Einzelbild herunterladen
 

Minderheit. Wir glauben vielmehr, daß allein die Gesichts- Punltc, die ein Jurist in hervorragender Stellung und noiti»nallibe- toter Abgeordneter, wie Herr Boisly, entwickelte, schon ausreichen müsttcn, um alle wahrhast liberalen Elemente zu kräftigster prinzi- Picller Stellungnahme zu nötigen. Aber ach! Unser Liberalismus im preußischen Abgeordneten. chause scheint wieder einmal total versagen zu wollen. Nicht nur die Opposition gegen Herrn Bassermann» die sich als national� liberale Partei im Dreiklassenparlament konstituiert hat, sondern auch die tapfere Fortschrittliche Bolkspartci! Denn trotz ihres impo- -nierenden Namens scheinen die zu einer Gruppe verschmolzenen freisinnigen Elemente kläglich nationallibcrale Wege wandeln und die prinzipielle Seite der Frage völlig in den Hintergrund zuriick- treten lassen zu wollen! Verbreitet doch das offizielle Jrcisinnsorgans, dieFreisinnige Zeitung", folgende Meldung: Die Landtagsfraktion der Fortschrittlichen Volks- Partei hat am Sonnabendvormittag über den Einspruch des Abg. Borchardt gegen seine Ausschließung von der Donnerstags- sitzung verhandelt. Es bestand volle Einmütigkeit darüber, daß die Vorgänge am Donnerstag in hohem Maße bedauerlich und geeignet waren, die Würde und das Ansehen der Volksvertretung herabzusetzen. In der Beratung wurden lebhafte Bedenken gegen die Zweckmäßigkeit des Borgehens des Prä- s i d e n t e n geltend gemacht. Der Präsident hätte, ehe er zur Anwendung des äußersten Mittels schritt, den Versuch zur Wiederherstellung der Ordnung dadurch machen sollen, daß er sämtliche Abgeordnete ohne Unterschied der Partei ersuchte, den Raum vor der Rednertribüne frei zu halten. Ferner hätte die Durchführung der Ausschließungsniaßregel erst nach Räumung des Sitzungssaales und der Tribünen erfolgen sollen, worauf der Wortlaut des§ 64 und die bei Erlaß dieser Bestinimung darüber geführten Verhandlungen ausdrück- lich hinweisen. Andererseits erachtet die Fraktion als festgestellt. daß der Abg. Borchardt in gröblicher Weise gegen die Ordnung des Hauses verstoßen hat. Er hat die mehr- -fach wiederholten Anordnungen des Präsidenten, von der Tribünentrcppe aus keine Zwischenrufe mehr zu machen, nicht befolgt, auch dann nicht, als diese Anordnungenzum letzten" undzum allerletzten Mal" ergingen und mit dem Hinweis auf die geschäftsordnungsmäßigen Folgen verbunden wurden. In der Ueberzeugung, daß die Ordnung des Hauses ge- wahrt werden muß, wenn nicht das parlamentarische Wesen selbst schweren Schaden leiden soll, hat die Fraktion beschlossen, durch die Abstimmung zum Ausdruck zu bringen, daß der Prä- sident nach den jetzt geltenden Bestimmungen der Geschäftsordnung berechtigt war. von dem ihm zu Gebote stehenden disziplinarischen Mitteln Gebrauch zu'machen. Zu- gleich aber hat die Fraktion beschlossen, um der Widerkehr derart widerwärtiger, das Parlament entwürdigender Auftritte vor- gubeugen, die Wiederherstellung des§ 64 der Geschäftsordnung in der früheren Fassung und damit der Streichung der Bestimmungen über die Ausschließung und Entfernung von Abgeordneten zu beantragen. Dieser Antrag entspricht der Haltung, welche die Fraktion im Jahre llllo gegenüber der Verschärfung des 8 64 einge­nommen hat." Danach wird die Fraktion der Fortschrittlichen BolkSpartei die Frage der Rechtswidrigkeit deS präsidialen und polizeilichen Vorgehens nach Möglichkeit in den Hintergrund