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Nr. 173. 29. Zahrga«s. t. WIM des Jotiuiirtä" Kerlmr IsIMIiitt Zoanabeud, 27. Juli 1912. 5. Nerbandstug der Taptzierer. Köln . 2S. Juli. 4. Verhandlungstag. Heute wurden zunächst die Anträge zur Verschmelzungsfrage behandelt. Diese verlangen 1. daß der Vorstand beauftragt wird, mit dem Vorstand des Holzarbeiterverbandes zwecks Verschmelzung in Verbindung zu treten; 2. daß eine Urabstimmung über den An- schlutz vorgenommen wird. Die Begründer und Befürworter dieser Anträge halten eine Verschmelzung mit den Holzarbeitern für ge- boten, sie könne nur von Vorteil für die Kollegen sein. Bei Lohn- bewegungen seien die Tapezierer von den Holzarbeitern oft ab- hängig. Die Agitation könne viel wirksamer bei einem Zusammen- schlusi betrieben werden. Die Arbeitgebervcrbände würden sich immer mehr zu großen Verbänden zusammenschließen so müßten sich auch die Arbeiterorganisationen zu großen Jndustrieverbänden vereinigen. Die Kämpfe würden umfangreicher und heftiger, da könnten die kleinen Verbände nicht mehr gut standhalten. Die Gegner einer Verschmelzung, die in der überwiegenden Mehrheit sind, betonten, es liege keine Notwendigkeit für eine Ver- schmelzung vor. Der Verband habe gezeigt, daß er noch sehr gut aktionsfähig ist. Als Hemmnis für eine Verschmelzung wurden auch die hohen Lokalbeiträge bei den Holzarbeitern bezeichnet. Genosse Robert Schmidt- Berlin stellte einige irrige Be- hauptungen über die Einrichtungen des Holzarbeitcrverbandcs richtig. Es sei falsch, daß im Holzarbcitcrvcrband die Branchen sich ungünstiger stellten wie in ihrem früheren Verband. Die Einzel- interessen und die Berufslage würden im großen Jndustrievcrband ebenso berücksichtigt wie in der kleinen Organisation. Unrichtig sei die Behauptung eines Redners, daß die Unterstützungen bei dem Holzarbeiterverband geringer sind wie im Tapeziererverband. Es ergebe sich bei beiden Verbänden ungefähr die gleiche Unterstützungs- quote. Schmidt wies noch darauf hin. daß das Streben in den deutschen Gewerkschaften dahingehe, sich zu großen Jndustriever- bänden zusammenzuschließen. Voraussetzung für eine Ver- schmelzung müsse natürlich sein, daß die breite Masse der Mit- glieder für diese eintritt. Berbandsvorsitzender S p l i e d t erklärte, der Vorstand sei Nicht prinzipiell gegen eine Verschmelzung, sondern aus rein taktischen Erwägungen heraus. Den Verband dränge zurzeit nichts zu einem Anschluß. Die Tapezierer seien nicht so eng mit den Holzarbeitern verbunden wie die sich dem Holzarbeiterverbande angeschlossenen Branchen. Bei der Abstimmung stimmten für den Antrag, daß der Vorstand zwecks Verschmelzung in Unterhandlung mit dem Vor- stand des Holzarbeiterverbandcs trete, nur 3 Delegierte; der Antrag ist also abgelehnt. Der Antrag auf Vornahme einer Urab- stimmung wurde dadurch als erledigt erklärt. Nach dem Vorschlag einer Kommission beschloß hierauf der Ver- bandstag, die Beiträge der Beamten für die Privat- beamtenversichcrung voll zu übernehmen. Der Beitrag zur Unterstützungsvereinigung wird auch künftig zur Hälfte vom Verband getragen. Das Anfangsgehalt der Lokal­beamten wird sab t. Januar 1913) auf 2049 M. festgesetzt, jährlich um 69 M. steigend bis zu 2499 M. Der Vcrbandstag trat dann in die Statutenbcratung ein. Bei Behandlung der Anträge zur Beitragsfrage wurde in namentlicher Abstimmung mit 38 gegen 8 Stimmen beschlossen, keine Beitragserhöhung vorzunehmen. Ferner wurde beschlossen, sämtliche Anträge, die eine Erhöhung der Unterstützung verlangen, dadurch als erledigt zu erklären. Dem Hauptvorstand