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Kr. 137. 29. ZahlMg. 2. Keilm des Jotmirts" Knlim WMM Somlllbtlld, 15. Jum 1912. Um Leneiungsheim Hohenelie, das von der Landesversicherungsanstalt der Pro- vinz Brandenburg   für ihre Kranken bereit gehalten wird, will der Geist der Zufriedenheit nicht einkehren. ES ist gewiß richtig, daß in Pflege- und Heilanstalten von den Insassen auch manches bemängelt wird, waS der Rede nicht wert ist. Aber bei der Anstalt Hohenelse kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß eS der Verwaltung an den, rechten Geschick fehlt, unter Berücksichtigung solcher Stimmungen ihrer Pfleglinge möglichst der Unzufrieden- h e i t den Boden zu entziehen. Personen, zu denen die der Arbeiterklasse angehörenden Pfleg- linge mehr Vertrauen als zu der Verwaltung haben, könnten ihr bei ihren Versuchen, die Zufriedenheit wieder herzustellen, sehr wirksam helfen. Indes, sie fürchtet wohl, daß sie dann nicht mehr, wie man so schön sagt,»Herr im Hause" bleiben würde. ES scheint, daß sie nach Hilfe von dieser Seite nicht verlangt, sondern sie als.un- befugte Einmischung" ablehnt. Das müssen wir annehmen im Hin- blick auf eine Erfahrung, die eben jetzt in Hohenelse gemacht worden ist. Eine Beschwerde über Hohenelse war vor kurzem an die Zentralkommission der Krankenkassen Berlins  und der Vororte und in demselben Wortlaut auch an die Redaktion des.Vorwärts" gelangt. Sie enthielt neben einigen Nichtigkeiten manches recht Gewichtige, so daß der Wunsch rege werden mußte, eine Beseitigung der beklagten Mißstände herbei- zuführen. Wir wollen eS unterlassen, die einzelnen Beschwerde- punkte hier sämtlich aufzuzählen oder wörtlich die für Hohenelse nicht schmeichelhaften Erläuterungen wiederzugeben, die hinzugefügt waren. Zu besierem Verständnis der Angelegenheit wird es aber nötig sein, wenigstens auszugsweise mitzuteilen, um waS eS sich handelte. In Beschwerden über Anstalten kehrt fast stets die Klage wieder, die Kost lasse sehr zu wünschen übrig. Es wunderte unS nicht, daß auch Pfleglinge von Hohenelse manches an der Kost be- mängelten. Für die FrühstückSstullen werde, so wurde geklagt, Butter nur knapp verwendet, auch sei der dazu gegebene Belag von geringer Quantität und nicht immer von der besten Qualität. Da» Abendessen bestehe regelmäßig a»S Stullen und immer wieder Stullen, obwohl viele Pfleglinge leidend seien. Beim Mittagsmahl komme es oft vor, daß im Gemüse noch Sand gefunden werde. ES sei schon passiert, daß eine ganze Reihe Patienten dann auf daS Gemüse verzichteten. Die Trockenmilch, deren Verwendung wohl ouS Sparsamkeitsrücksichten zu erklären sei, hinterlasse in den Gefäßen einen dicken Bodensatz. Vielleicht müsse man das. wie überhaupt die Mängel der Speisenzubereitnng. darauf zurückführen, daß das Wirtschaftspersonal nicht ausreiche. Als wichtiger bezeichnete die Beschwerdeschrift die Klagen über die Heilbehandlung. Diese wird geleitet von zwei Aerzten, die in dem etwa eine Stund« entfernten Rheinsberg   wohnen und dreimal in jeder Woche nach Hohenelse kommen. Hohenelse hat über 100 und gelegentlich wohl bis an 120 Insassen, da könnte also die Angabe zutreffen, daß der einzelne Pflegling nicht oft die Be- schwerde sagt: alle 14 Tage vor seinen Arzt gelaugt. Geklagt wird besonders über die nach Ansicht der Pfleglinge manchmal allzu- reichliche Zuweisung von Arbeit, die in der Hausordnung, wie wir aus ihr ersehen, alsvollwertiges Heilmittel" ge- priese» wird. Mitunter seien Pfleglinge, die bei ihrem Arzt über ihr Befinden klagten, durch Zudiktierung von noch mehr Arbeit über- raschr worden. Gerade hier müssen wir eS uns versagen, die Einzelbehauptungen der