Dr. 146. 29. Jahrgang.L KnlM dtg Jotiuirls" Kerlim WMMMtwch, 26.?mi MZ.allgemeiner ventkcher filriorge-erÄehungstsg.Telegraphischer Bericht.D r e S d e n, den 25. Juni 1912.In Gegenwart von über 399 Männern und Frauen, die in derdeutschen Fürsorgeerziehung tätig sind, begannen heute vormittagim großen Saale des„Zoologischen Gartens" die Verhandlungendes allgemeinen Deutschen Fürsorgeerziohungstages.In der Eröffnungssitzung wurde nach den Begrüßungen mitVertretern der Behörden in die Tagesordnung eingetreten.An erster Stelle sprach Oberarzt Dr. Mönkemöller-Hildes-heim über:Die Psychopathologie der Pubertätszeit.In der Pubertät verläuft neben der Geschlechtsreife einewesentliche Weiterentwickelung des Gehirns. Die Individualitätdes Menschen bildet sich aus. Schon in die physiologische Pubertätverweben sich nicht selten vereinzelne psychische Atnveichungen, zu-mal wenn ungünstige Faktoren die gerade bei Fürsorgezöglingenhäufig in Betracht kommen, die Wucht dieses Entwickelungsprozessesverstärken. Diese Periode bleibt ein sehr labiler Zustand. Außer.dem läßt sie bis dahin verborgen gebliebene 5trankheitsanlagen zumLeben erstehen und verschlimmert bestehende Krankheitssymptome.Der Prozentsatz der geistigen Krawtheiten steigt in dieser Zeit bedeu.teud. In der Pubertätszeit wurzelt in erster Linie das Jugendirresein,daS in manchen Erscheinungsformen mit den physiologischen Ver-änderungen dieser Zeit eine große Aehnlichkeit hat. Besonderswichtig sind die schleichend verlaufenden Formen, die sehr häufigübersehen werden. Zuweilen propft sich diese psychische Verschlechte-rung in der Pubertät auf die angeborene Geistesschwäche. DiePubertät verleiht aber vor allem den Symptomen der Jmbecillitäteine aktive Gestaltung. Sie prägt die schlechten ethischen Eigen-schaften stärker aus, wie sich überhaupt manche Schwachsinnszuständezuerst lediglich durch kriminelle Ausschläge kundgeben. Auch diepsychopathischen Konstitutionen werden meist erst in der Geschlechts-reife sozial unbrauchbar. Epilepsie setzt nicht nur oft erst in denEntwickelungsjahren zum ersten Male ein, sondern es leitet sich jetztauch oft die epileptische Entartung und die kriminelle Ausgestaltungein, wie auch die Hysterie erst letzt ihre typische Ausbildung alsKrankheitsbild erlangt und ihre Schatten auf den Lebensweg wirft.Den nachteiligen Einflüssen der Pubertät sind besonders starkdie Nachkommen der Alkoholisten ausgesetzt.Bei ihnen gelangt jetzt oft auch die Neigung zum Alkoholgenußzum Durchbruch. Wie diese Entwickelungsperiode schon normaler«weise durch ein lebhaftes Hervortreten der Stimmung gekenn-zeichnet ist, so stellen sich auch hier manchmal zum erstenmal schwe-rere Stimmungsanomalien ein. JnhohemMaßegefährdeti st das weibliche Geschlecht durch das Eintreten der erstenMenstruation, die gelegentlich mit schweren psychischen Schwan-ihre Nahe Verwand taitchstfm fhllkin pgutganA.Zs vstßßnrx virßihre nahe Verwandtschaft mit der Geisteskrankheit. In allepsychopathologischen Vorgänge dieser Zeit spielt nicht selten einHervortreten des sexuellen Trieblebens hinein.Die krankhaften Veränderungen dieser Zeit gleichen sich zumgrößten Teil aus. Man soll sich daher davor hüten,vorschnell die Unerziehbarkeit anzunehmen. Beider großen Menge von