Mangel ist. daß in diesem in sich geschlossenen Handelsstaat eben der Staat alles dirigiert; es ist ein Staatssozialismus, der sich eben daraus erklärt, daß Fichte die geschichtliche Bewegung zu dem Ideale hin noch nicht vor Augen hat. Das ändert aber nichts an seinem Verdienst, gewisse Grundziige einer besseren Zukunft richtig borausgesehen zu haben. Sein„Handelsstaat" ist völlig in die Grenzen eines Staatswesens eingeschlossen. Das ist nur ein not- wendiges Ergebnis der Konstruktion von oben herunter, nicht da- gegen ein Beweis für engen Nationalismus. Vielmehr urnfahte Fichtes weitestes Ideal, sein Vernunftreich die ganze Menschheit; in den„Grundzügen des gegenwärtigen Zeitalters"(1804) sieht er eine Zeit voraus, wo alle Völker zu einer einzigen großen Gc° meinde vereinigt sein würden. Den ewigen Frieden erwartete er schon von dem geschlossenen Handelsstaat. Kurz, er war als Politiker im weitesten Sinne des Wortes ein so kühner Denker, wie man sich nur einen vorstellen kann. Darum hat man Karl August und überhaupt der Weimarer Staatsweisheit ein großes Verdienst paraus gemacht, daß sie es gewagt hätten, einen Mann von Fichtes Radikalismus und literari- schen Antezedenticn als Univcrsitätsprofessor nach Jena zu berufen. In der Tat wäre es auch sehr anerkennenswert, wenn Fichte dort unangefochten hätte bleiben können. Da dies aber nicht der Fall ist, so bleibt nichts übrig, als die Goetheschen Auslassungen über die „Verwegenheit", womit man Fichte trotz seiner bedenklichen Aeuße- rungcn über die wichtigsten Gegenstände eingesetzt, als eine Um- schreibung des Tatbestandes anzusehen, daß man den Schritt getan, ohne sich über seine Bedeutung recht klar geworden zu sein. Jeden- falls, als 1798 der berühmte Atheismusstreit losging im Anschluß an ein paar Journalartikel Fichtes und eines Mitarbeiters, die das Göttliche auf die sittliche Weltordnung beschränkten, da gab Sachsen-Weimar dem kursächsischen Drängen auf ein Vorgehen gegen Fichte nach. In seinem„Verantwortungsschreiben" hatte Hichte die Weimarer Regierung gleich darauf gestoßen, daß der kursächsischc Angriff seine Irreligiosität bloß als Vorwand benutzte. .Er wolle die wahre Abficht dieser Regierung enthüllen; sie habe die religiöse Anklage nur zum Deckmantel der politischen gebraucht, den Atheismus genannt und den Demokratismus gemeint. Diesem gelte die Anklage. Er sei chnen ein Demokrat, ein Jakobiner. Das blieb auch weiterhin Fichtes Auffassung von der Aktion gegen ihn, als diese schließlich dahin geführt hatte, daß er tatsächlich von seinem Lehrstuhl in Jena verdrängt wurde. Er habe nie.geglaubt, daß sie seinen vorgeblichen Atheismus verfolgten; sie verfolgten in ihm nur einen Freidenker, der anfange, sich verständlich zu machen, und einen verschrienen Demokraten; es erschrecke sie wie ein Ge° spenst die Selbständigkeit, die, wie sie dunkel ahnten, seine Philo- sophie wecke. In diesem Zusammenhang erscheint nun auch Fichtes Zulassung zum Aufenthalt in Berlin (1799) keineswegs als ein solches Ruhmesblatt in der Geschichte Preußens, wie man gerne glauben machen möchte. Die bezügliche Auslassung König Friedrich Wilhelms lll. nach gehaltenem Vortrag ging nämlich dahin:„Ist Fichte ein ruhiger Bürger, wie aus allem hervorgeht, und so ent- fernt von gefährlichen Verbindungen, so kann ihm der Aufenthalt in meinen Staaten ruhig gestattet