Mr. 250.
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Vorwärts
10. Jahrg.
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Redaktion: SW. 19, Beuth- Straße 2.
Bourgeoismoral.
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Es ist häufig gesagt worden, daß es unmöglich sei, die Grenzlinie zwischen Betrug und legitimem" Geschäft, zwischen Diebstahl und ehrlichem" Erwerb zu ziehen. Und die pfiffigen alten Griechen, die schon beinahe so weltklug waren wie die neuen, von denen man sagt, ein jeder stecke zehn Juden in die Tasche gaben ihrer Ansicht vom Wesen des Handels klassisch- künstlerischen Ausdruck, indem sie Merkur , den Gott der Kaufleute, zugleich zum Gott der Spitzbuben machten oder umgekehrt. Die Weisheit, welche die alten Griechen hiermit an den Tag legten, wird uns durch einen Artikel des Konfektionär", eines faufmännischen Fachblattes, recht eindringlich zu Gemüthe geführt. Der Artikel hat die Billigung zahlreicher größerer Bourgeoiszeitungen erhalten, die ihn ohne Verwahrung abdrucken- wir selbst entnehmen ihn dem Leipziger Tagebl.", dem ersten Geschäftsblatt Sachsens und einem der ersten Deutschlands und wir können ihn daher als typie, nicht blos vereinzelt individuelle Ansicht, sondern die Klassenauffassung der bürgerlichen Geschäftswelt widerspiegelude Meinungsäußerung betrachten. Der Artikel trägt den vielverheißenden Titel: Sind ,, Lügen im Geschäft" erlaubt? Er Iaubte und unerlaubte Lügen. Kons ventionelle und Gewohnheitslügen." Die Worte: Lügen im Geschäft" sind im Original mit Gänsefüßchen versehen, offenbar um anzudeuten, daß der Ausdruck Geschäftslägen"," Lügen im Geschäft", ein gebräuchlicher, im Geschäftsleben anerkannter ist.
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Und nun der Artikel ohne irgend eine Streichung oder Abänderung, und sogar der Druck genau wie im Original, so daß wir auch nicht durch Sperren 2c. den Sinn irgend modifiziren. Also:
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Lügen im Geschäft! Es ist das ein heifles Thema, welches wir heute berühren, schreibt der Konfektionär". Nirgends wird so viel gelogen, als im geschäftlichen Verkehr", ist eine stereotype Redensart. Dennoch würde man sich gewiß großen Unannehmlichkeiten aussehen, wollte man irgend einen Geschäftsmann, der bewußt der bewußt die Unwahrheit gesprochen hat, einen Lügner nennen. Es giebt eben laubte Lügen", die sich im Handelsverkehr herausgebildet haben. Ob das nun in Deutschland , Frankreich , England oder Amerifa ist, gelogen wird überall, denn es ist doch eigentlich eine Lüge, wenn man behauptet, eine Waare fostet 3 M., während man weiß, daß sie 3,20 m. fostet, und diesen Preis nur deshalb angiebt, um sie von dem betreffenden Fabrikanten für 3 M. oder noch billiger zu erhalten. Oder ist es nicht etwa eine Lüge, wenn man jemandem sagt, von dieser Waare habe ich schon 500 Stück verkauft", während man vielleicht nur zehn Stück davon verkaufte. Man nennt das tonventionelle Lügen", und die größten Ehrenmänner, vor denen wir alle den Hut ziehen, deren bürgerliche Ehre unantastbar ist, die sich der größten Hochachtung erfreuen, bedienen sich dieser tonventionellen Lügen. Erlaubte Geschäftsvortheile"," Wahrnehmung berechtigter Interessen", nennt man diese falschen Vorspiegelungen".
Muß im Geschäftsverkehr gelogen werden, muß man zu dergleichen Lügen, oder sagen wir lieber Ausreden, seine
Feuilleton.
Eine Erzählung
von Ludwig Tied.
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Dienstag, den 24. Oktober 1893.
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Expedition: SW. 19, Beuth- Straße 3.