psychopathologischem Material, das derFürsorgeerziehung zuströmt, hat diese die Aufgabe, an Stelle dcSElternhauses für einen ruhigen Ablauf dieser Entwickelungsphasezu sorgen. Sie muß darauf bestehen, daß diese innere Umgestal.tung dem zerrissenen Milieu des Elternhauses entzogen wird. Mög-lichst frühzeitig muß sie über die psychische Wertung der Zöglingeins Klare kommen, um besonders gefährdete Individuen in derUebergangszeit im Auge zu behalten. Bei streng durchgeführtenIndividualisierung und nach Ausschaltung der schwersten psycho-pathologischen Zöglinge ist eine straffe und zielbewußte Behandlunggerade in dieser Zeit am Platze. In der Schule darf man im all-gemeinen auch bei einem stärkeren Hervortreten der inneren Um-wälzung seine Ansprüche nicht zu sehr herabschrauben. Anzu-empfehlen ist besonders regelmäßige körperliche Arbeit, gute Er-nähruna und eine allgemeine Körperhygiene. Der Kampf gegenden Alkoholismus setzt am zwecknsiißigsten schon jetzt ein. Einekleines feuilleton.Unabhängigkeit der Kritik. Es gibt noch immer großkapita-listische Unternehmer, die da glauben, daß die Presse Schuhputzer-dienste für ihre lukrativen Interessen zu leisten, hingegen jeder Be-mängelung gebotener Leistungen sich zu enthalten habe. Allerdingssind diese Leute es gewohnt, solches zu erwarten, weil die Mehr-zahl bürgerlicher Zeitungen allen ihren Wünschen entgegenkommt,und sie geraten vor Entrüstung aus dem Häuschen, sobald einmalein Blatt sich erlaubt, statt Lobespsalter zu singen, gerechte Kritikzu üben, kredenzten Schund— Schund zu nennen. Unser Main-Franl�urter Parteiblatt hat neulich ein vom Zirkus Schumann zurAufführung gebrachtes Ausstattungsstück:„Das Motorpferd" alsminderwertig bezeichnet. Darüber war Kommissionsrat Schumannnicht erbaut. Die Kritik konnte ihm möglicherweise das„Geschäft"vcrmietzen, weshalb er von der Redaktion der„Volksstimme" dasPassepartout, d. h. die ständige Platzkarte für die Vorstellungen imZirkus zurückfordern ließ. Selbstverständlich erhielt der DirektorSchumann eine gebührende Abfertigung. Es heißt da:„Herr Di-rcktor Schumann scheint von der irrigen Auffassung auszugehen,die der Presse überlassenen Passepartouts sind eine Belohnung fürwohlwollende Berichterstattung: wer nicht in für Herrn Schumannzufriedenstellender Weise über die Vorstellung des Zirkus berichtetund nicht alles so lobt, lvie er es wünscht, der wird mit Entzug desPassepartouts bestraft. Der Herr Direktor stellt damit die Presseauf eine Stufe mit Freibillettschnorrern. Er meint, diePresse müsse ihm, wie jene Leute, dankbar sein, daß er ihr eineFreikarte überläßt. T>as ist natürlich ein großer Irrtum des HerrnKommissioiisrats Schumann, der um so bedauerlicher ist, als indieser Auffassung eine Herabwürdigung Kr Presse liegt. DiePassepartouts der Presse sind keine Freibilletts, sondern sie sindfür jedes Theaterunternehmen und für jeden Zirkus ein billigesAcquivalent für eine Leistung der Presse." Es zeigt nun aber dochschon von einer Art Gesundung der bürgerlichen Presse, daß auch inihrem Lager die Empfindung von einer ihr angetanen Herabwürdi-gung sich offenbarte. Mehrere Frankfurter Zeitungen fanden esfür gerate», Herrn Schumann auch ihrerseits die Passepartoutszurückzuschicken, woraus erhellt, daß das, was in