zu drängen suchen, dagegen Gewicht darauf zu legen, sich der reaktionären Kund- gebung für den unmöglichen Präsidenten der Reaktionsmehrheit in stller Form anzuschließen! Denn die Fortschrittliche Volkspartei weiß ganz genau, daß ihr erst an zw e i t e r Stelle betonter Protest 'jjegen die Gültigkeit des 8 64 in diesem Hause natürlich unter den Tisch fallen, daß dagegen ihre Zustimmung zu der formalen Berechtigung des Präsidenten die Hauptrolle spielen wird! Und darauf ist cS der wackeren Vertretung des Fortschritts im Dreiklassenhause auch ganz offenbar an» gekommen l Man will das Tafeltuch mit der Regierung nicht zerschneiden. Man will sich auch nicht im entferntesten in den Geruch bringen, als ob man die angeblichen Ungebührlichkeiten eines Sozialdemokraten begünstigen könne, um mit rücksichtslosem Nachdruck für die Rechte des Parlamentarismus an sich und die Immunität der vom Volle erwählten Abgeordneten einzutreten! Armselig und schwächlich wie nur je zuvor zieht auch diesmal der Freisinn in den Kampf um die Bertretung der BolkSrechte! Die Wahrung der Rechte der Wähler, deren sich ein national- liberaler Oberlandesgerichtsrat vor zwei Jahren anzunehmen für verpflichtet hielt, ist unserem biederen Fortschritt H e k u b a. Die Wahrung der Bollsrrchtr, der Rechte der Wähler, der Berfassung, der ReichSgrsrtze wiegt unserem tapfere» Fortschritt leichter als das vermeintliche Recht eines grenzenlos ungeschickten und hyper- nervösen Präsidenten, dessen schreiende Parteilichkeit auch von FreisinnSorganen wiederholt gebrondmarkt werden mußte und der sich unter der unerbittlichen Aufficht seiner scharfmacherischen Auf- traggeber von der Rechten diesmal im unglücklichsten Augenblicke für verpflichtet hielt, die Immunität der Abgeordneten und das verfassungsmäßige Recht der BoUSvertreter durch den Leutnant und feine zehn Mann in der unerhörtesten Weife vergewaltigen zu lassen! Vielleicht freilich ist es sehr gut, daß wieder einmal bei einer besonders wichtigen und auffallenden Angelegenheit die strenge Grenzlinie zwischen der Bourgeoisie aller Schattierungen und der einzig wahrhaften, nämlich der proletarischen Demokratie, m«nifefti.ert wird!_ eine Absage an den Hntlparlamentarlsnius. Paris , 8. Mai. (Eiq. Ber.) Die heutigeGuerre Sociale " veröffentlicht me inter­essante Erklärung gegen die vomantiparlamentarischen Komitee", einer Vereinigung anarchistischer Syndikalisten und Libertäre" verschiedener Schattierungen, betriebene Pro- paganda der Wahlabstinenz. Die Redaktion gibt zu. ihre Hal- tung geändert zu haben. Ihr Bestreben sei von Anfang an gewesen, ein Einvernehmen zwischen den geeinigten Sozialtsten und den anarchistischen Kommunisten, die die Leitung der Arbeitskonföderation in die Hände bekommen hatten, anzu- bahnen. Dazu sei es nötig gewesen, gegen die in der so- zialistischen Partei herrschende Ueberschätzung des Parla- mentarismus aufzutreten. Aber nie habe dieGuerre Sociale" den Stimmzettel für unnütz erklärt, wenn sie auch ontiparlamentarischen Artikeln, Karikaturen und Gedichten oft einen breiten Raum gewährt habe was allerdings auch damit zusammenhängt, daß ihr Chefredakteur und ihr Re- daktionSsekretär seit ihrer Gründung selten beide zugleich aus freiem Fuße gewesm seien, und so mit den übrigen, aus dem libertären Lager herübergekommenen Redakteuren nicht den nötigen Kontakt gehabt hätten. Die«Guerre Sociale" habe unbestreitbar beigetragen, den Geist der Revolte in den Massen zu erwecken, aber sie habe bei ihrem Bestreben, vor der Ueber- schätzung der parlamentarischen Aktion zu warnen, übers Ziel geschossen und beigetragen, einen Teil der tüchtigsten Kämpfer in eine noch unheilvollere Uebertreibung: den Antiparla- mentarismus und die Abstinenzpolitik, hineinzutreiben. 