Zuflucht nehmen? Der sich seines Werthes und seiner Recht- ist ein Laster vor der Sittenlehre, allein, aber, indessen schaffenheit bewußte Leser wird vielleicht mit größter Geschäft ist auch Geschäft", das Geschäft verträgt nicht die Entrüstung jeden Zweifel an seine Wahrheitsliebe zurückweisen reine Wahrheit, es erheischt mitunter- und sehr oft und ausrufen: es braucht nicht gelogen zu werden". Aus ein Verhüllen der Wahrheit und sogar das positive Gegenfittlichen Rücksichten stellen wir uns selbstverständlich auf seine Seite. Nun machen wir einmal die Probe mit dieser Be- theil der Wahrheit; und das nennt man die erlaubte hauptung. Man offerirt uns eine Waare zu 3,30 M., man be- Lüge", die" konventionelle Lüge". Eine erlaubte Lüge" hauptet, der Konturrent liefert sie für 3 M., der Lieferant ist es, wenn dem Kauflustigen, um seine Kaufluft zu steigern, sträubt sich zuerst, aber um seinem Konkurrenten das Geschäft vorgelogen wird, die Waare sei so gut, daß sie fast nicht zu gönnen, erläßt er sie nun auch für 3 M. Man fauft ausverkauft sei. Und die uns so anlügen, sind die eine Waare netto, fagt aber, daß der Konkurrent 4 pet. größten Ehrenmänner, vor denen wir alle den Stonto bewilligt, obgleich man weiß, daß das nicht wahr ist. Hut ziehen"." Falsche Vorspiegelungen" sind das freilich, Man erhält nachträglich diese 4 pet. Stonto auch bewilligt. jedoch erlaubte Geschäftsvortheile", ohne die das Geschäft Der Konkurrent genießt vielleicht diese Vortheile, man weiß es zwar nicht, man probirt es aber. Muß man nicht in diesem überhaupt nicht möglich, Falle seine Vortheile wahrnehmen? Wird irgend Jemand im Und wo ist nun die Grenze zwischen erlaubter" und geschäftlichen Verkehr die Ausbeutung dieser Vortheile unerlaubter Lüge", welch lettere mit etwas häßlicherem Lügen nennen? Nehmen wir nun einmal an, man hat von Namen„ Betrug"? Ja wo? Das ist die Frage. Und kein einer Qualität 500 Stück am Lager, aber erst zehn davon verkauft. Man empfiehlt diese Waare mit dem besonderen juristischer oder unjuristischer Schlauberger hat bis zum Hinweis darauf, daß fast Alles ausverkauft ist, daß heutigen Tage die Grenze entdeckt, und keiner wird sie entnur noch ein kleiner Bestand davon vorhanden ist, den man decken bis zum Ende der Tage des kapitalistischen Wirthbillig abgeben will. Der Käufer wird sich vielleicht durch diese schaftssystems. Aber nein! Unser Artikelschreiber hat sie Worte verleiten lassen, die betreffenden Waaren zu kaufen. entdeckt: Wer Halb leinen für Ganz leinen verkauft, Sagt man ihm aber, von dieser Qualität hatte ich 500 Stück der betrügt", wohingegen der, welcher das erbärmlichste am Lager, ich habe aber bis jezt erst 10 Stück davon ver- schundigste Halbleinen als vorzüglichste, dauerhafteste Waare faufen fönnen, fo fann man schon im voraus sicher sein, daß verkauft, fein Betrüger ist, sondern sich einer erlaubten der Käufer auf diese Waare nicht reflektirt, oder aber doch Lüge" bedient. Und wohl gemerkt, wenn er Halbnur einen geringeren Preis bieten würde. Solcher Fälle ließen leinen muß er für Ganzleinen verkauft, sich Hunderte anführen. Nothlügen", wird man uns antworten, die sind erlaubt! Lüge bleibt 2üge. Selbst halb und ganz noch betonen, um sich zum die strengsten Moralprediger werden zu diesem Entschlusse Betrüger zu stempeln. Mit anderen Worten, man darf tommen, daß sich im geschäftlichen Verkehr diese Nothlügen nicht weiter gehen, als das Strafgefehbuch ers nicht vermeiden laffen. Wer weiß sich frei davon? Man Iaubt. Und den thatsächlichen Unterschied zwischen hält sie für erlaubt, und wer sie gebraucht, weiß sich frei von erlaubten" und" unerlaubten Lügen"( oder„ Betrug") giebt Schuld. Unsere Kaufleute können sich übrigens beruhigen, es wird nicht die Moral,- denn für das Geschäft giebt es Unsere Kaufleute können sich übrigens beruhigen, es wird nicht nur im geschäftlichen Verkehr gelogen, wo es oft noth- feine Moral, ihn giebt das Strafgeset. Was das wendig ist, sondern vielmehr in anderen Berufs- und Gefell - Strafgesetz nicht mit Strafe belegt, das ist erlaubt, und was es mit Strafe belegt, das ist unerlaubt" aus schaftsklassen.
