St. 160. 29. Zahrgaag.L Sfilaje itts Jotiöirts" Sttlintt WsMbt\H 12. Infi 1912.Der Itslienilche Parteitag.(Zweiter Tag.)Reggio Emilia, den S. Juli.Nach Verlesung eines TelegrammeS der englischen Partei.deren Sekretär Lee dem Kongretz gedeihliche Arbeit wünscht, nimmtder Parteitag die Diskussion über denBericht des ParteivorstandesWieder auf.L a z z a r i kritisiert eS, daß an Stelle eines Flugblattes gegen denKrieg eine Broschüre herausgegeben wurde, die viel weniger zurMassenverbreitung geeignet sein mußte. Er bemängelte auch denTon des Maiaufrufs.Modigliani. Linksreformist und Mitglied des Parteiborflandes, meint, daß die italienische Partei durch Proklamierungder Proteststreiks gegen den Krieg das Ihre getan hätte und keineBeranlassung hatte, sich an der Kundgebung vom b. November zubeteiligen. Wenn man damals Protestversammlungen gegen denKrieg einberufen hätte, so hätte das geheißen, blutige Konflikte prodozieren. Aus die übrigen Kritiken macht er geltend, daß der Parteivorstand zu zahlreich ist, zu schwer zusammenzurufen ist, umfunktionieren zu können.Nach weiteren Bemerkungen deS Genossen S e r r a t i undeinem Schlußwort Ciottis geht der Parteitag über den BerichtdeS Borstandes zur Tagesordnung über. Die Revolutionärehaben ihre ursprüngliche Absicht, ein Mißtrauensvotum vorzuschlagen, aufgegeben, stimmen für den Uebergang zur Tagestordnung und sparen ihren Angriff für den nächsten Punkt, denBericht der Parlamentssraktionauf. Bor Entgegennahme dieses Berichts erfährt der Parteitag,daß seinen Arbeilen der ungarische Genosse Czismadia,Sekretär des Zentralverbandes der Landarbeiter Ungarns, bei-wohnt. Bon einer wahren Ovation begrüßt, hält der auswärtigeGenosse eine kurze Ausprache, die von der Genossin Balabanofsins Italienische übersetzt wird.Der Abgeordnete Montemartini fügt dann einige kurzeWorte dem ebenfalls sehr kurzen Fraktionsbericht hinzu, der imDruck vorliegt. Dieser gedruckte Bericht läßt fast jede Aufzählungder Totsachen vermissen. In ihm heißt es unter anderem:.DieKrankheil der Fraktion war nichts als die Krankheit der ganzenPartei, ihre Unsicherheit war die Unsicherheit oller." Ferner wirdkurz gegen den Ausschluß einzelner Abgeordneter aus der ParteiStellung genommen.In einer langen und ausführlichen Rede bemängelt Lazzaridie Haltung der Fraktion und führt Fälle an, in denen die Fraktionnicht nur in der Abstimmung, sondern auch in den Reden ihrer Mitglieder zwei entgegengesetzte Meinungen vertrat.Genosse Mussolini(Rev.) führt an, daß der SozialistG r a z i a d e i in der Kammer gegen dre Abschaffung des Treueides,den die Abgeordneten der Monarchie leisten müssen, gestimmt hat,daß die Fraktion abwesend war, als SV Millionen neuer Militär-ausgaben bewilligt wurwin, daß sie nicht das Wüten der Reaktionim Parlament zur Sprache gebracht hat— mit olleiniger Ausnahmedes Genossen Turati—, daß sie den Entwurf für das Kolonial-Ministerium nicht bekämpft hat u. a. m..Unsere Masse." sagt derRedner,.liebt die Idee durch die Personen ihrer Vertreter: wo siediese versagen sieht, wird sie an der Idee irre."(Lebhafter Beifall.)Redner legt daraus eine Tagesordnung vor, die die Ausschließungder Abgeordneten Bisiolati, Bonomi und Cabrini wegen ihrer Be-glückwnnichung deS Königs nach dem Attentat dAIbas fordert unddie Ausschließung deS Abgeordneten Podrecca, wegen seiner Halwngzugunsten des heutigen Kolonialkrieges.Mussolini kommentiert die Haltung der drei Abgeordneten nachdem Attentat d'AlbaS. Die Attentate find die Berufsunfälle derKönige, wie der Sturz vom Gerüst für den Maurer. Wenn wirweinen wollen, so weinen wir für den Maurer. Der König ist für unsder unnütze Bürger der Definition nach. Andere Völler haben denihren auf die Guillotine geschickt und sind dabei besser gefahren, alsdas italienische Volk.