Beschwerdeschtift ausführlich wiederzugeben. Sie sind kennzeichnend für die Stimmung mancher Pfleglinge und für die Auffassung, die sie von der Verordnung des.vollwertigen Heilmittels" Arbeit haben. Ergänzend wollen wir anfügen, was über die Art der den Pfleglingen auferlegten Arbeiten die geltende Hausordnung sagt. Wir lesen da:ES sind Einrichtungen getroffen für allerlei Arbeits- gelcgenheiten. Neben größerer Garten- und Feldwirtschaft sind kleinere Werlstälten vorhanden fiir Schlosser, Schmiede, Tischler, Slellmacher, Buchbinder, Schneider, Schuhmacher, Korbmacher, damit die Ge- nesenden ebenso ihre eigentliche Berufsarbeit pflegen, wie auch andere nützliche Fertigkeiten sich zu eigen machen können." Wir wissen nicht, ob alle diese Arbeiten jetzt in Hohenelse wirklich ausgeführt werden. Wird über den Bedarf der An st alt hinaus gearbeitet, so wäre das als ungehörig zu rügen. Bei der jetzt in Hohenelse be- triebcnen Anfertigung von Liegestühlen, die in der Hausordnung nicht besonders erwähnt ist, trifft eS zu. daß sie nicht der Befriedi­gung des eigenen Bedarfs dient. Hohnelse selber gewährt den Patienten keine Liegestühle. Auch eine übermäßrge Aus- »ehnung der Arbeitsdauer die Beschwerde spricht von 4 Stunden ist unzulässig. Da die Pfleglinge einen Rechtsanspruch auf Behandlung und Verpflegung haben, so darf nicht auL ihrer Arbeitskraft ein Gewin» herausgeholt werden, ohne daß ihnen ein Lohn zugebilligt wird. Behauptet wurde in der Beschwerdeschrift weiter, daß durch Ueberbürdung des nicht zahlreichen Pflege- Personals die Pfleglinge geschädigt würden. Den Pflegern sei eS trotz gutem Willen nicht möglich.Jihre Aufgabe recht zu erfüllen. Durch Massage, die an jedem Morgen von 69 Uhr dauere, durch Dienst im Speisesaal, durch Teilnahme an den verordneten Arbeiten seien sie den ganzen Tag in Anspruch genommen. Aus dieser Ueber- bürdung habe man eS zu erklären, daß ein Patient in einem Schwitz- bad zu' Schaden gekommen sei, so daß er mit einer Verbrennung deS Schienbeins eine Woche lang habe das Bett hüten müssen. Mit Verdruß wurde auch das hervorgehoben, daß die In- fassen von Hohenelse bezüglich ihrer geistigen .Kost bevormundet werden. Die Anstalt hält drei Zeitungen, die ihr als nnverfänglich gelten: Die.Berliner Allgemeine Zeiwng". die.Deutsche Warte" und eine RheinSberger Zeitung. Die Beschwerdeschrift sagt, daß alle anderen Zeitungen auch auf Kosten der Pfleglinge nicht gehalten werden dürfen, andern- falls habe man Entlassung zu gewärtigen. ES sei vorgekommen. daß Pfleglinge sogar die ihnen zugesandten Zeitungen einfach nicht erhielten. UebrigenS biete die Anstaltsbibliothek eine ähnliche Kost, Wie die drei obengenannten Zeitungen. Zur Prüfung all dieser Beschwerden hielt der Vorfitzende der Zentralkommission der Krankenkassen. Genosse SimanowSki, eS für ratsam, in Hohenelse an Ort und Stelle eine Ausklärung des Sachverhalte» zu versuchen. Dieser Gedanke mußte ihm um so näher liegen, da er schon oft bei Klagen über Anstalten dasselbe Verfahren mit gutem Erfolg an- gewendet und das auch in Hohenelse bei einer früheren Gelegenheit schon mal getan hat. Er fuhr hinaus mit einem Begleiter und zwar genau so. wie damals, ohne vorherige Anmeldung aber diesmal wurde ihm von einein Stellvertreter des erkrankten Ober- inspektorS erklärt, daß er lediglich die Mitteilung der Beschwerde- punkte von ihm entgegennehmen dürfe. Mehr zu gestatten, sei gegen die Instruktion, im besonderen köune nicht zugelassen werden, daß SimanowSki selber durch Besichtigung der Anstalt und durch Be- fragung von Pfleglingen etwas festzustellen unternehme. Dem Be« amten schien es unfaßbar zu sein, daß SimanowSki der Anstalt eine unangemeldete