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Nr. 254.

Erscheint täglich außer Montags. Breis pränumerando: Viertel: jährlich 3,30 Mart, nionatiio 1,10 mt, wöchentlich 28 Bfg fret in's Haus. Einzelne Nummer 6 Pfg. Sonntags- Nummer mit illuftr. Sonntags- Beilage Neue Belt" 10 Big. Boft- Abonnement: 3,30 Mt.pro Quartal. Unter Kreus: band: Deutschland u. Defterreic Ungarn 2 Mt., für das übrige Auslands Mt.pr.Monat. Eingers. in der Pont Zeitungs- Breisliste für 1893 unter Mr. 6708.

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10. Jahrg.

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Bolksblatt.

Zentralorgan der sozialdemokratischen Partei Deutschlands .

Endo Nasdi logus 2

Redaktion: SW. 19, Beuth- Straße 2.

Raffer und Praffer.

$ 1907901

Sonnabend, den 28. Oktober 1893. Expedition: SW. 19, Beuth- Straße 3.

Es fressen deren noch viele um sich unter dem Deckmantel da vorderhand noch nicht daran zu denken ist, sprechen wir bürgerlicher Respektabilität und hochwohlgeborener Noblesse. die sichere Erwartung aus, daß doch wenigstens zunächst Unter den Begünstigten der heute herrschenden wirth Die Gesellschaftsverfassung, die der Gaunergeschicklichkeit der der hannoversche Spieler- und Wucherprozeß wie seiner schaftlichen Ordnung, deren Existenz sich aufbaut auf der Raffer die Ausbeutung der Arbeit preisgiebt und das Zeit der Fall Heinze und neuerdings der Fall Kirchhof zu Ausbeutung der arbeitenden Bevölkerung, sondern sich, je Drohnendasein der Praffer als ornamentale Seite des einer Knebelung der Presse fruttifizirt werden möge. Bicl nachdem bei ihnen die wirthschaftliche Funktion des An- Nationallebens mit den höchsten Ehren prämiirt, dängt leicht läßt sich das mit der geplanten lex Kirchhof ver­cignens oder des Ausgebens mehr zur Geltung fommt, immer neue Glieder der Gesellschaft in die Extreme binden, die dann als lex Kirchhof Meyerink eine neue zrei extreme Gruppen aus, die der Raffer und die der der Raffer und der Prasser der Prasser hinein. Und als Schuhwehr bilden wird gegen Umsturzbestrebungen zur Prasser. Die Raffer sind die Virtuosen des mühelosen Er- ob nicht die Gesellschaftsverfassung an sich genügte, Freude aller Raffer und Prasser. werbs, die auch die gewagtesten Mittel nicht scheuen, damit um aus eigener Kraft solche Geschöpfe zu züchten, von dem zirkulirenden Metall möglichst viel an ihren impft der Staat noch fünstlich dem Volkskörper das Gift schmutzigen Fingern fleben bleibt; die Prasser lassen sich des Raff- und Praßtriebes ein durch Veranstaltung von angelegen sein, den meist von raffkundigen Vorfahren er Lotterien aller Art, Lotterien zur Füllung der Staatstaffe

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Berlin , den 27. Oktober. Ueber die Aufgaben des Reichstags in seiner nächsten Sizungsperiode schreiben die Berliner Politischen Nachrichten":

