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Erntejahr August Juli 1911/12 1910/11 1909/10 Roggen: Einfuhr Ausfuhr Tonnen 376 774«S3 S83 706 749 734 338 824 496 679 142 Mehr-(+) Ausfuhr in Tonnen Zollwert --476 811 23 840 330 M> -- 47 809 2 390 430 --384 646 17 732 300.. DaS Erntejahr 1911/12 hat dem Staate an Roggenzoll nicht uur nichts eingebracht, denn die Ausfuhr war ja gröster als die Einfuhr und die Ausfuhr geht nahezu restlos mittels Einfuhr- schein vor sich I; da die Ausfuhr um 476811 Tonnen Roggen großer war kostete dies dem Staate sogar noch 23,8 Millionen Marl extrall Im borigen Erntejahre war die Roggeneinfuhr aus den be- kannten Gründen abnorm groß, trotzdem haben die Agrarier es fertiggebracht, dem deutschen Reichssäckel keinen Pfennig Roggenzoll zugute kommen zu lassen, sie haben es sogar verstanden, noch 2,4 Millionen Mark herauszuholen I DaS Volk hat alle Ursache, wenn es von Fleischteuerung spricht, den B r o t w u ch e r nicht zu vergessen, hängt er doch in seiner Methode des Mißbrauches der Zölle zu agrarischen Privatzweckcn innig damit zusainmen.? Teue?? Heringe. Die Ausbeute der deutschen Seefischer an Heringen ging im Ostseegebiet erheblich über das vorjährige Fangcrgebnis hinaus blieb aber in der Nordsee in noch stärkerem Maße hinter dem vor- jährigen Ertrage zurück. In den Monaten Januar bis Juli 1912 wurden von deutschen Fischern in der Nord- und Ostsee insgesamt nur 1840 Doppelzentner Heringe mehr aufgeholt als im Vorjahre. In der nämlichen Periode ist die Einfuhr von Heringen aber um 38160 Doppelzentner gesunken. Teilweise infolge dieses Minder- angebots, noch mehr im Gefolge der allgemeinen Teuerung, stehen die Heringspreise beträchtlich höher als im Vorjahre. 130 Kilogramm norwegische fette Heringe wurden in Hamburg im Juli 1912 mit 32 M. bezahlt. Im entsprechenden Monat des Vorjahres stand der Preis auf 24,30, also um 7,30 M. niedriger. Vom Januar bis Juli des Jahres 1911 war der Preis für die genannte Sorte un, 3,30 M. pro 130 Kilogramm gesunken, diesmal blieben die Preise Monat für Monat unverändert. Aehnlich steht es auf den anderen Märkten. Die Kohlen werden noch teurer. Die fiskalischen Kohlengruben in Oberscklefien erhöhen ihre Preise für Stück-, Würfel- und Nußkohle um 50 Pf. pro Tonne ab 1. Sep­tember. Wenn auch in jedem Winter ein Preisaufschlag vor- genommen wird, so trifft er in diesem Jahr den Konsu», doppelt schwer, da schon den ganzen Sommer hindurch die Preise des ver- gangenen Winlers galten. Heuer muß der Großhandel also 50 Pf. mehr als im Winter 1911/12 zahlen; für den Detailhandel bedeutet dies noch größere Steigerungen. Tenerungs-Jntcrpellation. Die sozialdemokratische Fraktion deS bayerischen Landtages hat dort folgende Interpellation eingebracht: Eine Ueberteuerung fast aller unentbehrlichen Nahrungsmittel hat, wie im übrigen Deutschland , so auch in Bayern Platz ge- griffen. Für die GesundheilSvcrhältnisie der Bevölkerung sind an- gesichtS der in manchen Volksteilen bereits bestehenden und amt- lich nachgewiesenen Unterernährung die schlimmsten Folgen zu be- fürchten. WaS gedenkt die Staatsregierung zu tun, um Abhilse zu schaffen?_ Die Greuel im IPutumayo. London , 26. August.