Nr. 105. 29. Iahrgans.L Kiliße des Jornätts" Strlintt pIMIotlDienstag, 7. Mai 1912.Mgeoränetenkaus.65. Sitzung. Montag, den 6. Mai,vormittags 11 Uhr.Zunächst werden in dritter Lesung debattelos erledigt der Gesetzentwurf betr. die Bewilligung weiterer Staatsmittel zur Verbesterungder Wohnungsverhältnisse von Arbeitern in staat-lichen Betrieben und gering besoldeten Staatsbeamten,einIGesetz betr. die Umlegung von Grund st ücken in Wies-baden, das Gesetz über die Polizeiverwaltung imRegierungsbezirk Oppeln und das Ausführungsgesetz zur Maß-und Gewichtsordnung.Hierauf wird die dritte Beratung des Etats fort-gesetzt.Einige kleinere Etats werden ohne wesentliche Debatte erledigt.Es folgt diedritte Lesung des Kultusetats.Abg.«. Zedlitz sftk.) bleibt bei der großen Unruhe im Hauseim Zusammenhang unverständlich.Abg. Dr. v. Campe(natl.): Meine Freunde hatten zur zweitenLesung einen Antrag betr. denReligionS-UnterrichtderDissidentenkinder eingebracht. Auf eine Debatte wurde da-mals verzichtet in der Annahme, daß die Unterrichtskommission denAntrag bis zur dritten Lesung verhandelt haben würde.Zu unserm lebhaften Bedauern ist dies bisher nichtgeschehen. Wir sprechen den dringenden Wunsch aus,daß dieser Antrag noch vor der Vertagung zur Verhandlungkommen möge. Hinsichtlich des Jesuitengesetzes möge dieRegierung an ihrer bisherigen Stellung festhalten. sBravo l beiden Nationalliberalen, Unruhe im Zentrum.)Abg. Dittrich(Z.): Ich verstehe nicht, wie man als Liberalerverlangen kann, daß die Jesuiten nach wie vor unter ein Ausnahmegesetz gestellt bleiben.(Bravo I im Zentrum.) DerReichstag hat seinerzeit ausdrücklich einen Antag abgelehnt, derden Jesuiten jede Ausübung priesterlicher Funktionen verbietenwollte.(Hört I hört l im Zentrum.) Wie kann das starke Deutsch-land mit seinem starken Heer und seiner Flotte Angst vor ein paarHundert Jesuiten haben?(Sehr gut! im Zentrum.) Was soll dasAusland da für einen Begriff bekommen von unserer Macht undGröße?(Bravo I im Zentrum.)Abg. Eickhoff(Vp.): Zu einer von der bisherigen abweichendenAuslegung des Jesuitengesetzes liegt kein Anlaß vor. Wir werdenden Beschluß des Bundesrats abwarten. Den Hauptwert legen wirauf die Stärkung des Reichsgedankens.(Bravo I links.) Rednerfordert des weiteren eine Reform des Beschwerde- und Disziplinar-rechts der nichtrichterlichen Beamten. Die Medizinersollten mehr in sozialer Medizin unterrichtet werden. Icherinnere nur an die Fragen der Gewöhnung an einen Un-fall, der Berufsinvalidität. Die soziale Medizin könnte am bestenin einem praktischen Kursus mit Uebungen gelehrt werden.(Bravo Ilinks.)Abg. Schenk zu Schweinsberg(k.): Wir halten ander bisherigenAuslegung des Jesuitengesetzes fest und haben keinen Anlaß an-zunehmen, daß dies nicht auch die Auffassung der kgl. Staats-regierung ist. Dagegen, daß die Frage des Dissidentenunterrichtsin der Unterrickitskommission verhandelt wird, haben wir nichts.Kultusminister von Trott zu Solz: Die Angelegenheit der Auslegung des Jesuitengesetzes ist augenblicklich beim Bundesrat an-bängig, ich kann daher darauf nicht eingehen. Die Ausbildung derMediziner in sozialer Medizin zu fördern bin ich bereit. Die Durchführung dieser Absicht ist aber nicht so einfach.Abg. Cassel(Vp.) wünscht Vermehrung der jüdischen Lehrkrästean Volksschulen. Dem Bestreben, den L a n d r a t an die Spitze derKreisschulverwaltung zu stellen, würden seine Freunde denschärfften Widerstand entgegensetzen. Die Staatszuschüsse an kleineGemeinden für die Bolksschullasten sollten erhöht