werden. Ist es wahr, daß er mit dem lieben Gott in Feindseligkeiten begriffen ist, so mag dies der liebe Gott mit ihm ausmachen; mir tut das nichts." Man muß bedenken, daß eben die Reaktion auf das widerliche Pfaffen-, Günstlings- und Maitressenregiment Friedrich Wilhelms II. im Gange war. Wenn nun der Nachfolger in Fichte ein Opfer pfäfftscher Jntriguen erblickte, so konnte er seine demokratischen Anschauungen leicht unbemerkt lassen, die ihm, wie der Entscheid zeigt, zweifellos im höchsten Maße fatal gewesen wären. In einem schon zitierten Briefe Fichtes über den Atheismus- streit findet sich auch eine Stelle, wo die Angelegenheit im Zu- sammenhany mit den allgemeinen europäischen Verhältnissen ge- würdigt wird. Fichte meint, daß der Despotismus nach der Ver- bindung zwischen Oesterreich und Ruhland und seit dem Gesandten. mord in Rastatt konsequent verfahre und auf Ausrottung aller Geistesfreiheit ausgehe:„In Summa. eS ist mir gewisser als das Gewisseste, daß, wenn nicht die Franzosen die ungeheuerste Uebev- macht erringen und in Deutschland , wenigstens einem beträchtlichen Teile desselben, eine Veränderung durchsetzen, in einigen Jahren in Deutschland kein Mensch mehr, der dafür bekannt ist, in seinem Leben einen fteien Gedanken gehabt zu haben, eine Ruhestätte finden wird... Das klingt durchaus nicht.patriotisch" im Sinne derer, die da meinen, daß es unter allen Umständen Pflichh auch erlischt mit dem Versuch eines sächsischen Bauernaufstandes zu- gleich.„Wirklich hat diese," schreibt er am S. September 1790 an die Braut,„seit einigen Wochen das Feuer des Aufruhrs im stillen gelodert und vorige Woche ist es in helle Flammen ausgeschlagen. .... Die Bauern rüttelten gegen ihre Herrschaften. Und— siehe den Nationalcharakter l— einige Regimenter sind marschiert; einige billiger denkende Herrschaften haben etwas nachgegeben, und heute, da ich dieses schreibe, ist nach allen Nachrichten alles ruhig.... An eine Verbesserung von Grund aus ist jetzt auch nicht zu denken. Der Bauer, welcher allein dabei gewinnen könnte, ist dazu noch nicht aufgeklärt genug, ungeachtet er Schlözers„StaatSanzeigen" liest; und die höheren Stände alle können dabei nur verlieren. Es sind also nur Palliative, die den einstigen Ausbruch des Feuers mit doppelter Kraft nicht verhindern werden."� Auf dem Umweg über eine Warschauer Hauslehrerstelle gelangt er endlich nachdem Wallfahrtsort seiner Sehnsucht, nach Königs- b e r g, zu Kant. Hier gerät er in bitterste finanzielle Bedrängnis. die schließlich dadurch gehoben wird, daß Kant ihm für seine Erst- lingsschrift:„Versuch einer Kritik aller Offen-, b a r u n g" einen zahlenden Verleger verschafft. Diese Schrift erscheint ohne Namen, wird für ein Werk Kants gehalten und erregt deshalb gewaltiges Aufsehen. Die Fan- faren, die Kant galten, rufen, als die wirkliche Urheberschaft von Kant selbst mitgeteilt wurde, nun lärmend den Namen Fichtes in die Welt. Er kehrt in die Schweiz zurück, und heiratet. Jetzt geht ihm die Welt der französischen Revolution auf. die Tat gewordene Kantische Philosophie,„indem ja auch in Frankreich eine neue Welt der Wahrheit und dcS Rechts auf allgemeinen Ideen, überhaupt auf Theorie'gegründet werden sollte". Dieser Auffassung blreb Fichte, zum Unterschied von den meisten erst himmelhoch jaucbzenden, dann über Königsmord und Schreckensherrschaft zu Tode