und Ausschuß wurde das Recht zugesprochen, falls eine zeitweilige Beitragserhöhung notwendig ist bei Streiks usw. eine zeit- weiliae Erhöhung des Wochenbcitrages anzuordnen. Mehrere Anträge verlangten, eine besondere Beitrags- klaffe für Lehrlinge einzurichten. Dagegen wandte sich das Vorstandsmitglied Becker. Er begründete zur Lehrlings- frage folgende Resolution, die mit großer Mehrheit angenommen wurde: Der fünfte Verbandstag der Tapezierer und verwandte Berufsgenossen Deutschlands bringt die Resolution des vierten VerbandstageL, die Lehrlingsfrage betreffend, in Erinnerung. Der Verbandstag macht es den Verbandsmitgliedern und den Filialverwaltungen erneut zur Pflicht, sich energisch der Lehrling« anzunehmen. Wir müssen die Lehrlinge als künftige Kollegen unter unseren besonderen Schuh stellen. Jedes Mitglied, wi? überhaupt jeder Kollege mutz es deshalb als seine ernste kleines feuilleton. Vom Hygienikerkongreß. Tie 12. JahreSvcrsammmlung deS englischen Instituts für öffentliche Gesundheitspflege, die gegen- wältig in Berlin tagt, beriet am Freitag in fünf Sektionen. In der Sektion für Staatsorzneikunde hielt Oberarzt Dr. Konrich einen viel beachteten Vortrag über die Verwendung des O z o n S in der Lüftung. Er wies darauf hin, daß die Ansichten weiter Kreise, wo- nach Ozon ein für die Gesundheit wertvoller Bestand- teil der Luft sei, vollkommen falsch sei. In Wirklichkeit sei eS nur deshalb unwirksam, weil die reine Luft nur sehr geringe Mengen Ozon enthält. Aber Ozonapparate zur Luftverbesscrung von Wohnräumen zu benutzen sei ganz falsch. Ozon sei ein giftiges GaS und könne, wenn es in größeren Mengen vorkomme, sogar Vergiftungen hervorrufen. Die Ozonisierung von Theatern und Konzerträumen sei daher besser zu unterlassen, weil Ozon die Lust nur parfümiere, während die Ventilation allein gute Luft schaffe. Am stärksten besucht war die Sektion für Kinderheilkunde und Schulhygiene, in der der Generalsekretär deS Deutschen Zentral» komiiees zur Bekämpfung der Tuberkulose Professor Dr. N i e t n e r- Berlin über die Tuberkulosebekämpfung unter den Schul- lindern sprach und Stadtschulrar Dr. N e u f e r t- Char- lottenburg in großen Zügen ein Bild von der Charlottenburger Waldschule cniwarf. Von den 25 999 Schulkindern CharlottenburgS finden etwas über 1 Proz. Aufnahme in die Wald- schule, während außerdem etwa 6 Proz. aller Schüler alljährlich einen Monat in Ferienkolonien geschickt werden. 1919 hat der Char- lottenburger Magistrat auch eine höhere Waldschule eingerichtet, in der jedes Kind auf Wunsch seiner Eltern Aufnahme findet, sofern pro Tag für jedes Kind inklusive Beköstigung 2 M. entrichtet werden. Der Gesamtausenthalt eines Kindes in dieser Waldschule während deS Sommersemesters kostet demnach 259 M. Für 29 Proz. der Schüler gewährt die Stadt Charlotteuburg jedoch Freischule und freie Beköstigung. Die Sektion für Städtebau. Architektur und Jngenieurwesen zog Berliner Verkehrsfragen in den Kreis ihrer Erörterungen. Regie- rungsrat a. D. K e m m a n n gab ein Bild aller Berliner Verkehrs- Verhältnisse. Im Anschluß daran führte der Präsident der Sektion Chefingenieur P. C. Cowan aus, daß er am Tage vorher eine Rund- fahrt durch die Berliner Vororte unternommen habe. Dabei sei ihm auf- gefallen, daß in der Anlage der Straßen die Häuser eng Haus an Hau « gebaut seien und daß so gut wie keine freien Plätze vorhanden wären. Die Lust, in die Vororte hinauszuziehen, würde durch eine solche Straßenanlage naturgemäß vennindert. Mittags wurden die Verhandlungen abgebrochen und auf Sonnabend vertagt. Pflicht betrachten, den