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1. Beilage zumVorwärts" Berliner Volksblatt. Nr. 245. Mittwoch, den 18. Oktober 1893. 19. Jahrg. Arbeiter-Sanitatskommission. Hinsichtlich der Beziehungen zwischen der jetzt glücklicher Weise in der Abnahme befindlichen Typhus -Epidemie und der Berunreinigung der Spree gehen uns noch folgende Mit- theuungen zu: Der Graben vomRieselfelde Bürknersfelde. der in der Nähe des BahnhofesKietz-Rummelsburg" sehr schlammig wird, einen durch Zerstörung de' Grabenborde ent- standenen Sumpf pasfirt und dann ungefähr an der Einmündung des Rummelsburger Sees in die Spree mündet, läßt seinen In- halt am Stralauer Ufer entlang schleichen, bis er am Stralauer Wasserwerk geschöpft und uns im Osten als Getränk geliefert wird, von wo er dann durch unfern Magen und unsere Klosets wieder nach Bürknersfelde zum Beginn eines neuen Kreislaufes geleitet wird und so fort in inünirum. Vielleicht weiß Herr Stadtverordneter Spinola einen Ausweg, auf welchem man nicht so unverständig sein" kann, Rieselwasser zu trinken. Stralau filtrirt ja dasselbe nicht vollständig." Des weiteren berichtet einer unserer Gesundheitsaufseher über das Filial-Gefängniß in Rummelsburg . On den Schlafsälen, in denen 30 40 Mann kasernenmäßig über einander schlafen, stehen über Nacht 2-3 Holzkllbel und 1 Blech­eimer für große und kleine Bedürfnisse. Sämmtlicher Harn wird aus Fässer gefüllt und an die Lehmann'sche Wollfabrik geliefert. Nachdem er zum Beizen der Wolle benutzt ist, fließt der Urin mit anderen Fabrikabwässern in den Rummelsburger See. I n diesem werden auch die Nachteimer ebenso wie die ca. 3 Dutzend als Kloset dienenden Holz- kübel wie bereits vor einer Woche unterLokales" mit- getheilt wurde gereinigt. Diese groben Verunreinigungen in Verbindung mit den bei starken Regengüssen von dem Müll- Abladeplatz vor dem Stralauer Thor(ca. 500 000 Kubikmeter Unrath) direkt in die Spree laufenden Schmutzwässern, in Ver- bindung mit der Infektion des Flußlaufs durch die Köpenicker Waschanstalten und durch das Drainwasser des Rummelsburger Rieselfeldes genügen vollauf, um die Verseuchung der Spree be- greiflich zu machen. Wienerstr. 33. Für 33 Miether mit 163 Köpfen(37 Er- wachsene und 76 Kinder) 4 Klosets. Pissoir unsauber. In einer feuchten Kellerwohnung des Seitenflügels schlafen 7 Personen, darunter 5 Kinder, auf 3 Strohlagern in einer Stube mit ca. 36 Kubikmetern Inhalt(pro KopfSKubik- m e t c r), in der Küche ein Kind auf Stroh. Die Mutter und drei Kinder sind krank.Ich glaubte mich in eine Räuber- höhle versetzt", schreibt der Kontrolleur. 4 Treppen hoch schlafen 3 Personen, darunter 2 Kinder, in einem dunklen engen Korridor 6 Personen, darunter 4 Kinder in 2 Betten in einer Stube von 23V2 Kubikmeter Inhalt(pro Kops 4 Kubikmeter), trotzdem noch eine andere Stube vorhanden. Im 5. Stock regnet es durch die schrägen Dachwände durch. In einer solchen Dachstube mit Fenstern von 0,25 Metern und 0,55 Metern Größe schlafen 3 Personen. Außerdem belästigt ein dicht am Hause stehender Fabrik- schornstein in hohem Grade die Bewohner und verhindert das Fensteröffnen bei Tage. Der Verwalter des Hauses kümmert sich um nichts und läßt sich, zur Rede gestellt, auf nichts ein. F r a n z st r. 8. Große llnsauberkeit auf dem Hof und in den Seitengebäuden. Klosets in zum Theil Ekel erregendem Zu- stand, mit defektem oder gar keinem Verschluß. Auch im Vorder- gebäude überfüllte, stinkende Ausgüsse unter der Leitung in den Fluren und Korridoren. Im Vorderhause 2 Treppen bei Korn ein niedriges Loch über der Speisekammer als