werden.Abg. Dr. Seyda(Pole) wendet sich gegen das Verbot polnischenPrivatunterrichts an Jugendliche über 18 Jahre.Abg. Dr. Arendt(st.) verlangt Kolonialprofessoren und wendetsich gegen frühere Ausführung des Abg. Runze über die Luther-Häuser in EiSlebe».Abg. Runze(Vp.) polemisiert gegen den Vorredner.»gg. Hinvmann(natl.): Wir müssen erneut mit aller Eni-schiedenheit fordern, daß der Antrag über den Religionsunterkleines feuilleton.Ein Zeuge der Steinzeit. Jshi ist ein Mann aus der Steinzeit.Wenn er auc� rn Unseren Tagen lebt, so gehört er unserer Zeit dochnicht an. Er ragt noch in die paläolithische(die alte Stein-) Zeithinein. Er ist vierzigtauscnd Jahre hinter unserer Zeit zurück.Daß Jshi mit unserer Zivilisation nähere Bekanntschaft machte,ist ein Werk des Zufalls. Sein ganzes Leben hatte er in den un-zugänglichen Wildnissen von Deer Creek, einem felsigen und steilabfallenden Canon in Tehama County, Kalifornien, verbracht. Voreiniger Zeit brach dort ein Waldbrand aus und Jshi mußte flüch-teil. In drei Meilen Entfernung von Oroville stellten ihn Hunde.Daß er hier gefunden wurde, gilt als eine der wichtigsten anthropo-logischen Entdeckungen unserer Zeit. Denn in Jshi sieht dieWissenschast zum erstenmal einen Mann aus der Steinzeit inFleisch und Blut vor sich; bisher beschränkte sich ihre Kenntnis aufdas, was fossile Uebcrreste sie lehrten, oder auf die Anschauung, dieihr aufgefundene vorgeschichtliche Gerätschaften gewährten.Professor T. T. Watermann von der Kalifornischen Universi-tät, der Jshi vom Tage seiner Auffindung an ununterbrochen beob-achtet hat, erklärte, daß die Verhältnisse, unter denen dieser Wildebisher sein ganzes Leben verbracht hat, genau denen entsprechen,unter denen der vorgeschichtliche Mensch in der Steinzeit lebte.Töpfernes Geschirr hat Jshi nie benutzt. Seine sämtlichen Gerätewaren aus Stein. Feuer machte er, indem er zwischen seinenHandflächen einen kleinen runden Stab rieb, der in die Auskehlungeines Cedernblockes paßte. Auf diese Weise kann er in fünfzigSekunden eine Flamme hervorbringen. Einen mit Stein beschla-gcnen Pfeil und Bogen benutzte er, und durch Nochahmen ihrerStimme lockte er wilde Tiere herbei. Mit Pfeil und Bogen, wiesie in St. Franzisco im Museum ausgestellt waren, traf er auf«ine Entfernung von hundert Fuß genau die Mitte eines Hutes.Bei seiner Gefangennahme trug er Riemen durch Nase und Ohrenund ein Bärenfell um seine Lenden. Wenn er fischt, wirft er vierStäbe oder vier Stuckchen Holz in das Wasser, nahe den vier Eckendes Netzes, und mit einem eigentümlichen Gesänge ruft er dieFische herbei. Will er Bären jagen, so legt er sich dort, wo er ihreFährte gesunden hat, in den Hinterhalt, und wenn ihm der Bärbis auf fünfzig Fuß nahe gekommen, ruft er ihm gewisse Lautezu. deren Bedeutung die, er versteht. Das Tier dreht sich um undsieht ihn an.»nd diesen Augenblick benutzt er, um ihm einen Pfeilourchs Herz zu schießen. Das Fell seiner Beute dient ihm alsKleidung.„Jshi ist der einzige Ueberlebende aus dem südlichen Uana-Stamme. Er ist der einzige Mensch h, p�r Welt, der noch dieSprache der südlichen'öuna-Jndtaner versteht. Eine scharf auS-geprägte und eigentümliche Mundart spricht er, die mit keinem an-deren Jndianerdialett Achnlichkclt hat. Die Sprache, die dieseIndianer hatten, besteht tatiachlich aus zwei verschiedenen Sprachen,die eine sprachen die Männer und die andere die Weiber. Fast jedesWort unterscheidet sich in der Endung auf irgendeine Art. je nach-dem es von Männern oder Weibern ge, prochen wurde. Ein Mann,der zu seiner Frau sprach, mußte daher die eine Sprache sprechenr i ch t noch bor P f i n g st e n zur Verhandlung gestellt wird. DieKonservativen haben erklärt, daß sie sich mit dem Antrag nochnicht beschäftigt hätten. Und das, trotzdem die Verweisung des An-�Irags an die Kommission bereits vier Wochen her ist.