Der bisherige Redakteur der„Hessischen Landes« zeitung", Poersch, wurde zum fortschrittlichen Partei- sekretär für Kurhessen vom 1. Oktober ab gewählt. Er sollte seine» Sitz nicht etwa in der Hauptstadt und dem politischen wie geographischen Zentrum Kurhessens, Kassel , nehmen, sondern in M a r b n r g. Natürlich, damit er vor allem in der Lage sei, mir meine Wähler abspenstig zu machen. Es wurde beschlossen, ein fortschrittliches Organ für Kurhessen zu begründen, nachdem man vergeblich versucht hatte, mir meine Zeitung abzukaufen. Das fortschrittliche Blatt sollte in Marburg erscheinen. Warum nicht in Kassel ?„Weil dort der Boden zu ungünstig sei, während er durch meine Arbeit in Mar- bürg für eine Politik der Linken gut vorbereitet seil" In welcher Weise der Kampf gegen mich geführt werden würde, darüber wurde mir kein Zweifel gelassen. Mein eigener Redakteur Poersch begann ihn bereits in meiner eigenen Zeitung in einer Weise, die mit Loyalität nichts, aber auch gar nichts, zu tun hatte. Seine Mappe strotzt schon von dem„Material", mit dem er gegen mich losziehen wollte. Mit persönlichen Angriffen wollte er mich vernichten. Vor ollem wollte man meine Zeitung runieren. Ein Führer der Fortschrittler erklärte mir, mündlich und schriftlich, daß man mir durch Einwirkung auf die Geschäftsleute die Inserate abtreiben wolle! Nobel, was? Meiner Kampfnatur entsprechend, lag für mich die Versuchung sehr nahe, trotzdem oder vielmehr gerade deshalb den Fehde- Handschuh aufzunehmen. Freilich, der persönliche Kampf war mir rmmer widerlich. Ich hätte mich auch völlig außerstande ge- fühlt, einer Taktik wie der der Abtreibung von Inserenten mit den gleichen Mitteln zu begegnen. Aber vielleicht wäre es doch möglich gewesen, bei einem Kantpf mit anständigen Waffen auch einem skrupellosen Gegner gegenüber die Oberhand zu gewinnen." V. Gerlach schließt seinen Artikel, in dem er noch mitteilt, daß er sein Blatt unter der Bedingung, daß eS nicht zu Angriffen gegen die Demokratische Vereinigung und gegen ihn benutzt werden dürfe, an seinen Geschäftsführer Köhler verkauft habe, mit folgenden Sätzen:„Ich nehme hiermit Abschied von Marburg . Ob die Fort« schlittler irgendwelche Früchte daraus ernten werden, bezweifle ich stark. So wie ich die Stimmung unter meinen Wählern kenne, wird ein sehr großer Teil von ihnen, wenn er nicht mehr demokratisch wählen kann, einen Schritt weiter nach links gehen. Gegen eine Nechtsentwickelung hat sie meine Arbeit immun gemacht. Und das ist wenigstens etwas."_ Die Erfurter Handelskammer verlangt Ausnahmegesetze. Die Jahresberichte der Erfurter Handelskammer zeichnen sich von jeher durch Scharfmachereicn gegen die organisierte Arbeiter« schaft aus. Der dieser Tage erschienene Bericht für das Jahr 1911 macht hiervon keine Ausnahme. Nachdem an die vorjährige Aus- sperrung in der Metallindustrie erinnert worden ist, fährt der Bericht fort: „Die Gefahr solcher Kämpfe wird mit dem Anwachsen der Gewerkschaftsbewegung, je mehr sich die Forderungen der Arbeiterschaft auch auf das Mitbestimmungsrecht der Arbeiter im Betriebe erstrecken, immer größer werden, zumal wenn dem Terrorismus der Gewerkschaften nicht bald ein Riegel vorgeschoben wird. Die Erfahrungen des letzten Jahres haben in den Kreisen der Industrie die bereits vorhandene Ueber- zeugung von der Notwendigkeit eines kräftigeren Arbeitswilli genschutzes noch mehr gefestigt, und man ist sich heute in diesen Kreisen darüber klar, daß ein wirksamer Schutz nur durch das gesetzliche Verbot des Streikpostenstehens zu erzielen ist, weil nur so der