten Gesetzes vom 39. März 1993 vergangen. Gegen das Urteil hatte der Angeklagte Revision ein- gelegt, in der er u. a. einwandte, daß die Tätigkeit des Knaben bei der Dacharbeit als keine.Beschäftigung im gewerblichen Be- triebe" angesehen werden könne, wenn sich der Knabe auch, wie festgestellt, in einer Woche hindurch in dieser Weise betätigt hatte. ft«» Reichsgericht verwarf dieser Tage die Reviswn als unbegründet. Em der frauenbe�egung. Die Frauenerwerbsarbeit im Deutschen Reich nach den Ergeb- nlsseu der Berufszählungen von 1882, 1895 und 1997. Die statistische Beilage des.Correspondenzblattes" der General- kommission vom 27. April 1912 enthält eine Bearbeitung der Berufs- Zählungen von 1832, 1895 und 199/, die den Nachweis der Zunahme der Frauenerwerbsarbeit seit 1382 besonders übersichtlich zur An- schauung bringt. Tie Statistik zeigt, welche Veränderungen seit der vorletzten Berufszählung in der �ahl der beschäftigten Arbeiterinnen und in ihrer Beschäftigungsart eingetreten sind, und wie sich dem- gemäß die gegenwärtigen Organisationsgebiete gestalten. Deshalb ist neben der Darstellung der allgemeinen Frauenerwerbsarbeit besonderer Wert auf den Nachweis der organisationsfähigen Arbeiterinnen in den einzelnen Berufsabteilungeii, Berufsgruppen und Berufsarten gelegt worden. Von den sechs Berufsabteilunge», auf die die amtliche Zählung die orlSanwesende Bevölkerung verteilt, umfassen die Abieilungen L.) Landwirtschaft. B) Industrie einschließlich Bergbau und Bau- gewerbe und O) Handel und Verkehr 1332 1893 1997 91,9 Proz. 91,1 Proz. 91.3 Proz. der gesamten erwerbstätigen Bevölkerung. In diesen für die GeWerk- schaften hauptsächlich in Frage kommenden Berufen spielt die Frauen- arbeit eine bedeutende Rolle, wie eS in der folgenden Uebersicht zum Ausdruck kommt: In Berufsabteilungen Jahr männsi?"��Äeiblich A. Landwirtschaft, Gärtnerei und I 1882 5 701 587 2 534 909 Tierzucht, Forstwirtschaft und! 1895 3 539 533 2 753 154 Fischerei........ f 1907 5 284 271 4 598 986 1882 5 269 489 1 126 976 1895 6 760102 1521 118 1907 9 152 330 2 103 924 B. Industrie, einschließlich Berg­bau und Baugewerbe... c s llch Gast- und Schankwirtlchaft[ 10O7 2 546 253 931 373 Von je 190 Erwerbstätigen der drei Berufsabteilungen stellte die 1882 1893 1907 2- inSge- davon inSge- davon inSge- davon samt m. w. samt m. w. samt m. w. A... 50,8 85,2 15.6 43,9 29,3 14,6 40,2 21,5 18,7 B... 39,5 32,5 7,0 43,7 35,7 8,0 45,7 37,2 8,5 0... 9.7 7,8 1,9 12,4 9.3 3,1 14.1 10,3 3.8 Zusammen. 100,0 75,5 24,5 190,0 74,3 25,7 100,0 69,0 31,0 Nicht alle hier gezählten Erwerbstätige» kommen aber als organisationssähige Personen in Frage. Als organisationssähig gelten im allgemeinen nur die unselbständigen Arbeiter und Ar- beiterinnen, die als 0 Gehilfen in der amtlichen Zählung geführt sind, unter Ausschluß der mithelfenden Familienangehörigen, die die Statistik als 0 1 Personen aufführt. Der Nachweis über die organisationsfähigen Arbeiter und Ar- beiterinnen und die Veränderung der Zahl zwischen den einzelnen Zählperioden laß: sich aber nur für die letzten beiden amtlichen Er- bedungen von 18951907 erbringen, da die 1882 aufgenommene Statistik eine Gliederung der unselbständigen Erwerbstätigen nach ihrer wirtschaftlichen Stellung nicht vorgesehen hatte. Sie berück- sichtigt alle die Berufe, die organisationsfähige Arbeiter und Ar- beiterinnen in nennenswerter Zahl enthalten, also die Berufs- abieilungen: Landwirtschaft, Industrie, Handel und Verkehr und häusliche Dienste und Lohnarbeit wechselnder Art. In der letzten Berufsabteilung(Abteilung v) sind nur solche Dienstboten enthalten, die nicht im Hause ihrer Herrschaft wohnen. Frauenarbeit in Oesterreich . Nach der Betriebszählung von 1902 kamen in Oesterreich auf je 1000 Beschäftigte im Gewerbe 263 Frauen(gegen 229 in Deutschland ), in der Industrie 253(223), in Handel und Verkehr 312(263). ES