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das
Nun möchten wir aber auf einen andern Fall aufmerksam Nützlichkeits- nicht aus Sittlichkeitsgründen, unerlaubt", machen.„ Erlaubte Lüge" und" Betrug" ist ein großer weil es in's Zuchthaus bringen kann. Und so fällt denn Unterschied! Wer Jemanden halb wollene Waare für rein die bürgerliche Geschäftsmoral aufs Genaueste mit der wollene verkauft, wer Halbleinen für Ganz leinen ver- bürgerlichen Diebsmoral zusammen. fauft, oder wer gar Baumwolle für Leinen verkauft,
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die
Wir sagen bürgerliche Diebsmoral, weil das der betrügt. Dergleichen Fälle werden im soliden geschäft Diebshandwerk ein echt bürgerliches ist, und außerhalb lichen Verkehr ebenso verdammt und verurtheilt, wie in jedem anderen Beruf. Wer zu solchen Mitteln seine Zuflucht der bürgerlichen Gesellschaft nicht bestehen kann- weder vor nimmt, ist ein Betrüger, der die ganze Echwere des Gesetzes ihr noch nach ihr. fühlen sollte. Mit den„ Geschäftslugen" ist es wie mit den Nicht, daß wir in fittliche Entrüstung geriethen ,, konventionellen Lügen"; wie oft sagt man Jemandem, wie Geschäftsmoral, oder richtiger die Geschäfts- N i ch t moral, ist freue ich mich, Sie zu sehen", obgleich man ihm am liebsten nur Ausfluß und Theil der herrschenden Gesellschaftsmoral. aus dem Wege gehen möchte. Niemand wird an diesen Rede- Von einer Gesellschaft, die sich christlich nennt, und den wendungen einen Anstoß nehmen. Es giebt Lebenslagen, in Schwachen in rohester Weise durch den Starken unterdrücken denen man mit der Wahrheit das größte Unheil anstiften und ausbeuten läßt; von einer Gesellschaft, die ihre HauptTönnte, deshalb wählt man das fleinere Uebel und muß
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vielleicht oft wider Willen zur Unwahrheit die Zuflucht aufgabe in der Organisation des Massenmords, d. h. der nehmen. Ebenso ist es mit den Geschäftslügen. Das sind höchsten Barbarei erblickt; von einer Gesellschaft, die teine Lügen, sondern, seien wir milde, Ausreden", die er- Lügner, Fälscher, jenseits von Gut und Böse" stehende laubt sind. Gewaltmenschen als Gößen anbetet und nur einen ehrDa haben wir in der Nußschale das Moral- Gesetzbuch lichen Kultus kennt: den Ichkultus- von einer der Bourgeoisie. Lige bleibt zwar Lüge," und das Lügen solchen Gesellschaft können wir keine Moral, im idealen
den ich in meiner schwärmenden Naturbetrachtung oder in ihre Fähigkeiten zu Kräften erhöhen und neue Lichter und meiner Poesiebegeisterung hatte finden und im Taumel des Flammen in ihrem Geiste anzünden. Ohne ihn, den Leichtsinns erkennen wollen. offenbarten Christus, kein Sinn im Tiefsinn, kein Geist Mein bewegtes Gemüth sehnte sich nach einigen Wochen in der Geschichte, kein Trost in der Natur und keine Der Aufruhr in den Cevennen. zu lesen. Keiner meiner vielen Betannten, auch Bücher ſind dem, der ihn besißt, erſt freie Spielgenoffen. Wie der Angst und des Grübelns gewaltig, die Heilige Schrift Eigenthümlichkeit in unserem Sein. Kunst, Liebe, Scherz fammler, die große Bibliotheken besaßen, batte dies Buch heiter, süß, ja taumelnd und muthwillig, fröhlich und lachend in seinem Haushalt. Ich schämte mich, daß auch ich es scheint das Christenthum durch alle echten Werke der neueren nie bedurft. Seitdem war dieser Schatz mein treuer Ge- Kunst, wie selig und wohlbehaglich sind sie, wenn in der Alles dies leuchtete mir sehr ein, und ich half, soviel fährte auf der Reise. Ich las in einsamen und geweihten Großheit und Fülle der alten Welt doch wie ein Geist nur meine