1906, als dieGuerre Sociale" gegründet wurde, sei der Elektoralisnius" der sozialistischen Partei das Haupthindcr- ms der Annäherung der Partei und der C. G. T. gewesen, heute sei es der anarchistische AntiParlamentarismus der C. G. T. Die Erklärung schließt mit den Sätzen:Es ist für uns schmerzlich, uns wenigstens in dieser Frage von allen abstentionistischen und antiparlamentarischen Elementen zu trennen, deren revolutionärer Eifer uns in den Anfängen unseres Blattes eine unvergeßliche Hilfe geleistet hat und deren Selbstlosigkeit und Mut wir immer anerkennen werden. Aber es ist für uns alle eine Frage des i u t e l l e k t u e l l e n Gewissens und der politischen Ehren haftig- k c i t, alle Mißverständnisse zu zerstreuen. Nach dem Ab- stinenzmanifest des antiparlamentarischen Komitees können wir die Zweideutigkeit, die nur allzu lange gedauert hat, nicht fortdauern und den Schein bestehen lassen, als ob wir noch weiter eine Taktik begünstigten, der einige von uns ehedem huldigen mochten, aber die wir heute einmütig durch die Erfahrungen und durch die Interessen des Proletariats für ver- urteilt halten." Diese Erklärung ist von der gesamten Redaktion ab- gegeben, nicht nur von Hcrv6, Perceau und den an- deren, der Partei angehörigen Redakteuren, sondern auch von den Libertären Almereyda, Merle und T i s s i e r. Ausgenommen sind nur die extremen Mitarbeiter V i g n e fd'Octon), der über Kolonialfragen schreibt. Der Anarchist P o u g e t, einstiger Redakteur desPdre Peinard", und der Redakteur derBataille>syndicaliste" D e l a i s e. Es ist klar, daß ein so entschiedenes Bekenntnis zur Wahlaktion der sozialistischen Partei einen tatsächlichen Bruch mit derlibertären" Gedankenwelt bedeutet, und so kann es nicht wundernehmen, daß in den anarchistischen Gruppen, die den in Frage kommenden Redakteuren derGuerre Sociale " nahestehen, der Eintritt in die geeinigte Partei erwogen wird. So erfreulich eine solche EntWickelung auf den ersten Blich scheinen mag es sind unter den jungen Anarchisten sicher nicht nur enthusiastische, sondern auch lern- fähige Köpfe, so wird man sich andererseits kaum ver- hehlen können, daß der Zustrom gerade dieser Elemente die einheitliche Aktion der ohnehin an kosusionistischcn Sonder- gängern nicht armen sozialistischen Seine-Föderation schwer- lich begünstigen würde. Unverkennbar hängt die Enttäuschung, die die Anarchisten der verschiedensten Richtungen seit einiger Zeit gegenüber der syndikalistischen Bewegung kundgeben, gerade damit zusammen, daß das in dieser durch die gewerk- schaftliche Aktion in wachsender Klarheit ausgebildete Klassen- bewußtsein und Verständnis für die Bedingungen des pro- letarischen Klassenkampfs sowohl' dem revolutionsromantischen Putschismus wie dem lumpenproletarischen Nihilismus und dem kleinbürgerlichen Individualismus kein Betätigungs- feld läßt. Mögen in der syndikalistischen Bewegung gewisse, dem Lexikon der anarchistischen Sprache und Sitte ent- nominene Aeußerlichkeiten eine Zeitlang noch fortwirken, soviel läßt sich heute schon sagen: der Versuch des