stehen 5 850158 Frauen in Oesterreich im Erwerbsleben, das sind 44 Proz. aller Frauen gegen 30,4 Proz. in Teutschland. Da aber 42 Proz. aller Frauen in Oesterreich verheiratet sind, ergibt sich von selbst, wer dw Familie zerstört! Dabei dürfen in Oesterreich die Frauen das 1862er Gesetz sagt.Frauenspersonen' immer noch nicht einmal politischen Bereinen angehören I_ Private Mutterschaftsversicherung. Zu einem Vortrag überFreiwillige MutterschaftS- Versicherung als Ergänzung und Ersatz deS durch die Reichs- Versicherung gebotenen Mutter- und Säuglingsschutzes" sprach im Auftrag der..Hauptstelle für Mutter- und Säuglingsfürsorge" am Nachmittag des 1. Mai im Bürgersaal des Berliner Rathauses Fräulein Jensen aus Baden-Baden . Da, so meinte die Rednerin einleitend, die Einführung der staatlichen Mutterschaftsversicherung wohl noch zirka 15 Jahre auf sich warten lassen dürfte, inzwischen aber sicher viel Mutterelend zu beheben sein würde, habe diePro- pagandagesellschaft" in Baden-Baden , Karlsruhe und Heidelberg private Mutterschaftsdersicherungen ins Leben gerufen. Da auch in Berlin dieser Gedanke von der Hauptstelle praktisch erprobt werden solle, sagte der Geschäftsführer Dr. Recke, sei eS angebracht, die süddeutschen Vorläufer durch Fräulein Jensen hier zu Worte kommen �u lassen. Bereits früher besprachen wir an dieser Stelle die städtstche Mutterschaftsversicherung, wie sie in Sebnitz in Sachsen eingerichtet worden �ist. In sehr ähnlicher Weise arbeitet man in den drei süddeutschen Städten, jedoch mit dem Unterschied, daß Mitglieder aller Stände, beiderlei Geschlechts, angeworben werden, die die Kasse durch einmalige oder dauernde Zuwendungen unter- stützen. Diese Kassen beruhen also einesteils auf Wohltätig- k e i t. andererseits auf Selbsthilfe und könnten bei Einführung immer nur als ein Notbehelf angesehen werden. Es wird be- absichtiat, aller Orten privare Mutterschaftskassen ins Leben zu rufen, falls die staatliche Mutterschaftsversicherung dann käme, die doch sicher des Geldes bedürfe, könne eventuell oas Kapital der privaten Mutterfchaftskassen der staatlichen Einrichtung überwiesen werden. In Holland (Haarlem ) habe man auch schon eine solche Kasse eingerichtet Der Äbtreibung, dem NeumalthusianiSmuS usw., würde durch solche Frauenhilfe auch sicher vorgebeugt werden. Die Propagandagesellschaft arbeite aber nicht in Sem Sinn des Bundes für Mutterschutz ". Auf die Anfrage, wie sich die Propa- gandagesellsthaft unehelichen Müttern gegenüber verhalte, er- folgte die Antwort:Wir nehmen sie natürlich auch auf, unter- stützen sie nach jeder Richtung hin. aber" und dann kam der Pferdefußim großen und ganzen sind unsere überall zu er- strebenden(?) freiwilligen Mutterschaftskassen nur für eheliche Mütter geplant." Solche privaten Versuche sind nicht nur unzulänglich, sie müssen auch den Forderungen nach staatlicherZwangS mutterfchaftS- Versicherung hinderlich werden. Eine Konferenz sozialdemokratischer Frauen Württembergs tagte am letzten Sonntag in Stuttgart . Sie- war von 67 Delegiertinnci, aus 27 Orten besucht. Genossin Z i e tz- Berlin sprach überDie Frauen rmd der politische Kamps', Genoisin Zetkin- Swttaart überDie EntWickelung der Frauenarbeit in Württemberg '. An- genommen wurde u. a. ein Antrag auf Schaffung einer besonderen Frauenagitationskommission und baldige Anstellung einer Sekretärin für die politische Frauen- o g i t a t i 0 n. Die Anträge wurden dem Landesvorstand über- wiesen.