betrübten braven Deutschen , bis zu seinem Ende treu. Das war spater seine glühende Anklage gegen Napoleon , daß er die Franzosen um die Revolution betrog, und gegen die Franzosen , daß sie sich betrugen ließen. In den„Beiträgen zur Berichtigung der Urteile des Publikums über die französische Re- V o l u t i o n" und in einer ähnlichen kleineren Schrift veröffentlicht er das kühne und geistgewanige Manifest des deutschen Jakobiner- tums als dessen Wortführer er nunmehr galt. Schon in dieser Schrift verband sich die politisch demokratische mit sozialistischer Kritik. Bald darauf erhält er eine Berufung an die Universität Jena und tritt Ostern 1794 seine Lehrtätigkeit an. Im Verlauf des bekannten Atheismusstreites muß er die Universität verlassen und wird schließlich Professor in Berlin . c.,.. Innere Beziehungen zu den Herrschenden Preußens hat er nie gewonnen. Wirtschaftliche Bedrängnisse, die ihn niemals mehr ganz verließen, und ein« wachsende Verzweiflung an dem �reiheits- beruf seiner Zeit und an eigenem handelnden Wirken gaben seinem unbeugsamen und leidenschaftlichen Geist jene Richtung des Jnsichselbstversenkens, die, bei aller Klarheit der Grundgedanken, sich oft in die Sprache der Mhstik verlor. Er fand sein reines, un- beirrbares Dasein, sein„seliges" Leben als geistiger Bürger jenes Zukunftsstaates der Freiheit, dessen Verwandtheit ihm die letzte für die Zwingherrschast„angestammter" Unterdrücker gegen deren auswärtige Gegner Partei zu nehmen. Da war Fichte freilich anderer Ansicht, wie sich denn auch schon in den„Beiträgen" von 1793 entsprechende Stellen finden. So meint dort Fichte, daß die Vereinigung aller Völker unter einem Haupt den Vorzug haben könne, den ewigen Frieden zu gebären.„Die Unterjochung durch eine fremde Macht fürchtet ihr für uns," sagt Fichte weiter zu den herrschenden Gewalten,„und um uns vor diesem Unglück zu sichern, unterjocht ihr uns lieber selbst! O, leiht uns doch nicht so ganz zu- vevsichtlich eure Art, die Sachen anzusehen. Daß es euch lieber ist, wenn ihr es seid, die uns unterjochen, als wenn es ein anderer wäre, ist zu glauben; warum es uns um vieles lieber sein sollte, wüßten wir nicht." Wenn uns aus dem Ausland ein„Zwingherr zur Freiheit" erstanden wäre, so hätte Fichte dagegen nichts ein- zuwenden gehabt, noch im Jahre 1813 nicht, als sein Patriotismus auf der Höhe war. Sein Urteil über Napoleon ist wesentlich dadurch bestimmt, daß der Korse Fichtes Erwartungen in fteiheitlicher Hin- ficht grausam enttäuscht hat. In der fesselnden Charakterisierung Napoleons , die er 1813 entworfen hat, erscheint ihm als der größte Vorwurf gegen Napoleon , was die deutschen Herrscher gerade als sein größtes Lob ansehen: daß er dem Ringen nach Freiheit ein Ende gemacht.. Da die französische Nation in ihren inneren Kämpfen nicht zur Freiheit zu gelangen vermochte, so hätte Napoleon ihren Er- zieher zur Freiheit machen sollen. Den gleichen Dienst hätte er der ganzen Menschheit leisten sollen:„Der Freiheit des Menschen- geschlechtS sollte er sich aufopfern und unS alle mit sich, und dann müßte," schreibt Fichte noch 1813,„z. B. ich und jeder, der die Welt steht, wie ich sie sehe, freudig sich ihm nachstürzen in die heilige Opferflamme." Weit entfernt nun, die Völkerrepublik der Kultur zu inaugurieren, von der Fichte 1804 träumte, lief Napoleons StaatÄunst in der Praxis, wie