Mädchengelaß Da das eiserne Bett dicht am Rande steht und statt einer Wand nach der Küche nur eine Gardine existirt, klagt des Mädchen, daß sie seit dem l. Oktober, wo sie diesen Dienst angetreten, noch keine Nacht ruhig geschlafen; was die Angst vor dem Herunter- stürzen ihr an Ruhe nicht raube, rauben ihr die Wanzen. A ck e r st r. 166 ist nach den uns zugegangenen Berichten ein würdiges Seitenstück zu den schmutzigsten Häusern Hamburgs . Der ganze Hof starrt von Mist von Tauben, Hühnern, Gänsen, Hunden, Ziegen und Pferden, allerhand alteö Gerümpel liegt dort herum. Drei schmutzige Klosets für ca. 100 Personen, die Spülung mehr als mangelhaft! Das Pissoir läuft nicht ab und wird nicht desinfizirt.'Der 2. Hof soll vor Dreck gar nicht zu betreten sein. Der Putz ist vom Hinterhause herabgefallen, finger- starke Risse in den Flurwänden, die Wohnungen dementsprechend schmutzig und verwahrlost, die(menschlichen) Bewohner getrauen sich des Gestanks wegen nicht die Fenster zu öffnen. Die Woh- nungen ein Eldorado für Wanzen und Flöhe, Schwaben und Mäuse. »» gingen fern» ein 100 f ür die Arbeiter- Sanitätskommission N. von Herrn E. M. Für daS zweite Berliner Rathhaus, das der Magistrat an der Stralauerstraße errichten will, ist bekanntlich von mehreren Seiten noch ein anderes Terrain in Vorschlag gebracht worden, das Viereck zwischen Grenadier- und Prenzlauer-, Linien- und Hirtenstraße. Die mancherlei Vorzüge dieses Terrains vor dem an der Stralauerstraße sind unverkennbar. Eine Anzahl von Bewohnern des Zentrums und des Nordens hat nunmehr an den Ausschuß, welcher mit der Vorberathung der betreffenden Magistratsvorlage betraut ist, eine Petition gerichtet, die den An- kauf des erwähnten Terrains an der Linienstraße empfiehlt. Wir konnten uns, als wir von dieser Petition Kunde erhielten, einer gewissen Rührung nicht erwehren. Ein erhebendes Zeichen von Gemeinsinn, das aus den viel angefeindeten Berliner Magistrat recht wohlthuend gewirkt haben muß! Wir ver- muthen, daß die meisten der um das Wohl der Stadt so besorgten Petenten Hausbesitzer der dortigen Gegend sind, oder daß die Petition zum mindesten von solchen Hausbesitzern angeregt worden ist. Petitionen, die auf Straßenerweiterungen, Straßen- durchbrüche, Verschönerung eines Stadttheiles, Errichtung von öffentlichen Gebäuden in einer bestimmten Gegend und ähnliche schöne Dinge abzielen, sind bisher fast immer von Hausbesitzern ausgegangen: Die Herren sind ja so uneigennützig! Reinste Un- eigennützigkeit und nichts anderes ist es auch, wenn sie jetzt darauf hinweisen, daß das neue Rathhaus in ihrer Gegend nicht nur billiger und großartiger herzustellen sei, sondern obenein auch zur Hebung des ganzen, bisher so arg vernachlässigten Stadttheiles beitragen werde. Es war auch wirklich nicht länger mehr mitanzusehen, daß dieser Stadttheil an dem allgemeinen Aufschwung der benachbarten Straßenzüge immer noch nicht theilnehmen, und daß die Miethen für Läden und Wohnungen dort immer noch nicht steigen wollten. Alles das würde, wie gesagt, anders werden, wenn der(übrigens aus manchen anderen Gründen thatsächlich beachtenswerthe) Vorschlag der verehrlichen Petenter Beachtung fände. Leider ist aber zu befürchten, daß sich auch noch in den Hausbesitzern aus der Umgegend der Stralauerstraße der Gemeinsinn zu regen beginnt. Hier würde er sich voraussichtlich in der gerade entgegengesetzten Richtung bethätigen: die Herren würden sich durch ihr Interesse für das Wohl der Stadt Berlin zu einer Petition begeistern lassen, die dem Ausschuß empfiehlt, an dem vom Magistrat in Aussicht