Lehrlingen in jeder Beziehung als Berater und Helfer zur Seite zu stehen. Besonderen Wert müssen die Kollegen auf die Art des Umgangs mit den Lehrlingen legen. Ihr Verhalten sei ge- setzt und wohlüberlegt. Große Aufmerksamkeit müssen die Kollegen darauf ver- wenden, daß die fachliche Ausbildung der Lehrlinge eine m ö g l i ch st gute ist. Wo die Filialen fachgewerbliche Kurse abhalten, soll den Lehrlingen die Teilnahme unentgeltlich gestattet sein. Eine dringende Aufgabe ist die Aufklärung der Lehrlinge über die Gefahren der Staubarbeit und die dadurch hervorgerufenen Berufskrankheiten. In Orten, wo eine größere Anzahl von Lehrlingen beschäftigt ist, kann nach Bedarf eine Kommission gewählt werden, welcher die Aufgabe zuzuteilen ist, den Lehrlingen mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Insbesondere soll die Kommission dafür sorgen, daß die Lehrlinge an den Veranstaltungen der örtlichen Bildung?- ausschüsse und der Jugendorganisation teilnehmen. Eine besondere Lehrlingsklasse im Verband einzurichten, lehnt der Verbandstag aus praktischen Gründen ab. Bezüglich örtlicher Zuschüsse zu allgemeinen Unter- stützungen wurde bestimmt, daß diese nur insoweit gestattet sind, als die Mittel hierfür besonders aufgebracht werden und die Jahres- ausgab« 5 Pf. pro verkaufte Beitragsmarke nicht übersteigt. Bei einer Beteiligung an einer staatlichen oder kommunalen Arbeits- losenversicherung können Ausnahmen zugelassen werden. Bei Krankheitsfällen bis zu fünf Wochen ist das unterstützungsberechtigte Mitglied vom Beitrag befreit. Gegen wenige Stimmen wurde nach einer Vorstandsvorlage die Einführung einer Umzugs- Unterstützung beschlossen. Die Unterstützung beträgt 29 bis 65 M. je nach der Dauer der Mitgliedschaft und der Entfernung. Zur Stärkung der Hauptkasse wurde gegen 2 Stimmen ein Vorstandsantrag angenommen, nachdem die Filialen künftig anstatt 12 Pf. nur noch 19 Pf. pro verkaufte Beitragsmarke er- halten. Zur Maifeierfrage wurde beschlossen, daß Kollegen, die anläßlich der Maifeier ausgesperrt werden und keine Unterstützung durch örtliche Maifeierfonds erhalten, bis zur Dauer von 6 Wochen nach dem Streikreglement unterstützt werden, wenn in den be- treffenden Betrieben Dreiviertel der Beschäftigten organisiert sind und der Maifeierbeschluß von Zweidrittel der Mitglieder gefaßt wurde. Die bisherigen angestestellten Verbandsfunktionäre wurden ein- stimmig wiedergewählt. Der Ausschuß bleibt in Hamburg . Als Delegierte zum nächsten Gewerkschaftskongreß wurden Becker- Berlin, H a r t m a n n- München und M e y n- Hamburg gewählt. Damit waren die Arbeiten des VerbandStageS beendet. Der nächste Verbandstag findet 1915 in Leipzig statt. Jugendbewegung. Bürgerliche, Jugendpflege". In der ultramontanen.Westdeutschen Lehrerzeitung' berichten zwei katholische Lehrer über ihre Ersahrungen in der amtlichen Jugendpflege. ES heißt da. die Hauptsache bei der ganzen Jugendpflege sei nur das Bestreben, von dem Millionen- fonds möglich st viel herauszuschlagen:Dann ist die Jugend der Industriestadt wohlbehütet, das Vaterland aeretiet, die Sozialdemokratie mauietot." Der eine der Artikelschreioer schildert mit bemerkenswerter Offenheit d i e S ch ä d e n, die die bürgerliche Jugendpflege anrichtet:.Unsere Jugend wird totgepflegt, er- drückt vor lauter Pflege, wie es so häufig von den Eltern, besonders von den Müttern geschieht, die dem Affenweibchen nicht viel nachstehen. Betrachten wir die so gepflegte Jugend unserer Tage doch einmal in ihrer Wochenaufgabe: Der Lehr- ling, Geselle, Arbeiter muß um S bis 7 Uhr an seiner Arbeitsstätte