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Weise das deutsch  -französische Marokkoabkommen vom 4. No­vember ausgelegt, indem sie sich an die französischen   Behörden gewandt habe, da diese augenblicklich allein für die Vorgänge in Marrakefch verantwortlich sind. Angesichts des Wunsches sowohl seitens Frankreichs   wie Teutschlands, den Zwischen- fall in freundschaftlicher Weise zu erledigen, hat man sich weder in Berlin   noch in Paris   über diese Angelegenheit aus seiner Ruhe bringen lassen. Kämpfe an der algerisch-marokkanischen Grenze in Aussicht. Paris  , 9. Mai. Wie aus O r a n gemeldet wird, haben die Beni Uarain ihr Lager in der Nähe von Bu Jakubat auf- geschlagen, unweit dem Punkte, wo sie kürzlich einen Angriff auf die Franzosen unternommen hatten. Alle französischen  Posten zwischen dem Muluja und der algerischen Grenze sind beträchtlich verstärkt worden, weil man sich darauf gefaßt macht, daß die Beni Uarain, die außerordentlich gut be- waffnet sind und Verstärkungen von den anderen aufftän» dischen Stämmen erhalten dürsten, demnächst in größerer Anzahl den Muluja   überschreiten und die französischen   Streit- kräfte angreifen werden._ Unruhen in Marrakefch. Tanger  , 9. Mai. Nachrichten aus Fez bestätigen, daß der Sultan   noch immer in Zweifel ist, ob er abreisen soll. Jeden- falls hat er sich entschlossen, bis zur Ankunft Generals Lyauteys in Fez zu bleiben, da man ihm versichert hat, er werde dann sogleich nach Rabat   abreisen können. In Marrakefch und Umgegend sind Unruhen ausgebrochen, die Mesluja haben sich empört, den Kalifen ge- tötet und seine Kasbah geplündert. Kämpfe bei Fez. Fez, 9. Mai. Die Kolonne Giraudon hatte ein leichtes Gefecht mit Deserteuren von Arbaua. Der Häuptling der Beni Uarain Ben Sahid wurde getötet; die Kolonne hatte zwei Verwundete. Soziales. Unverschuldetes Zuspätkommen ist kein Entlassungsgrund. Der Mechaniker T. klagte gestern vor dem Gcwerdegericht gegen die Inhaberin einer mechanischen Werkstatt, Frau Luise Hennig, auf Zahlung von 57,50 Mk. Lohn für die nicht innegehaltene vier- zehntägige Kündigungsfrist. Kläger   halte als Aequivalent dafür, daß er seine ihm zustehende Mittagspause zeitweise nicht ausnutzte. von der Beklagten   die Erlaubnis erhalten, diese Zeit, wenn es in seinem Interesse läge, gelegentlich einmal in Anspruch zu nehmen. Von dieser Erlaubnis machte der Kläger   am 4. Januar Gebrauch, indem er statt zwei Stunden vier Stunden über Mittag fortblieb. Er motivierte sein längeres Ausbleiben damit, daß er sich um eine andere Stellung bemüht habe, und reichte zugleich seine Kündi- ung ein. Die Beklagte stellte ihm nun anheim, daß er gleich auf- ören könne, lvas der Kläger   aber ablehnte, indem er erklärte, noch 74 Tage arbeiten zu wollen. Daraufhin machte die Beklagte den Kläger darauf aufmerksam, daß er sofort entlassen werden würde, falls er noch einmal zu spät komme. Der Zufall wollte es, daß dies schon am nächstfolgenden Tage wieder eintrat. Der Logiswirt, bei dem der Kläger   wohnte, erlitt in der Nacht vom 4. zum 5. Ja- nuar einen Tobsuchtsanfall, der seine Ueberführung in eine Irren» «nstalt notwendig machte. Der Kläger   sah sich veranlaßt, der Frau des Kranken dabei Hilfe zu leisten, indem er die erforderlichen Gäpge übernahm. Er kam infolgedessen