(Hörtl hört!)Wir protestieren entschieden dagegen, daß der Vorsitzende einer Kom-Mission sich bei seinen Dispositionen in bezug auf die Verhandlungeines Antrags danach richtet, ob irgend eine Partei und seies auch die stärkste, es noch nicht für nötig befunden hat,sich mit dem Antrag zu beschäftigen.(Bravo I links.)Die Erklärung des Ministers in der Frage des Jesuitengesetzes schienuns in einem gewissen Widerspruch zu stehen zu der Erklärung inder„Nordd. Allg. Ztg." vom 6. April. Damals eine völlig be-stimmte Stellungnahme gegen das Vorgehen Bayerns und heutedie Erklärung, der Minister könne sich nicht darüber äußern, weildie Sache dem Bundesrat zur Entscheidung vorliege. Wir hoffen,daß dieser Widerspruch nur ein scheinbarer ist.Kultusminister v. Trott zu Solz: Der Vorredner übersieht, daßzur Zeit der Erklärung in der.Nordd. Allg. Ztg." ein AntragBayerns an den Bundesrat noch nicht vorlag. Er liegt jetzt vorund insofern ist die Situation äußerlich geändert.Abg. v. Heimburg(1,) wünscht eine Sammlung aller Volks-lieber.Abg. Ernst(Vp.) bespricht eine Bromberger Schulangelegenheitund bleibt im einzelnen unverständlich.Abg. Hoffman»(Soz.):Wann soll endlich die Frage des Religionsunterrichtsder Dissidentenkinder geregelt werden? Das Versprechen,sie bis zur dritten Lesung zu beraten, ist in kurioser Weise verzetteltworden. Und gerade hier handelt es sich um eine alte Leidens-geschichte. Nicht nur in den Volks-, sondern auch in den höherenSchulen wird in der bekannten Weise vorgegangen. Autoritätenhaben die Behauptung widerlegt, daß die Religion der Grund derSittlichkeit sei. In der Tat ist das die N ä ch st e n l i e b e, nichtunser konfessioneller Zwangsunterricht gegen den Willen vielerEltern. 1817 wurden die Kmder der Deutschkatholiken, die zum Teildie Gottheit Christi leugneten, vor Zwangsunterricht durch einenErlaß geschützt. Fünfzig Jahre später sehen wir das Gegenteil,z. B. an dem Vorgehen gegen Dr. Bruno Wille von derBerliner Freireligiösen Gemeinde, der zwei Lehrerprüfungenbestanden und einen Literaturpreis von 30 000 Mark be-kommen hat. Und unsere Lehrerin Ida Altmann wurde sogaradministrativ ins G e f ä n g n i s g e st e ck t und wegen.Ungehorsams"wurde ihr dann die Lehrerlaubnis mangels der sittlichen Be-fähigung verweigert! Die Rechtsprechung des Kammergerichts indieser Frage war ganz widerspruchsvoll. Die Anschauungen deshöchsten Gerichts haben sich gewandelt mit denen derMinister. Wir haben ja allerdings hier hinter uns eineMinisterwandelhalle!(Heiterkeit und stürmische Rufe: Au! au!)So wird die Rechtssicherheit erschüttert. Der preußische Kultus-minister v. Bethmann Hollweg(der A e l t e r e) erließ 1859eine Bekanntmachung, wonach die Rechte der Dissidenten zur Fern-Haltung ihrer Kinder vom Religionsunterricht anerkannt werden unddie Freiheit des von ihnen geplanten Moralunterrichts zugesichertwird. Da wird es als a l t p r e u ß i s ch bezeichnet, keinen r e-ligiösen Zwang auszuüben. Wo sind wir seitdem hin-geraten I Zum konfessionellen Unterricht und zu dem von BethmannHollweg dem Aelteren verworfenen Zwange. Dadurch kann nur einverderblicher Zwiespalt zwischen Schule und Haus entstehen. DasEinvernehmen zwischen beiden kann nur durch Gewissensfreiheit ge-sichert