Berlin HerrnSchumann erlaubt sein mag. wo anders als unziemliche Zumutungan den Pranger gestellt wird.Der Tiefstand deö musikalischen Geschmacks. Mit dem Ge-schmacksniveau auf musitalischcin Gebiete ist es zurzeit in Deutsch-land nicht gerade zum besten bestellt. Das geht besonders aus einerStajistik hervor, die der Vorstand des Deutschen Musikalienver-legervereins aufgestellt hat. In dem Bericht, der sich über die letztenzwei Jahre erstreckt, heißt es, daß zwar der Musikalienhandel ansich einen wirtschaftlichen Aufschwung genommen hat, daß aber die„leichte Kost" den meisten Absatz findet. Ernste Musik und guteHausmusik bleiben nach wie vor schwer einzuführen, wogegen dieVerbreitung der Operetten und sogenannten„populären" Musik inimmer weitere Kreise dringt und eine zunehmende Anspruchslosig-keit und Verschlechterung des musikalischen Geschmacks herbeiführt.Da» Ende eines deutschen SilberbrrgwerkeS. Freiberg, die alteBerghauptstadt Sachsens, atmet Romantik. Man geht durch enge,genaue Kenntnis der psychopathologischen Borgänge dieser Zeit er-leichtert das Werk der Fürsorgeerziehung. Redner legte dann derVersammlung im Sinne seiner Ausführungen gehaltene Leit-sätze vor.In der Diskusston spricht Geheimrat Ganser» Dresden demVortragenden warme Anerkennung aus. Wenn er aber meine, mansolle sich nicht scheuen, die Zöglinge etwas scharf anzufassen, sobraucht die Fürsorgeerziehung solche Mahnung nicht, denn siehandelt bereits danach. Die Affektschwankungen sind in den ein-zelnen Teilen des Deutschen Reichs sehr verschieden, so ist z. B. inSachsen die Steigung zum Selbstmord am höchsten. Darauf mußdurch differenzierende Behandlung Rücksicht genommen werden,denn wir dürfen nicht riskieren, daß die Fürsorgeerziehung etwadurch zu große Strenge zur Erhöhung der Sclbstmordzahl führt.—Pastor Roth- Groß-Rosen(Schl.): Je elastischer und willens-kräftiger der Erzieher ist, destoweniger wird er gezwungen sein,Strafen anzuwenden. Die Fürsorgeerziehung wird leider inmanche Beziehung diskreditiert, aber trotzdem können wir dieseStrafen nicht gan� entbehren. Darum möchte ich die Behörden u mmehr Freiheit für unS Erzieher bitten auch inbezug auf die Anwendung der Strafen. Wir freuenuns, daß die Psychiater mit uns zusammen arbeiten wollen und daßfrühere Mißverständnisse auf diesem Gebiet gehoben worden sind.Vi»les gleicht sich in der natürlichen EntWickelung aus. Wir wissenja selbst, wie die Zöglinge unter unserer Hand manchmal ohne unserZutun das zu verlieren scheinen,, was die Erziehung gefährdet. BeiMädchen bedeutet häufig daS 19. Jahr eine solche Wende, undmanchem unserer Zöglinge habe ich mit Erfolg gesagt:„Wenn Ihrerst dieses Alter erreicht, wird mancher Druck von Euch genommenwerden." Wir wollen unsere Zöglinge mit stählerner Energie an-fassen, aber auf die Dauer können wir nur dann wirksam er-ziehen, wenn es unS gelingt, das Vertrauen unserer Zöglinge zugewinnen. Goethe hat gesagt:„Erziehen kann man nur, wen manliebt!" Gehen wir also unseren Zöglinge bei aller Strenge dochauch bis in die innersten Empfindungen nach.Dirigierender Arzt Dr. Schnitzer- Stettin ergänzt die Aus-führungen des Referenten durch Erwähnung einiger Fälle auS derPraxis, namentlich über das jugendliche Irresein, die sogenanntedementia praecox, die sich in einem Falle in täuschend vollkom-mener Nachahmung epileptischer Anfälle durch den Zögling äußerte.Gerade bei dem jugendlichen Irresein ist eine pädagogische Ein»Wirkung von größter Bedeutung.