(Eig. Ber.) Die Putumayo-Affäre ist in eine neue Phase getreten. Es Handelt sich um die Verautloortlichkeit der Direktoren der Peruvian Amazon Company", deren Agenten die zahllosen Verbrechen verübt haben, die der englische Generalkonsul Sir Roger Casement ans Licht gezerrt hat. Bekanntlich ist die Gesellschaft, die sich jetzt in Liquidatton befindet, eine englische Gesellschaft, die im Jahre 1963 das Geschäft von den Gründern, Gebrüdern Arana, übernahm. Drei ihrer Direktoren sind Engländer. Am 4. August hielt nun Canon Hensley Henson in der Westminister-Abtei eine geharnischte Predigt über die Pntumayogreuel, in der er unter anderem ausführte, daß die, die die Verbrechen ver- übt. nicht in der Gewalt des englischen Staates stünden. Aber," so fuhr er fort,ihre Arbeitgeber, mit deren strafbarer, selbst wenn unwissender Mitwirkung ihrer Ver- brechen verübt wurden und die die blutbefleckten Gewinne austeilten, die jene übersandten, sind hier unter uns. Ist es nicht die geringste Forderung der Gerechtigkeit, daß diese Leute, und namentlich ihr Führer, der Erzorganisator der ganzen Tragödie, Arana, verhaftet und öffentlich vor Gericht gestellt werden sollten?" Diese freimütigen Aeußerungen des Geistlichen trugen ihn einen in beleidigenden Worten gehaltenen Drohbrief von dem Rechtsanwalt der englischen Direktoren der Gesellschaft ein, in dem zu zeigen versucht wurde, daß diese Herren die Methode der Gesellschaft, die sie leiteten, nicht kannten und daß sie, als sie von den Verbrechen ersuhren, alles getan hätten, den Greueltaten Einhalt zu gebieten. In dem Briefe wurde ver- langt, der Canon sollte seine unbegründeten Anschuldigungen zurückziehen. Canon Henson ließ sich jedoch nicht einschüchtern, noch ließ er sich durch Nebensächlichkeiten von dem Kern- Punkt der Sache ablenken. In seinem Antwortschreiben heißt es: Ihre Klienten behaupten, daß sie die Tatsachen nicht gekannt hätten. Ich erwidere, daß eine derartige Unwissenheit strafbar ist. Es ist meine Sache, der Ocffentlichkeit einzuprägen, daß die Entschuldigung der Unwissenheit nicht annehmbar ist bei Leuten, deren Geschäft es ist, die Tatsachen zu kennen. Wollen denn Ihre Klienten behaupten, daß sie berechtigt waren, dem Publikum als eine sichere Anlage ein Geschäft zu empfehlen, von dessen Charakter und Methoden sie nichts wußten? Ich glaube nicht, daß die ehrenhaften Traditionen des britischen Handels ihre Be- hauptnng unterstützen werden. Wenn Direktoren Unwissenheit be- kennen, so geben sie Vernachlässigung der Pflicht zu und in diesem Falle eine sehr grobe Vernachlässigung; denn die in Frage kommende Industrie(der Handel mit Gummi, das von ein- geborenen Arbeitern in tropischen Wäldern eingesammelt wird) war mit schrecklichen Skandalen von neuestem Datum verbunden, die die Direktoren gebieterisch an die Pflicht mahnen mußten, mehr als gewöhnlich Sorge zu tragen, volle und genaue Jnfor- mation zu erhallen, ehe sie ihre Namen als Sicherheit für die Redlichkeit des Geschäfts boten, welches sie von den Gebrüdern Arana übernommen hatten und in derselben Weise und mit den- selben Agenten weiter betrieben." Als Abschiedsgruß gab der Canon seinen Widersachern noch eine» ivohlgezielten Schuß. Er schreibt: .Sie schließen Ihren Brief, indem Sie mich fragen, was ich zu tun gedenke, um für eine Aufführung Genugtuung zu geben, die von Ihren Klienten gerechtfertigterweise als eines Geistlichen der englischen Kirche, eines Gentleman