Anarchis- mus, die junge gewerkschaftliche Bewegung in seine Hände zu bekommen, ist durch den gesunden Klasseninstinkt des Pro» letariats überwunden. Bis zur völligen Ueberwindung des Mißtrauens der syndikalistischen Massen gegen die geeinigte Partei mag es noch gute Wege haben, aber zweifellos bedeutet die ernste Organisanonsarbeit, die in jüngster Zeit in den großen Gewerkschaften geleistet wird, für die Vorbereitung einer mächtigen, von sozialistischem Geist erfüllten, auf allen Gebieten ihre Kraft entfaltenden proletarischen Klassenbewe- gung mehr, als der Eintritt einiger, von den besten Absichten erfüllter, nach Betätigung verlangender Ex-Libertäre in die Cadrrs der Seine-Föderation. ver Krieg. Blutiger Kampf auf Rhodos ? Mailand , 11. Mai. Die Einzelheiten, die über den Kampf vorliegen, der gestexn auf der Insel Rhodos zwischen Italienern und Türken stattgefunden hat, lauten bis- her noch unbestimmt. Auf alle Fälle scheint es sich aber um Ereignisse von großer Bedeutung zu handeln. Es ollen zwei getrennte Treffen stattgefunden haben. Der Schauplatz der Kämpfe soll im inneren Gebirge, nordöstlich von Altairo, dem höchsten Berge der Insel, liegen. Auf beiden Seite« sollen größere Verluste eingetreten sein. Der Secolo" verzeichnet das Gerücht, daß auf der Zyrenaika weitere Truppen nach Rhodos gesandt werden sollen. Ein neueö Scharmützel. Rom . 11. Mai. DieAgenzia Stefani" meldet aus Tobruk vom 16. Mai: Gestern nacht gegen 11 Uhr versuchte eine feindliche Abteilung die Zisterne in der Nähe von Fort Nr. 1 zu beschädigen. Sie wurde entdeckt und beschoffen, wodurch der Feind zum Rück- zug gezwungen wurde. Die Italiener hatten keine Verluste. Eine Erklärung des Großwesirs. Paris , 11. Mai. Der Konstantinopler Korrespondent des Matin" berichtet, daß der Grohwesir Said Pascha folgendes erklärt habe: Die Besetzung von Rhodos und anderer Inseln des Aegäischen Meeres kann in keiner Weise die Haltung der türkischen Regierung ändern. Wir bleiben fest dabei, daß der Friede nur auf der Grundlage der tatsächlichen und nicht nur theoretischen Souveränität deS Sultans über Tripolitanien beschlossen werden könne. Die religiöse Souveränität,� von der auch gesprochen worden war, ist ein w e r t l o s e r Köder, denn diese Souveränität be- steht für jeden Mohammedaner. Dennoch ist der Frieden eine ge- bieterische Notwendigkeit, denn wenn sich die gegenwärtige Lage noch lange hinzieht, so wird der Weltfrieden gefährdet werden. Die Mächte müssen deshalb ein Mittel suchen, um eine Vermittelung anzubieten, die wir für unseren Teil annehmen würden. Besonders Frankreich und England sind an der Auf- rechtcrhaltung des Gleichgewichts im Mittelmcere interessiert. Zur Freimachung der Dardanellen. Konstantinopel , 11. Mai. Das Kriegsministerium gibt bekannt, daß am 0. und 10. wegen stürmischen Wetters die Hebung der in der Dardanelleneinfahrt befindlichen Minen eingestellt werden mußte. Von privater Seite erfährt der Korrespondent derFr. Ztg.", daß die Arbeit gestern wieder aufgenommen worden ist. Falls das Wetter günstig bleibt, darf für Dienstag dw Erössuung der Dardanellenenge erwartet werden. polftilcbe OebcrHcbt. Berlin , den 11. Mai 1912. Der Militäretat im Reichstag. AuS dem Reichstag , 11. Mai. Die Hoffnungen, die der Kriegsminister wohl gehegt hatte, daß er heute leinen Etat zu Ende absitzen könnte, sind enttäuscht worden. Er hat es aber schließlich nur sich selbst und seiner