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Nr.lZZ. 39. Jahrgang. 2. KnlNe des, Wniirls* Scrlim WksM Mittlvoch. 3. Juli 1912. Partei- Angelegenheiten. Potsdam . Heute Mittwoch, abends 3 Uhr, bei Glaser: Generalversammlung deS WahlvereinS. Abrechnung und Vorstandswahl._ berliner Nachrichten. Für die in Familienpflege untergebrachten Waisenkinder wird die Stadt Berlin fortan ein Höheres Pflegegeld zahlen. Die Pflcgegeldsätze, die bis jetzt galten, waren teils bei der letzten, im Jahre 1002 bewilligten Erhöhung festgesetzt worden, teils stammten sie noch aus einer erheblich früheren Zeit. Die Waisendeputation und der Magistrat sind zu der Ansicht gelangt, daß die meisten der damals festgesetzten Be- träge nicht mehr den heutigen Verhältnissen entsprechen und einer Erhöhung bedürfen. Die dies- bezügliche Vorlage des Magistrats, die von den Stadtverordneten in ihrer letzten Sitzung genehmigt wurde, sagt ausdrücklich, daß den Pflegeeltern durch die Erhöhung kein besonderer Vorteil zugewandt werde. Durch diese Maßregel solle jetzt ebenso wie vor zehn Jahren nur die Preissteigerung ausgeglichen werden, die auf allen Gebieten des Wirt- schaftslebeus eingetreten sei. Wir finden, daß hier die Stadt Berlin der allgemeinen Preissteigerung sehr nachhinkt und erst spät den Pflegeeltern samt Waisenkindern zubilligt, was ihnen längst gebührte. Bei den bisherigen Pflegegeldsätzen bestand zum Teil noch der alte Unterschied zwischen Berlin und seinen Vororten. Nur für Waisenkinder, die die Stadt Berlin in Charlottenburg oder in Köpenick unterbrachte, zahlte sie die gleichen Beträge wie bei Unterbringung in Berlin selber. An Pflegeeltern, die in einem der anderen Vororte wohnten, wurde für Kinder von 36 Jahren ein geringerer Betrag als an Einwohner Berlins gezahlt. Eine dritte Gruppe, die eine noch geringere Vergütung erhielt, bildeten die Bewohner der Provinzorte. Für Kinder von 23 Jahren und von 614 Jahren zahlte ihnen Berlin weniger als den Bewohnern der Vororte. Bei den neuen Pflegegeldsätzen wird zwischen Berlin und seinen Vororten kein Unterschied mehr gemacht, und auch die Provinzorte sind jetzt den Vor- orten fast in allem gleichgestellt.mit Ausnahme nur der Pslegegelder für Mädchen von 36 Jahren. Er- höhungen sind nicht für nötig gehalten worden bei den ge- nesenden Säuglingen und bei den gesunden Kindern des ersten Lebensjahres, weil für diese beiden Gruppen schon bisher ein als hoch geltendes Pflegegeld gezahlt wurde. Für alle anderen Altersklassen(mit Ausnahme nur der in Provinz- orten untergebrachten Mädchen von 36 Jahren) sind Er- höhungen bewilligt worden, eine besonders große für die Kinder von 1 Istz Jahren, die künftig den Kindern des ersten Lebensjahres völlig gleichgestellt werden, weil sie fast durchweg eine ebenso umständliche Pflege und Wartung erfordern. Die Pflegegeldsätze pro Monat sind nunmehr bei Unter- briugung in Berlin oder in den Vororten oder in der Provinz übereinstimmend die folgenden: für genesende Säuglinge 30 M., im übrigen für Kinder von 0 l'/z Jahren 21 M., von Istz 2 Jahren 18 M., von 23 Jahren 13 M., für Knaben von 314 Jahren durchweg 13,30 M., für Mädchen von 36 Jahren 12 M.