ge- nommenen Terrain in ihrer eigenen Nähe festzuhalten. Wir haben solch' edlen Wettstreit zwischen den Hausbesitzern ver- schiedener Stadttheile schon öfter in Berlin erlebt, das letzte Mal aus Anlaß der Verlegung des Vorortverkehrs der Nordbahn vom Stetliner Bahnhof an der Jnvalidenstraße nach dem Stadt- bahnhof an der Bernauerstraße. Auch damals hat man mit Petitionen, Deputationen und Audienzen, mit Versammlungen, Reden und Zeitungsartikeln nicht gespart, aber natürlich konnte höchstens eine von den beiden feindlichen Parteien siegen, und die andere, die Hausbesitzer aus der Jnvalidenstraßen- Gegend, trauert seitdem in Sack und Asche. Nehmt Euch ein Beispiel d'ran, ihren Herren aus der Linien- straße, und auch ihr, ihr Hausbesitzer aus der Nachbar­schaft der Stralauerstraße. Seid rührig, damit auch der andere nicht zuvorkommt in der Bethätigung seines Interesses für das Wohl der Stadt. Wir aber wollen der Dinge harren, die uns die nächsten Wochen bringen werden. Wir machen uns auf einen srisch-fröhlichen Kampf um die Palme der Bürgertugend gefaßt; denn darin sind die Hausbesitzer genau so, wie alle an- deren Kapitalisten: wenn sie es erst mit demGemeinsinn" kriegen, dann lassen sie so bald nicht los, dann kämpfen sie mit- einander, wie Hunde, die sich einer im andern festgebissen haben. Die Heuchelei mancher Hausbesitzer, als ob sie nicht lediglich ihres persönlichen Nutzens willen, sondern im Interesse der Allgemeinheit ihre Grundstücke zu hohen Preisen losschlagen wollen, verdient niedriger gehängt zu werden. Fast das gesammte von Hausbesitzern vorgeschlagene Viereck Grenadier- Prenzlauer-Linien-Hirtenstraße besteht aus alten Häusern, die. falls sie abgerissen würden, nach der neuen Baupolizei-Ordnung weniger ausbeutend wieder aufgebaut werden könnten. Verkauf von Lebensmitteln nach Gewicht. Vor kurzem ist in der Stadtverordneten- Versammlung der Antrag gestellt worden, darauf hinzuwirken, daß verschiedene Arten von Nahrungs- Mitteln nur nach Gewicht verkauft werden sollen. Dieser Antrag wurde einem Ausschuß zur Vorberathung überwiesen, welcher in seiner heutigen Sitzung zunächst darüber berieth, ob Schwarz- und Weißbrot unter die nur nach Gewicht zu verkaufenden Gegen- stände aufgenommen werden soll. Stach längerer Diskussion, in der die sozialdemokratischen Mitglieder dafür eintraten, daß der Verkauf von Brot ganz allgemein nach Gewicht stattfinden soll ein Verlangen, welches mit einer kleinen Majorität abgelehnt wurde faßte der Ausschuß einen Beschluß, wonach der Stadt- vcrordneten-Versammlung empfohlen wird, den Magistrat zu er- suchen, sich mit dem Polizei-Präfidium in Verbindung zu setzen zwecks Erlaß einer Polizei-Verordnung für Berlin , wonach von jetzt ab Brot und Backwaaren aller Art, deren Gewicht mehr als'Ji Kilo beträgt, nur nach Gewicht verkaust werden darf. Die Berathung über die anderen Artikel wurde vertagt. Zum Vnu-Unwesen der Stadt Berlin . Aus London schreibt uns unser dortiger Korrespondent: Wie ich aus dem Vorwärts" vom 13. Oktober ersehe, haben die liberalen Berliner Stadtväter in der Stadtverordneten-Sitzung vom Tage zuvor die Ausführungen des Stadtv. Borgmann, daß die Stadl den Bau des zweiten Rathhauses in eigenen Betrieb nehmen, resp. den Unternehmern die Einhaltung bestimmter Arbeitsbedingungen vorschreiben solle, mitGelächter" aufgenommen. Wie weit sind doch diese, sich wahrscheinlich sehr fortgeschritten dünkenden Herren hinter ihrer Zeit zurück! In England wird es mit jeden Tage mehr üblich, daß städtische und selbst staatliche Behörden bei Vergebung von Arbeiten die Einhaltung