— Direktor Dr. Kluge- Potsdambespricht die frühere Isolierung von Geisteskranken. Gerade solcheZöglinge, die manchmal als brutal erscheinen, sind mitunter dieEmpfindsamsten, und wenn man ihnen die Schwierigkeiten aus demWege räumt, kann man sie zu tüchtigen Menschen machen.— Sani.tätSrat Dr. N e i ß e r- Bunzlau betont die Schwierigkeiten, Irreund Gesunde auseinanderzukennen, wenn nicht die elementareForderung verwirklicht ist, daß von jedem Zögling eine genaueBeschreibung seines ganzen Vorlebens von seiner Kindheit an ge-geben ist. Im Gegensatz zu den Gefängnissen wird in den Für-sorgeanstalten eine Trennung von Mutter und Kind vorgenommen.Wir müssen doch bedenken, daß 89 bis 199 Mädchen im Jahre inschwangerem Zustand oder sofort nach der Entbindung in Fürsorge-erziehung gebracht werden. Die Damen der Gesellschaft solltenhierjür Abhilfe sorgen.Nach einem Schlußwort des Referenten wurde die Besprechunggeschlossen.Am Nachmittag unternahmen die Teilnehmer des Fürsorge-erziehungstages einen Ausflug nach Moritzburg, wo das Schloß,das Bruderhaus und die Erziehungsanstalt besichtigt wurden.Abends sprach dort Pastor. K n a u t, der Direktor der BerlinerStädtischen Fürsorgeerziehung, über:»Die Selbstverwaltung der ältere» Färsorgezöglinge".Redner faßte seine Darlegungen dahin zusammen, daß die psycho-logischen Voraussetzungen für die Selbstverwaltung der Zöglingeim Alter von 15 bis 21 Fahren in dem diesem Alter besonderseigenen Freiheitsdrang und dem Streben nach Selbstbetätigungliegen. Wird dieser Trieb gewaltsam unterdrückt, so erzieht manunselbständige Menschen oder unzufriedene revoltierende Elemente.Leitet man ihn in die rechten Bahnen, so dient er zur Erziehungfroher, freier und selbständiger Persönlichkeiten. Die Voraus-setzungen liegen aber auch in dem in diesem Alter hervortretendenStreben nach sozialer, kollektiver Betätigung. Wenn man diesesStreben unterdrückt, so befördert man geheimes Komplottieren undungesundes Kliquenwesen. Leitet man es aber in rechte Bahnen, sograue Gassen, an denen Häuser stehen mit schönen alten Toren,köstlich feinen Giebeln und dicken Mauern. Um den Stadtkern ziehtsich die schöne neu« Promenade im geschlossenen Ring auf dem altenWallaelände, auf dem noch alte Mauern- und Grabenreste und dreiwehrhafte Türme von der Zeit zeugen, in denen sich die reicheBergstadt vor Kriegsüberfällen zu sichern hatte. Hier in der altxnMark Meißen war ja immer etwas los, und von den Schrecken, diewährend des dreißigjährigen Krieges über die Stadt hereinbrachen,raunt noch jetzt eine dreihundertjährige Linde, unter der nach seinemsiegreichen Einzug in Freiberg der Schwedengeneral Torstenson Rastgemacht hat. Ein Stück weiterhin schaut das trotzige Mauerwerkdes Schlosses Freudenstein übers Land. Und nun endlich der Dom!Der gedrungene Bau steht kantig und in seiner Turmlosigkeit finsterund verschlossen da. Dem Antlitz dieser Stadt wittert die Geschichteaus allen Zügen, Geschichte, die bald nur noch Erinnerung seinwird. Denn schon wendet sich das letzte Blatt des jüngsten Ab-schnitte?.Weit