(hier bei Unterbringung in Provinz- orten nur 10,50 M.), von 614 Jahren 10,50 M., (in Berlin bis zu 15 Jahren). Es kann auffallen, daß vom dritten Jahre an für Mädchen weniger als für Knaben gezahlt wird und vom sechsten Jahre an die Mädchen in diesem Punkt noch weiter hinter den Knaben zurückstehen müssen. Das erklärt sich ivohl daraus, daß Mädchen in diesen Altersklassen auch für ein geringeres Pflegegeld inimer noch lieber als Knaben in Pflege genommen werden. Die Mädchen brauchen in der Regel weniger Nahrung und können mehr als die Knaben sich den Pflegeeltern schon nützlich machen. In diesen Umständen kommt die Tatsache zum Ausdruck, daß manche Pflegeeltern hauptsächlich deshalb ein Waisenkind nehmen, weil sie es zu allerlei Hilfe- leistungen gebrauchen wollen. Der Magistrat weist in seiner Vorlage darauf hin, daß mit den neuen Pflegcgeldsätzen die Stadt Berlin sich im großen und ganzen denen anschließt, die für Waisenkinder von den Vororten und von dem Landesdirektor der Provinz Brandenburg gezahlt werden. Die Erhöhung ist bei manchen Pflegegeldsätzen, die bisher als besonders dürftig bemängelt werden mußten, verhältnismäßig recht beträchtlich. Beispiels- weise steigt jetzt das Pflegegeld für 6 14jährige Mädchen, die in der Provinz untergebracht lvcrden, von 7.50 M. auf 10,50 M., für die in der Provinz untergebrachten 2 3jährigen Kinder von 10,50 M. auf 15 M.. für die 1 Istzjährigen Kinder überall von 15 M. auf 21 M. Nachdem die Stadt- verordnetenversammlung in der vorigen Woche den bean- tragten Erhöhungen zugestimmt hat. gelten sie bereits vom 1. Juli ab._ Die stimmfähigen Bürger Berlins haben im letzten Etatsjahr, vom 1. April 1911 bis zum 31. März 1912, sich ungefähr um ebenso viel wie im vorher- gehenden Etatsjahr vermehrt. Wahrend damals 1 1 899 Stimmfähige hinzukamen, wird diesmal der Zugang mit 11 512 angegeben. Aus dem letzten Jahr hat das Wahlburcau des Magistrats über die regelmäßige Fortschrcibung der Liste stimmfähiger Bürger wieder den üblichen Bericht erstattet, den der Magistrat jetzt bekannt gibt. Dem Bericht entnehmen ivir, daß diesmal durch Erlangung des Stimnisähigkeitsalters sowie durch Zuzug schon Stimmfähiger nach Berlin zusanimen 94 235 Personen hinzukamen und andererseits durch Wegzug oder Tod zusammen 82723 Stimmfähige ausschieden. Der Zugang und auch der Abgang waren geringer als im vorhergehenden Jahr, wo 97 425 Stimmfähige hinzugekommen und 85 526 ans- geschieden waren. Aus den sonstigen Angaben des Berichts ist noch von Interesse, daß im letzten Jahre dem Wahlbureau 67 176 Meldungen über Unterstützte zugingen. Im vorigen Jahre hatte es 69 860 solche Meldungen erhalten, hier ist also endlich mal wieder eine kleine Minderung eingetreten. Wie groß bei Schluß des letzten Etatsjahrcs, am 31. März 1912, die Gesamtzahl der in der Liste stehenden Stimnifähigen war, ist ans dem Bericht, wie üblich, nicht zu ersehen. Die Liste der stimmfähigen Bürger dient als Grundlage für die K 0 m- m u n a l w ä h l e r l i st e. die alljährlich in der zweiten Hälfte des Juli öffentlich zur Prüfung und eventuellen Berichtigung ausgelegt wird. Im vorigen Jahre waren überhaupt 388 123 Personen in die Kommunalwühlerliste gelangt, wovon nach dem Geldsacks-Dreiklassensystem unseres Kom- munalwahlrechts zur ersten Klasse 832 Wähler, zur zweiten Klasse 32 080 Wähler, zur dritten Klasse 355 215 Wähler gehörten._ Die Großstadtjugend kennt den Wald gar nicht!" Also sprach Generalfeldmarschall Freiherr v. d. Goltz, der Protektor der natio- nalen Jugendpflege und Begründer des Jungdeutschlandbundes, am Sonntag in Heidelberg auf dem Kongreß des Zentralausschusses für Volks- und Jugendspiele. So ganz unrecht hat der Feldmarschall leider nicht. An diesen Verhältnissen wird aber die nationale Jugend- pflege wenig oder nichts ändern. Hat sich Freiherr v. d. Goltz schon mal ernstlich überlegt, weshalb wohl die Großstadtjugend den Wald noch nicht so kennt, wie auch wir eS ans vollstem Herzen wünschen und durch unsere