werden.Die Verfassung gewährleistet doch die Gewissensfreiheit, manbraucht die Verfassung wahrlich nicht noch reaktionär auszulegen!1872 und 1875 verordnete der Kultusminister Falk, daß dieDissidentenkinder nicht zum Religionsunter-richt gezwungen werden dürfen. Seit 1392aber kamen immer reaktionärere Erlasse und Urteile.Man nimmt Dissidentenkinder, die von ihren Eltern nicht in denReligionsunterricht geschickt werden, gar nicht mehr in höhereSchulen auf! Wo bleibt da die Verfassung? Ein neuesKammergerichtsurteil schreibt vor, daß die Kinder eines Verstorbenen,der Dissident war, in dem Belenntnis, das der Verstorbene zuletzthatte, erzogen werden sollen, wenn sie nicht extra abgemeldetwurden. Wer soll sich denn da zurechtfinden? Auch die bürgerlichePresse kritisiert ein solches Urteil in schärfster Weise. Dagegenscheiden nach Kammergerichtsurteilen uneheliche Kinder mitdem Austritt der Mutter sofort aus der Kirche aus. Man hält sichund die andere zum mindesten verstehen können. Trotz des Um-standes, daß Jshi unter den Verhältnissen der Steinzeit lebte, ent-spricht«r doch dem, wofür man die Menschen aus der Steinzeitbisher gehalten hat, durchaus nicht, weder in geistiger noch in kör-perlicher Beziehung. Der Indianer ist merkwürdig aufgeweckt undverständig, und Professor Watermann behauptet, daß er sich insieben bis acht Jahren die Kenntnisie angeeignet haben dürste, dieder gewöhnliche Durchschnittsmensch besitzt. Bis zu seiner Gc-fangennahme war Jshi nie mit Weißen in irgendwelche Berührunggekommen. Die südlichen Dana-Indianer lebten außerhalb des Ge-bietes der spanischen Landbewilligungen in Kalifornien, und als1865 Pioniere aus die Jagdgründc der Indianer Anspruch erhoben,kam es zu schweren Kämpfen, bei denen sämtliche Danas bis aufzwölf niedergemetzelt wurden.Bisher ist es noch nicht gelungen, etwas Positives über das,lvas Jshi oder andere Angehörige seines Stammes glauben, zuermitteln. Der Indianer will von seinen Toten nicht sprechen. Vonkurzen Geschichten ist Jshi kein Freund. Die kürzeste, die er zuerzählen weih, die Geschichte von U-tut-Nee, der Waldente, erfor-derte zweiundfünfzig phonographische Aufnahmen. Allmählich gelangte das Anthropologische Institut in San Franzisco in den Be-sitz der Kenntnis seiner Sprache; man führte Jshi in das Anthro-pologische Museum, zeigte ihm dort die verschiedenen Funde ausder Steinzeit und ließ ihn ihre Namen nennen.Der schwingende Felsen. Unter den sogenannten„Natur-wundern" nehmen die„schwingenden Steine" eine besondereStellung ein. Sie sind gewaltige Monolithen, die auf einer Fels-spitze scheinbar ohne Halt balancieren. Der berühmteste dieserschwingenden Felsen und wohl auch der größte war der vonT a n d i l in Argentinien, der vor kurzem von selbst herabgestürztist. Das gewaltige Felsstück hat ein Gewicht von 459 Tonnen, dasauf dem Rande eines 159 Meter hohen spitzen Felsabhangesschwebte. Der geringste Wind, ja ein einfacher Stoß mit der Handgenügte, um diese gewaltige Steinmasse in Schwingungen zu versetzen;die Untersuchungen der Ingenieure hatten ergeben, daß bei gewöhnlichenWitterungSverhältnissen der Stein im Verlaufe von einer Minute sechzigSchwingungen machte. In Argentinien galt diese merkwürdigeNaturerscheinung als eine besondere Sehenswürdigkeit, und von weit-her kamen die Touristen, um diesen berühmten schwingenden Steinzu besichtigen. An ihn knüpft sich auch die Legende, daß der be-rühmte argentinische Diktator Rosas den Stein einst zum Absturzbringen wollte, um zu zeigen, daß seiner Macht nichts zu