im Lande, ja in der Welt löst der Name der Stadt Frei-berg die Vorstellung einer betriebsamen Gegend aus, die durch dasvon einer bis auf unsere Tage lebenden Romantik umgebeneWirken des Bergmannes ihr Gepräge erhalten hat. Schürfelustund Finderfreude, Mühsal und Tod des heiterernsten Bergknappenklingen und klagen durch die deutsche Dichtung, und das deutscheMärchen, dem aus dem dunklen Reich unserer Tage eine ganzeAnzahl seiner uns und unseren Kindern vertrautesten Gestaltengeboren wurden. Der sächsische Bergmann, und zumal der Knappeaus dem Freiberger Silbererzgebiet steht in dem Bilde nicht anletzter Stelle. Wie sollte er auch. Seit mehr als 89V Jahren nenntihn deutsche Geschichte. Von der Ausdehnung des erzgcbirgischenBergbaues und seiner stolzen Vergangenheit freilich hat wohl nie-mand da draußen eine rechte Vorstellung. Man staune: schon inder zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts haben mehr denn 799 Frei-berger Gruben in Erzlieferung gestanden, und seitdem war eS, vonkurzen Unterbrechungen durch Kriegsnöte abgesehen, ein unaufhör-liches Weiterblühen. Immer neue Gänge wurden gefunden undangebrochen, immer neue Schichten senkten sich in die Tiefe, immerergiebiger wurde der Betrieb der einzelnen Gruben und immergroßartiger unter der Wirkung des Aufblühens der bergtechnischenWissenschaften, für die seit Mite des 18. Jahrhunderts die alte, inder ganzen Welt berühmte und heute namentlich aus dem europä-ischen Osten stark besuchte Freiberger Bergakademie den Mittelpunktbildete, die neuen Anlagen, die großartigste unter ihnen der längsteStollen der Welt, der zur Wasserhaltung dienende, über 14 Kilo-meter ausgedehnte Rotschönberger Stollen, dessen erste Planungvom Oberhauptmann von Herder, dem Sohne des Dichter», herrührt.Diese fortwährende Steigerung der EntWickelung und des Förder-gutes hielt bis zum Jahre 1884 an, in dem für nicht weniger als5JA Millionen Mark Silber zu Tage gebracht wurden. Der Erreichung des Höhepunktes aber folgte ein jäher Sturz: das Ucbcr-handnehinen der Goldwährung und die Nebenbuhlerschaft der über-seeischen Silbergruben haben zu einem ständigen Preisrückgang desEdelmetalleS geführt, und heute kostet das Sicher etwa nur noch einDrittel so viel wie vor 49 Jahren. Seit 1886 ist der Ertrag mitrasender Schnelligkeit zurückgegangen. Endlich gab es doch keinHalten mehr. Sachsen mußte sich entschließen, den Bergbau Frei-schafft man ein wichtiges Erziehungsmittel zu staatsbürgerlichenTugenden und man leitet den staatsbürgerlichen Unterricht zustaatsbürgerlicher Praxis über. Nach diesen Gedanken kann dieSelbswerwaltung gestaltet werden, und zwar im Gesamtleben derAnstalt, wobei die Hausordnung und alle Veranstaltungen auS demLebensinteresse der Zöglinge erwachsen und so freiwillig über-nommen werden, die einzelnen Familien und Arbeitsgruppen einselbständiges Gepräge erhalten und einzelne Zöglinge zur Aufrecht-erhaltung der Zucht und Ordnung heranziehen müssen. Dagegenwäre ein aus Jugendlichen zusammengesetzter Jugendgerichtshofeine verfehlte Einrichtung, weil es den Jugendlichen an Lebens-erfahrung, psychologischer und intellektueller Reife und an Jnter-esse für die Einrichtung fehlt. Wenn aber die Selbswerwaltung ineinzelnen Vereinen organisiert wird, so sind