eigene Fugendpflegeaktion erstreben? Die Gründe sind stark sozialer Natur. Sie liegen darin, daß trotz aller gesetz- lichen und sonstigen Bestimmungen über den Kinderschutz immer noch viele Tausende von Großstadtkindern gar nicht die rechte Zeit habe», den Wald zu genießen, weil sie gezwungen sind, zum Unterhalt der Familie mit ihren schwachen und doch noch nicht entbehrlichen Kräften beizutragen. Oder es fehlt an den paar Groschen, um die Kinder in die Wälder zu schicken. Der Feldmarschall wirft eben die gesamte Großstadtjugend in einen Tops und macht keinen Unterschied zwischen der Proletarierjugend und der Jugend aus bürgerlichen Kreisen. Und hat er wirklich einiges Verständnis für die Not der unteren Klasse», so ist er trotz seiner hohen Stellung gar nicht in der Lage, hier grundlegende Aenderungen herbeizuführen. Soweit Arbeiterkinder noch Zeit haben, sich an Waldausflügen zu beteiligen, stehen ihnen unsere Jugendorganisationen zur Verfügung, die die andere Jugend- pflege vollkommen ersetzen. Wir buhlen nicht um die bürgerlichen Kreise, man soll also auch unsere Kreise nicht stören. Bei uns stimmt man im Walde freilich kein theatermäßiges Kriegsgeschrei an, sondern sucht Erholung und Zerstreuung und singt begeistert Volks- und Freiheitslieder, was derErtüchtigung" nicht den geringsten Abbruch tut. Recht zeitgemäß ist aber der Hinweis des Feldmarschalls doch. Er bedauert es, daß die Kinder den Wald gar nicht kennen lernen, und muß es miterleben, wie der Großstadtjugend durch die Geld- gelüste des Fiskus ein Stück Wald nach dem andern vor der Nase fortgenommen wird. Freilich hat Herr v. d. Goltz gegen die Waldschlächterei, die seinem Jungdeutschlandbund so gar nicht in den Kram paßt, lebhaft protestiert, aber gegen den geldlüsternen Fiskus ist wohl auch er ohnmächtig. Bemerkenswert ist ferner, daß nach der Erklärung des Generalfeldmarschalls die finanzielle Existenz des Bundes'auf zehn Jahre hinaus gesichert sein soll. Damit scheint die kürzlich genehmigte Jungdeutschland- Lotterie gemeint zu sein. Des aus- drücklichen Hinweises, daß ein gesunderPatriotismus" entwickelt werden soll, der sichumsetzt in Liebe zum Landesherrn und in Treue zu Kaiser und Reich", hätte es nicht erst bedurft. Man weiß auch ohnedies, daß die Jungdeutschlandbewegung weiter nichts ist, als unter der Maske der körperlichen Ertüchtigung mit militärischem Vorexerzieren ein großes politisches Wurstschnappen. Rentenempfäugcr unter Polizeiaufsicht. Wegen der beschränkten Räumlichkeiten des Postamts 58 in der Danziger Straße werden die in diesem Bezirk fälligen Invaliden- und Unfallrenten am Monats« ersten in einem Nestaurationssaal von Puhlmanns Theater in der Schönhauser Allee ausgezahlt. Obwohl hierbei alles höchst ruhig und solide zugeht, steht regelmäßig während der Auszahlungsstunden vor der Tür ein Schutzmann. Die verkrüppelten Opfer der Arbeit werden doch nicht etwa revolutionieren? Geht es auf dem Postamt ohne Schutzmann, so ist der Behelmte hier bei Puhlmann auch sehr überflüssig._ An der Erfüllung der Schulpflicht gehindert! In Berlin geht die Sage, daß hier kein Kind auf längere Zeit der Schulpflicht entzogen werden könne. Wir haben einmal einen zu unserer Kenntnis gelangten Fall mitgeteilt, der diesen schönen Glauben bitter zerstörte. Ein schulpflichtiges Kind, das man wegen Epilepsie vom Schulunterricht befreit hatte, war während der Unter- richtszeit in einem fremden Geschäft erwerbstätig. Jetzt erfahren wir einen Fall, der anders liegt, aber uns eigentlich noch wunder- licher dünkt. Diesmal ist es die Schulverwoltung