Verwaltung zu zuschreiben, wenn die zweite Lesung des Milttäretats noch nicht abgeschlossen werden konnte. Denn gerade die heutige Ver- nandlung hat wiederum bewiesen, wie viel und wie große Mißstände in unserem militärischen Organismus der Kritik und der Abhilfe bedürfen. Schon die Generaldebatte, zu der noch eine Reihe von Rednern sprachen, verstärkte diesen Ein- druck, der bereits gestern gewonnen werden mußte. Herr Dr. Müller- Meiningen brachte gleich zu Beginn eine Reihe >>on Beschwerden vor, die sich namentlich gegen die Intoleranz !>er militärischen Behi rden jeder freieren Meinung gegenüber - ichteten. Und wenn sogar der Nationolliberale Hel d diese Polemik unterstützen mußte, soweit es sich um die Politik der unpolitischen Kriegervereine handelt, so darf das allein, als der Beweis für die Berechtigung' der Kritik gelten. Herr i». K r ö ch e r allerdings stellte sich breitspurig, die Hände in den Hosentaschen, neben der Rednertribüne und erklärte die. Eingriffe der angeblich unpolitischen Vereine in die Politik ür selbstverständlich und notwendig. Genosse Schöpflin ehnte diese patzige Verteidigung mit dem sehr energischen .Hinweis auf die bevorrechtigte Stellung der Kriegervereine ab. und gleichzeitig hielt er noch einmal dem Krieysminister eine Reihe von Mißständen vor. die in dem willkürlichen Vor- gehen feiner Verwaltung beruhen. Die entschiedeile Auf- orderung unseres Redners, endlich einmal niit aller Rück- 'ichtslosigkeit gegen das grenzenlose Unrecht der Soldaten- Mißhandlungen vorzugehen, schien dem Kriegsminister ein loenig auf die Nerven zu fallen, und er antwortete mit einer Reihe von Gemeinplätzen, auf die unsere Redner nachher noch eine kurze und kräftige Antwort gaben. Inzwischen hatte eine lebhafte Debatte über daS Recht der freien Meinungsäußerung in der Kirche den fortschritt« lichen Pfarrer Heyn gegen die Mucker M u m m und Z ü r n auf die Tribüne geführt. Auch in der Spezialdebatte. die nun anfing, brachten nehrere Redner unserer Fraktion Mißstände und die miß- bräuchliche Praxis der militärischen Behörden zur Sprache. Die Genossen Dr. O u e s s e l und Dr. W e i l l kritisierten vor allem die Konkurrenz, die, insbesondere in Darmstadt und in Metz , den Wagenvermietern durch die unerhörte Aus- Nutzung der Krümperwagen gemacht wird. Die Konkurrenz, die die Militärkapellen den Zivilmustkern machen, wurde vom Genossen Zubeil besprochen. Genosse Keil erörterte Arbeitsverhältnisse in einigen Proviantämtern und Genosse Alb recht machte eingehendere Ausführungen über die Be- kleidungsämter. Vorher hatte der Fortschrittler Gothein noch einmal den gestern schon erörterten Fall des ab- gelehnten Reserveoffiziers besprochen, in dem sich die Militär- Verwaltung glänzend blamiert hat. Der Kriegsminister war freilich über die durchaus angebrachte Ironie einigermaßen vikiert. Auch Herr v. G a m p war etwas verletzt, weil Ge- nosse Albrecht einige Beispiele von seiner Agitationsmethode mitteilte. Er mußte sich aber von unseren Genossen nach- weisen lassen, daß er wirklich eine etwas eigenartige Wahl- mache betrieben hatte. Auch eine kleine Handwerkerdebatte gab es noch am späten Abend. Ueber die Resolution wird am Montag abgestimmt. Abgeordnetenhaus. Im Abgeordnetenbause herrscht wieder die übliche Langeweile. Im Saale, wo die Sekundärbahnvorlage weiter beraten wird, ver- e.inzelte.Volksvertreter', die sich mit allem andern, nur nicht mit >ein Gegenstand der Tagesordnung beschäftigen, am Präsidium Herr i, Erffa, der wegen seiner Tapferkeit vor dem Feinde am letzten Donnerstag immer noch keinen Orden bekommen hat. auf der Rednertribüne fast lauter Herren, die sogar de» Dienern nicht be- lannt sind, weil sie sich sonst niemals sehen lassen. Einer nach dem andern sagt sein Sprüchlein her. sie erzählen von den Nöten ihrer Wahlkreise und fordern neue Bahnen, manch einer von ihnen tritt schon seit 20 Jahren immer für dieselbe Linie ein und hofft troy ?er ablehnenden Haltung der Regierung doch noch auf endliche Ge- vährung seines Wunsches. So unglaublich es klingt, auf den Tribünen fitzen wie angewurzelt Leute, die sich das Zeug von An- sang bis zu Ende anhören, Leute mit beneidenswerten Nerven. Auch am Schluß blieb die Sensation aus, auf die das Tribünen» vublikum gerechnet hatte. Die Konservativen glänzten größtenteils lurch Abwesenheit, und da die Störenfriede nicht zur Stelle waren, fing natürlich alle? ruhig zu. Für Montag, wo an erster Stelle über die Beschwerde de» Ge- nossen Borchardt abgestimmt werden soll, sind die größten VorsichtS- naßregeln angeordnet. Das böse Gewissen der Junker und ihrer Helfershelfer läßt sie fürchten, daß sozialdemokratische Tribünen» iesucher etwas gegen sie im Schilde führen. Die Narren! Außerdem soll am Montag die Novelle zum KnappschastSkassen» zesetz beraten werden._ Nicht rechtzeitig angemeldete Versammlung ea. DasBerliner Tageblatt' behauptet, die Protestversammlungen gegen die Vorgänge im Abgeordnetenhause wären beinahe nicht zu- stände gekommen, weil die 24slündige Anmeldefrist nicht gewahrt var. Das ist irrig. Erstens war die Anmeldefrist gewahrt. Ferner aber gibt die Verspätung oder daS Unterlassen einer Anmeldung der Polizei nicht mehr(wie nach dem altpreußischen Vereinsgesetz) das lischt zur Auflösung. Nur wenn es sich um nicht rechtzeitige An» Meldung von Versammlungen handelt, in denen die Verhandlungen n nicht deutscher Sprache geführt werden, ist die Polizei bei der» späterer Anmeldung zur Auflösung berechtigt. Das Unterlassen der Anzeige oder die Verspätung bei der Anzeige hat in allen übrigen Fällen nur ein Strafverfahren gegen den Ber - an st alter und Leiter zur Folge. Sie sind mit Geldstrafe bis tdO W. bedroht._____ Von der Essener Polizei. Der Feldzug der Essener Polizei gegen die stark gewordene Arbeiterbewegung in Essen hat ihr eine Reihe vernichtender Niederlagen eingetragen. Erst kürzlich wurde ein auf ihre Ber- anlassung eingeleitetes Verfahren gegen zwei Genossen wegen an- geblichen Meineides niedergeschlagen; ein Genosse, der zu mili- tärischein Ungehorsam aufgereizt haben sollte was durch Spitzel ermittelt wurde erzielte Freisprechung. Jetzt ist auch ein Ber» fahren wegen angeblicher Majestätsbeleidigung zu Wasser geworden. In der geniralbibliothek der organisierten Arbeiterschaft Essens wurde ein Buch von Adolf HellgrenAus den Memoiren eines Laubfrosches' geführt, das für Deutschland konfisziert sein soll, wo» von der Bibliothekar Genosse Hammer nichts wußte. Offenbar hat nun die fleißige politische Polizei den kürzlich herausgekommene» Katalog der Bibliothek genau studiert und dabei das verpönte Buch entdeckt, das, nebenbei, in den Buchhandlungen bisher unbeanstandet geführt wurde. Es wurde beschlagnahmt und Genosse Hammer verfiel einem Verfahren wegen MajestätSbcleidignng, die nicht er. sondern daS Buch begangen haben soll.