Fichte sich zwei Jahre später aus- drückt, darauf hinaus, eine neue Willkürherrschaft zu errichten,„die durchaus nicht weiß, waS sie will, außer daß sie eben unbegrenzt und eisern will." Napoleon erscheint ihm nun schon so sehr als der Todfeind aller Freiheit, daß er jetzt selbst in dem Konflikt zwischen Preußen und Frankreich die Partei des ersteren nimmt. Jedoch sind seine Auslassungen beim Kriegsausbruch 1806 höchst pessimistisch: die deutsche Nation habe durch eigene Schuld leider verdient, WaS hoffentlich Siege abwenden würden. Anstatt dessen kam der unvermeidliche, schmähliche Zusammenbruch des preußischen Junkerstaates, der Fichte allerdings nicht überraschen konnte. In den allerheftigsten Worten hat er später die Menschen und Verhältnisse gezeichnet, die zur Katastrophe und zur Fremd- Herrschaft führen mußten. Er konstatiert„Zunahme der Schlech- tigkeit nach Verhältnis des höheren Standes", während er in den niederen Klassen einen tüchtigen Kern entdeckt. In den höheren Regionen aber hat sich durch die Vorrechte, den Reichtum der herrschenden Klasse, durch die unbeschränkte Unterordnung der niederen Klassen die Selbstsucht und die Genußsucht aufs höchste Maß gesteigert; konnten die Privilegierten doch tatsächlich unge- straft so gut wie alles tun, was sie Lust hatten. So waren die höheren Klassen in der Regel„dumm und unwissend, feige, faul und niederträchtig". Ueber die höchsten Regionen fällt Fichte ein geradezu vernichtendes Urteil. Als mildernden Umstand bezeichnet er u. a. die bloß aufs Aeußerliche berechnete Prinzenerziehung. Von ernstlicher, wissenschaftlicher Vorbereitung auf den Regentenberus war keine Rede:„Wer diesen Vorschlag gewagt hätte, der würde sehr bald seine Wohnung im Jrrenhause gefunden haben...." Hernach lebten sie in den Freuden des Beischlafs oder im dumpfen Hinbrüten,„bis der Tag herankam, der sie als Väter des Vater- lande? den treuherzig und fröhlich zujauchzenden deutschen Völkern vorstellte, und sie von nun an mit dem Fürstenhute so fortlebten, wie vorher ohne denselben". Daß sie dann von Pflichten nichts hörten, dafür sorgten die Höflinge. Der Fürsten waren die Minister würdig. Entsprechend war die äußere Politik und die innere Verwaltung, die bloß darauf hinauslief, soviel Geld wie möglich herbeizuschaffen. Für die Erziehung des Volkes war davon nichts zu haben; die wurde mit dem einen und ganz einfachen Mittel des Stockes betrieben. Die Gelder flössen vielmehr zusammen„in den ungeheuren Schlund der stehenden Heere, die nie groß genug sein konnten und die zu keiner anderen Ausgabe etwas übrig ließen". Diese Armeen brachen dann bei der ersten ernstlichen Probe total zusammen. Der Adel, dem die Offiziersstellen vor- behalten waren, hatte seine Force im Uebermut gegen alle anderen Stände. Als es aber ernst wurde, versagten diese Herren. Manche und höchste aller Gewißheiten, das„absolute Ich", die„Realität". „Gott " war. Die Schriftstellerei gab er in dieser Zeit auf. Die allgemeine Lesewut schien ihm lediglich als ein Laster trägen Nicht- Handelns. Ihm aber galt der Verbrecher als ein wertvolleres Er- zeugnis der Menschheit, wegen seiner Aktivität, als der indifferente Philister. Nur durch das lebendige Wort versuchte er nun, inmitten von Verfall und Fäulnis, zu wirken. Seine Vorlesungen, die er als Privatgelehrter hielt, zu besuchen, gehörte in Berlin