von Lohntarisen und Arbeitsstunden zur unerläßlichen Vorschrift machen.und, wie erst auf dem Belfaster Trade-Unions-Kongrcß festgestellt wurde, hat vor etlicher Zeit die Regierung einer Drucksirma, die Regierungsarbeiten herstellt, die Entziehung dieser Aufträge angekündigt, wenn die Firma fortfahre, in ihren Provinzgeschästen prinzipiell nur Nichtgewerkichaftler zu beschäftigen. Da der jetzige Handels- minister, Mundella, lauge Jahre selbst Fabrikant war und noch heute an Fabrikgeschäften betheiligt ist, so kann niemand be- haupteu, daß der Mann vom grünen oder rothen Tisch weg dekretirt, ohne das praktische Leben zu verstehen. Aber die Er- fahrungen des Londoner Grafschastsralhes sprechen die beredteste Sprache gegen das Gelächter der Berliner Forlschrittsweisheit. Vor anderthalb Jahren schrieb der Grasschaftsrath die Renovirung und Tiejerlcgnng der Hauptleitung des Abzugs- kanals in einer Verkehrsstraße von Südlondon aus. Zwei Sin- geböte liefen ein, von denen jedes die Summe von 230 000 M. überstieg. Einer der ersten Unternehmer für diese Art Arbeilen schrieb, er lehne es überhaupt ab, ein Angebot zu mache», da er sich nicht auf die vom Grasschaftsrath vorgeschriebenen Arbeits- bedingungen einlassen könne. Schön, was that der Grafschafts- ralh? Da nach Ansicht seines Ingenieurs die beiden Angebote mindestens um 30 000 Mark zu hoch waren, beschloß er, Ende September, den Bau selbst in Regie zu nehmen. Nachdem die nöthigen Vorarbeiten getroffen, die Betriebsgeräthe angeschafft waren, wurde ein geübter Vorarbeiter zu 30 Mark die Woche engagirt und mit dem Werk begonnen. Nur gutes Material wurde benutzt, gute Löhne gezahlt und die von den Gewerk- schasten als vorbildlich anerkannte Arbeitszeit innegehalten. Durch häufige Revisionen überzeugten sich die Mitglieder des Raths, daß solide Arbeit geleistet wurde. Und wie stellte sich die Rechnung am Schluß der Dinge? Nicht 230000M., wie dieKontrakt- Unternehmer verlaugt, nicht 140 000 M., wie der Rathsingenieur ge- schätzt, sondern Alles in Allem 107 000 M. Der Rath hatte über 120 pCt. gespart und dabei noch die mit 8000 M. eingeschätzten Arbeitsgerälhe in den Kauf erhalten. Wer zuletzt lachte, waren nicht die Weisen, die prophezeit hatten, der eigene Regiebetrieb werde sich als verfehlt erweisen, sondern diejemgen, die muthig genug waren, mit der Routine zu brechen. Aber nicht nur das progressistische London geht in dieser Weise vor. Aus Lancashire man denke, der Grafschast, deren Hauptort Manchester heißt kommt die Nachricht, daß der Gemeinderath von Oldham einer Stadt von über 130 000 Einwohnern beschlossen hat, seine neuen Kaualisaliouswerle unter Leitung eines erfahrenen Ingenieurs vollständig in eigener Regie aussühren zu lassen. Die Kosten des Unternehmens, das mit sehr vielen Schwierigkeiten verknüpft ist Oldham ist be- kanntlich ein Fabrikzentrum der Textilbranche und darf sein Abzugswasser nicht in den Fluß, an dem es liegt, ableiten sind aus vier Millionen Mark veranschlagt und die Räthe der Stadt würden sicher nicht eine so große Summe 30 Mark auf den Kopf der Bevölkerung ausgeben, wenn sie sich nicht vorher überzeugt hätten, daß die Stadt absolut nichts riskirte, sondern im Gegentheil sowohl vom Gesichtspunkt des Interesses der Steuerzahler als auch der Arbeiter besser dabei fährt. Aber freilich, die Stadtvertretunz Oldhams besteht nicht zu zwei Dritteln aus Leuten, die ein Steuerzensus zu berufsmäßigen Ver- tretern kapitalistischer Interessen macht. Soweit die Korre- spondenz. Unseren verehrten Sladtoärern ist schon häufig dar- gelegt, wie die Verhältnisse