(Beifall.) Und in Italien schickt der SozialistBisiolati dem König nach einem mißlungenen Attentat ein Glück-wunsch-Telegramm I Redner bringt dann ein scharfe« Urteil zurVerlesung, das Bisiolati im Jahre 1800 gegen den sozialistischenDeputierten de Marinis veröffentlicht hat. Dieser wurde damals ausder Porlei ausgeschlossen, weil er in seiner Eigenschaft als Sekretärder italienischen Kammer an dem Leichenbegängnis Humbert I. teil-genommen hatte. Damals vertrat Bisiolati den Ausschluß und schrieb,daß die Stärke eines Heeres durch seine Disziplin dargestellt werde.Die Ausgeschlossenen würden den Ausschluß als eine Erlösung be-grüßen., die ihnen den Weg zur Regierung öffnet. Bisiolatt, Bonomikleines fcirillcton,Ein technisch-wissenschaftliches Institut im Industriegebiet.Offiziös wird gemeldet: Die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur För-derung der Wissenschaften in Berlin beabsichtigt, innerhalb de§rheinisch westfälischen Jndustriebezirks ein wissenschaftliches Jnsti.tut ins Leben zu rufen, das sich insbesondere der Erforschung derKohle und ihrer Derivate(der daraus gewonnenen Produkte)widmen soll. Wie von zuständiger Seite hervorgehoben wird, er-öffnet sich der Anstalt ein Arbeitsgebiet, das nicht nur ein hoheswissenschaftliches Interesse beansprucht, sondern auch für den ge-nannten Bezirk und seine� Industrie, insbesondere für die Kohlen-und Hüttenindustrie und ihre verwandten Betriebsarten von her-vorragender praktischer Bedeutung ist. Epochemachende ForschungS-Ergebnisse dürfen auf dem erwähnten Gebiet nur bei einer plan-mäßigen und mehrjährigen Bearbeitung des Stoffes erwartetwerden. Eine solche ist nur in einem rein wissenschaftlichen, mitallen Hilfsmitteln der modernen Technik ausgestatteten Institutausführbar. Nur eine solche Anstalt kann sich mit Aussicht auf Er-folg der Bearbeitung eines Problems zuwenden, dessen Lösung dieGewinnung reicher Schätze für die Kulturmenschheit bedeutenwürde. Das weitgehende Interesse unserer Industrie an der hierin Rede stehenden Angelegenheit läßt sich aus dem Umstände er-kennen, daß eine Reihe größerer Werke der Kohlen- und Hütten-industrie und verwandter Betriebsarten des rheinisch-westfälischenJndustriebezirks Jahresbeiträge zur Bestreitung der laufendenUnterhaltung und Verwaltungskosten der geplanten Anstalt auf einelange Reihe von Jahren hinaus zugesichert haben. Diesen Werkensoll eine Mitwirkung bei der Verwaltung des Instituts ein-geräumt werden. Als Sitz der Anstalt ist M ü h l h e i m a. d. Ruhrin Aussicht genommen. Diese Stadt hat sich neben anderen Städtendes Jndustrlebezirks bereit erklärt, mit Zuhilfenahme einer großenStiftung die Baw- und Einrichwngskosten zu übernehmen und einGebäude kostenlos zur Verfügung zu stellen. Die Höhe der bisherzugesicherten und mit Bestimmtheit noch zu erwartenden Beiträgelassen, in Verbindung mit der erfolgten Bereitstellung des Ge-bäudcs, eine baldige Verwirklichung des Planes als gesichert er-scheinen.Das Neon-Röhrcnlicht. Der französische Physiker G. Claudeist der Erfinder einer neuen Belcuchtungchrrt, die dem Moore-licht ähnlich ist, vor diesem aber mancherlei Vorzüge besitzt. DieLeuchtröhre ist hierbei mit Neon gefüllt, einem Gase, das in derLuft in sehr geringer Menge enthalten ist und nur aus flüssigerLust gewonnen werden'kann. Die Intensität des neuen Lichtes istwesentlich höher als beim Moorelicht. Denn während bei diesemein Rohr von 1 Meter Länge eine Lichtmenge von 50 Normalkerzen aussendet, beträgt die Emission bei Neonlicht 200 Normal-kerzen, also das Viersache. Das Licht ist goldgelb und nimmt beisinkender Stromstärke eine etwas rötliche Färbung an. Der Strom-und Cabrini könnten ruhig in den Ouirinal gehen, seinetwegen auchin den Vatikan, nur die sozialistische Partei könnte ihnen nun undnimmer folgen.