___ Gerichts-Zeitung* Methylalkoholprozeß. Im Methylalkoholprozeß gingen gestern die PlaidoherS der Per- Leidiger zu Ende. Die Verhandlung wurde auf Sonnabend vertagt. Verweigerte Justiz. Am 26. April stand der Dreher Otto O. vor dem Schöffen- gericht in Moabit , um sich wegen einer begangenen Körperverletzung zu verantworten. Bevor seine Sache zur Verhandlung kam, hatte er sich nebst seiner Ehefrau, die ihn begleitete, in den Zuhörer- räum begeben, um dieser einmal das Leben und Treiben vor Gc- richt sehen zu lassen. Plötzlich horchte O. erstaunt auf: vom Richter- tisch her hatte er seinen Namen gehört. Der Richter, ein schon bc- jahrter Herr, unterhielt sich dort mit den beiden Schössen und äußerte dabei etwa folgendes:Meine Herren, es sind heute alles nur kleine Sachen; aber hier dem O. wollen wir einmsl ordentlich etwas aufknacken, damit er genug hat!" O. war sprachlos. Tai! ein Richter, noch ehe er die Verteidigung des Angeklagten gehört, mit seinem Urteil schon vorher fertig ist. schien ihm etwas Un- glaubliches. Um sich zu vergewissern, ob er recht gehört, wandte sich O. an einige andere Zuhörer und fragte diese, was der Richter eben gesagt habe. Es wurde ihm von dieser Seite bestätigt, daß er richtig verstanden hatte. Nun faßte L. den Vorsatz, den Richter wegen Befangenheit abzulehnen. Als die Verhandlung jjegen ihn begann, wobei der Nichter einen besonders scharfen Ton anzu- schlagen beliebte, bat O. ums Wort, um seine» Ablchnungsantrag anzubringen. Der Richter ließ ihn aber nicht zu Worte kommen. sondern drohte, ihn abführen zu lassen. Als der Angeklagte sich dadurch nicht abschrecken ließ, beantragte der Staatsanwalt auf einen Wink des Richters drei Tage Haft wegen Ungebühr vor Gc- richt. Das Gericht verhängte hierauf über den Angeklagten eine sofort zu verbüßende Strafe von zwei Tagen Hast. Die Sache selbst wurde vertagt. Das Ablehnungsrecht des Angeklagten wird natürlich m einem späteren Termin geltend gemacht werden. Um zu seinem Rechte zu kommen, wird dem Angeklagten nichts übrig bleiben, als Antwort auf die Frage nach seinen Personalien das AblehnungS- gefuch zu stellen. Die Beschwerde gegen die Ordnungsstrafe wird wohl Erfolg haben aber die 2 Tage sind abgesessen. Eine Verzweiflungstat. Aus Verzweiflung über das ehebrecherische Treiben seiner Frau hat der 45 jährige Marmorschlefser Julius Müller eine Schreckenstat begangen, die ihn gestern unter der Anklage de» Mordes und des versuchten Mordes vor die Geschworenen führte. Den Vorsitz in der Verhandlung vor dem Schwurgericht des Landgerichts II! führte Landgerichtsdirektor Liebenow, die Anklage wurde vom Staatsanwalt Ascher vertreten, als Verteidiger des An- geklagten fungierten die Rechtsanwälte Lublinski und>r. Hirsch- feld. Die Verhandlung entrollte ein erschütterndes Familienbud. Der Angeklagte, welcher allerseits als ein fleißiger und nüchterner Mensch geschildert wird, der nur das Wohl seiner Familie im Auge hatte, ist seit dem Jahre 1893 verheiratet und Vater von 4 Kindern im Alter von l�ch bis 11 Jahren. Die Ehe war stets glucklich ge- Wesen, bis Ende vorigen Jahres die Zuneigung der 3(hahrigen Ehefrau zu dem lÖjährigcn Marmorschleiser und Klavier­spieler Bergeinann das Eheglück brach. Als eine» Tages der Angeklagte dahinter kam. daß seine Frau mit Bergemann einen Tanzboden aufgesucht hatte, während die vier Kinder allem und ohne jegliche Aufsicht zu Hause lagen, kam eS zwischen den Ehe- leuten zu einer Aussprache, in deren Verlaus die Frau offen er- klärte, sie liebe den B. und könne nicht von ihm lassen. Wie der Angeklagte vor Gericht mit bewegter Stimme angab, habe er am nächsten Tage, von einer eigentümlichen inneren Unruhe gepackt, nicht recht arbeiten können. Als er nach Hause eilte, habe er auf der Straße seinen elfjährigen Sohn Albrecht getroffen, der ihm erzahli habe:Mutter sei mit Bergemann oben, ihn habe man zum Schlach. ter geschickt." Er sei dann in die Wohnung gelaufen und habe hier seinen Verdacht bestätigt gefunden. Am Nachmittage sei dann schließlich in ihm der Plan immer mehr und mehr gereift, aus dem Leben zu scheiden und die Kinder mitzunehmen. Er habe es, wie der Angeklagte vor Gericht weinend erzählte, nicht über daS Herz bringen können, seine Kinder einem so ungewissen«chicksal zu überlassen. Er habe es nicht fertig