morgens etwas später ins Geschäft, wo die Beklagte aber nicht anwesend war. Da der Kranke bis Mittag noch nicht abgeholt war, mußte sich der Kläger   auch in feiner Mittagspause noch darum bemühen, wodurch er sich wiederum etwas verspätete. Als er dann ins Geschäft kam. wurde er sofort entlassen. Vor dem Gewerbegericht erwiesen sich die Angaben des Klägers als richtig; eine Auskunft von der Polizeibehörde bestätigte ihm auch, daß er sich in geschilderter Weise um den Kranken bemüht hatte. Die Kammer 5, unter Vorsitz des MagistratSrats Wölbling, gab daher nach kurzer Beratung der Beklagten hLn dringenden Rat, auf einen Vergleich einzugehen; es komme hier nur ein Fall des Zu- spätkommenS ln Betracht, und da sei der Kläger genügend entschnl- digt gewesen. Die Parteien einigten sich daraufhin auf die Hälfte der geforderten Summe.  _ Huö der f rauenbewcgunc� Auf zum Frauentag! Allerorts, wo wir politische Organisationen haben, rüsten die Genossinnen und die Genossen eifrigst zu unserem Frauentag. Dieser gemeinsamen Arbeit freuen wir uns um so mehr, da sie Zeugnis ablegt von der Klassensolidarität und dem starken Rechts. empfinden, das in allen Mitgliedern unserer Partei lebendig ist. So wie unsere Genossinnen eifrigst an der Arbeit waren bei der letzten ReickstagSwahl. um den Sieg der sozialdemokratischen Kandidaten sichern zu Helsen  , so stehen die Genossen jetzt an unserer Seite im Ringen um unsere Staatsbürgerrechte, um das Frauen- Wahlrecht. DaS Klasseniincresse des Proletariats erfordert es. daß überall und stets so verfahren wird. Die Eroberung des Frauen- Wahlrechts bedeutet eben nicht nur die politische Mündigkeits- erkläruug der Frau, die Anerkennung eines Rechtsanspruchs, den sie seit langem erhebt, sie bedeutet vielmehr gleichzeitig die Aus- rüstung der Frau mit scharfen Waffen für ihren Klassenkampf. Wieviel wirksamer wird die proletarische Frau neben dem Mann ihrer Klasse am politischen Kampf sich beteiligen können, um ihre und die/ Interessen ihrer Klasse wahrzunehmen, wenn sie das Wahlrecht besitzt. Und wenn wir nur die politischen Kämpfe der letzten Jahre durchgehen, wird klärlich erwiesen, wie notwendig es ist, die Kräfte und den Einfluß der Proletarierinnen in erhöhtem Maße politisch nutzbar zu machen. Unsummen verschlingt der Militarismus. Mit ihren sauer erworbenen Groschen müssen vor allem die Proletarier ihn speisen, und sich Entbehrungen über Entbehrungen auferlegen, während zahlreichen Gruppe» der Besitzenden die Taschen gefüllt und ihren Angehörigen gut dotierte Versorgungsstellen geschaffen werden durch die Politik der Rüstungen. Unsummen in stets steigendem Maße werden dem Militaris- muß geopfert, während für Sozialpolitik: für den Ausbau der Ver- sicherungsgesctzgcbung, für Erweiterung deS Mutter, und Säug­lingsschutzes, für eine wirksame Witwen- und Waisenversicherung, für Herabsetzung der Altersgrenze für Altersrentner u. a. m. kein Geld vorhanden ist. Für die öffentliche Gesundheitspflege, für das Bildung?