eigentlich selbstverständliche Schutz der freien Willensbetätlguug einigermaßen gewährleistet wäre. Gegen diese Forderung kämpfen nicht nur die Gewerkschaften, sondern auch verantwortliche u)id unverantwortliche Politiker und Sozialtheoretiker mit dem gedankenlosen Schlagwort„Ausnahmegesetz"; dieses Wort wäre in Anwendung auf das geforderte Verbot des Streikposten« stehenS doch nur in dem Sinne angebracht, als damit eine bisher von gewisser Seite erzwungene Ausnahme von der gesetzlich gewährleisteten freien Betätigung des Arbeitswillens beseitigt würde. Tritt in dieser Richtung kein Wandel ein, so werden auch die von der Regierung so eifrig geförderten Bestrebungen der Jugendpflege zum Teil illusorisch gemacht, und es wird auch nur schwer gelingen, einer nationalen Arbeiter- bewegung, die bereits erfreuliche Anfänge der EntWickelung zeigt, den Boden so zu ebnen, daß sie in absehbarer Zeit ein Gegen- gewicht gegen die sozialdemokratische Arbeiterbewegung bilden kann." Der Syndikus der Erfurter Handelskammer, ein Herr Dr. A l l e n d o r f, war während der letzten Reichstagsloahl ein eifriger Befürworter der Kandidatur des früheren nationalliberalen inzwischen verstorbenen ReichSiagsabgeordneten für Erfurt , Landgerichtsrats Hagemann, des zweiten Vorsitzenden des Reichsverbaudes. Schon daraus läßt sich ersehen, welch verschrobene soziale und wirtschafts« politische Ansichten in der Erfurter Handelskammer Oberwasser haben. Eine wichtige Gerichtsentscheidung für die Leiter politischer Bereine. Vor kurzem wurde von einem Prozeß berichtet, der vor dem Landgericht Oldenburg schwebte, und der sich um die Be- grenzung der in,§ 3 Absatz 2 geregelten Pflicht der Vereins- vorstände, der Polizei Statuten und Vorstandsmitglieder- Verzeichnis einzureichen, drehte. Der Vorsitzende des sozialdemokratischen Mahlvereins Rüstringen hatte die Einreichung verweigert, weil der Verein nicht neu gegründet ist, erhielt eine Polizei- strafe und wurde vom Schöffengericht freigesprochen. Auf eingelegte Berufung des Staatsanwalts bestätigte das Landgericht Oldenburg das freisprechende Urteil am 5. Juni mit folgender, jetzt im Wortlaut vorliegender Be- gründung: �,. „Die Bestimmung des tz 8 Abs. 2 de? Vereinsgesetzes bezieht sich aber auch nach meiner Ansicht des Berufungsgerichts ledig- lich auf die feit dem Inkrafttreten des Gesetzes gegründeten Bereine. Hierfür spricht der klare Wortlaut des Gesetzes, wonach die Anmeldung der Satzung und der Mit- glieder des Vorstandes binnen 14 Tagen seit der Gründung des Vereins zu geschehen hat. Darüber, daß auch den schon bestehenden Vereinen die Anmeldepflicht obläge, enthält der Wortlaut der Vorschrift nichts. Auch eine analoge Ausdehnung der Vorschrift dahin, daß die bestehenden Vereine die Anmeldung binnen 14 Tagen seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zu machen hätten, ist nicht zulässig. Vielmehr ist umgekehrt daraus, daß eine aus- drückliche Vorschrift für die bestehenden Vereine � fehlt und der Wortlaut des Gesetzes nur die neuen Vereine trifft, zu schließen, daß der Gesetzgeber sie von der Anmeldepflicht nach dem neuen Gesetz hat ausschließen wollen, da nicht angenommen werden kann, daß der Gesetzgeber an die bereits bestehenden Vereine gedacht und so den irreführenden Wortlaut gewählt haben sollte. Die Begründung des Gesetzentwurfes und die Reichstagsverhandlungen ergeben über diese Frage, so weit sich hat feststellen lassen, nichts. Auch»daraus muß entnommen iverden, daß man sich darüber einig war, daß die Bestimmungen ihrem Wortlaut entsprechend nur die zu gründenden