und eines Mannes un- würdig bezeichnet wird. Meine Ansichten weichen so vollständig von denen Ihrer Klienten über das, was einem Geistlichen, einem Gentleman und einem Manne geziemt, ab, daß es Sie nicht über­raschen wird, zu erfahren, daß ich glaube, daß von mir in irgendeinem jener Charaktere nichts verlangt werden kann, was in irgendeiner Weise die Schärfe der Verurteilung der Direttoren der Peruvian Amazon Company mildern könnte, zu der ich mich am 4. August in der Abtei gehaltenen Predigt berufen fühlte." Die Angelegenheit rollt ein interessantes und aktuelles Problem auf. Was muß die Horde der Direktoren und Auf- sichtsräte, der Meerschweinchen, wie sie in England mit rich- tiger Erkenntnis ihres ornamentalen Charakters genannt tverden, von dem Geschäft wissen, als dessen Spitze sie er- scheint? Kann von den Direktoren und Aussichtsräten, die in den Fabeln der kapitalistischen Klopffechter bei der Produktion eine so wichtige Rolle spielen, verlangt werden, daß sie das Geschäft, das sie zu dirigieren und beaufsichttgen vorgeben, ver- stehen oder wenigstens oberflächlich kennen? Kann z. B. ein Mensch Direktor einer Hotelgesellschaft sein, die hinter seinem Rücken ihre hohen Gewinne aus Bordellen zieht? Sind solche Fälle überhaupt möglich? In dem vorliegenden konkreten Fall entschuldigen sich die Direktoren der Peruvian Amazon Company, indem sie vorgeben, daß sie von der Natur ihres Geschäfts nichts gewußt hätten. Canon Henson hat diese Ent- schuldigung schon zur Genüge zerpflückt. Doch selbst wenn man diese Entschuldigung als mildernden Umstand gelten lassen ivill, bleibt noch die Frage, ob denn die Direktoren von der Betriebsniethode der Gesellschaft nichts wußten. Es wird ihnen schwer fallen, die Welt davon zu überzeugen. Sir Roger Casement sagt in seinem Bericht auf Seite 46, wo er von den Agenten der Gesellschaft spricht:Jeder Sektionschef ist sein eigenes Gesetz, und viele der Hauptagenten dieser britischen Gesellschaft wurden von den mit der Vollmacht ausgerüsteten Vertretern jener Gesellschaft in der Unterredung mit mir als Mörder, Piraten und Banditen be- zeichnet." Sollten diese Vertreter der Gesellschaft den Direktoren gegenüber wirklich nie etwas über den wahren Stand der Dinge im Putumayo haben verlauten lassen? Ferner muß man doch wohl annehmen, daß die Direktoren die rechtliche Grundlage ihrer Gesellschaft kannten. Man steckt doch kein Geld in ein Unternehmen, das in der Lust schwebt. Zu diesem Punkt niuß man die Ausführungen des englischen Generalkonsuls lesen, der auf Seite 44 seines Berichts über die Agenten der Gesellschaft schreibt:Diese Leute waren Mörder und Folterknechte von Beruf; wie die Zahl ihrer Verbrechen wuchs, so sollte ihr Reichtum wachsen. Ganze Stämme wurden ihnen von einem ungesetzlichen Syndikat ausgehändigt, das keinerlei Rechtstitel auf einen Quadrat- meter Land oder einem Gummibäum chen besaß; sie wurden mit den nötigen Waffen versorgt, um dieses Volk durch Schrecken zum Gehorsam zu zwingen und man gab ihnen das größte Interesse an der Ausübung dieses Schreckens." Man muß nun abwarten, welchen Eindruck die Entschuldigungen der Direktoren auf die Mitglieder des parlamentarischen Uutersuchungskomitees machen werden, das die Regierung eingesetzt hat. politiscbe(leberlicbt. Berlin , den 28. August 1912. Ultramontane