bringen können, seine Kinder der Frau zu überlassen, die nach seinem Tode doch mit jenem jungen Bengel" zusammenziehen würde. Am Abend habe er dann noch- mals in aller Ruhe eine Aussprache mit seiner Frau gehabt. Diese habe sich ihre guten Kleider angezogen und sei einfach weggegangen. Als er nun mit den Kindern allein war, habe ihn die Verzweiflung gepackt. Nachdem er den Kindern in der Küche eine Lagerstälte be- reitet hatte, habe er 3 Zehnpfennigstücke in den GaSautomaten ge- steckt und dann, nachdem die Kinder eingeschlafen waren, den Gas. Hahn geöffnet und sich selbst den Schlauch in den Mund geileckt. Er sei bald bewußtlos geworden und erst am frühen Morgen durch das Klopfen des BäckcrS wach geworden. Nachdem sich seine Benommen- heit gelegt hatte, erinnerte er sich erst der Dinge, die sich am Abend vorher abgespielt hatten. Sein erster Gedanke galt den Kindern. Als er bemerkte, daß die drei ältesten Kinder noch luiten, das jüngste, die l�jährige Kitte jedoch bereits tot war, stürzte er»ach dem nächste» Polizeirevier und stellte sich hier freiwillig. Von sämtlichen Hausbewohnern, sowie von seinem Ehef und dessen sämtlichen Angestellten wurde eine Eingabe an das Gericht geschickt, in welcher das Gericht um eine milde Bestrafung des An- geklagten gebeten wurde. Staatsanwalt Ascher erkannte an, daß dem Angeklagten die weitgehendsten Milderun�grunde zur Seite stehen, er beantragte, nur die Schuldfrage nach Totschlag unter Zu, billigung mildernder Umstände zu bejahen. Die Rechtsanwälte, Justizrat LublinSk, und Dr. Hirschfekd, schilderten den Geschworenen in den düstersten Farben das tief- traurige Familienleben des Angeklagten, der durch ein ehebreche. risches Weib ins Unglück gestürzt worden sei. Der arbeitssame und nüchterne Mann sei offenbar durch das schandliche Verhalten der Frau in einen dumpfen Verzweislungszustand geraten, in dem er sich über seine Handlungen überhaupt nicht mehr habe Rechen- schaft ablegen können. Wenn man das Seelenleben eines solchen Menschen analysiere, so könne man, ohne gegün Gesetz und Recht zu verstoßen, fthr wohl zu der Ueberzeugung kommen, daß hier die Tat eines ManneS vorliege, der nicht mehr Herr seiner Sinne sei. Wenn man dies annehme, so müsse man aber zu einer Freisprechung kommen. Die Geschworenen verneinten nach 1% stündiger Beratung sämt­liche Schuldfragen. Als vom Landgerichtsdirektor Liebenow das auf Freisprechung lautende Urteil verkündet wurde, wurden im Zuhörerraum unter- drückte Beifallskundgebungen laut. Der Angeklagte wurde sofort au? der Haft entlasse». Unzulässige Trauungen. Ueber die durch einen Rabbiner in vier Einzelfällen vorgc- nommene Trauung durchreisender Russen hatte gestern die 6. Stra« kammcr des Landgerichts I unter Vorsitz deS Landgerichtsdirektors Goebel eine Entscheidung von allgemeinem Interesse zu fällen. Ter Prediger Dr. Hildesheimer hatte Russen, die sich auf der Durchreise vorübergehend hier aufhielten, ohne vorhergegangene standeSamt- liche Eheschließung nach den Vorschriften seiner Religi-m getraut. Er ging dabei von der Erwägung aus daß einerseits der Standes- beamte nach§ 1320 des Bürgerlichen Gesetzbuches gar keine Ehe­schließung vornehmen konnte, da ja von den eheschließenden Parteien niemand in Deutschland seinen Wohnsitz hatte, andererseits aber auch für Russen eine standesamtliche Eheschließung belanglos ist. Die Parteien wurden also nach seiner Meinung vom deutschen Recht gar nicht erfaßt. Die Staatsanwaltschaft erblickte aber in dieser Vornahme von Trauungen einen Verstoß ge�cn H 67 des Pxisscmc;: standsgesetzes vom 5. Mai 1875, welcher bestimmt, daß ein Geist- licher oder Religionsdiener, welcher zu den religiösen Feierlichkeiten einer Eheschließung schreitet, bevor ihm nachgewiesen ist, daß die Ehe vor dem Standesbeamten geschlossen, zu bestrafen sei. Der Staatsanwalt war aber selbst der Ansicht, daß der Fall sehr milde