- und Erziehungswesen, für eine durchgreifende Wohnungsreform und -Pflege mangelt es an Mitteln, für das Wettrüsten ist Ueberfluß an Mitteln, so will es das Interesse der Besitzenden. Ihrem Interesse dient es, wenn mit dem wahnwitzigen Weiterrüstcn die organisierten Machtmittel des Staates wachsen, die in der Hand der Herrschenden ein überaus wirksames BeherrfchungS. und Unter- drückungSinstrument gegenüber dem emporstrebenden Proletariat bilden. In Mansfelo, im Ruhrgebiet   und anderswo wurde be- kanntlich in der skrupellosesten Welse von diesem Machtmittel Ge- brauch gemacht gegenüber den Grubcnsklaven. Wo es der Ver- mehrung der staatlichen Machtmittel gilt, stehen alle Besitzenden als Befürworter zusammen, wo es der Vermehrung der Volksrechte. dem Ausbau der Demokratie gilt, stehen alle Besitzenden als Gegner festgeschlossen beieinander. Diesen Tatsachen gegenüber, denen hundert ähnliche beigesellt werden können, erheischt daS Interesse der Arbeiterklasse nm so dringender, daß alle ihre Kräfte gleich gerüstet in den Kampf zu ziehen vermögen, um in geschlossener Phalanx den vereinigten Gegnern gegenübertreten zu können, erfordert es, daß Mann und Frau mit dem demokratischen Wahlrecht als schärfster politischer Wafte ausgerüstet werden. Im Interesse der Gesamtpartei, nicht nur ihres weiblichen Teiles, liegt es deshalb, daß der zweite deutsche   Frauen- tag zu einer glänzenden Kundgebung für daS Frauenwahlrecht werde! Durch die erfreuliche Tatsache, daß die Genossinnen Oester- reichs, Belgiens   und Norwegens   am gleichen Tage eine Kund- gebung für das volle Bürgerrecht des Weibes veranstalten, wird unser Frauentag zu einer internationalen Kundgebung! Auf denn Genossinnen! Setzt Eure ganze Persönlichkeit ein, damit unser Frauentag ein Ehrentag der sozialdemokratischen Jnter- nationale werde! Führende Frauen". II. Der letzte Abend der Borträge begann mit einem recht schwachen Auftakt. Fräulein Beerenson sprach als erste Rednerin über Helene Lange  . In ihrer Beleuchtung erschien Helene Lange   als die fortschrittlickiste der Frauen, die stets das Wohl der G e s a m t h e i tz des weiblichen Geschlechts im Auge gehabt hat. Anders sieht aber die Wirklichkeit aus. Ihre Verdienste um die Reform der Mädchenschule, um die Zulassung der Frauen zum Studium werden ihr unvergessen bleiben, aber wann und wo hat Helene Lange   für die Verbesserung der Volksschule energisch ge- kämpft, wann wäre sie je für die Einheitsschule eingetreten? Gewiß, sie verlangte bessere Berufsbildung für alle Frauen, in der Praxis aber nur für die sogenannten-höheren" Töchter. Alle Petitionen büraer- licher Frauenvereine im Reichstag und Landtag wären in den Papierkorb gewandert, hätte nicht August Bebel   namens der Sozialdemokratte seit 1891 im Reichstag und schon vorher in öffent- lichen Versammlungen immer und immer wieder die Zulassung der Frauen zu allen Berufen gefordert. Davon sagte Frl. Beerenson kein Wort. Charakteristisch für die Stellung der Referentinnen, nicht des Vereins, zur Sozialdemokratie ist, daß keine von ihnen den Namen August Bebel  , dieses ersten und tapfersten Vorkämpfers der Frauenrechte in Deutschland  , auch nur erwähnte. Auf Frl. Beerenson folgte Frau Minna Cauer   mit einem Lebensbild von Klara Zetkin   und Frau DzialoszynSki über Minna Cauer  . Beide Referentinnen, insbesondere Frau Cauer, verstanden ihre Aufgabe gut zu lösen. Frau Cauer mit einem Temperament, in dem man den Schlag des eigenen Herzens hörte. Sie fand hohe Worte der Anerkennung für Klara Zetkins Leben und Wirken. Aber es hieße an dieser Srelle längst