Visite machen wollte, und er bezeichnete die frühere, tatsächlich ohne vorherige Anmeldung gemachte Visite nach- träglich als eine unzulässige. Der Versuch, durch sofortige tele- phonische Anfrage bei der LandeS-VersicherungSanstalt Brandenburg  über diese Auffassung der Instruktion eine Entscheidung herbei- zuführen. blieb ergebnislos. SimanowSki verzichtete dann darauf, dem Beamten lediglich die Beschwerde einzuhändigen oder »«zutragen, und beide Besucher verließen unverrichteter Sache die Anstalt. Wir sind der Meinung, daß dieses auf eine vermutlich neue Jnstrultivo sich stützende vxrfghM detz Peamten nicht dazu beitragen wird, in Hohenelse die Zufriedenheit wieder herzustellen. Die Ver- waltung wird sich nicht wundern dürfen, wenn i h r das n i ch t ge- lingt. An Bemühungen, der Unzufriedenheit den Boden zu entziehen, läßt fie'S nicht fehlen, aber sie hat damit wenig Glück. Sie ver- spricht sich Erfolg von dem Rezept, die.sozialdemo- kratischen Hetzer" fernzuhalten, und erreicht damit gerade das Gegenteil. Hierher gehört auch die Verbannung des»Vorwärts" aus Hohenelse. Andere Zeitungen dürfen entgegen der in der Be- schwerde geäußerten Annahme gelesen werden, wenn einer danach verlangt. Den neu eintretenden Pfleglingen wird neben der Haus- ordnung noch ein Zettel mit VerhaltungSnmßregeln überreicht, unter denen wir die folgende finden:Parteipolitische Blätter, welcher Richtung sie auch immer angehören, sollen dem GenesungS- heim ferngehalten werden." DaS richtet sich aber lediglich gegen den.Vorwärts". Die Folge dieser Bevormundung er- wachsener Männer, die man bei Strafe der Entlassung zum Verzicht auf die gewohnte Lektüre zwingt, ist nicht Fernhaltung der Unzufriedenheit, sondern gerade eine Störung deS Friedens. 18. Nerlmdstag der Kranerei- und UWenarbeiter. Mannheim  , 13. Juni. 3. BerhandlungStag. Die heutige Sitzung war wiederum eine geschlossene. Verbandsvorsitzender Etzel-Berlin hielt ein groß angelegtes, fast dreistündiges Referat über: Richtlinien für Lohnbewegungen und Kämpfe." Die Lohnbewegungen des Verbandes waren in den letzten Jahren sehr zahlreich die genauen Zahlen haben im Vorbericht ge- standen, und gelang es der Organisation auch, schöne Erfolge für die Arbeiter zu erzielen. Das Etzelsche Referat bewegte sich nun in der Richtung: die Kämpfe kritisch zu würdigen, die Taktik der Unternehmer zu zeigen und aus den gemachten Erfahrungen her- aus bestimmte Richtlinien für die Einleitung und Führung der Kämpfe aufzustellen. Etzel verbreitete sich besonders über das Be­streben der Unternehmer, die Verhandlungen zu zentralisieren, und wies darauf hin. es sei unbedingte Notwendigkeit des Verbandes, sich darauf gefaßt zu machen, daß es auch im Brauerberufe zu zentralen Bewegungen und Kämpfen kommen wird. Das Mittel des Boykotts solle man nicht überschätzen. Der Redner wies dabei auf die Schwierigkeit der Durchführung des Boykotts in der Mühlen- industrie hin. Er empfahl den Delegierten, dafür zu sorgen, daß die Vereinbarungen mit dem Zentralvorstand deutscher Konsumver- eine in allen Fällen eingehalten werden. Zum Schlüsse seiner Ausführungen betonte Etzel die Notwendigkeit der Schaffung eines Kriegsschatzes, um für alle Eventualitäten gerüstet zu sein. Die Diskussion über diesen Punkt wird morgen fortgesetzt. Eue der Partei. Der sächsische LandeSparteitag beginnt am 18. August im Volkshaus zu Dresden   und soll zwei Tage dauern. Die Tagesordnung enthält u. a. folgende Punkte: Bericht der LandtagSfraktion. Referent: Otto Uhlig  . Die Land- gemeindeordnung. Referent: Ernst Schulze  . Jugendfürsorge in Sachsen  . Referent: Alfred Keimling. Zu der Göphinger Angelegenheit ist uns eine