dabei folgende Gesichts-punkte zu beachten: Es sind nur solche Vereine zu bilden, die derkörperlichen, geistigen und sittlichen Ertüchtigung dienen(Turn-vereine, Gesangvereine, Jugendwebr, dramatische Vereinet. JedemVerein ist ein Erzieher, als Berater beizugeben, der nicht regiert,sondern leitet. Die Mitglieder wählen ihren Vorstand und dieBeamten(Vorsitzender, Kassenwart, Gerätewart usw.) und zahlenBeiträge aus dem ihnen zu gewährenden Arbeitsverdienst. FürOrdnung und Zucht sollen die Vereine selbst sorgen.Morgen(Mittwoch) gehen die Verhandlungen zu Ende.Der Derbandstag der Holzarbeiter.In'der gestrigen Vormittagssitzung wurde die Diskussionüber den Vorstands- und Kassenbericht fortgesetzt. Storch- Char-lottenburg geht nochmals auf die Angelegenheit seiner Zahlstelleein und wünscht, daß ihn für den Anschluß an Verlin nochmalseine Bedenkzeit, und zwar bis zum 1. Oktober gewährt werde. Vonanderer Seite ist hierzu übrigens schon ein Antrag eingegangen,über die Angelegenheit zur Tagesordnung überzugehen. Ein Antragder Zahlstelle Charlottenburg, bei der Einverleibung von Vorort-Zahlstellen in eine größere Zahlstelle keinen Zwang auszuüben,hat keine Unterstützung gefunden und ist somit von vornhereinerledigt. Schneegas(VerbandSvorstand) ist der Ansicht, daßden Charlottenburgern Zeit genug zur Ueberlegurig gewährt wordenist, und daß sie sich bis zum 1. Juli zum Anschluß entschließenmüßten.— Schmidt- Braunschweig spricht über die geplanteEinführung des Umlageverfahrens bei großen Lohnkämpfen andererGewerkschaften und billigt durchaus den Standpunkt des Verbands-Vorstandes. Im übrigen wird in der Diskussion weiter über chieTätigkeit der Zentralkommissionen der Branchen und ihr Verhält-niS zu den Gauvorstehern und dem Hauptvorstand gesprochen undein Antrag eingebracht, der Vorstand solle eine Konferenz der Vor»sitzenden der Zentralkommissionen einberufen, um die Richtlinienfür die weitere Tätigkeit dieser Kommissionen festzulegen. Außen-dem wurde noch hervorgehoben, daß in der Agitation und bei Ab-schluß von Tarifverträgen mehr Wert auf die hygienischen Ver-Hältnisse in den Werkstätten gelegt werde. Neben den Unfallgefahrendurch den Maschinenbetrieb seien eS die Verunreinigung der Luft,die Staubcntwickelung, der Mangel an ausreichender Ventilationund Reinlichkeit in den Betrieben, was die meisten Opfer an Lebenund Gesundheit erfordert.— Die Diskussion, in der noch ver-schiedene, mehr innere Angelegenheiten berührt wurden, erreichtegegen 11 Uhr ihr Ende. Der Verbandsvorsitzende Lei pari ant-wortet in seinem Schlußwort auf verschiedene Anfragen und Ein-Wendungen. Eine Anfrage richtete sich auf die Stellung des Ver-bandSvorstandes zu der Privatversicherung mit Rücksicht aus dieVerbandsangestellten. Diese Frage ist der Revisionskommissionüberwiesen worden und wird später noch zur Erledigung, komnsen.Eine andere Anfrag«, den Bau des Verbandshauses betreffend, vv-antwortet der Redner dahin, daß der Vorstand wohl an die hundertOfferten eingehend geprüft habe, ehe er sich zum Erwerb desGrundstücks im Zentrum Berlins entschloß. Es sei als selbstver-ständlich anzusehen, daß außer der Hauptverwaltung auch die Zahl.stelle Berlin ihre Bureaus nach dem Verbandshause verlegen werde,wenn das Haus fertig ist. Die