Bekanntes wieder- holen, wollte man all das wiedergeben, waS Frau Cauer über die Verdienste unserer Genossin Zetkin   um die Sache der Frauen- beftciung in warmen Worten zu sagen wußte. Aber hervorgehoben sei, daß die Referenttn alle Anwesenden aufforderte, sich m den Sozialismus als Wissenschaft zu verliefen, den entstellenden Nachrichten derTagesblätter über die Sozialdemokratie keinen Glauben zu schenken, sondern erst zu lernen und dann selbständig zu urteilen. Sie gab ferner in kurzen Worten einen Ueberblick über die GegenwartS- forderungen der Sozialdemokratie und begründete ihre Darlegungen an dieser Stelle damit, daß die Jugend unbeeinflußt alle Parteien und ihre Ziele kennen lernen müsse, um sich dann in freier Wahl einer Partei zuzuwenden. Als Gegnerin hat Minna Cauer   Klara Zetkin   schätzen und wie sie selber sagte auch mitunter fürchten gelernt. Und wurde sie auch manch liebes Mal hart zerzaust, lo gibt Frau Cauer selbst zu, daß es meist berechtigt war. Aber ihrem Grundsatz. Frau Zetkin   nicht zu antworten, ist sie stets treu geblieben, denn, so meinte Frau Cauer. WaS hätte sie wohl auch zur Verteidigung der Lauheit ihrer bürgerlichen männlichen und oft auch weiblichen Klosiengenossen sagen können? Minna Cauer   lobt die soeben erschienene von Klara Zelkin berauSgegebene Frauenwahlrechlszeitung außerordentlich und Ichließtihre packende Darstellung deS Lebens einer großen Kämpferin mit der Aufforderung: die Anwesenden möchten sich an den Frauen- Wahlrechtsversammlungen am Sonntag zahlreich beteiligen, denn das sei etwa», was alle Frauen in gleichem Maße angehe. Auch Minna Cauers Leben ist, nach der Darstellung der Referenttn, reich an Kämpfen, reich an Entsagung. Aber sie hat sich nicht durchgerungen zu einer neuen Weltanschauung, zum Sozialismus. Große Stücke WegeS geht sie mit uns, aber an unser Zukunftsideal vermag sie nicht zu glauben. Sie hat sich früh aus freier Wahl auf eigene Füße gestellt; sie wollte den Eltern nicht zur Last fallen, da sie als junge Witwe völlig mittellos zurückblieb. Sie hat gleich Klara Zetkin   den Kampf um« tägliche Brot gekämpft, bis auch ihr, auf kurze Zeit wenigstens, ein freundlicheres LvS beschieden ward. In zweiter Ehe war sie mit Stadrschulrat Cauer verheiratet, seit vielen Jahren lebt sie als Witwe, völlig aufgehend im Kampfe um die Gleichberechttgung der Frau. Minna Cauer   gibt selbst zu, daß sie nie eine der unseren war. aber sie hofft, daß die Zeit nicht mehr fern sei, da alle Frauen gemeinsam kämpfen werden um das gemeinsame Ziel, daS schon Luise Otto 1348 als Motto für ihre Frauenzeitung wählte: .Dem Reich der Freiheit werb' ich Bürgerinnen." Man kann dem Verein Frauenwohl die Anerkennung nicht ver- sagen, daß er versucht, leine jugendlichen Mitglieder mit den Strö- mungen unserer Zeit bekannt zu machen, wenn die? objekttv auch nur in dem Referat von Frau Minna Cauer   zum Ausdruck kam. Auf die zum Frauentag erschienene.Frauenwahlrechts- Zeitung" sherausgegeben von Klara Zelkin) weisen wir noch- maks empfehlend hin. Sie enthält eine Reihe von Artikeln, die die Bedeutung des Frauenwahlrechts für das Proletariat erörtern. Ihr Inhalt ist durch mehrere gute Abbildungen und einige aus- gezeichnete Gedichte als Festgabe ausgestattet. Der Preis beträgt nur 10 Pf. Arbeiterinnen! sorgt