erbten Besitz wieder dem Zirkulationsprozeß zu überliefern. zur Verschönerung der Reſidenzen, zur Errichtung von Dent Politische teberlicht. Zwischen diesen extremen Gruppen bewegt sich er- mälern und Domen. raffend und verprassend, was so zu den be Es gehört auch als nothwendige Begleiterscheinung zu günftigten Zehntausend gehörig auf der Oberfläche die sem Treiben im modernen Babylonien , daß die Magier tes gesellschaftlichen Lebens schwimmt. Doch Extreme be- und Zeichendeuter in ihren Provinzialsynoden jammern oder rühren sich stets, und wie sich die Extreme der Ausbeuter- die Hohheit und Zuchtlosigkeit der Jugend, nicht der Raffer gesellschaft, die Raffer und Brasser, berühren, davon ent- und Prasser, sondern des arbeitenden Volkes. Denn die rollt ein anmuthiges Bild der große Hannover 'sche Spieler- Magier und Zeichendeuter haben hübsch darauf zu achten, und Wuchererprozeß. Eine Bande von Bankiers, Lotteries daß die Achtung vor der Obrigkeit, die ihnen Brot giebt, händlern, Wucherern und Falschspielern auf der einen und vor den obrigkeitlichen Gesellschaftsklassen, deren An­Seite, auf der andern ein Hundert sporenklirrender Lebe- hängsel sie sind, nicht verloren geht bei den Unterdrückten. männer im bunten Rock oder schwarzen Frack; die einen Und doch ist die Rohheit, die sich bei den letzteren findet, jüdische Gauner und deren titelgeschmückte Schlepper, die die Rohheit der Unbildung und Unkultur, auch nur ein anderen Offiziersdienst thuende junge Roués, meist zu den nothwendiges Ergebniß der Gesellschaftseinrichtung, die auf sogenannten Edelsten der Nation" gehörig, die ersteren der einen Stelle des Volkskörpers die Blu tüberfüllung mit die Rupfer, die anderen die Gerupften. So fern ihren Krankheitserscheinungen, auf der andern den Blut­sie sich ihrem Ursprunge nach stehen, so nahe mangel mit den ihren erzeugt.

sind sie sich innerlich: ideallofe Genußmenschen, Und ebenso gehört es als nothwendige Begleiterscheinung je nach dem Milieu ihrer äußeren Lebensumstände nach der zu diesem Treiben, daß die Raffer, wenn sie sich verspekulirt, einen oder der anderen Richtung differenzirt, praßsüchtige und die Prasser, wenn ihr Erbtheil zu ebben beginnt, die Raffer und raffbegierige Braffer. Denn der wuchernde Klinke der Gesetzgebung in Bewegung zu sehen suchen, um Lotteriehändler und Falschspieler findet seine Befriedigung sich die Taschen zu füllen. Und zwischen diesen Klinken­im rohesten Sinnengenuß wie seine Opfer, und der ersehuteste drückern und den Magiren finden wir auch wieder die Zeitvertreib dieser Opfer, das Hazardspiel, beruht auf der nämliche erhebende Personalunion wie zwischen den Raffern Kultivirung der niedrigsten Raffgier. Und wie leicht der und Prassern. Drängte doch einer der nothleidenden Land­Uebergang von dem einen Gesellschaftsextrem, dem der wirthe, der als Zeuge in Sachen seines bewucherten Prasser­Prasser, zu dem andern, dem der Raffer, das zeigen die jungen in Hannover Zeugniß abzulegen hatte, auf schleunige von Meyerind und von Zedlitz, die mit schloßgesessenem Erledigung seines Verhörs, da er zurückmußte in die Kam'rad von Garde oder Kavallerie auf Du und Du ver- Synode, um die Sündhaftigkeit dieser Welt zu bekämpfen. tehren, während sie bei dem zuchthausgesessenen Pseudo­Kommerzienrath bereits Dienste als Schlepper und Reise­fourier genommen haben.

Ja, es ist eigentlich ein Kreuz mit der Deffentlichkeit des bürgerlichen Gerichtswesens! Es thut wahrlich nicht gut für das Ansehen unserer Staats- und Gesellschaftsordnung, Deshalb finden wir es denn auch gänzlich unangebracht, daß solche Dinge wie der hannoversche Spieler- und daß sich bürgerliche Blätter darüber ereifern und entrüften, Wucherprozeß gegen Raffer und Prasser so ungenirt ans daß die als Offiziere eingekleideten Gutsbesitzersöhne sich Tageslicht gezerrt werden können. Ehe nicht der geniale zur Fröhnung ihrer Spielgelüfte in so schlechter Gesellschaft Einfall eines treugehorsamen Staatsretters zur Durch­bewegt haben. Wir erkennen in diesen gesellschaftlichen führung gelangt ist, ausgediente Offiziere zu Richtern zu Beziehungen der Raffer und Praffer nur ein naturgemäßes ernennen, was dann ja jugendlichen Prassern ein recht unausrottbares Ergebniß unserer trefflichen Gesellschafts- würdevolles Lebensalter sichern würde, wird man nicht verfassung. Ünd man behaupte auch bitte nur ja nicht, daß die in Hannover aufgeschnittene Schwäre die einzige sei ihrer Art!