Vereine treffen sollte. Daraus, daß der bestehenden Vereine weder in der Gesetzesbestimmung selbst noch in den Materialien Erwähnung getan ist, obwohl dazu Anlaß vor« gelegen hätte, läßt sich der Schluß ziehen, daß die bestehenden Bereine der Anmeldepflicht nicht unterliegen. Dieses Ergebnis hat insofern auch einen guten Sinn, als die Anmeldepflicht in dieser oder ähnlicher Form bereits in den meisten Bundesstaaten bestand, und das RcichsvereinSgesctz. wie im allgemeinen über- Haupt, so auch hier, keine neuen Vorschriften treffen, sondern lediglich ein einheitliches Recht für das Reich schaffen wollte. Die Anmeldung ist von den bestehenden Vereinen gemäß§ 8 Absatz 3 des Gesetzes erst zu machen, sobald nach der Jnlrast« setzung des Gesetzes die Vereinssatzung oder der VereinSborstand sich ändert. Die hier vertretene Rechtsanstcht wird offenbar von der württembergischen und badischen Regierung geteilt, wie sich aus den in Württemberg und Baden ergangenen Aus- führungsbestimmungen ergibt, worauf auch in dem an- gefochtenen Urteil mit Recht hingewiesen wird. Dafür, daß seit dem Inkrafttreten des Gesetzes die Satzung oder der Vorstand der hier fraglichen Vereine sich geändert hätte, liegt nichts vor, auch ist darauf die Anklage nicht gestützt. Mangels einer Strafvor'schrift, gegen die der Angeklagte ver- stoßen hätte, ist sonach seine Freisprechung zu Recht erfolgt und die Berufung der Staatsanwaltschaft zu verwerfen." Wahlkrawall und Landfriedcnsbruch. Wie in manchen anderen Wahlkreisen der preußischen Ostprovinzen wurde auch in Gumbinnen -Jnsterburg bei der letzten Neichstagswahl der Kampf mit höchster Erbitterung geführt. Es war daher verständlich, daß, als am Stichwahl- tage der fortschrittliche Kandidat, Rechtsanwalt Siehr in Jnsterburg, über den konservativen Gegner siegte, die fort- schrittlichen Wähler in große Begeisterung gerieten. Man wollte dem Ncugewählten einen Fackelzug veranstalten, der aber, wahrscheinlich infolge Einspruchs der Polizei, unter- blieb. Die Menge wich trotzdem nicht aus den Straßen, und als gegen 9 Uhr ein Mann von der Polizei verhaftet wurde, protestierte die Menge gegen die Verhaftung, weil sie glaubte, daß es sich um einen der Demonstranten, die fortdauernd Hochrufe auf den fortschrittlichen Kandidaten ausbrachte, handle. Einige von den Leuten nahmen Partei für den Ver- hafteten, suchten ihn zu befreien und bewarfen dabei die Polizei mit Schnee- und Eisstücken. Die Staatsanwaltschaft machte aus diesem Krawall eine Staatsaktion, und leitete gegen eine Anzahl Bauhandwerker und Arbeiter ein Verfahren wegen Aufruhrs und Land- friedensbruchs ein. Das Jnsterburger Schwurgericht hat jetzt einen der Angeklagten wegen dieser Delikte zu 1 Jahr 4 Monaten Zuchthaus, 3 Jahren Ehrverlust und vier Wochen Haft verurteilt. Ter Mann ist Vater von si Kindern. Vier andere Angeklagte wurden zu einem Jahr sechs Wochen, zu einem Jahr, zu sieben Monaten und zu sechs Monaten Ge- fängnis verurteilt. Die Angeklagten haben sich bis auf einen die ganze Zeit hindurch in Untersuchungshaft befunden. Gegen die Gewaltherrschaft der Junker protestierten in Dresden am Freitagabend sechs überfüllte Volks- Versammlungen, die von zirka 10 000 Personen besucht waren; sie gestaltelen sich zu einer gewaltigen Demonstration für das gleiche Wahlrecht und gegen die Gewaltherrschaft der Junker. Referenten waren die sechs sozialdemokratischen Abgeordneten des preußischen Landtages: die Genossen Borchardt, Hirsch, Hoffmann, Lejncrt, Liebknecht und Ströbel. Ausnahmefrachttarife. Neben dem Einfuhrscheinsystem wird die