lange Erklärung der Genossen Rädel und Thal heim er zugegangen. Nun findet Sonntag in Göppingen   eine Kreiskonferenz statt, an der auch Vertreter des Parteivorstandes teilnehmen. Es ist zu hoffen, daß es auf dieser Konferenz zu einer definitiven und be- friedigenden Regelung der Angelegenheit kommen wird. Da darüber Verhandlungen schweben, halten wir es im Parteiinteresse für an- gezeigt, erst dann, wenn die Ergebnisse der Konferenz vorliegen, auf die Angelegenheit zurückzukommen. Pnrteiliteratur. Abhandlungen und Borträge zur sozialistischen   Bildung, herausgegeben vom Genossen MarGrunwald, werden in den nächsten Tagen ihr Erscheinen im Verlage von Kaden u. Co. in Dresden   beginnen. Diese Abhandlungen und Vorträge sollen ihren unterschiedlichen und wesentlichen Charakter vor ahnlichen Unternehmungen darin zeigen, daß zunächst jede Abhandlung und jeder Vortrag in sich abgeschlossen erscheint und doch zugleich durch das genau bezeichnete Ouellenmaterial zu weiteren Studien an- regt. DaS agitatorische Moment soll nur in der Sache, in dem Material liegen, nicht in der Form. Daher wird in erster Linie auf Leser gerechnet, die in der sozialistischen   Lehre bereits einige Kenntnisse besitzen und sich fortbilden wollen. Vom Heraus- geber und einer Reihe sachkundiger Mitarbeiter werden zunächst folgende Gegenstände behandelt werden:Zur Einführung in Marx' Kapital";Partei und Gewerkschaft in vergleichender Sta- tistik";Goethe und die Arbeiter";Die Bedeutung der Ver- kürzung der Arbeitszeit";Die sozialdemokratischen Reichstags- Wähler in ihrer sozialen Gliederung";Technik, Natur und Gesell- schaft";Lohn und Zeit der Arbeit in Deutschland  ";Die Eni- Wickelung von Landwirtschaft und Industrie in Deutschland". Heft 2: August Mai,Partei und Gewerkschaft in vergleichender Statistik", und Heft 3: Max Grun- wald,Goethe und die Arbeiter", sind bereits erschienen und zum Preise von 40 Pf. pro Heft durch alle Buchhandlungen und Kolporteure sowie direkt vom Verlag zu beziehen. poUreilickea. OcrfchtUches ufw. Schwarzer Wahlterrorismus. Der Zimmermann Jakob S ch a l l e r in Dachau   verteilte am 12. Januar gelegentlich der ReichstagSwahl im SchulhauS in Für. kirchen sozialdemokratische Stimmzettel. Der Zentrumsagitator, Zimmermeister Johann G a t t i n g e r. wies den Genossen weg. Schallcr verbat sich diese Anmaßung und erwiderte, daß er das Recht habe, vor dem Wahllokale Stimmzettel zu verteilen. Der Zentrumsterrorist machte kurzen Prozeß, er packte den Genossen und warf ihn 4 bis 5 Stufen die Treppe hinab! Hätte sich Schaller zum Glück nicht am Treppengeländer anhalten können, wäre er kopfüber die Treppe hinuntergeflogen. Schallcr war infolge der erhaltenen Verletzungen bis zum 3. Februar erwerbsunfähig. Er stellte beim Schöffengericht Dachau   Privatklage und Strafantrag wegen Körperverletzung. In der Verhandlung verteidigte sich der Zentrumschrist Gattinger damit, daß er meinte:..Wir braucha koana Sozi auf dem Land!" Im übrigen will der Zentrumschrist dem Sozi nur einensanften Stupfer" gegeben haben. Der fromme Mann mutzte sich aber vom Richter belehren lassen, daß das Ver. teilen von Wahlzetteln bis jetzt noch immer etwas Erlaubtes war, und der Vertreter des Schaller setzte hinzu, daß ein solcher schwarzer Terrorismus einstweilen noch nicht erlaubt sei. Schließlich verstand sich der schwarze Zimmermeister zu einem Vergleich: Der Zimmer- meister zahlt an den verhaßten Sozi eine Buße von ISO M., bittet ihn um Entschuldigung und zahlt außerdem sämtliche Kosten, die in dem gegen ihn anhängig gemachten Zivilprozeß entstanden sind. Gerichts-Leitung. Die Verzweiflungstat einer Frau bilde?