auch für Verbreitung Eurer.FauenwahlrechtS-Zeitungt" Gerichts- Zeitung. Ehre sei Gott   in der Höh'. Vor der 4. Strafkammer des Landgerichts I hatte sich wegen Beschimpfung von Einrichtungen einer christlichen Kirche die Rezi- tatorin Frau Marie Saiigrr geb. Fröhlich-Rühling aus Hamburg  zu verarOmorten. Die Angeklagte hat in einer vom Schriftsteller Karl Schneidt   um die Weihnachtszeit nach den Kellerschen Sälen in der Koppenstraße einberufen gewesenen Volksversammlung ein Gedicht.Christnacht" vorgetragen, welches das von den Predigern um die Weihnachtszeit parophrasierte Wort:Ehre sei Gott   in der Höh' und Friede aus Erden und den Menschen ein Wohlgefallen!" in einen Gegensatz bringt zu den Leiden und Nöten der Armen und Elenden. Wegen Abdrucks dieses Gedichts ist seinerzeit ein Re» dakteur zu zwei Monaten Gefängnis verurteilt worden. Die sehr temperamentvolle Angeklagte hat dieses Gedicht in der Versammlung mit einer Verve vorgetragen, daß ihr allseitiger Bei­fall zuteil wurde. Zwei anwesende Beamte von der politischen Polizei haben aber daran Anstoß genommen und bekundeten gestern vor Gericht, daß die ganze Art des Bortrages der Ange- klagten, ihre Gesten und ihre Nachahmung der segnenden Bewe- gungen eines..Pfaffen" ganz zweifellos auf die beabsichtigte Ver- höhnung der Prediger und der Einrichtungen der Kirche hinaus- gelaufen fei. Die Angeklagte bestritt dies auf daS allerentfchie- denste und, um dem Gericht zu zeigen, daß es sich um eine ernste Deklamation handelte, erbot sie sich, das Gedicht im Gerichtssaale genau so vorzutragen, wie sie es in der großen Versammlung ge- tan. Die Angeklagte deklamierte dann in kunstgerechter Form und mit solchem Elan, baß eS wie SttlrmesweHen durch den'Gerichts­aal ging. Die Belastungszeugen blieben dabei, daß die Ange- klagte durch die Art ihres Vortrages die Prediger lächerlich und verächtlich habe machen wollen. Die Angeklagte beantragte, die Sache eventuell zu vertagen und ihr Gelegenheit zu geben, durch öffentlichen Aufruf bis Dienstag Teilnehmer an jener Versamm- lung zu eruieren, die bekunden würden, welch tiefen Eindruck ihre Deklamation auf sie gemacht habe. Der Staatsanwalt war der Meinung, daß es gar nicht darauf ankomme, festzustellen, in welchem Tone der Vortrag gehalten war, da schon der Inhalt des Gedichts allein unter allen Umständen ein Vergehen gegen die Religion dar- 'telle. Der Staatsanwalt beantragte 3 Monate Gefängnis. Das Gericht hielt es nicht für überzeugend dargetan, daß es der Ange- klagten darauf angekommen sei, die Einrichtungen der christlichen Kirche zu verspotten und zu beschimpfen und erkannte auf Frei- sprechung. Als der Vorsitzende einen dem Gerichtshof von der An- geklagten gespendeten Dank als unnötig zurückwies, erklärte diese: .Man muß doch heute noch danken, wenn man sieht, daß es doch noch Menschen gibtf"_ Roher Egoismus. Eine Anklage wegen Mordes beschäftigte gestern das Schwur- gericht des Landgerichts II   unter Porsitz des LandgerichtSrats Oertel. Die Anklage richtet sich gegen den 32 Jahre alten Post- ausHelfer Otto Frommer, der am 13. Oktober v. I. in dem Hause Kyffhäuserstraße 17 seine Braut, die 22jährige Marta Bogula, durch einen furchtbaren Schnitt in die Kehle getötet hat. Der Angeklagte wird vom Rechtsanwalt Skolny verteidigt. Der