Ausfuhr von Getreide nach außerdeutschen Ländern und damit die Steigerung der Getreidepreise in erheblichem Maße durch die Ausnahme« frachtsätze gefördert. Diese Ausnahmetarife wurden bei Abschaffung des Jdentttätsnachweises eingeführt und damit begründet, daß die Vorteile der Ausfuhr nicht allein den Landwirten an der Grenze zugute kommen dürften. Landwirte im Innern des Landes erhalten daher Vergünstigungen im Tarif für Strecken von 100 bis 400 Kilometern, im Höchstfalle 92 M. pro 10 Tonnen. Die Vergünstigungen werden aber ge« währt, auch. wenn der Transport 400 Kilometer übersteigt; auch bei Sendungen auf Entfernungen von 400 und mehr Kilometern werden 92 M. für die ersten 400 Kilometer vergütet. Diese Vergünstigung kommt, wie eine Denkschrift ostdeutscher speziell posenscher Mühlen- besitzer ausführt, einem ganz erheblichen Teil von aus- geführtem Getreide zugute. Im Jahre 1910 wurden auf Grund des Ausnahmetarifs 09657 Tonnen Roggen ausgeführt, eine Menge, die ausreicht-700 000 Menschen mit Brotgetreide zu versehen. AuS Posen wurden allein 37 138 Tonnen mit Vergünstigung durch Ausnahmetarif ausgeführt. Dieser starke Export macht sich in der Mühlenindustrie PosenS unangenehm bemerkbar. Besonders im Herbst und Frühjahr entsteht starke Nachfrage nach Brotgetreide. Durch die Ausfuhr, das verminderte Angebot, steigen die Preise. Die Ausfuhr dient natürlich nicht nur dem augenblicklichen Bedarf, sondern der Spekulation, die unsere Tarifpolitik fördert. Den Mühlen fehlt es mitunter: direkt an Getreide. Würden diese Ausfuhrtarife nicht bestehen, fo würde Deutschland seine Ueberprodukiion an Roggen in verarbeiteter Form, als Mehl, aus- führen können. Gerade die Ueberprodukiion macht eS unnötig, daß man den Export durch Ausfuhrvergünstigungen noch künstlich zu heben sucht. Die dringend zu fordernde Aufhebung der Aus- fuhrtarife würde selbst der Landwirtschaft keine Nachteile bringen. 70,76 Pro z. aller deutschen Landwirte müssen noch Getreide für ihre eigene Wirtschast hinzukaufen, geschweige daß sie selbst Ge- treibe ausführen können._ Zur Lage in Qngara. Aus B u d a p e st wird uns telephoniert: Vor und in dem Reichstage herrscht das alte Bild: Draußen Militär und Gendarmen, die den oppositionellen Abgeordneten das Haus verbieten, drinnen einige Abgeord- neten der Regierungspartei, die im Handumdrehen die wich- tigsten Gesetze ohne Debatte in einigen Minuten verhandeln und annehmen. Am Sonnabend wurden nicht weniger als 13 Gesetze erledigt. Der Gesetzentwurf, der den Abgeord- neten, wenn sie gegen den Präsidenten widerspenstig sind, das Mandat entziehen soll, ist durch den Einfluß Tiszas dem Ver- waltungsausschuß überwiesen worden. Dieser Ausschuß sollte Sonnabendnachmittag 5 Uhr den Entwurf beraten. Ange- sehcne Abgeordneten der Regierungspartei bemühen sich, dieses freche Attentat �auf die parlamentarische Freiheit zu verhindern. Bis zur Stunde ist noch nicht bekannt, ob in die Verhandlungen eingetreten wird. Am Sonntag finden wieder im Lande 48 Versammlungen statt. Ein großer Teil der Versammlungen wird von den eingeschriebenen Abgeordneten der Opposition im Verein mit der Sozialdemokratie abge- halten. Ein Flugblatt der Partei, das im Laufe dieser Woche in 1 0VO 999 Exemplaren an die Bauern und Landarbeiter herausgegeben wurde, ist Sonnabendnachmittag 4 Uhr vom Untersuchungsrichter und vom Staatsanwalt konfisziert wor- den; es wurden jedoch keine Blätter mehr vorgefunden. Freitag begann der Anklayesenat die Beratung darüber, ob die Gefangenen der Mairevolution weiter in Untdr- suchungshaft bleiben sollen. Es wurde über die erste Gruppe der Angeklagten verhandelt. Von 17 Angeklagten wurden 15 sofort auf freien Fuß gesetzt. Sonnabend fand die Ver- Handlung mit der zweiten Gruppe der Angeklagten statt; sämtliche Angeklagten dieser Gruppe wurden in Freiheit ge- setzt. Die andere Gruppe kommt Montag zur Verhandlung; es ist vorauszusehen, daß auch von dieser Gruppe jeder.