Regiekunst. In gestriger Rummer berichteten wir darüber, daß in dem Bericht der Zentrumspreffe über das von einem Rektor Görgen auf dem letzten Katholikentag gehaltene die Schulorganisation und Schulaufsicht betreffende Referat sich verschiedene Ausführungen befinden, die der Redner gar nicht gemacht hat, und daß obendrein hinter einem solchen gar nicht gesprochenen Satz in Klammern die Bemerkung steht:.Lebhafter BeifallI' Die Zentrumsblätter vermögen diese Tatsache nicht zu bestreiten, aber, meinen sie, recht naiv, das sei doch nicht so schlimm: Herr Görgen hätte eben anfangs feine Rede so halten wollen, wie lie in den Zentrumsblättern steht; aus.Zeitmangel" hohe er aber dann seine Rede, ein wenig abgekürzt. Auf diese den Wert der ultramontanen Berichterstattung prächtig illustrierende Ausrede ant- wortet dieKöln . Ztg." mit folgender höhnischen Glossierung der klerikalen Bühnen-Regiekunst: Die Leser ultramontaner Blätter haben, eS gut. Ein gütiges Geschick wacht über ihnen, daß sie dett ultramontanen Himmel nur voller Geigen sehen, daß Meinungsverschiedenheiten in der Gegen- wart oder unbequeme Tatsachen aus der Vergangenheit nicht den lieblichen Eindruck vollkommener Harmonie und Einigkeit stören. den sie von der ultramontanen Welt empfangen sollen. Manchmal dllte man meinen» es wäre eine kluge Regie, die ihnen, solch ein er- ireuliches Szenarium ausbaut. Aber da die Regisseure selber ver- ichern, daß es nur Zufall sei, muß man eS ihnen, wohl glauben. So hatte der Rektor Görgen in feine Schulrede für den Aachener Katholikentag eine Auseinandersetzung mit den Gegnern der geist- lichen Schulaussicht hineingearbeitet. Seine Ausführungen trafen natürlich ins Schwarze, kein rechter kathol-ifcher Lehrer durste nun- mehr an die Fachaussicht, dieses Kind des E rzi ehun gÄiberalismus, länger noch glauben. Die mitadelige Rede gefiel dann auch den Regisseuren, sie wurde gedruckt und zur Veröffentlichung abgeliefert. Sie>ourde freilich in eben jenem Teile, der wider die Fachaußsicht kämpft, garnichtgeh.alten.so daß ein katholischer Lehrer, der etwa im Publikum saß und doch nicht für die geistliche Schulaus- icht schlvärmte, gar keine Möglichkeit fand, einen Widerspruch kund- zutun. Dabei war es gar nicht ausgeschlossen, daß solche Lehrer unter den Zuhörern saßen; denn in der katholischen Lehrerpresfe hat man durchaus nichts von einmütiger Zustimmung zu dem Ideal der geistlichen Schulaufficht gemerkt. Wie kam es nun, daß der Katholikentag gar nicht in die Lage kam. einen Widerspruch gegen die Ausführungen des Herrn Görgen laut werden zu lassen? Daß aber trotzdem sein« Ausführungen als widerspruchslos hingenommen und darum glatt angenommen durch die katholische Presse gingen? Warum hat Herr Gorgen gerade den wichtigsten Teil seiner Rede nicht gehalten,? Takttk, denkt der böse Liberale. O nein, n ur Zeitmangel, antworten die Regisseure, antwortet nämlich Herr Oberlandesgerichtsrat Marx jetzt in derKölnischen Volkszeitung" (Nr. 752), nachdem er sich die Sache vierzehn Tage lang, überlegt bat. Welch gütiges Geschick hat wiederum gewaltet! Eine Rede über die oeistlichc Schulaufsicht, gegen- die notorisch noch starker Widerspruch in den Kreisen der katholischen Lehrer besteht, wird auf dem Katholikentag gar nicht gehalten, trotzdem aber, gleich- am als eine Kundgebung des