Feuilleton.

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darauf rechnen können, daß solche Dinge mit dem erforder lichen Verständniß für vornehme Lebensführung natürlich unter Ausschluß der Deffentlichkeit erledigt werden. Und

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Wenn gegenwärtig bereits eine Zusammenstellung aller derjenigen Gefeßentwürfe gegeben wird, welche dem Reichstage in seiner nächsten Tagung zugehen werden, so beruht ein solches Verfahren lediglich auf Kombination. Irgend welche endgiltigen Beschlüsse in weiterem Umfange sind nach dieser Richtung noch nicht gefaßt. Als sicher darf natürlich angesehen werden, daß dem Reichstage, und zwar wahrscheinlich sofort nach seinem Zusammentritt, neben dem Reichshaushalts Etat für 1894/95 die neuen Steuer- Gefeßentwürfe zugehen werden. Auch ist es durch die Verhältnisse bedingt, daß dem Reichstage die mit Spanien , Serbien und Rumänien abgeschlossenen Handels­verträge vorgelegt werden. Der letztere ist erft vor wenigen Tagen unterzeichnet worden, der spanische vor einiger Zeit, der Die serbische jedoch bereits vor länger als Jahresfrist. provisorischen Handelsabkommen mit diesen Ländern laufen in nächster Zeit ab. Darüber hinaus jedoch dürfte gegenwärtig nur als gewiß anzusehen sein, daß von den dem Reichstage bereits einmal zugegangenen Entwürfen diesmal wieder der Entwurf über den Schutz von Waarenbezeichnungen und die Novelle zum Unterstüßungswohnsitz Gesez zugestellt werden. Auf diesen beiden Gebieten liegen nicht nur Mißstände vor, welche einer baldigen Abhilfe bedürfen, sondern es ist auch durch die früheren Reichstags- Verhandlungen die Gewähr ges geben, daß sich eine Einigung der gesetzgebenden Faktoren über die Wege, die zu dieser Abhilfe führen tönnen, eine Verständi­gung leicht erzielen laffen wird. Dazu kommt die Viehseuchen­gesez- Novelle. = Wenn unter neuen Entwürfen, die dem Reichstage zugehen sollen, namentlich solche hervorgehoben werden, welche Aenderungen der Gewerbe- Ordnung betreffen, so ist es natürlich angesichts der vom preußischen Handelsminister über die veröffentlichten Vorschläge erst als kühn, angestellten Untersuchungen mehr von der bevorstehenden Einbringung einer Vorlage über die Organisation des Handwerks zu sprechen. Auch die Novelle zum Titel III der Gewerbe- Ordnung über den Gewerbebetrieb im Umher­ziehen bedarf erst noch eingehender Erörterungen im Bundes­rathe. Gegenwärtig fann man es daher nur als ziemlich ficher bezeichnen, daß die kleine Novelle, welche die Aenderung des§ 35 der Gewerbe- Ordnung bezweckt und den Handel mit Droguen und chemischen Präparaten, sowie eine Aenderung

Nerven tönnen sie nicht verbauen. Nun gelangen mir meinem Bruder, dem welt berühmten großen Doktor, dazu­zum Schluß. Forte! Forte! Gehalten! Jmmer zu! Was mal noch in Paris und habe den einfältigen Bauersmann meint Ihr? Ei, nun tommt noch die schwerste Passage. selber gesehen, der solche Wunderthaten verrichten konnte. Das ist ein Satz, der verlangt Finger und Kunst. Das Mein Bruder, der ein sehr spekulativer Philosoph, machte Nun

Der Aufruhr in den Cevennen. Springt rechts and links. Mult fahr ich mit der rechten sich damals über diese außerordentliche Entdeckung her und

Eine Erzählung

von Ludwig Zied.

In dem kleinen Garten fanden fie unter der geflochtenen Laube Gottfried und den langen Dubois am eichenen Tische fizzen, die Frau war in der Küche beschäftigt. Sie setzten fich) zu den beiden, und der Musiker war eben in lebhafter Aftion begriffen. Hört Ihr, Gevatter", rief er, den Ton, menn ich hier drücke und anhalte, wißt Jhr, was ein solcher Ton zu bedeuten hat?"