-der Wohnung und Beschäftigung hat, sofort freigelassen wird. Die ganzen Anklagen, die von der Polizei auf Mord. Ein- bruch, Aufruhr und Widerstandes gegen die Staaksgewall aufgebauscht waren, zerfallen in nichts. Trotz der Machina« tionen werden höchstens die Angeklagten wegen Beleidigung der Staatsgewalt und wegen Attentats gegen Privateigen« tum verurteilt werden. Mit dem besten Willen konnten die Richter nach den Aussagen der Angeklagten nicht anders han- dein, da diese beweisen können, daß sie sich nur den Angriffen der Polizei widersetzt haben, um nicht von den Bajonetten niedergestochen zu werden. * D * Die Auslieferung des Abgeordneten KovacS. Budapest , 22. Juni. Der Jmmunitätsausfchuß deS Abgeordnetenhauses hat beschlossen, dem Ansuchen der Gerichtsbehörde wegen Auslieferung des Abgeordneten Julius Kovacs behufs strafrechtlicher Verfolgung, weil er den Präsidenten Grafen Tisza zu ermorden versuchte, stattzugeben und ihn der Staatsanwaltschaft unter Aufhetzung je inet Atz» geordneten.? ua.li tat auszuliefern. Portugal . Arbeitcrunruhen in Lissabon . Lissabon , 21. Juni. Gegen 11 Uhr abends tvurden auf dem Dom-Pedroplatz drei Bomben zur Explosion gebracht. Darauf ging Kavallerie gegen die dort angesammelte Menge vor und zerstreute sie. Durch Revolverschüsse wurde eine Person getötet, mehrere wurden verwundet. Die Regierung läßt die Truppen in der Stadt patrouillieren und erlaubt niemand, stillzustehen. Lissabon , 22. Juni. Arbeiter haben gestern abend bis gegen 3 Uhr eine Demonstration auf den Strahenbahnschienen veranstal- tet. Die Straßenbahngesellschaft hat einen Teil ihrer früheren Angestellten wieder eingestellt; sie erklärt, daß der Straßenbahn- verkehr heute wieder aufgenommen werde. Die Straßen Lissabons waren bis in die späten Nachtstunden von einer erregten Menge erfüllt.— Durch die Bomben, die auf dem Dom-Pedroplatz explo- diert sind, ist eine Person getötet worden. Zwei Personen, die an einem Fenster des zweiten Stockwerks eines Hauses standen, wur- den verwundet. Unter den weiteren Verwundeten befinden sich einige Polizeibeamte und Kavalleristen. Die Blätter melden, daß in.Covilhao 12 000 LLeper a r be i t s l o s sind. Lissabon , 22. Juni. Der Senator Arthur Costa, der Bruder Alfons Costas, wurde beim Verlassen des Parlaments mit Steinen beworfen und feuerte zu seiner Verteidigung mehrere Reppfver- schüsse ab. CtiglancL Der Londoner Transportarbeiterstreik. London , 21. Juni. (Eig. Skr.) Der Londoner Transportarbeiterstreik dauert mit unverminderter Stärke an. Die Vermittlungsversuche der Regierung scheinen zu Ende ge- kommen sein. Die Arbeitgeber unter Anführung der Hafen« behörde sind nach wie vor fest entschlossen, die Organisation der Arbeiter zu zertrümmern, und die Arbeiter sind nach all ihren erfolglosen Versuchen, den Frieden herzustellen, nicht geneigt, neue Vorschläge zu machen und erwarten nun von den Unternehmern, daß diese sich zu Vorschlägen herbeilassen. Nur die Arbeiterpartei arbeitet noch an einer Lösung der Streit- frage. Sie wird nächsten Dienstag eine Vorlage im Parla» ment einbringen, nach der alle freiwilligen Verträge zwischen den Arbeikern und Arbeitgebern im Londoner Hafen beide Kontrahenten