selber, die Anlaß dazu gegeben hat, daß ein noch schulpflichtiges Kind nun schon seit mehreren Monaten keinen Unter- richt mehr genießt. Ein Mädchen, das im August 1899 geboren wurde, also jetzt noch keine 18 Jahre alt ist, besuchte im vergangenen Winter eine Gemeindeschule der Rosenthaler Vorstadt. Gegen das sittliche Ver halten dieser Schülerin scheint das Bedenken sich geregt zu haben, daß sie andere Kinder ungünstig beeinflussen könnte. Uns wird gesagt, das Mädchen habe gegenüber der Großmutter und auch in einer anderen Familie sich Unredlichkeiten zuschulden kommen lassen, die der Schule bekannt wurden. So etwaspassiert in den besten Familien", aber wenn es bei einem Arbciterkinde passiert, dann gilt das als ein Zeichen schlimmer Verwahrlosung. Es wird zu den Akten genommen, und wenn später wieder mal etwas Ungehöriges vorkommt und nun gegen das Kind eingeschritten werden soll, dann spielt auch die frühere Verfehlung noch alsBeweismaterial" ihre Rolle. Ob gegen das Mädchen, um das eS sich hier handelt, noch anderes vor- liegt, entzieht sich unserer Kenntnis. Im übrigen ist diese Frage von geringerer Wichtigkeit gegenüber dem, was allein an der ganzen Angelegenheit die Oeffentlichkeit interessiert. Die Schulverwaltung muß allerdings wohl geglaubt, haben, daß ihr Bedenken gegen das sittliche Verhalten des Mädchens schwerwiegend genug sei. Sie hielt es für nötig, das Kind mitten im Winterhalbjahr aus der Schule zu entfernen. Ende Februar ordnete der Schulinspektor Todenhagen an, daß die damals erst 12(-'zjährige Schülerin entlassen werden solle. Vor versammelter Klasse sagte ihr der Rektor, sie könne nach Hause gehen und dürfe die Schule nicht mehr betreten. Der Schuldiener führte sie der Großmutter zu, bei der sie als elternlose Waise wohnte, und überbrachte den Bescheid, das Kind sei entlassen. Als am anderen Tage die Großmutter vermutlich in einiger Aufregung, die ja begreiflich wäre zur Schule ging und um Auskunft ersuchte, wies die Klassenlehrerin sie ab:Gehen Sie, ich habe mit Ihnen nichts zu tun ich bin nervös!" Der Rektor- erklärte der Großmutter, daS Kind verderbe ihm die anderen. Die Angehörigen versichern uns, daß niemand ihnen eine Belehrung darüber habe zuteil werden lassen, was sie nun mit dem noch schulpflichtigen Mädchen anfang.en sollten. Wir können nicht wissen, ob das zutrifft oder ob Mitzverständnisfe vorliegen. Tatsache ist aber, daß das Kind, das weiter bei der Großmutter blieb, seitdem keiner anderen Schule zugeführt worden ist und bis auf den heutigen Tag keinen anderen Unterricht erhalten hat. In- zwischen soll zweimal durch Angehörige, wie sie selber aussagen, die Schuldeputation schriftlich gebeten worden sein, diesem Zustand ein Ende zu machen. Sie versichern auf daS bestimmteste, daß niemals eine Antwort gekommen sei. Wenn etwa die Schuldeputation ans den Zuschriften nicht klar ersah, um was es sich handelte, so konnte sie durch Nachfrage sich informieren. Schließlich ging die Großmutter selber nach dem Rathaus, um der Schul- deputation ihre Bitte vorzutragen. Dort wurde in irgend- einem Bureau sie weiß nicht, ob wirklich bei der Schuldeputation ihr gesagt, sie müsse doch Bescheid er- halten haben. Sie behauptet, noch bis auf den heutigen Tag habe sie nichts von einem Bescheid gesehen. Das eine steht fest, daß nicht nur von Ende Februar bis zum Schluß des Winterhalbjahres, sondern dann auch vom Beginn des Sommerhalbjahres bis nun in den Juli hinein das Kind jedes Unterrichts entbehrt hat. Dabei ist es ein Kind, das ohnedies in der Schule wenig Erfolg gehabt hat und Ende Februar