" Ja", sagte Gottfried, hübsch genug ist er." " Diun gebt acht", sagte Dubois, wie ich jetzt übergebe und den Triller schlage, der nachher noch in den tiefen Tönen fort tremulirt, und wie die Hand unterdes hier im Basse arbeitet. Versteht Ihr nun diesen vielſtimmigen Say? Hört zu! Seht, das nenne ich gründliche Kom­position. " Ja, es ist artig", sagte Gottfried die Pfoten kann er nun alle bewegen." " Denkt nicht an Euren dummen Hund", rief Dubois, so gut wird es Euch nicht oft, eine Sonate von Lulli zu hören. Habt die Gedanken hübsch beisammen. St! nun gehen wir plöglich in Moll über, Cis! hört Jhr? Ach, die Passage ist hinreißend."

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Hand in den Baß; nun springt die linke in den Dis tant stellte allerhand merkwürdige Versuche an, sogenannte hinüber. Seht, nun arbeite ich immer kreuzweise; nun Experimente, sogar in Gegenwart hoher Herrschaften, mit allen zehn Fingern! Und wieder! Und wieder! Es und sie fielen glücklich aus. Die Ruthe muß aber thäte noth, daß ich die Ellenbogen mit zu Hilfe nähme. vom Haselzweig gerade um Mitternacht beim Voll­Aus! aus! Fertig! Aber vortrefflich geschrieben ist es. mond, und ohne etwas dabei zu sprechen, geschnitten werden." Nicht, Gevatter?"

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Er wird doch im Anfang mit Vorsicht laufen müssen," sagte Gottfried,"

" Immer noch die Hundegrillen?" schmollte Dubois, schlagt Euch doch die vierbeinigen Gedanken aus dem Sinn und lebt einmal ganz der Kunst!"

" Ich muß nachher noch die Wünschelruthe schneiden", sagte Gottfried still vor sich hin.

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Das ist Aberglauben", sagte Gottfried; jede Ruthe ist gut dazu, wenn die Hand die Gabe hat."

Was wißt Ihr", rief jener eifernd, von philosophia occulta? Ihr seid einmal in allen Dingen den Stepa tikern zugethan. Meint Ihr, daß Mose's Stab etwas anders als eine solche Wünschelruthe war? Gold muß fie finden ebenso leicht als Wasser; ja die Gedanken muß sie errathen tönnen und dadurch künftigen Verbrechen vorbeugen. Jede Stadt, jedes Dorf sollte in einem vernünftigen Staate seinen privilegirten Ruthengänger haben."

" Halt!" rief der lange Musikus, indem er aufsprang, da bringt Ihr mich auf einen Gedanken, den ich Euch schon lange habe mittheilen wollen. Wißt Ihr mit solchen Sachen umzugehen?" ,, Gottlosigkeit", sagte Gottfried, es geschieht schon ohne So, so", sagte Gottfried, ich habe mir meinen Brunnen diesen Aberglauben des Uuheils genug. Allen solchen Ge damit aufgefunden und auch einigen Nachbarsleuten gesellen thäte die einfache Haselruthe auf dem Rücken gut." holfen." Der Musikus zog ein schiefes Gesicht und wollte zornig Und Schätze?" rief Dubois. anworten, als Eveline ein lautes, freudiges Ach! ausrief. " Wasser", sagte der Chirurgus, ist kostbar genug, das Ein alter Bauer ging vorüber, dem ein großer Hund folgte. Der Herr von Beauvais war aufgestanden, Eveline andere habe ich nie probirt." " Ihr wißt vielleicht", fuhr der Gevatter fort ,,, es sind erröthete blieb auf einen Wint ihres Vaters noch nicht zehn Jahre her, als der Jakob Aymar aus der zurück. Der alte Bauer warf einen forschenden Blick aber mit den Reissuppe muß er hent' Abend essen", sagte Gottfried. Dauphiné durch seine Wünschelruthe einen weitentlaufenen in die Laube, der Rath verneinte Könnt Ihr Musit vertragen, Peter Florval?" rief der Mörder entdeckte. Die Geschichte hat damals in Lyon und Augen, ohne daß es die Umstehenden bemerken, konnten, Mufifer begeistert zum Parlamentsrath hinüber; manche Paris das allergrößte Auffehen gemacht. Ich war mit und so schritt, ohne von der Gesellschaft Kenntniß zu nehmen,

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