in großen Städten außerhalb Teutschlands liegen. Sind sie unverbesserlich oder ist ihr Lachen das Zeichen das Beginns ihrer Besserung? Dann bitte: Lachen Sie weiter. Zur Eisenbahn -Sparsamkeit. Häufige Störungen kommen bei den F a h r k a r t e n- A n t o m a t e n vor, die auf dem ersten Treppenabsatz des hiesigen Anhalter Bahnhofes ausgestellt sind. Der mittlere Automat enthält nur Fahrkarten nach Marienfelde , Lichtenrade und Groß-Lichterfelde , die je zwanzig Pfennige kosten. Von dem Publikum, das entweder Bahnsteig- oder Fahrkarton für zehn Pfennige kaufen will, wird nun die Aufschrift:zwei 10 Pfennigstücke", der kleinen Schrift wegen oft übersehen, und man steckt nur einen Nickel hinein. Da aber der Automal nicht mit sich handeln läßt, so verabfolgt er keine Karten; andererseits aber will das Publikum die Zehnpfennigstücke nicht im Stiche lassen, und die oft erst in der letzten Minute eintreffenden Käufer klopfen schimpfend an den Kasten, bis sie schließlich den Jrrthum gewahr werden. Man sollte, wie dies auch bereits anderswo geschehen ist, den 20 Pf.-Automaten durch ein Plakat mit großer Schrift besonders kenntlich machen. Zum Chariteeboykott. Der Vorstand der Ortskrankenkasse der Graveure hat beschlossen. Kranke nicht nach der Charitee zu überweisen. Einen gleichen Beschluß hat am 13. Oktober der Vorstand der Ortskrankenkasse der Möbelpolirer gefaßt. Die Pferdcbahnstrecke Moritzplatz Britz ist seit Sonntag eröffnet. Die Anzahl der laufenden Wagen ist eine viel zu geringe, am Sonntag und gestern reichten sie keineswegs zur Be- wältigung des Verkehrs aus. Ueber eine empörende ärztliche Behandlung einer 79 Jahre alten Greisin wird uns von mehreren Seiten folgendes mitgetheilt: Die Wittwe W., die durch Handel mit Streichhölzern, Seifen u. s. w. ihr Leben zu fristen sucht, bedurfte ärztliche Behandlung wegen eines Bruchleidens. Zum ersten Male in ihrem Leben wendete sie sich an einem Armenarzt Dr. S., Brunnenstr. 130151, dieser behandelte sie so, daß sie laut ausschrie, und als der Arzt noch bemerkte: Sie wollen wohl Unterstützung haben, da heute der 15. ist? auf seine Hilfe verzichtete und die eines Nichtarmenarztes in Anspruch nahm. Es wäre zu wünschen, daß die Angelegenheit durch Beschwerde der Armendirclton mitgetheilt wird. Wegen Seisenschwindel endlich verhaftet. Sehr großes Aufsehen erregt in den Kreisen der Parfümerie- und Seifenbranche Berlins , ja ganz Deuschlands, die Verhaftung der Inhaber der Seifenfabrik von Wissing u. Komp., der Kaufleute Wissing und Mosesmaim. Unter der oben angegebenen Firma betrieben die beiden Geschäfts-- leute früher in der Weißenburgerstraße, jetzt in dem Hause Gollnowstraße 33 eine Parfümerie- und Seifenfabrik, welcher Mosesmann vorstand. Wissing war der Leiter einer in Leipzig stationirten Filialfabrik und die Inhaber beschäftigten in ihren Etablissements ein großes Personal. Schon vor etwa 6 Wochen theilten wir mit, daß große Betrügereien in der Seisenbranche stattfänden, insbesonders durch Fälschung von Schlußscheinen, wodurch kleine Kunden in der Provinz durch Reisende berüchtigter Parfümerie- und Seifen- fabriken betrogen, ja dem Bankrott nahe gebracht wurden. Zu diesen Firmen, welche die Fälschungen systematisch betrieben haben sollen, gehört auch die obengenannte Firma W. und Komp., deren einer Reisender, Burdach, wegen Fälschung von Waaren-Be- stellungsforinularen zu 3 Monaten Gefängniß verurtheilt wurde, sich aber der Strafe dadurch entzog, daß er sich am 14. d. M. in seiner Gefängnißzelle in Kassel erhängte. Indessen ging die Untersuchung weiter und die