sein. Je nachdem sein Weg dahin ist, steht er gegen 5 Uhr auf. Abends gegen S Uhr wird er frei und geht an etwa zwei bis drei Tagen in die ZwangSfortbildungSschule bis gegen 8 oder 8>/z Uhr; um 9 bis 9>/z Uhr ist er zu Hause, ißt und geht todmüde zu Bett. An zwei anderen Tagen geht er in den Turn-, Spiel- u. dergl. Verein bis gegen 1911 Uhr, woran sich häufig noch eine Nachsitzung knüpft. Er ist vielleicht auch noch in einer Kongregation, soll bei einem Fest mitspielen und soll wochenlang öfters den Proben beiwohnen usw. So kommt eS, daß mancher dieser so sehr gepflegten Jungen keinen Abend ohne diese Pflege i st und daß er vor lauter Pflege keine Zeit findet, sich an Körper und Geist zu pflegen und Ei» Genie, daS HungerS stirbt. Unter diesem Titel wird im Pariser SensationSblattMatin" ein Aufruf veröffentlicht, der das bejammernswerte Schicksal des Nestor» der französischen Wissenschaft Henri Fabr« schildert. Wer hätte eS glauben sollen, daß in dem kleinen Häuschen der Provence das bitterste, furchtbarste Elend haust, in diesem Häuschen, das zum 99. Geburtstag des.HomerS der In- sektenwelt" so viele Ehrungen gesehen hatte? Die Erkundigungen eine» Mitarbeiters desMatin" an Ort und Stelle haben die traurige Wahrheit erwiesen. Der greise Gelehrte, gleich groß als Naturforscher und Naturschilderer, der sein ganzes Leben dem Dienste der Wissenschast gewidmet und als Entomologe, als Botaniker, Physiker. Geologe Hervorragendes ge- leistet, bietet einen traurigen Anblick völligen Kräfteverfalls. Der Greis erzählt von seinem Kummer. Seine Frau, die um 49 Jahre jünger war als er, die ihn pflegte und betreute, ist vor acht Tagen gestorben. Er leidet nicht.... Er ißt nicht viel; eS genügt ihm manchmal den ganzen Tag nur ein oder zlvei Früchte und etwas Wein oder ein Stückchen Wurst innerhalb 24 Stunden. Er hat sich darin gewöhnt, nicht zu essen; er kann nur noch einen Finger ge- brauchen, um seine Pfeife zu stopfen. Unglücklicherweise sind seine Augen so schwach, er kann nicht mehr arbeiten. Und was für eine Krankheit ist es. die diesen Meister der Naturwissen- schaften so elend verlöschen läßt? Es ist der Hunger. Mistral hat es zuerst gesagt, daß er dem Grabe entgegenwankt, weil er nichts zu essen hat. Und das ist keine Uebertreibung, eS ist buchstäblich wahr. Der Steuereinnehmer hat ihm schon seit drei Jahren keinen Steuerzettel präsentiert, weil sonst zur Begleichung dieser Schuld sein kleines baufälliges Häuschen versteigert werden müßte. Und was wäre da auw viel zu holen? Die vollständige wundervolle Sammlung oller Muscheln und Gesteinsarten der Provence , eine Pflanzensammlung ohnegleichen, in der seit dreiviertel Jahrhunderten alle Blumen des Südens zusammengebracht sind. Einige Bücher,«in paar Körbe und irdene Töpse, die zum Gefängnis für Insekte» gedient haben, und mitten im Zimmer ein großer weißer Holztisch, an dem er sein arbeitsvolles Leben vollbracht. Das sind alle Schätze, die dieser geniale Mann in dem segensreichen und nutzbringenden Schaffen von sieben Jahrzehnten gesammelt hat.... Der greise Forscher hat inzwischen dagegen protestiert, daß seine Not in die Oeffenllichkeit gezerrt wird, ja sie geleugnet. Aber sein Elend scheint leider Tatsache zu sein. Dem.Matin' lag natürlich daran, Aufsehen und letzten Endes Geschäfte zu machen, sonst hätte es dem verdienten Manne leicht auf andere Art helfen können. Wahr- scheinlich hat eS nie ein wissenschaftliches Feuilleton von Fabre ge- bracht und jammert jetzt über sein Schicksal. Aber ein Monument der Schande bleibt dieses der Wissenschaft gewidmete Leben für die kapitalistische