berechtigten Wünsche und An-regungen, die die Zentralkommissionen haben, sollten sowohl vondem Verbandsborstand wie bei den Gauvorständen beachtet undbefolgt werden. Bei- Einführung des llmlageverfahrens zu gegen-seitiger Streikunterstützung dürften nicht alle Gewerkschaften übereinen Kamm geschoren werden, sondern eS müßte den Gewerkschaften, bei denen es sich um große Summen und MitgliederzahlenbergS langsam abzurüsten, und so sind seitdem in fortschreitendemMaße die alten Knappen auf Ruhelohn gesetzt, die jüngeren, dienoch anderwärts ihr Auskommen finden werden, mit Kündigungabgelohnt worden. Im nächsten Jahre wird der letzte FreibergSrHäuer seine letzte Schicht verfahren haben....Nuditätenschniiffelei. In der gegenwärtigen Ausstellung imMiünchener Glaspalaste war auch ein Gemälde von Hoffmann vonVeltenhof ausgestellt mit dem Titel:„Im Schöße derGötter". Dieses Bild hat der Maler auf Verlangen der Aus-stellungsleiter entfernen müssen, angeblich weil es durch seine Rudi-täten die Beschauer verletzt.... Ueber das Sujet des Bildes istfolgendes zu sagen: ES ist ein Triptychon mit einer tempelartigenUmrahmung, die sich in allen drei Teilen des Tripthchons über eineHügelgruppe zieht. Links auf dem Bilde sieht man die Mädchennach emem Tempel schreiten. D i e Mädchen sind bekleidet.In der Mitte sitzt auf einem Sockel ein roter Götze, der vom Altar-feuer rot beleuchtet wird. Auf seinen Knien kauert ein nackte?Mädchen. Dieses Mädchen hat der Künstler auf Ersuchen derAusstellungsleitung bereits früher einmal um gemalt. AndereMädchen schüren das Altarfeuer und blicken auf das kauernde Mäd-chen. Auf denrchritten Bilde des Triptychons kommen die MädchenauS dem Tempel zurück. Eines der Mädchen hält eine goldeneKette hoch, ein anderes windet sich in Verzweiflung und daS dritteMädchen hockt auf der Treppe, blickt dem Beschauer entgegen undzählt Goldmünzen auf der flachen Hand. Auch diese Mädchen sindmit Ausnahme jenes, das auf der Treppe sitzt, bekleidet! Er-kläret mir. Graf Jaromir...Notizen.— Im Lessing. Museum findet morgen, abends S Uhr.eine Roufseau-Feier statt. Dr. P. A. Merbach hält denFestvortrag und Theodor Mantow rezitiert das Monodrama„Pyg-molion", das bei dieser Gelegenheit zum ersten Male in Berlinmit der von Rousseau selbst dazu komponierten Musik zur Auf-führung kommt. Vorher singt Vira v. Dombrowska vom LondonerConvent Garden einige Rousscausche Arien und Lieder.—„L i l i en c r o n", ein sinfonischer Nekrolog für großes Or-chester und Tenorsolo aus der Feder unseres Münchener Musik-referenten Wilhelm Mauke soll im nächsten Winter dort zur-ersten Aufführung in Deutschland kommen.— Heinrich Heine wird in Halle a. S. ein Denkmal er-halten. Die Enthüllung der pon Paul Schönemann geschaffenenKolossalbüste soll im August geschehen.— Eine Gedenktafel für Hermann Conrads,den jung verftorbenen Führer der Jüngstdcutschen Sturm- undDvangliteratur, soll an seinem Geburtshause in Jeßnitz(Anhalt)enthüllt werden.— Zensur. Die vom Münchener Schauspielhause geplanteAufführung der Komödie„Die heilige Sache" von Felix Dörmannund Hans Fuchs wurde verboten.— Alma Tadema, der einst viel gerühmte Maler grie-chischer und römischer Figurcnbilder ist zu Wiesbaden, wo er zurKur weilte, im Alter von 76 Jahren gestorben.