Angeklagte, der nach der Tat einen Selbstmordversuch begangen und sich einen tiefen Messerfchnitt in den Hals beigebracht hat, ist längere Zeit schwer krank gewesen und dann auch in der Anstalt Herzberge beobachtet worden. Er hat durch den Schnitt, den er sich beigebracht hat, die Sprache so gut wie verloren und kann sich nur unter Anstrengung in kaum vernehmbarem Flüsterton äußern. Er muß deshalb unmittelbar vor den Geschworenen  - bänken Platz nehmen, eine Verständigung mit ihm ist aber nur möglich, indem sich sämtliche Prozeßbeteiligte dicht um ihn grup- Pieren und mit gespanntester Aufmerksamkeit auf sein Flüstern achten. Der Vorsitzende wiederholt jedesmal die Antworten, die der Angeklagte auf seine Fragen gibt. Der Tatbestand ist kurz folgender: Das 22jährige Dienftmäd- chen Bogula diente seit längerer Zeit bei der Frau Weiße in dem Hause Kyffhäuserstraße 14 in Schöneberg  . Der Angeklagte kannte das Mädchen schon aus der Kinderzeit her und hatte sich auch mit ihr verlobt. Da die Marta Bogula ein solides und anstän- diges Mädchen war, hatte ihre Herrfchaft auch nichts dagegen, daß sie häufig den Besuch ihres Bräutigams empfing. Nun erfuhr das Mädchen aber von einigen dummen Streichen, die ihr Bräuti- n begangen hatte und hob das Verlöbnis auf. Dieses jähe e der Liebschaft hat den Angeklagten zu der Bluttat aufge- stachelt. Er ist am Tage nach oer Tat im Krankenhause vom Kriminalkommissar Sanders vernommen worden und sowohl diesem, als auch danach dem Amtsrichter Schuhrig hat er in voller Klarheit und ungetrübtem Bewußtsein die Tat rm einzelnen ge. schildert. Er habe ohne die Marta nicht leben können und habe dem Mädchen gesagt, daß, wenn sie sich mit ihm nicht wieder vertragen wollte, es besser wäre, wenn sie beide aus der Welt schieden. Sie habe sich aber geweigert, sich zu versöhnen. Am 13. Oktober habe er den Entschluß gefaßt, sich selbst zu töten, aber die Marta mit in den Tod zu nehmen. Er habe sich zu diesem Zwecke von Lichtenrade   nach Schöneberg   begebe« und sich unterwegs in einem Eisenladen ein Kartoffelschälmesser für 10 Pf. gekauft, das seine Dienste tun sollte, wenn sich da? Mädchen nicht wieder versöhnen wollte. In einer Restauration gegenüber dem Hause Kyffhäuserstraße 14 faßte er Posta und beobachtete von dort auS lange Zeit das HauS. Gegen 7 Uhr kam das Mädchen aus dem Hause, um Einkäufe zu machen. Unmittelbar darauf verließ der Angeklagte das Schanklokal, ging in dem gegenüber- liegenden Hause die Hintertreppe hinaus und stellte sich hinter die Küchentür. Das Messer hatte er uneingewickrlt in der Tasche. AlS daS Mädchen zurückkam, kam eS zu einer Auseinandersetzung zwischen den beiden. Als die Bogula eine Versöhnung ablehnte, packte sie der Angeklagt», der ein sogenannter Linkser ist, mit der rechten Hand am Hals und drückte sie zn Boden. AIS   das Mädchen in seiner linken Hand das Messer blinken sah, schrie sie jämmer- lich um Hilfe; ehe aber solche erschien, hatte ihr der Angeklagte blitzschnell die rechte Halsscite vom Wirbel biS zum Kehlkopf durch- schnitten und sich dann selbst eine breite Schnittwunde am Halse beigebracht. Den auf das Geschrei hinzueilenden Personen bot sich ein grausiges Bild dar: Marta lag blutüberströmt am Boden und gab kein Lebenszeichen mehr, Frommer lehnte, gleichfalls