« üett Gegenstand einer Verhandlung, welche gestern das KchMpgerickjt de» LandgenchtS I beschäftigte. Wegen versuchten Mordes war die Frau Lina Siegmunb angeklagt. Die jetzt LI Jahre alte Angeklagte ging im Alter von 19 Jahren mit dem Kutscher Siegmund eine Ehe ein, der später ein Kind entsproß. Während die Frau sehr an ihrem Kinde und auch an ihrem Mann hing» trieb sich dieser mit Mädchen umher und verbrachte seinen Lohn in den Kneipen. Da er nach keiner Richtung hin für Frau und Kind sorgte, mußte sich die Angeklagte den Lebensunterhalt durch Frühstück- austragen und Blusennähen verdienen. Der Ehemann der Ange- klagten ging sogar so weit, daß er die Milch, welche die Frau von der Armenverwaltung für ihr Kind geliefert erhielt, wiederholt selbst austrank, so daß das kleine Wesen hungern mutzte. Schließ- lich sagte er sich ganz von seiner Frau los, die von seinen eigenen Eltern bereitwilligst aufgenommen wurde, während er selbst mit einer Arbeiterin Margarete Schröder in der Pappelallee zusammen hauste. Da die Angeklagte trotz aller Vorkommnisse immer noch nicht von ihrem Mann lassen konnte, suchte sie eines Tages die Schröder auf. um sie zu veranlassen, ihren Mann freizugeben. Als die Sch. nur notdürftig bekleidet ihr öffnete, drängte sich ihr Mann vor und schlug sie ohne weiteres ins Gesicht. Wie die Angeklagte früher angegeben hatte, sei sie dann, ihrer Sinne nicht mehr mächtig, nach Hause gelaufen und habe sich den Revolver ihreS Mannes geholt. Als sie ihn dann in Begleitung der Schröder in der Pappelallee vor einem Lokal traf, in welchem die beiden tanzen wollten, habe sie auf ihn zwei Schüsse aus dem Revolver abgegeben, um ihn zu erschrecken. Vor Gericht erklärte die Angeklagte, daß sie selbst nicht wisse, wie sie zu der Tat gekommen sei. Der als Sachverständiger geladene Gerichtsarzt Dr. Marx be- kündete, daß die durch Kummer, Sorgen und schwere Arbeit zer- mürbte Frau die Tat offenbar in einem Zustande der furchtbarsten Erregung verübt habe. Rechtsanwalt Dr. Bruno Friedländer be. antragte, die Angeklagte freizusprechen, da sie offenbar in einem Zustande gehandelt habe, in welchem ihre freie Willensbestimmung ausgeschlossen war. Schlimmstenfalls könne die Angeklagte nur wegen Bedrohung bestraft werden. Die Geschworenen verneinten sämtliche Schuldfragen. Das Urteil lautete demgemäß auf Frei- sprechung._ Worin besteht der TcrroriSmuS? Der Glaser Ernst Thiel in Breslau   hatte den Kollegen seine Beteiligung am Glaserstreik zugesagt, dieses Versprechen aber gebrochen. Um ihn jedoch noch für die Sache der Kollegen zu ge- Winnen, begab sich der Streikleiter Nitsche aus Berlin   und ein anderer Kollege vor das Geschäft, in dem Thiel arbeitete und warteten ihn zum Feierabend ab. Der Unternehmer Holzmann hatte das bemerkt und begleitete seinen lieben Arbeitswilligen nach Haufe. Dadurch ließen sich die Verbandsmitglieder aber von ihrem Vorhaben nicht abbringen, sondern sie traten an Thiel heran und Nitsche sagte:Kollege Thiel, ich möchte Sie einmal sprechen. Am besten wäre eS, wir gingen in ei« Lokal, da läßt stch'S besser verhandeln." Nichts weiter! Die paar Worte genügten aber, um den Arbeitgeber wild zu machen. Er sprang nach dem in solchen Fällen immer schnell auffindbaren Schutzmann, und die Attentäter wurden wegen Streikvergehen nach Z 1S3 vor Gericht gebracht. Worin bestand der Terror? Während die Leute ange- sprachen wurden, waren Nitsche und Bensch vor sie hingetreten. Sie hatten dem Arbeitswilligen alsoden Weg verstellt"! Dafür diktierte das Schöffengericht in Breslau   einen Tag Gefängnis. Am Donnerstag kam die Sache durch Berufung der Verurteilten vor die berühmte Strafkammer des Herrn Mundry. Obwohl einer der nainhaftesten