Firma W. und Komp. hielt es sur angezeigt, ihren Namen zu ändern; sie hieß seit einigen Tagen Neumann und Komp.! Selbstverständlich ließ sich die Behörde durch dieses Manöver nicht verblüffen: am Freitag voriger Woche wurde Mosesmaim verhaftet und, wie wir hören, wurde der Sozius in Leipzig gestern festgenommen. Die Bücher der Firma wurden beschlagnahmt und auch verschiedene Mitglieder des Personals verhaftet, so daß im ganzen acht Personen sich hinter Schloß und Riegel befinden. Es scheint ein recht lukratives Geschäft gewesen zu sein, diese Schlußzettel-Fälschungsfabrik". denn, wie uns von gut unter- richteter Seite mitgetheilt wird, war die Polizei in der Lage, die auf der Reichsbank hinterlegten Guthaben der Firma in der Höhe von 300 000 M. mit Beschlag zu belegen. Die Unter- suchung in dieser Affäre gilt als noch nicht abgeschlossen, da die Zahl der Geschädigten in ganz Deutschland eine sehr große ist. Der verhaftete' Mosesmann ist eine auf den Berliner Renn- plätzen sehr bekannte Persönlichkeit. Gleich und gleich gesellt sich gern. Zum Arbeiterrisiko. Der Schriftsetzer Zittrich, welcher in einer hiesigen Zeitungsdruckerei thätig ist, verletzte sich am ver- gangenen Sonnabend mit seinerAhle" nur so gering, daß nicht einmal aus der Stichwunde am Handknöchelgelenk ein Tröpfchen Blut hervorsickerte. Am Sonntag bildete sich nun an der ver- letzten Stelle eine Geschwulst, welcher von feiten des Z. gar keine Beachtung beigemessen wurde; aber schon vorgestern Abend war der ganze rechte Arm mit einer solch intensiven Röthe überzogen, daß Z. auf Anrathen feiner Kollegen schleunigst einen Arzt in der Zimmerstraße konsultirte, der denn auch Blutvergiftung kon- statirle und sogleich operativ eingriff. Selbstmord. Zu rekognosziren sind die Leichen zweier Männer, die in Vororten ihrem Leben freiwillig ein Ende gemacht haben. So wurde am Sonnabend Nachmittag eine Leiche von Fischern unweit der Norddeutschen Eiswerke zwischen Köpenick und Grünau aus der Dahme gezogen. Der etwa 40jährige Todte, dessen linke Hand verkrüppelt ist und dessen linker Arm kürzer als der rechte ist, war bekleidet mit braunkarrirtem Jacket- anzug; die wollenen Strümpfe sind mit M. T. gezeichnet. Der Selbstmörder hat graumelirtes Haar(Platte), starken schwarzen Schnurrbart und sogenannte Fliege. Gefunden wurde bei ver Leiche, welche höchstens drei Tage in, Wasser gelegen haben kann, ein schwarzledernes Portemonnaie ohne Inhalt, eine silberne Zylinderuhr nebst langgegliedcrter Kette und ein Trauring ge- zeichnet L. W. 1332. Im Forst bei Nieder-Schönhausen wurde am gleichen Tage an einem Baume hängend die Leiche eines wahrscheinlich aus Berlin stammenden, etwa 35 Jahr all?n Mannes aufgefunden, welcher dem Kaufmannsstande angehört zu haben scheint. Der Todte hat dunkles Haar und röthlichen Schnurrbart; in dem neben der Leiche liegenden Filzhut ist die Firma Pusch, Brückenstr. 10b und Spandauerstr. 13, verzeichnet. Selbstmord eines Liebespaares. In tiefe Betrübniß sind zwei Berliner Familien durch den gemeinsamen Tod eines jungen Brautpaars versetzt worden. Der 22 Jahre alte Sohn Otto des Töpfermeisters Maybaum aus der Lothringerstr. 41, der in dem väterlichen Geschäft thätig ivar und auch bei den Eltern wohnte, hatte vor etwa Jahresfrist die jetzt 13 Jahre alte Tochter Klara des Lynarstr. 3 wohnenden Kaufmanns Duby kennen gelernt. Das junge Paar, das sich innig zugethan war, hatte sich ein gegenseitiges Eheversprechen gegeben und darin auch das Einverständniß der beiderseitigen Eltern gefunden. Maybaum, der sich am Montag zur Ableistung seiner Militär-