(Andauernder Beifall.)Cabrini, Rechtsreformist, nimmt als erster der mit der Aus-schließung Bedrohten das Wort. Er hege nicht die Illusion, durchseine Rede irgend etwas an der schon geschriebenen Verurteilung zuändern. Als Verurteilter beanspruche er aber, mit Ruhe angehörtzu werden.(Unruhe.) Er betont daS Recht fkiner Richtung, weiterder Partei anzugehören, weil er und die Seinen an demsozialistischen Endziel und an der sozialistischen Methode fest-halten. Bewiesen hätte er dies durch seine unausgesetzteArbeit für die Massen. Allerdings wollten die Rechts-reformisten revidieren. Vieles, was vor 50 Jahren wahr schien, istnicht wahr geworden. Er verstünde es. wenn die Revolutionäre ihmseine Kleinarbeit zum Vorwurf machten, verstehe es aber nicht vonTurati. Cabrini bringt Worte Turatis ans früheren Jahren zurVerlesung, in denen die Propaganda sozialistischer Ideen als eineArt Aberglaube verlacht wird und die winzigste Reform als nützlichergepriesen als jede Propaganda der Ideen. Auf den Vorwurf, zuwenig das Proletariat und zu sehr das Volk zu vertreten, antwortetCabrini durch den Hinweis, daß gerade Turati diese Erweiterungdes Wirkungskreises der Partei jahrelang gefordert hätte. Freilichwollen wir uns außer um dos Proletariat um die Handwerker, dieKleinbesitzer und auch um die Beamten kümmern, genau wie dieLinksrcsormisten bis vor kurzem wollten. Redner verteidigt dieBündnispolitik und bestreitet das Recht, wegen taktischer DifferenzenGenossen auszuschließen.Was die dynastischen Kundgebungen betrifft(Unruhe), so wolleRedner ihren politischen Charakter keineswegs leugnen.(Unruhe.).Laßt mich reden, ich spreche das letzte Mal zu Euch." Er sei nachdem Attentat in den Ouirinal gegangen, um dadurch den Reaktionärendie Waffen in der Hand zu zerbrechen, die sie schon gegen unserePartei wetzten.(Lebhafter Widerspruch.)Zur Frage der Disziplin bemerkt Cabrini, daß er den Beweisder Diszipliniertheit gegeben hätte, indem er gegen das Annektions-dekret stimmte. Redner betont, daß die Aktion der Rechtsreformistennichts anderes sei als das, was Turati selbst jahrelang verfochten.Darum auszuschließen, sei eine Ungerechtigkeit.Freiwillig gehen wir nicht. Die Partei, der wir zwanzig Jahreunseres Lebens gegeben haben, ist für uns kein Hotel, aus demman weggeht, ohjpe etwas zurückzulassen. Schickt uns weg, stoßt unsaus. Wir gehen ohne Trotz, aber auch ohne Mutlosigkeit. Auch ohneMitgliedskarte können wir der Sache dienen, der wir gedient haben.Für alle Genossen, der einen wie der auderen Richtung, soweit siees ehrlich meinen, wird der Tag nicht fern sein, wo sie ihr heutigesVotum nicht in Einklang setzen können mit ihrem besseren Selbst.Ich brauche nicht zum Proletariat zurückzukehren: ich war ihm niefern und habe die Ueberzeugung, ihm stets gedient zu haben.(Beifall.)Genossin Altobelli, Mitglied des Parteivorstande«, betontdie Notwendigkeit, streng gegen die Sozialisten zusein, die ein großesAnsehen in der Partei besitzen. Sie gesteht Cabrini ohne Einschrän-kung eine hingebende Wirksamkeit für die Arbeiterschaft zu. Als dieAbgeordneten in den Ouirinal gingen, warfen sie der Partei denFehdehandschuh hin: sie taten dadurch der Partei mehr Schaden,als jeder mögliche Schutz gegen die Reaktion gut machen konnte.Bonomi. der zweite der mit der Ausstoßung aus der Parteibedrohten Abgeordneten, bestreitet in einer langen Rede, von demwahre« Reformismus abgewichen zu