mit 12t/z Jahren noch in Klasse V saß. Auch das blieb dem aus der Schule ausgeschlossenen Kind ver- sagt, daß es als Ersatz einen Privatunterricht im Hause erhalten hätte, der auf Kosten der Stadt von einem besonderen Lehrer zu er- teilen gewesen wäre. Man versteht nicht, wie so etwas möglich ist! Die Großmutter, die dem Kind die Pflegemutter sein muß, ist jedenfalls ohne Schuld, da sie als einfache Frau sich auf die höhere Einsicht der Schnlverwaltung verlassen zu sollen geglaubt hat. Hatte nicht die Schillverwaltung dafür zu sorgen, daß dem Kind, wenn es aus der Schule ausgeschlossen werden mußte und auch nicht in eine andere Schule aufgenommen werden sollte, in Erfüllung der gesetz- lichen Schulpflicht irgend ein Ersatzunterricht zuteil wurde? Für Kinder, die man wegen Verdachts der Verwahrlosung nicht" in der Schule dulden zu dürfen meinte, ist doch hiermit nicht die Schulpflicht überhaupt aufgehoben! Gerade solche Kinder sollten nicht sich selber überlassen bleiben, sondern um so sorgfältiger vor den Gefahren des Müßigganges be­wahrt werden. Ob übrigens gegen das Kind ein Verfahren aus Ueberweisung zur Fürsorgeerziehung beabsichtigt wurde und in- zwischen etwa eingeleitet worden ist, das ist nicht recht klar. Die Großmutter klagt, vor Jahren habe kein Mensch ihr das früh ver- waiste Kind abnehmen wollen. Jetzt aber, wo es ihr bald eine Stütze sein könne, solle es ihr genommen werden. Es scheint aller- dings, daß so etwas im Gange ist, und das Ende vom Liebe wird ja wohl wieder das sein. Aber auch dann durfte selbstver» ständlich das aus der Schule gewiesene Mädchen nicht ohne Unterricht bleiben, bis es in eine Anstalt gesteckt wird. Die Vermächtnisse des Geheimen Rcgiernngsrats v. Gronow. Wir berichteten kürzlich von dem sonderbaren Testament des vor zwei Jahren in Köslin verstorbenen Verwaltungsdirektors, Ge- Heimen Regierungsrats I. v. Gronow, der der Stadt Berlin letzt- willig 2009 Mark mit der Bestimmung vermacht hat, daß dieses Geld zinsbar anzulegen und die Zinsen so lange zum Kapital zu schlagen seien, bis dieses die Höhe des Betrages der städtischen Schulden erreicht habe. Wie bekannt, hat die Stadt das sonderbare Vermächtnis angenommen. Wie jetzt dazu mitgeteilt wird, hat der- selbe Erblasser auch dem Deutschen Reiche und der Monarchie Preußen je 19 000 M. unter denselben Bedingungen hinterlassen. Auch hier sollen die Zinsen so lange zum Kapital zu schlagen sein, bis dieses den Betrag der Staatsschulden erreicht habe. In seiner Begründung dieser seltsamen Vermächtnisse führt der Testator u. a. aus. daß die Kapitalien von 10 000 M. zu vier Prozent verzinst. zum Beispiel im Laufe von övv Jahren auf mehr als je dreitausend Milliarden anwachsen würden. Uebrigens hat Herr v. Gronow auch dem ersten Garderegiment z. F. in Potsdam , mehreren Städten und der Posener Genossenschaft des Johanniterordens ähnliche Summen vermacht. Gegen das städtische Krematorium an der Gerichts- und Adolf- straße, dessen Pläne im Polizeipräsidium öffentlich ausgelegt Ivaren, sind von mehreren Seiten Einsprüche erhoben worden, welche der Polizeipräsident als unbegründet zurückgewiesen hat. Die Ge- nehmigung zum Weiterbau des Krematoriums konnte trotzdem noch nicht erteilt werden, weil den Beschwerdeführern noch das Recht der Berufung zusteht, über welche der Minister deS Innern zu ent­scheiden hat. Wie dieFlamme" mitteilt, sind inzwischen die Vor- arbeiten so gefördert worden, daß binnen drei Monaten nach end- gültig erteilter Genehmigung das Berliner Krematorium mit zwei Oefen betriebsfertig dastehen werde. Millionenunterschlagungen