Gesellschaft. Und dabei hat Fabre nicht etwa ent» legen« Gebiete behandelt, sondern frische und anschauliche Bilder aus dem Naturleben entworfen. Brotlose Wissenschaft! Ja hätte er die erotische Literatur vermehrt, mondäne Romane fabriziert oder Operetten komponiert..» auszuruhen. Den größten Teil seiner Familie sieht nur er gelegentlich... Was an der einen Seite mit unserer Jugendpflege etwa gewonnen wird, geht an der anderen in weit größerem Umfange verloren..,' Soziales. Niederlage des Aerzteverbandcs in der Pfalz . Die Bahnärzte zu Ludwigshafen führten gegen den Verein der Aerzte dortselbst einen heftigen Kampf, womit sich das Land- gericht zu Frankenthal am 21. Juni auch zu befassen hatte. In Wirklichkeit führte aber die Bayerische Regierung diesen Kampf, denn diese hatte an dem System der festbesoldeten Bahnärzte fest- gehalten, um ihren mittleren Beamten und deren Familien freie ärztliche Behandlung zu sichern. Die Kopftaxe beträgt 4 M. und für jede Familie wurde 12 M. Honorar mit den Bahnärzten ver- cinbart. Der Verein der Aerzte zu Ludwigshafen hatte aber dar- auf alle Bahnärzte alsstandcsunwürdig" ausgeschlossen, seinen Mitgliedern sogar den beruflichen Verkehr mit denVerbrechern"' einfach verboten und auch die Mannheimer Kollegen aufgefordert. daS Gleiche zu tun. Die Sache wirbelte natürlich viel Staub auf und führte zu einer Klage von weitgehender Bedeutung. Das Urteil des Landgerichts zu Frankenthal ging nun dahin, daß der Ausschluß der Bahnärzte aus dem Aerztevereinfür rechts- unwirksam zu erklären sei". Dem Verein wurde verboten, andere Aerzte oder Vereine aufzufordern, nicht mit den Klägern beruflich zu verkehren. Die Aerzte sind also gehalten, dieses Verbot aufzu- heben und die Kosten des Verfahrens zu tragen. In der Begrün- dung dieses Urteils wird ausgeführt, daß erstens die zum Ausschluß der Kläger notwendige Majorität gar nicht vorhanden gewesen sei. Der wirkliche Grund der gegen die Kläger erlassenenVerrufs- erllärung" sei darin zu finden, daß der Verein der Aerzte zu Lud- wigshafen daS Bahnarztsystem überhaupt verwerfe.«Dieses System sei aber durch das öffentliche Interesse gerechtfertigt". In- dem die Kläger das ihnen vom Staate angebotene Amt als Bahn- arzt annehmen,hätten sie keine Verpflichtung gegen den beklagten Verein verletzt und sich in keiner Weise standesunwürdig gemacht". Wenn auch Mitglieder des Vereins durch die Einführung des Bahn- arztsystemSgeschädigt sein sollten, so hätten sie ihr Interesse gegen, über dem öffentlichen Interesse zurückstellen müssen". Für die Ver« rufserklärung sei also kein gerechtfertigter Grund vorhanden ge- wesen, sieverstoße auch gegen die guten Sitten und sei daher aus, zuHeben". Der Leipziger Verband hat also hier wieder eine schwers Niederlage erlitten und ist dies doppelt interessant, weil sich der Kampf diesmal gegen denVater Staat" richtete, für den doch die große Mehrzahl der Honorigen schwärmt, wenn es sich um Ent- rechtung der Arbeiterklasse handelt. Der Lehrling als Kassenbote. Daß ein Lehrling auch einmal eine Rechnung einkassiert, kommt oft vor. Ständig aber oder in der Hauptsache die Dienste eines Kassenboten zu verrichten, dazu ist ein Lehrling nicht da. Dieser Auffassung gab in ihrer letzten Sitzung die zweite Kammer des Berliner Kaufmannsgerichts ge- legentlich eines dort verhandelten Rechtsstreites Ausdruck. In dem betreffenden Falle hatte die beklagte Firma den Lehrling mit dem Einkassieren von Geldern so überlastet, daß dieser immer schweiß- triefend im Geschäft ankam. Der schon- an und für sich schwächliche Mensch erkrankte infolge