sein. Die heutige Krise seieine Folge der Polarisation der beiden Flügel: die Rechtsreformistenfind der reiffte Ausdruck des Reformismus, während die Revolutionäre sich dem Standpunkt der reinen Verneinung und des be-ständigen Proteste» zuwenden. Er und die Seinen seien dem Re-formismu» treu geblieben und hätten die polittsche Situation, un-geachtet de» Kriege», aufrecht zu erhalten gesucht, die sie, die Re-sormisten, selbst geschaffen haben. Wer, wie Redner, auf demStandpunkt steht, daß der Staat nicht der Feind der Arbeiter-klaffe zu sein braucht, sondern Mittel zur Befreiung sein kann,dürfte ihn nicht in einer so schweren Gefahr verlassen.Was seinen Glückwunsch nach dem Attentat betrifft, someint Bonomi, daß sein Besuch im Ouirinal die logischeFolge der Evolution sei, die die Partei unter dem Einfluß desReformismus erfahren hat.— Die Ausschließung der Reformistensei keine Disziplinarmaßregel, sondern die Trennung zweier Methoden:Ihr habt eine formalistische, wir eine eklektische und realistische Auf«fasfung des sozialistischen Werdens. Für uns ist eine Genossenschaftmehr als 10 Parteiseklionen.Redner fragt zum Schluß, ob die Partei nach Ausstoßung derRechtsreformisten daS Monopol für sich in Anspruch nehmen wolle,die Srbeiterinteressen zu vertreten. Heute könne man den Rechts-reformiSmuS verbannen, er würde aber immer wieder erstehen undverbrauch läßt sich bei Verwendung von genügend langen Röhrenund bei der direkten Speisung mit Strom von hoher Spannungbis auf 0,5 Watt für die Normalkerze herabdrückcn. Wie wir in„DinglerS Polytechnischem Journal" lesen, empfiehlt es sich, dreiRöhren von je 5 Meter Länge zu verwenden, wobei die Sekundär-spannung etwa 3— 4000 Volt betragen soll. Die Lebensdauer derNeonröhren, die zum erstenmal im vorigen Jahr auf einer PariserAutomobilausstellung gezeigt wurden, konnte nach Vornahmeeiniger Verbesserungen auf 800 bis 1000 Stunden erhöht werden.Der Engel auf dem MarkuSturm in Venedig. Am 14. Juliwird es zehn Jahre, seit der berühmte Glockenturm(Campanile)der Markuskirche in Venedig in sich zusammenstürzte. Sofort nachder Katastrophe wurde sein Wiederaufbau beschlossen—„wo es warund wie er war"—, und im April dieses Jahres stand der Turm,einem Vorgänger zum Verwechseln ähnlich, fertig, da. Aber nichtmehr aufgebaut nach der alten Baumethode der Venezianer von1329, sondern unter Würdigung aller Fortschritte der Technik undBaukunst. Wo angängig, kam Eisenbeton für die Konstruktion inAnwendung. Elektrische Aufzüge bringen den Besucher bequem undin kürzester Zeit in die schwindelnde Höhe. Ganz besondere Auf-merksamkeit wurde dem Aufbau des Glockenstuhles gewidmet, umdie beim Läuten der Glocken auftretenden Schwingungen möglichstwenig auf den Turm zu übertragen. Auch die Ausstellung des in88 Meter Höhe thronenden Markusengels fand unter Anwendungaller Finessen der Technik statt.Dieser Engel konnte mit einigen anderen Teilen beim Zu-ämmensturz des alten Turmes gerettet und beim Wiederaufbauverwendet werden. Er besteht aus vergoldetem Kupferblech undwiegt 1200 Kilogramm. In Brusthöhe ist ein Stützkugellager ein-gebaut, an dem an einer Stange ein Gegengewicht von 1300 Kilo-gramm hängt, das unterhalb der Standfläche des Engels sich be-indet. Dieser steht ebenfalls auf einem Kugellager, das in Formeiner Schüssel ausgeführt ist und 64 Kugeln enthält. Diese Lage-rungsweise gestlittet vor allem eine Drehung des Engels um diecnkrechte Achse, damit der Wind immer die kleinste Angriffsfläche,>. h. den geringsten Widerstand findet. Das Kugellager erleichtertdiese Drehung sehr, so daß schon ein ganz leichter Wind genügt,um den Engel in die Windrichtung einzustellen. Das