trotzenvermöge. Nach der Sage ließ er 49 Paar Ochsen vor den Felsspannen, um ihn so zu stürzen, aber an der Kraft der Natur zerbrachder Wille des Diktators. Vor wenigen Wochen, am 27. Februar, istder berühmte FelS nun plötzlich mit Donnergetöse in dieTiefe gerollt. Man wußte bereits, daß der Monolith vor einigenJahren vom Blitz getroffen worden war und nahm an. daß damitseine Gleichgewichtsverhältnisse eine Erschütterung erlitten habenmüßten. Die jetzt vorgenommene Untersuchung hat ergeben, daß derplötzliche Absturz nicht auf äußere Einflüsse, sondern auf die Kor-rosion(Zernagung) der Basis zurückzuführen ist. Die Ingenieureerklären eS für möglich, den Stein wieder an seine ursprünglicheStelle zu setzen, aber diese Arbeiten wären sehr umständlich undalso gar nicht an den Verfassungsartikel, der vorschreibt, daß dieKinder unter 14 Jahren dem Vater folgen.Von theologischen Autoritäten wird betont, daß eS g a r nichtmöglich sei, eine allgemein anerkannte De-finition der Religion zu geben! In die Schule gehörennur die Dinge hinein, die für den Kampf ums Dasein nötig sind.Keinesfalls aber sollten Sie durch Ihre Macht, die Kinder Nicht-religiöser zum Religionsunterricht zwingen. Die sogenannten Irr-lehren werden Sie doch nicht aus der Welt schaffen. Nach der Ver-Weisung des nationalliberalen Antrages an die Kommission nahmenwir an, daß endlich etwas in dieser Frage geschehen würde. Aber manwill die Sache offenbar auf den Herb st und dann biszum Schluß der Session vertagen. Selbst S t ö ck e rhat sich entschieden gegen den zwangsweisen Religionsunterrichtausgesprochen. Schon im Interesse der Kinder gläubiger Elternsollten Sie dafür eintreten, daß sie nicht mit Kindern religionsloserEltern zusammen unterrichtet werden. Geht denn die bürgerlicheGesellschaft zugrunde, wenn in der Schule kein dogmatischer Unter-richt mehr erteilt wird? Die religionslose Schule ist dochkeine Neuheit mehr in der Welt, sie existiert doch z. B. in Frank-reich. Sie können doch nicht glauben, daß es in Preußendauernd bei diesem Religionszwang bleiben wird l Dasstärkste Stück ist, daß man sogar der jüdischen Ge-meinde verboten hat, an DissidentenkinderReligionsunterricht zu erteilen. Tin solcher Fallist in Neukölln vorgekommen. Ein Theologe in der„ChristlichenWelt" hat den Religionszwang gegenüber Dissidenten als sittlichverwerflich und christlich gesprochen alsSünde bezeichnet.(Hörtl hört!) In Baden und Württemberg wird ein solcherZwang nicht ausgeübt, sogar in Nürnberg haben wir einen behörd-lich genehmigten religionslosen Unterricht. In Rom, dem Sitzedes Papstes, wird an keiner öffentlichen SchuleReligionsunterricht erteilt, ebenso in dem klerikalregierten Belgien und in vielen anderen Ländern. Da sollteendlich auch Preußen in der Kultur ein wenig nachhumpeln.Wir wünschen anstelle des Religionsunterrichts einen Moral-Unterricht, wie er von berufenen Pädagogen empfohlen wird.Wenn Sie solchen Anregungen nicht folgen, tragen Sie die Ver-antwortung, wenn die Gemüter der Kinder vergiftet werden. SorgenSie dafür, daß den Kindern in der Schule nicht Haß gegen dieAnschauungen der Eltern gelehrt wird. Sonst zwingen Sie die Eltern.zur S e l b st h i l f e zu greifen, und verlassen Sie sich darauf, daßdie Eltern dabei nicht den kürzeren ziehen. Die Eltern, die aus derKirche ausgetreten sind, sind nicht die denkunfähigsten, sie werdenMittel und Wege finden, ihre Kinder aufzuklären. Dabei ziehen Sieden kürzeren, wie Sie ihn naturgemäß in allen Kulturfragen ziehen.