dieser Ueberbürdung von Wegen und war gezwungen, längere Zeit dem Geschäft fernzubleiben. Das nahm die Firma zum Anlaß, die sofortige Entlassung des Lehrlings auszu- sprechen. Das Kaufmannsgericht sah die Entlassung des Lehrlings nicht alS begründet an. Der Kläger habe sich kein Vergehen zuschulden kommen lassen, der Lehrherr dagegen sei verpflichtet, dafür zu sor- gen, daß dem jungen Menschen während der Lehrzeit Gelegenheit gegeben wird, das notwendige im Kaufmännischen zu lernen. Dieser Zweck werde aber nicht mit der Ausnutzung des Lehrlings als Ersatz eines Kasscnboten erreicht. Ist'S bei un» anders? Vor wenigen Tagen brachte der Telegraph die Nachricht, daß wiederum die Gefahren bei der Zelluloidverarbeitnng zwölf jung« Die denkenden Pferde und die Wissenschaft. Die rechnenden Pferde des Herrn Kroll in Elberfeld sind mehrfach auch von ruhigen vorurteilslosen Beobachtern untersucht worden, so weit daS bei der großen Aengstlichkeit des Besitzers möglich war. An Stelle des blinden Glaubens an die Jntelligenzleistungen der Pferde tritt in- folge dieser Berichte eine zurückhaltende Beurteilung. Statt sofort eine Erllärung der Künste abgeben zu wollen, fragt man richtiger: was leisten die Pferde überhaupt? Statt der Deutung des angeblich Gesehenen bemüht man sich um eine objektive Feststellung der wirklichen Leistungen. Mehrere Berichte, die unter diesem Gesichtswinkel die Frage ansehen, liegen uns zu fileicher Zeit vor. Professor L. Edinger-Franffurt a. M. ändert seine rühere Zustimmung in das Geständnis, daß Kralls Versuche immer wieder den Gedanken aufkommen lassen, daß irgend eine Forni der Uebertragung vorliege. Er bemängelt, daß Krall keine Versuche anstellt, deren Resultate dem Fragenden unbekannt sind und daß Edinaers eigene unwissentliche Versuche sämtlich mißlangen. Auch er kritisiert eS, daß Krall keinem dritten gestattet, mit den Tieren allein zu experimentieren. Hat eS Krall doch sogar abgelehnt, Pfungst, den Enllarver deS kluge» HanS, überhaupt nur zu den Pferden zu« zulassen. Daß auch die richtigen Antworten gar keine beabsichtigten zu sein brauchen, erläutert Privatdozent Brahn in der.Natur'. Bei einer größeren Zahl von Antworten ist auch die Wahrscheinlichkeit. zufällig die richtige zu treffen, groß. Brahn fordert daher genaue Protokolle über die Zahl der Fehler, der annährend und der voll- kommen richtigen Fälle bei allen Versuchen. Er bemängelt weiter die stete Anwesenheit KrallS und das Unterlassen von Versuchen, die jedes Beobachten deS Fragestellers durch die Pferde ausschließen. In diesen Forderungen an methodische Beobachtung begegnen sich die genannten Autoren mit dem, waS wir an dieser Stelle bereit» im April anführten. Notizen. --- Der deutsche Monistenvunb hält seine Haupt- Versammlung dieses Jahr vom S. bis 19. September in Magde - bürg ab. Es sprechen u. a.: Rudolf Goldscheid sWien ) überMonis- mus und Politik"; Professor Wilhelm Ostwald (Leipzig ) über «Monismus und Kultur": Frau Grete Meisel-Heß (Berlin ) über .Der Monismus und die Frauen'; Dr. Max Maurenbrecher (Mann- heim) über.Monismus und Erziehung'. Vererbte Abnormitäten. Ueber einen interessanten Fall, bei dem die Abnormität des Vaters sich aus die Kinder ver- erbte, wird auS Rußland berichtet. Ein Bauer hatte bei seiner Ge- burt an jeder Hand 6 Finger; im Alter von 2 Jahren wurden ihm die überzähligen beiden Finger abgeschnitten. Er heiratete und der Ehe entsprossen drei Knaben. Jede» der Kinder hatte bei seiner Geburt an jedem Fuße 7 Zehen und an jeder Hand 7 Finger. Bor einigen Togen sind die dre» Kinder in Nevol operiert worden.