schüsselförmigeStandkugellager ermöglicht, daß die Windstöße federnd aufge-nommen werden, weil der Engel sich in eine etwas schiefe Lageeinstellen kann, so daß die Stöße nicht auf den Turm übertragenwerden. Wenn durch die Einwirkung des Windes, durch das Läutender GlqM>n oder durch ein Erdbeben der Turm in Schwingungenversetzt wird, behält der Engel mit dem Gegengewicht doch seineentrechte Lage, die Gefahr des Herabstürzens der Turmkrönunginfolge der Schwingungen ist also behoben.Nachdem der Markusengel einmal aufgestellt ist, bleibt der Zu-tritt zu den Kugellagern verschlossen. Sie müssen jahrhunderte-lang den Einflüssen der Natur widerstehen und wurden deshalbam Ende ihres zwecklosen Kampfe» würden die, die heute Richtersind, einsehen, daß ihr Weg der längere war.Nach dem Bericht der Mandatsprüfungskommission,aus dem hervorgeht, daß 760 Sekttonen vertreten sind, die insgesamt24 596 Stimmen repräsentieren, nimmt Genosse Modigliani dasWort und sucht in zweistündiger Rede zu beweisen, daß eine Ver-wandtschaft zwischen Links- und Rechtsreformisten nicht besteht.Er erkläre die Ausschließung der vier Abgeordneten für Me schmerzliche Notwendigkeit.(Beifall.)Als letzter Redner des Tage« spricht der Abgeordnete Podrecca,Chefredakteur des antiklerikalen Witzblattes„Asino", der ebenfallsmit vom Ausschluß bedroht ist. Ihm wird nicht der Vorwurfmonarchischer Huldigung gemacht, sondern der, die Tripolisexpeditionverteidigt zu haben. Redner ist sehr bewegt und spricht mitzitternder Stimme. Im Gegensatz zu den Vorrednern seinerRichtung stellt er die ihm zur Last gelegten Kundgebungen in Ab-rede. Er glaube wohl an die Notwendigkeit, daß Europa Aftikabesetzen müsse, um es zu kolonisieren, habe aber weder in derKammer noch außerhalb für diese seine Idee Propagandagemacht. Den Vorwurf. Nationalist zu sein, weist er zurück.betont seinen Abscheu gegen den Krieg und hebt seine durch19 Jahre bewährte Hingebung an die Sache des Proletariat» her-vor. Der Schluß seiner Rede, in dem Podrecca sagt, daß man ihnaus iwr Partei jagen, aber nicht verhindern könne, weiter für dieSache des Proletariats zu wirken, wurde mit lebhaftem Beifall auf-genommen, der wohl der ehrlichen Ueberzeugung des Redners, nichtaber seinen Argumenten galt.Die Nachtsitzungen der beiden Fraktionen dauern auchheute bis nach zwei Uhr. Im linksreformistischen Lager hat sich eineSpaltung geltend gemacht. Eine Minderheit will die Ausstoßungder rechtsreformistischen Abgeordneten nicht mehr vertreten. Hierbeimag auch daS Gerücht mitgespielt haben über die vermeintlicheSolidaritätserklärung der Abgeordneten Bertosi, Badaloni, Bereniniund anderer mit den Ausgeschlossenen.ai.fnternationalerBergarbelterhongreß.Amsterdam, 12. Juli.Zu Beginn der Sitzung nimmt der Kongreß mit Schmerz dieNachricht zur Kenntnis, daß bei den gestrigen Grubenexplostonen inCadebtz, Aorkshire, England über 70 Kameraden getötetund viele verwundet wurden.Die Regelung der Löhne.C a d e a u- Frankreich begründet unter Hinweis auf den Erfolgder britischen Kameraden, und indem er bemerkt, daß die Franzosendie Achtstundenschicht schon großenteils erreicht haben, folgendenAntrag:ES soll durch Gesetz das Prinzip eines MinimaNohne» fest-gelegt werden. Der Lohnsatz muß zwischen der Gewerkschaft derArbeiter und dem Unternehmer vereinbart werden.Es ist uns gelungen, die Löhne zu steigern— aber die Preisesteigen ebenso.S i e t h- Holland tritt für folgende Resolution ein:ES soll ein Gesetz geschaffen werden, da» den Grundsatz einesMindestlohnes festlegt und vorschreibt, daß der Lohnsatz durchVerhandlungen zwischen den Gewerkschaften und den Arbeitgebernfestgesetzt werden sollte.Redner erklärt, daß