Berliner   Juristen die unmöglichen Konsequenzen einer solchen Rechtsprechung dem Kollegium vor Augen führte jeder Straßenhändler verübt dann TerrorismüS und Nötigung»» blieb es bei dem Urteil der Vorinstanz. Für ein Verhalten gegenüber Arbeitswilligen, Gie e» vor- sichtiger überhaupt nicht denkbar ist, muß der organisierte Arbeiter ins Gefängnis! Und dabei verlangte dieser Tage derSchlesische Gewerbetag" aller reaktionären Handwerksmeister eine Verschär- fung der Gesetzgebung, weil die bestehenden Gesetze zur Ahndung des Terrors der Arbeiter nicht genügen. Selbst dem Ober- bürgermefftev von Breslau  , Herrenhausmitglied Dr. Bender, ging da» über die Hutschnur, und er wandte sich energisch gegen eine solche Beschränkung der Arbeitcrrechte. Gesinderecht in Preußen. In den Gefilden ostelbischer Junker ist der Kontraktbruch für die Landarbeiter meist die einzige Möglichkeit, sich unwürdiger Be- Handlung oder Mißhandlungen durch die Besitzer zu entziehen. Prompt arbeitet jedoch die behördliche Guillotine durch Verhängung eines polizeilichen Strafbefehlswegen Uebcrtretung des Gesetzes vom 24. April 1864". Zu den größten Seltenheiten gehört eS, daß ein zur Entscheidung angerufenes Gericht den Kontraftbruch für berechtigt erklärt. In Krojanke  (Westpreußen  ) hatte sich ein Knecht mehrfach über schlechtes Essen beschwert. Eines Mittags'hatte er wieder Ursache, sich über das Essen zu beklagen,, das aus schlecht gewordene« Heringen bestand. Er warf in seinem Unmut einen Hering auf den Boden. Der Besitzer stellte ihn deshalb später zur Rede. Die Auseinandersetzung endete damit, daß der Guts» besitzer dem Knecht Faustschläge inS Gesicht versetzte, ihn zur Türe hinauswarf und ihm nachschrie, er solle sich aus dem Haus scheren. Als der Knecht letzteren Rat> befolgte, erreichte ihn eine Polizei- liche Strafverfügung in Höhe von IS Mark. Das zuständige Schöffengericht bestätigte diese Strafe in etwas verminderter Höhe, trotzdem in der Verhandlung von dem Besitzer als Zeugen zu- gegeben war. daß er dem Knechteinige Stöße versetzt, die mög- licherweise den Angeklagten im Gesicht trafen". Etwa» eingehender beschäftigte sich die Strafkammer de» Land- gerichts in Könitz   als Berufungsinstanz mit dem Fall. Die Würdi. gung der Tatumstände geschah natürlich wiederum zugunsten des Agrariers. Der Arbeitgeber durfte vor Gericht feststellen, der zu Boden geworfene, vom Angeklagten als verfault bezeichnete Hering feigenießbar" gewesen; ihm habe erganz gut geschmeckt«". DaS Hinauswerfen fei mehr einZur-Türe-hinauSschieben" gewesen. Möglich" sei. daß er dem Knecht auch Schläge in» Gesicht versetzt habe. Ein« Entlassung, wie der Knecht beHaupt«, sei dies nicht ge- Wesen. Denn der Besitzer habe lediglich auf eine Aeußerung de» Knechts,er sch.... auf solches Essen  ", sagen wollen, daS soll er nicht in der Stube, sondern draußen tun. Das Gericht glaubte nur dem Besitzer und stellte im Urteil zum Ueberfluß fest:«Wegen einer etwaigen Mißhandlung konnte der Angeklagte auch nicht den Dienst verlassen." Durch den Artikel S6 der Gcsindeordnung ist freilich jedes Züchtigungsrecht der Herrschaft, auch das indirekte, aus§ 77 der preußischen Gesinde- ordnung folgend, beseitigt: der mißhandelnde Gutsherr kann trotz 8 77 wegen Mißhandlung bestraft werden. Aber aus dem Dienste gehen darf das Gesinde nicht, denn die§8 136, 137 der Gesindeordnung gestatten eine Aufhebung de» Vertrages wegen Mißhandlungen nur in solchen Fällen, in denen da» Gesinde durch Mißhandlungen von der Herrschaft i» Gefahr deS Lebens oder der Gesundheit ver- setzt worden ist oder wenn e». auch ohne solche Gefahr, jedoch mit S«s,chy»eifender»]$««ßw-tzyljKer Härte fce&rnWt.