zum guten Ton. Schon 1800 hatte Fichte in diesem zerrissenen Deutschland — Robinsons Insel, das abgeschlossene Eiland einer neuen Kultur ent- deckt. Sein„geschlossener Handels st aat" entwirst das Bild eines sozialistisch organisierten Gemeinwesens, das sich wirtschaftlich vollständig gegen das Ausland abschloß, um in den ewigen WelthandelSkriegen verwüstet zu werden. Die endlosen, mit Sper- ren, Prohibitivzöllen, Blockaden, Seeraub geführten Wirtschafts- kriege zwischen Frankreich und England gaben ihm den Gedanken ein, auf diese Weise sich den„Polypenarmen" zu entziehen. Jetzt, in den Tagen der ftanzösischen Herrschaft, nahm er den Gedanken deS geschlossenen Handelsstaats wieder auf, und die letzte Periode seines Daseins, ist erfüllt von der Arbeit an einem großen sozialistischen System, von dem die„Reden an die deutsche Nation ein Kapitel— die Erziehung— behandeln, die in den politischen„Fragmenten" und der sogenannten„Staats- lehre" von 18t 3 seine weitere Ausbildung, und wahrscheinlich in den noch nicht gehobenen Schätzen des Nachlasses— in der Berliner Bibliothek— seine Vollendung finden. Gerade am Beginn des Krieges gegen Napoleon — in dem die Einrichtung einer VolkSwchr ihm als Anfang und Werkzeug einer Organisation innerer Freiheit aalt— kündete Fichte(in der „Staatslehre" von 1813) das Recht der sozialen Revolu- tion:„Alle Abweichung vom Rechte entschuldigt die Not. Wer diese Not verewigen will, der will das Unrecht um seiner selbst willen. Er ist Feind dcS menschlichen Geschlechts: dies ist auSzu- sprechen und Er als solcher zu behandeln. Das Recht muß schlechthin Bahn bekommen; geht er ihm durchaus nicht aus dem Wege, so muß dieser Weg eben über ihn hinweggehen." Dieser„Er" ist durchaus nicht mehr bloß Napoleon , sondern die ganze herrschende Ord- nung. Und wie nahe Fichte dem modernen Sozialismus und der Befteiung durch den Klassenkampf kommt, zeigen andere Sätze aus der„Staatslehre". Er schildert dort den herrschenden Staat als das Machtmittel der Besitzenden: „Erwerb und Handel und überhaupt alles menschliche Treiben ist ftei und über die Gesetze des Staates durchaus erhoben. Nur die Religion verbietet Meineid, der Staat, wie sich versteht, mate- riellen Raub; übrigens gelten alle Mittel der Industrie.... Der Staat eine Anstalt der Eigentümer, die... vor allem Staats... Eigentümer sind. Die Staatsgewalt der Diener dieser Eigentümer, der von ihnen für diese Dienste bezahlt wird. Diese Ansicht des Staats ist sogar in den Schulen der Weis- heit ziemlich allgemein. Sie zeigte sich in Lehren wie die: daß eigentlich die Grundeigentümer(der Adel...) die ursprünglichen Bürger und Richter oes Staatsvereins seien, und die nachher Hinzugekommenen sich müßten gefallen lassen, was diese für Rechte rissen itt der Schla'ch! äus, ansiere liefeti bökt fern zvm Feinde hin, um sich die Kriegsgefangenschaft auszuwirken. Im ganzen zeigte sich vom Junkertum, daß„diese Auswahl des Volkes, die nur durch Furcht herrschte, auch selbst nur durch Furcht getrieben wurde". Die Landesherren fraßen sich untereinander auf und schreckten dabei vor nichts zurück.