da» jetzige Gedingelohnsystem in jeder FormMordsystem ist, daS antreiberisch und darum gefahrbringend ist.Der gefährlichste Beruf hat da» schlechteste, unsicherste Lohnsystem,man vergleiche damit die Riesengewinne der Zechenbesitzer, die dieschlagendste Widerlegung der Behauptung sind, als könnten die ZechenMindestlöhne nicht zahlen.Schmidt- Oberhausen(Hirsch-Duncker): In England undAustralien ist das Prinzip des Mindestlohnes gesetzlich anerkannt,das deutsche Kaligesetz bestimmt, daß die Löhne bei sonstigerKonttngentskürzung nicht unter den Durchschnitt von 1907/1909sinken darf. Es ist also gesetzestechnisch durchführbar. Trotzdemsagen unsere Unternehmer immer noch, so zum Beispiel im Braun-kohlenstreik, daß Mindestlohn bedeute:„Schone Dich, mein Sohn I"(Heiterkeit.) So hat denn die Bergarbeiterorganisation alle Händevoll zu tun, um den Arbeitern den gebührenden Anteil am Ertragihrer Arbeit zu sichern. Die Unternehmerstatistik über die Löhne beimletzten Ruhrstreik erweckte durch Zurückgehen bis auf die80er Jahren ein ganz falsches Bild. Die amtliche Lohnnachweisungzeigt aber, daß die Durchschnittslöhne gegen das letzte Quartal1907 um 16— 40 Pf. pro Schicht zurückstehen.(Hört I hörtl)Und dabei die gewaltige Lebensmittelteuerung seit 1907 l Wie inaus Spezialbronze hergestellt, mit besonderer Sorgfalt bearbeitetund mit Schutzvorrichtungen gegen Staub und Unreinigkeiten ver-sehen,,Humor und Satire.Neue Bücher(mit Waschzetteln).Jfa g o w S Erlasse. Auswahl in 23 Bänden.Der liebenswürdige Humorist parodiert hier auf da» glücklichsteden Uebereifer unserer Beamten. Kein Auge bleibt bei diesen köst-lichen Einfällen trocken. Das Buch ist unserem Dallwitz gewidmet.E» sei jedem Griesgram empfohlen I—Wegweiser für Nationalliberale.. schon längsterheischt. Wie sollte er sich sonst zurechtfinden?— Hier findet er An-Weisung und Führung.Wie benehme ich mich auf der Polizeiwaches �Mit vielen Bildern über daS Boxen im allgemeinen.... dann zieht der deutsche Untertan einfach das Buch aus derTasche, schlägt auf: S. 67.„Anschnauzen und Zurusen des Wortes:Paß uff, du Zylinderotto I"— und reagiert dementsprechend. Un-entbehrlich für Arbeiter.(Für Studenten existiert eine Sonder-auSgabe.)Der kleineSoldatenschinder... bis zur Perfektion—Schon nach kurzer Zeit habe überraschende Wirkungen erzielt.Wachmeister R. in B." Hunderte von Anerkennungsschreiben. Aufallen Kriegsgerichten in Gebrauch! KurtNotizen.— Heinz Monnard, seit 1908 Mitglied des Lessing-TheaterS,ist einem Kehlkopskrebs erlegen. Der Künstler hat nur ein Alter von39 Jahren erreicht. Seiner Berliner Tätigkeit ging ein längeresEngagement am Mlluchener Hoflheater voraus, wo er als jugend-licher Liebhaber eine gute Figur gemacht hatte. In Berlin sollte erals Charakteristiker zum Teil Bassermanns Erbschaft antreten. Dietückische Krankheit hat seiner Entwickelnng frühzeitig ein Endegesetzt.— Ein Institut für experimentelle Therapiewill die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung de Wissenschaftenin Berlin errichten. Die Leitung wird voraussichtlich ProfessorAugust Wassermann übernehmen.— Die Memoiren Karl M a h S. Die Memoiren KarlMahS, herausgegeben von seiner Gattin, werden demnächst erscheinen.Die Memoiren enthalten eine von Karl May selbst geschriebeneBiographie, in der er selbst die Irrfahrten seiner Jugend schildert.(Dieses psychologische Rätsel dürfte also demnächst gelöst werden.)— Der er st e eugenische Kongreß. Zum ersten Malewerden Ende dieses Monats in der britischen Hauptstadt die Bor-kämpfer der eugenischen Lehre, die Anhänger der Idee einer mensch-lichen Rassenverbesserung, zu ein«« internationalen Kongreß zu»sammentrete».