gesetzlich binden sollen. Die reaktionäre Presse, die die Streikenden durch ihre lügenhaften Berichte über den Zusammenbruch des Kampfes nicht hat entmutigen können, versucht jetzt die Arbeiter beim Publikum anzuschwärzen. Nach ihren Berichten soll im Osten Londons eine wahre Schreckensherrschaft bestehen, die Spi- täler sollen von verwundeten„Arbeitswilligen" voll sein; kein Mensch soll sich in den Seitenstraßen seines Lebens sicher sein. Die Nachrichten sind pure Erfindung. So schrieb der„Daily Expreß " gestern:„Das Spital von Poplar ist voll von Opfern dieser feigen Roheit, die ihre Erlebnisse auf dem Krankenbett erzählt haben. In jedem Falle sind sie mit Stöcken, die mit Blei ausgegossen waren, auf den Hinterkopf geschlagen wor- den, während eine Partie dieser tapferen Streiker ihre Auf- merksamkeit vorne in Anspruch nahm. Einige der Opfer sind junge Knaben." In Wirklichkeit hat man während der ganzen Tauer des Streiks nur 4 Personen in dem Spital behalten, die sich ihre Wunden in Streikunruhen geholt. Zwei davon waren Kinder, die unabsichtlich verletzt worden sind. Uebrigens bezeichnet der Sekretär des Spitals die Be- hauptung des Blattes als eine ungeheure Uebertreibung. Charakteristisch für diesen Lügenfeldzug ist das Gebaren eines anderen kapitalistischen Sensationsblattes, der„Daily Mail", das unter einer langen Tirade gegen den„TerroriSmuK" der Streikenden in einer bescheidenen Ecke die offizielle Er» klärung der Polizeibehörde bringt, daß die Angriffe von Ge» werkschaftern auf„freie" Arbeiter nachgelassen, daß die Häufigkeit der Verbrechen im Osten jetzt nur normal sei, und daß die Streikenden allein für diese Verbrechen nicht verant- wortlich seien. Offenbar ist diese Hetze der Reaktionäre gegen die streikenden Arbeiter auf Wunsch der Arbeitgeber deS Hafens inszeniert worden, die den Führer der Konservativen zu ihrem Sachverwalter im Parlament ernannt haben. Um sich an Herrn McKenna zu rächen, scheinen die Arbeit- geber des Themsehafens alle konservativ geworden zu sein. Cktna. Die Regelung der Anleihe. London , 21. Juni. Nachdem nunmehr der Abschluß der chinest- schen Anleihe in Paris erfolgt ist, werden je nach Bedarf von Zeit zu Zeit Zusammenkünfte der SechSmächtc-Bankengruppe stattfinden; ob in London , Paris , Berlin oder sonstwo, steht augenblicklich noch nicht fest. Wie verlautet, werden inzwischen in Peking weitere Besprechungen erfolgen, um die Wünsche und die Ansichten der chine- fischen Regierung im einzelnen kennen zu lernen. Obgleich an- genommen wird, daß nach allgemeinen Grundsätzen die von jeder Macht bereitgestellten Gelder auf dem inländischen Markt aufgebracht werden müssen, hat doch jede Macht unter bestimmten Bedingungen das Rs$tz einen Teil des Geldes im Auslande flüssig zu machen. Marokko. Die Kämpfe bei Fez. Paris, 22. Juni. Die letzten Nachrichten aus Fez melden: Die Kolonne deS Generals Dalbiez hat ihr Lager bei El Hadjeb, östlich von Mekines, am 18. Juni verlassen und ihren Marsch süd- östlich in der Richtung nach Fez und Sefru fortgesetzt. 45 Kilometer südöstlich von Fez entfernt, im Süden des Dschebel Utiki, stießen die Franzosen mit einer Abteilung der Bcni MTir zusammen, die jedoch nach kurzem Kampfe in die Flucht geschlagen werden konnten. Darauf bezog die Kolonne bei Sidi Abb es Salem, 26 Kilometer südöstlich von El Hadjeb, ein neues Lager. Die Franzosen hatten bei dem Kampfe mit den Beni MTir 5 Tote und mehrere Verwundete. Ein Teil der Beni MTir erschien im französi schen Lager und bot seine Unterwerfung an.
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