geringen Kräfte vermochten. Ich war mündig Stunden, und mir geschah, was jedem Durstenden begegnen sanfter Schwermuth über die Luft der Begeisterung hin geworden, und mein Sinn hatte nur noch feste Wurzeln in wird, der noch der Demuth fähig, in dem jene Hingebung streicht wie die kalte Wolte auf Augenblicke über die schöne mir geschlagen. Ich reifte, ich sah die Welt, aber nur von noch nicht ganz abgestorben ist, die freilich nicht fehlen Landschaft im Frühlingsglanze." der Seite, die mir meine Vorurtheile bestätigte. Traf ich darf, damit das geistige Wort nur erst im brachliegenden Der Alte hielt inne und Edmund sagte:„ D wie auf Fromme, auf erleuchtete Christen, so erschienen sie mir Herzen Wurzel fassen tann. Glauben! dies oft angefochtene, gerne höre ich Ihnen zu und erinnere mich dabei nur als seltsame Geisteszerrüttete, merkwürdig vielleicht, zu bestrittene, vielfach erklärte Wort. Dwer ihn erlebt hat, aller Empfindungen und Erfahrungen meiner stürmenden bedauern gewiß. In einer deutschen Stadt nahm ich aus in wem er mit seiner Kraft aufgegangen ist, der wird Jugend." Uebermuth das Buch eines deutschen Mystikers aus nicht darüber streiten. Ich konnte mich der Offenbarung, Was ich früher von mir gestoßen hatte", fuhr der Alte dem Buchladen in meine Wohnung, um in Ermangelung dem Glauben nicht entziehen, so siegend zogen die Worte, fort, war jetzt das nächste Bedürfniß meiner Seele, denn einer wißigen Posse mich hier am Wahnsinn, dem Ab- Bilder, Reden aus dem aufgeschlagenen Evangelio im ich fühlte, wie eine christliche Gemeine in gesammter Ergeschmackten und der Tollheit spottend, zu ergößen. Ohne Waffenschmuck unüberwindlich glänzend durch meine Seele, bauung den Einzelnen stärken und erheben müsse. So es zu wissen, hatte ich den Feuerbrand in mein Haus ge- und alle meine Kräfte wurden die Gefangenen der ewigen besuchte ich die Kirchen und wollte mich dem Gottesdienste tragen, der bald alle diese Gebäude des Hochmuths und Liebe und waren nun im Dienst, in der süßen Sklaverei meiner Partei anschließen. Aber, sei es nun, daß mein weltlichen Frevelfinns in Flammen sette. Ich blätterte, glücklich und selig. Arm und geringe dünkte mir meine Gemüth zu sehr aufgeregt war, oder daß ich immerdar an las und lachte, las wieder und fand die Albernheit frühere Empörung gegen den Herrn, und meine abgewendete die Unrechten gerieth, mir schien, daß allenthalben die Kirche wenigstens poetisch. Das Buch ließ mir feine Ruhe, es 30g Berachtung verstand nicht mehr das Alberne meiner aus der Kirche hinausgepredigt würde. War doch allen mich zu sich, es quälte mich, und ich mußte mir bald zu früheren Weisheit. Meinen doch so viele, Glauben, Demuth, ihre Aufklärung und knappe Philosophie lieber als das meiner Beschämung gestehen, daß es Zusammenhang, Kraft das Bergehen im Herrn sei Ertödtung unserer Kräfte, ja Wort des Herrn, schämten sie sich doch alle Chrifti und und Geist enthalte, daß es mich belehre, und daß dort der Denkfähigkeit; und zürnend oder zitternd entziehen sie verleugneten ihn in fünstlich gesponnenen Phrasen, deuteten Gärten, Blumen und Bäume der Liebe blühten, wo ich nur sich deshalb jenem Werke der Wiedergeburt, das sich auch ihn um, um ihn sich und ihren schwachen Bedürfnissen näher eine dürre Wüste gesehen hatte. Die Ahndung ergriff mich, wohl zuweilen ihren tauben Herzen aus der Ferne ansagen zu bringen, als müßten er und die Jünger etwa als Kirchendaß doch wohl ein anderer Gott die Welt regiere als der, läßt. Die Armen! dieser gefürchtete Glaube würde erst diener und Küster ihrer erleuchteten Zeit untergeben sein.