stark blutend, an der Wand. Bei dem Mädchen war der Tod bereits eingetreten, der Angeklagte wurde in das Augusta-Viktoria- Krankenhaus übergeführt. Bei seinen ersten Vernehmungen hat er ausdrücklich zugegeben: feine Brautmit Vorsatz und Ueberlegung" getötet zu haben. Er habe den Abbruch der Beziehungen nicht ertragen können und deshalb sollte das Mädchen mit ihm auS der Welt scheiden. Er bedauerte dem Kriminalkommissar gegenüber, daß er mit dem Leben davongekommen sei und erklarte: er mache sich gar nichts daraus, wenn er zum Tode verurteilt und hingerich- tet werden würde. Im gestrigen Termin erklärte der Angeklagte   zumeist durch Achselzucken und Kopfschütteln, daß er sich auf Einzelheiten der Tat nicht mehr besinne, versuchte aber die Sache so darzustellen. als ob die Bogula auf ihren eigenen Wunsch mit ihm in den Tod gegangen wäre. Die Geschworenen bejahten nur die Schuldfrage wegen Tot- schlages unter Berfagung mildernder Umstände. Der Staats- anwalt beantragte 12 Jahre Zuchthaus. Das Urteil lautete auf 10 Jahre Zuchthaus und 10 Jahre Ehrverlust. Wegen 6 Birnen vor dem Schwurgericht. Das klingt unglaublich, wurde aber doch zur Tatsache. Folgen- der Tatbestand lag einer Anklage wegen räuberischen Diebstahls zu. gründe, die sich gegen den 20 Jahre alten Handarbeiter Hermann Richter aus Pethau   bei Zittau   richtete. Am 16. August war dieser nrit 2 Wandcrkollcgcn von Dresden   nach Chemnitz   untcrtucgS. In Falkcnau bei Floha   hatte R. einen an der Straße stehenden Birn- bäum geschüttelt. 8 Früchte waren herabgefallen. Eine davon ver- zehrte er sofort, die andern steckte er ein. Diesen Vorgang hatte der Obstpächter H. beobachtet und war R. nachgelaufen, um ihn zur Red« zu stellen und die Birnen zurückzuverlangen. Während die Kollegen des R. davonliefen, entspann sich zwischen diesem und dem Obstpächter ein Wortwechsel. R. gab die Birnen nicht heraus und hinderte H., sie ihm abzunehmen, indem er die Taschen zuhielt und Drohungen ausstieß. Als der Straßenwärter G. dazukam, kündigte dieser dem R. die Arretur an. Dieser aber widersetzte sich R., indem er sich einstemmte und um sich schlug. Erst als der Schutz- mann kam, ging R. ruhig mit nach dem Gemeindeamt«. Mit dieser Sache hatte sich zunächst das Schöffengericht in Augustusburg   bc- schäftigt. Dieses hatte sich aber nach dem Ergebnis der Beweis- aufnähme für unzuständig erklärt, weil nach seiner Annahme ein Delikt nach Z 252 des Reichs-Strafgesetzbuches vorliege, dafür aber nur das Schwurgericht zuständig sei. Nun stand R. vor dem Chemnitzer   Schwurgericht. Er besttitt, sich widersetzt zu haben, um die Birnen zu behalten; er habe sich nur gewehrt, um seine Arretur zu hindern, zu der er den Straßenwärter nicht für berechtigt gc- halten habe. Den Obsidicbstahl habe er aus Hunger begangen. Die Geschworenen konnten sich nicht überzeugen, daß räuberischer Diebstahl borliege; sie verneinten die entsprechende Schuldfrage. Richter wurde aber des Widerstandes gegen die Staatsgewalt und des Vergehens gegen das Forst- und Feldschutzgesetz schuldig gc- sprochen. Das Gericht erkannte auf 3 Monat» Gefängnis wegen des Widerstandes und auf 2 Tage Haft wegen des Vergehens. Beide Strafen wurden als durch die Untersuchungshaft verbüßt erachtet. der Haftbefehl aufgehoben und R. entlassen,