„Sie krochen vor dem Auslande, sie öff- neten ihm den Schoß des Vaterlandes. Sie würden vor dem Bch von Algier gekrochen sein und den Staub seiner Füße geküßt haben, seinen natürlichen oder angenommenen Söhnen ihre Töchter an- vertraut haben, wenn sie nur dadurch zu dem ihnen gelegenen Amt oder zum Königstitel hätten kommen können." So halfen sie mit allen Kräften zur Herbeiführung der Fremdherrschaft.,.. Folgte nun in Preußen die Zeit der Reformen und sodann die der sogenannten Freiheitskriege. Wegen seiner Haltung in diesen Jahren wird nun Fichte von den Mordspatrioten als der ihrige in Anspruch genommen. In Wahrheit aber blieb er von dieser Sippe durch eine ganze Welt getrennt. Alle diejenigen, die sich ihres Preußenwms rühmen, haben nichts gemein mit dem Fichte der preußischen Reformzeit, etwa als er 1808 seine„Reden an die deutsche Nation" in Berlin hielt. Diese Reden lauken keineswegs bloß auf einen Aufruf zum Kampf gegen die Fremdherrschaft hinaus, sondern wollen mit dieser zugleich alle andern Hindernisse der EntWickelung eines freien Vernunftstaats und Rechtsreichs be- seitigt wissen. Dieses neue Zeitalter sollte und könnte nun, nach- dem das alte Reich der Selbstsucht durch fremde Gewalt zerstört worden ist, unmittelbar anbrechen, wenn zuvor die Geister zur Freiheit und zum Guten und Rechten erzogen worden sind. Gewiß wollte Fichte die Fremdherrschaft abgeschüttelt sehen, aber nicht etwa, damit sich hernach in Deutschland das alte Unwesen soweit wie möglich wieder breit mache. Wie er dachte, hat er im Frühling 1813, als er die studierende Jugend zum Kampf aufrief, aufs deutlichste ausgesprochen, teils öffentlich in seinen Reden„über den Begriff des wahrhaften Krieges", teils im stillen Kämmerlein zur Selbstverständigung in politischen Aufzeichnungen, die Lassalle unter dem Titel:„Fichtes politisches Vermächtnis" der weiteren Oefientlichkeit nähergebracht hat. Wohl fordert er in jenen Reden zum Kampfe auf für die Freiheit. Auf diese Freiheit aber haben alle gleichen Anspruch; alle sind gleich im wahren Staate des Rechts, nicht zwei Stände, sondern einer. Er äußert auch den Verdacht, daß etwa die Herrscher es mit ihren Aufrufen zur Freiheit und ihren schönen Versprechungen nicht ehrlich meinten, um danach alles wieder in die gewohnte Lage einzuführen. Aber er will hier diesem Argwohn nicht Raum geben, weil der Argwohn machen könnte, daß es geschähe. Wie klar aber Fichte die Gefahr sah, zeigt sein politi- sches Vermächtnis. Die Bewahrheitung seiner Befürchtungen durch die Ereignisse zu erleben, ist Fichte durch seinen frühen Tod(1814) erspart worden. Er hätte sonst sicher die neue Unterdrückung am eigenen Leibe spüren müssen, während man so nur seine Schriften zu unterdrücken suchen konnte. Denn er wäre weiter der Alte ge- blieben, wie er es 1813 war. Seine Aufzeichnungen von damals zeigen ihn als unbeirrten Republikaner, der sich daS deutsche Zukunftsreich der Freiheit nur ohne Fürsten zu denken vermag. Wie wenig er für diese übrig hat. zeigen schon die Worte:„Wenn wir daher nicht im Auge behalten, was Deutschland zu werden hat. so läge an sich nicht soviel daran, ob ein französischer Marschall wie Bernadotte , an dem wenigstens früher begeisternde Bilder der Freiheit vorübergegangen sind, oder ein deutscher aufgeblasener Edelmann ohne Sitten und mit Roheit und frechem Uebermut über einen Teil von Deutschland geböte." Ebensowenig wie vom Fürstentum will er nach wie vor vom Juükertum wissen und über- Haupt von allem, was mit seinen alten Idealen im Widerspruch steht. Diesen nachzustreben und dadurch des großen Denkers würdiger Erbe zu