(Bravo I bei den Sozialdemokraten.)Abg. Heckenroth(k.) weist den Borwurf des Abg. Hintzmanngegen die Unterrichtskommission zurück. Eine Absicht, den Antragad calendas graecas zu vertagen, lag nicht vor.— Der Abg.Stöcker war nur gegen den Katechismusunterricht an Dissidenten-linder, wünschte aber, daß sie an dem Schulunterricht in biblischerGeschichte teilnehmen. Protestieren muß ich gegen die Blasphemiedes Abg. Hoffmann, wenn er sagte, Dissidenteneltern schickten ihreKinder lieber in den jüdischen Religionsunterricht, dasie meinten, mit einem Gott eher fertig zu werden als mitdreien. Eine solche Aeußerung muß jedes christliche Gemüt empören.Der Redner polemisiert gegen eine frühere Rede des Abg. Dr. S ch e p p(Vp.) und erklärt, die Lehrerschaft müsse in der Frage»Sozial«demokratie und Jugendpflege" eine ganz bestimmte Stellungeinnehmen, woran es der hannoversche Lehrertag hätte fehlen lassen.(Beifall rechts.)Das Haus vertagt sich.Präsident Dr. Frhr. v. Erffa: Der Abg Hoffmann hatgegen den ihn am Sonnabend erteilten Ordnungsruf wegenseiner Worte„Der Krieg ist ein Hohn auf Gott, das Christentumund die Menschlichkeit" schriftlich Einspruch erhoben. Nachder Geschäftsordnung hat das spätestens am folgenden Tage zu gc-schehen. Nachdem aber der folgende Tag ein Sonntag war, schlageich vor, den Einspruch als rechtzeitig eingebracht gelten zulassen und die Abstimmung über ihn auf die morgige Tagesordnungzu stellen.Abg. Dr. v. Heydebrand(k.): Wir begreifen, daß der Präsiidentdiesen Einspruch aus persönlichen Gründen als rechtzeitig eingebrachtgelten lassen möchte. Wir sehen aber nicht ein, warum wir von derGeschäftsordnung abweichen sollten und sind daher gegen denVorschlag des Präsidenten.würden eine Viertelmillion Mark verschlingen. In Argentinien hatman bereits eine Nationalsammlung begonnen, um die nötigenMittel aufzubringen, so daß über kurz oder lang die Kunst des In-genieurS versuchen kann, das Naturwunder von Tandil durch mensch-liche Kraft wieder herzustellen.Humor und Satire.Der Goethebund.Der Goethebund,Nicht ohne GrundVon Sudermann geleitet,Nach dem StatutMit Gut und BlutFür Geistesfreiheit streitet.llnd wahrlich, mehrAls je vorherIst heute es vonnöten,Daß unverzagtDen Kampf er wagt,Der Bund, benannt nach Goethe«.Es ist verbürgt,Daß man erwürgtDem Volk die freie Bühne.Der Bund, er weiß,Der Kamps wird heiß,Und Unrecht fordert Sühne.Und schau, zur Stund'Der GoethebundZum Zensor lenkt die Blicke.Daß er im LenzDie KonkurrenzDes Kientopps unterdrücke! Fridolin.Notizen.m.T J*act„ul,t) llegen dieKinematograpden. DerGoethe-Bund beabsichtigt demnächst auf einer besonderen Tagunagegen dw Kmematographengefahr zu protestieren. Interessenten undGönner der Filmindustrie wollen nun ihrerseits eine Versammlungfür die Kinematographie veranstalten.r T e n o r i st B u r r i a n hat mit der Dresdner Hofoperemen Gastspielvertrag abgeschlossen, nachdem er die Konventional-sirase m Höhe von 39 999 M.. zu der er vom Oberlandesgericht inPrag endgültig verurteilt worden war. bezahlt hat. Außerdem ge-nehmigte die Dresdner Generaldirektion, daß Burrian mit derx 1-"er Hofoper einen Gastspielvertrag abschließen könne. Indessendarf Burrian an anderen deutschen Opern nicht eher gastieren, biser nicht das Gastspiel in Dresden absolviert hat., Die Antisuffragetteliga, die unserem dt.-Thcater-lrttiler als Zukunftsorganisation erschien(siehe den Bericht überShaws Zeitungsausschnitte am l.fMai), besteht, wie uns Frau HeleneStocker mitteilt, in Wirflichkeit und zwar schon seit einigen Jahren.Shaws Satire wendet sich gegen diese AntistimmrechtSIiga.