werden den Bankiers Leopold Peiser und Max Hirschberg zur Last gelegt, welche die Kommanditgesellschaft Peiser u. Ko. in der Mohrenstratze leiteten. Die beiden Bankiers wurden in Haft genommen. Außer dem verlorenen Kommandit- kapital von 650000 M. sind Passiva in gleicher Höhe vorhanden, denen 2 300 000 M. Aktiva gegenüberstehen, die aber uneinbringlich sein sollen. Eine Kindesaussetzung beschäftigt die hiesige Kriminalpolizei. Spielende Kinder fanden gestern nachmittag um 4'/� Uhr auf der ersten Treppenstufe des Haufes Frankfurter Allee 82 ein kleines, un- gefähr 34 Wochen altes Mädchen, das jämmerlich schrie. Die Kinder brachten die Kleine zu einer Geschäftsfrau im Hause, die sie an sich nahm und später durch die Revterpolizei nach dem Waisen- hause bringem ließ. Dieselben Kinder, die das Mädchen fanden, sahen kurze Zeit vorher, wie eine ungefähr 2023 Jahre alte Frau, die sehr mager war, ein mit Sommersprossen bedecktes, eingefallenes Gesicht halte, an dem Kinde sich zu schaffen machte. Später fanden sie dann das Kind allein daliegen. Die Kleine ist bekleidet mit eincin weihen Wickeltuch, einem weißen gestrickten Jäckchen mit roten Bändern, einer weißen Mütze mit ebenfalls roten Bändchen und einem schwarzgrauen Umhang. Die sehr dürftig aussehende Frau hat allem Anschein nach aus Not das Kind ausgesetzt. Bisher gelang es noch nicht, sie zu ermitteln. Ein Muttermörder wurde, wie wir gestern schon kurz unter Letzte Nachrichten" mitteilten, Montagabend von der Berliner Kri- minalpolizei festgenommen. In der Nacht zum 1. d. M. erschlug der 18 Jahre alte Malergehilfe Josef Dewald seine in Brätz bei Schivicbus wohnende b6 Jahre alte Mutter, raubte 1900 M. und flüchtete zuerst nach Schwiebus und von dort nach Berlin , wo er bei dem Schwager seiner Braut in der Landsberger Allee Unter- schlupf fand. Hier wurde er von der benachrichtigten Kriminalpolizei ermittelt und festgenommen. Zuerst wurde er nach dem 51. Polizei- revier und dann später nach dem Polizeipräsidium gebracht. Hier ist der jugendliche Mörder geständig. Mit unglaublicher Kalt- blütigkeit, keinerlei Spuren von Reue zeigend, erzählte er hier die rohen Einzelheiten des schrecklichen Mordes. Dewald hatte erst am 29. v. Mts. in Schwiebus , wo er das Malerhandwerk erlernte, seine Lehrzeit beendet. Er fuhr jetzt nach Brätz wo seine Mutter mit einem älteren Bruder ein Fleischergeschäft betrieb. Nach seiner An- gäbe hat er von der Mutter Geld verlangt, um es einem Freunde zu leihen. Weil diese ihm den verlangten Betrag nicht geben wollte, habe er beschlossen, sie zu ermorden und dann zu berauben. Er ivartete die Zeit ab, bis sein Bruder sich aus der Wohnung cnt- sernt hatte, und schlug nun mit einem Fleischerbeil in bestialischer Weise auf die Frau ein, so daß nicht nur das ganze Bett, sondern auch das Zimmer ganz mit Blut bespritzt war. Ein kleiner Neffe des Mörders schlief während der Tat im Nebenzimmer. AIS der Bursche sein verbrecherisches Werk vollendet hatte, stahl er auS einer Kommode 1900 M. und machte sich damit auf den Weg nach Schwiebus . Hier traf er mit seiner Braut zusammen, die er während feiner Lehrzeit kennen gelernt hatte, und die auch ein Kind von ihm besitzt. Er fühlte sich jedoch hier nicht sicher genug und fuhr mit dem ersten Frühzug nach Berlin . Zncrst kleidete er sich hier vollständig neu ein, kaufte sich auch einige Schmucksachen und suchte dann den Schwager seiner Braut auf. Hier wurde er dann im Laufe des Abends festgenommen. In seinen» Besitze be- fanden sich noch 170S M., den Rest hatte er für die Neuanschaffungen