sein, darf das deutsche Proletariat in Anspruch nehmen; denn eS kämpft für das Reich, das Fichte in seiner „Staatslehre" von 1813 wie in seinem politischen Vermächtnis von den Deutschen dargestellt zu sehen wünschte:„Ein wahrhaftes Reich des Rechts, wie es noch nie in der Welt erschienen ist, in aller der Begeisterung für Freiheit deS Bürgers, die wir in der alten Welt erblicken, ohne Aufopferung der Mehrzahl der Men. schen als Sklaven, ohne welche die alten Staaten nicht bestehen konnten: für Freiheit gegründet auf Gleichheit alles dessen, was Menschenangesicht trägt." ihnen abtreten wollen; in dem Eifer für die Freiheit, das ist. Ge- setzlosigkeit des Erwerbs.... Hieraus folgt nun im allgemeinen: Die Menschheit zerfällt in zwei Grundstämme: die Eigen- t ü m e r und die N i ch t e i g e nt ü m e r. Die ersteren sind nicht der Staat." »• • Man hatte Fichte an der neu begründeten Universität Berlin eine Professur gegeben; sehr widerwillig und entschlossen, ihm keine ernsthafte Wirksamkeit zu gestatten.(In seiner ersten Berliner Zeit war seine Aufnahme in die Akademie der Wissenschaft, um die er sich in einer Eingabe von beißendem Spott bewarb, mit über- wältigender Mehrheit abgelehnt worden!) Man verhinderte in der Tat sofort alles Fichtesche„Handeln". Seines Rektorats wurde er entsetzt. Et galt als ein gemeingefährlicher Schwindelgeist. Ter Hohenzollernkönig war ebenso argwöhnisch gegen ihn, wie gegen diesen„Freiheitskrieg", um dessentwillen selbst ein Friedrich Wilhelm den Jakobiner spielen mußte. Fichte, der vergeblich darum nachsuchte, als weltlicher Feld- Prediger mit in den heiligen Krieg zu ziehen, warb mit der letzten Inbrunst eines verzweifelt Sehnsüchtigen für diesen Krieg, dessen Ende er doch klaren Auges kommen sah. Als er am 29. Januar 1814 starb, angesteckt von dem Lazarcttgift, das feine Frau bei der Pflege verwundeter Krieger niedergeworfen hatte, ahnte er, daß die deub- schen Fürsten und der deutsche Adel ruchloser da? Volk um feine Freiheit betrügen würden, als es Napoleon getan. Fast die letzten Sätze, die er niederschrieb, waren ein Fluch über diese Verräter. Nach dem Wiederaufleben deutscher Dynastien wurde Fichte als das Haupt aller Uebel in den Polizeiakten der Demagogenzeit immer aufs neue denunziert und gekreuzigt. 1824 wurden die„Reden an die deutsche Nation" verboten. Und als 1834 fein Sohn einen Teil des Nachlasses herausgab, wurde eine Re- zenfion von den Berliner „Jahrbüchern für wissenschaftliche Kritik" zurückgewiesen,„weil das Urteil über Fichte anerkennend sei". AIS Fichte nach dem Zusammenbruch Preußens in der Königs- berger Verbannung lebte, fand er seinen Frieden, indem er aus Dantes Göttlicher Komödie den 28. Gesang de»„Fegefeuers" über- setzte, jenes sehnsuchtsschwere Lied vom goldenen Zeitalter, zwischen den Paradiesflüssen Lethe und Eunoe: Des Wassers Kraft auf dieser Seite, merken Nimmt die Erinnerung der Sünde fort; Auf jener weckt eS die der guten Werke. Die Alten, so einst vor den goldnen Zeiten Gedichtet, träumten wohl im Musenhain Von diesem Ort und seinen Seligkeiten. Hier vor der Menschheit Wurzel, sündenrein, Hier immer Lenz und Frucht aus jedem Samen Und dies war ihr gepriesener Nektarwein..... Die Erben Fichtes schaffen am Eunoe, dem Flusse der guten Werke, an der Menschheit Wurzel.... K. E.
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