K athorikentag.s. n die WelthinauSgesandt..Der Rm nach Fachaufpcht führt in die Irre," läßt die ultramontane Presse den Redner agen, und dieKölnische VolkSzeitung" fügy dem noch einen Lebhaften Beifall" des Katholikentags hinzu. In Wirklichkeit hat man in Aachen nichts derartiges vernommen. Es geht doch nichts über die Hilfe, die zuweilen ein Zeitmangel oder etwas ähnliches den ultramontanen Regisseuren leistet." Herr» van der Borghts statistische Leistungen. Als ErgänzungSheft der vom Kaiserlich Statistischen Amt heraus- gegebenen.Gewerblichen Betriebsstatistik"(Ve- arbeitung der Zählung vom Juni 1907) erschien im vergangenen Winter Bd. 222.Verzeichnis der in der gewerblichen Betriebs- Zählung vorgekommenen Gewerbebenennungen". Kaum war der Band an die Oeffentlichkeit gelangt, als er ganz plötzlich zurück- gezogen wurde und a» lue mit Exemplaren wohl zuerst versehenen amtlichen Stellen ein Rundschreiben deS Kaiserlich Statistischen Amtes erging, den Inhalt des Bandes nicht der Oeffentlichkeit zu übergeben, da er nur zum inneren dienstlichen Gebrauch bestimmt sei. Schon damals tauchte das Gerücht auf, das Heft sei nur zurückgezogen worden, weil sein Inhalt Fehler enthalte. Vor einiger Zeit ist nun eine Neubearbeitung als Band 222" erschienen, der in einer Vorbemerkung Kundigen den wahren Sach» verhalt verrät. Es wird darin kurz berichtet, in welcher Weise die Zusammenstellung des Verzeichnisses erfolgte. Den Gewerbebennungen wurden auch Zahlen beigefügt,es ergab sich aber, daß wegen der verschiedenen Benennungen... Irrtümer bei Benutzung der Zahlen nicht ausgeschlossen waren... Aus diesem Grunde ist der Band 222 nur für den inneren Gebrauch der statistischen Behörden bestimmt worden." Die ganze Vorbemerkung enthält aber noch so viele Unklarheiten und offenbare Verschiebungen der Geschichte dieser statistischen Arbeit, daß die Tatsache unleugbar bleibt:- Das ursprüngliche Heft ist ohne genügende Sorgfalt bearbeitet und unter der Verantwortung van derBorghtS den» noch gedruckt und veröffentlicht worden. Erst nach- träglich entdeckte man die Fehler, zog das Heft zurück und er« fand den Vorwand, es sei nur für den Dienstgebrauch bestimmt. DieserIrrtum" und Täuschungsversuch wird jetzt in den statisti« schen Universitätsseminaren reichlich belacht. Herr van der Borght hat ja inzwischen seine Stelle als wissenschaftlicher Leiter aus» gegeben und ist in den Dienst der Hausagrarier getreten. Die statistische Wissenschaft bedauert diesen Wechsel durchaus nicht. Für die Steuerzahler hat die Affäre noch eine andere, ernstere Seite. Auf wessen Kosten ist die Neubearbeitung erfolgt? Vielleicht erkundigt sich die Budgetkommission einmal danach, ob die Fahrlässigkeit van der Borghts und des zuständigen Referenten im Kaiserlich Stattstischen Amt den Steuerzahlern zur Last gefallen ist! fortschrittliche Volkspartei «nd Landtagswahlen. Im rotenTag" nimmt Herr Dr. Schepp, Mitglied der Fort» schrittlichen Landtagsfraktion, das Wort, um sich über die von der Fortschrittlichen Volkspartei einzuschlagende Taktik bei den preußischen Landtagswahlen auszusprechen. Herr Schepp ist der Meinung, daß die LandtagSwahlen nicht wie die Reichstagswahlen von Sozialdemokraten und Freisinn gemeinsam zu führen seien, sondern daß bei den LandtagSwahlen eine Rechtsorientierung stattfinden müsse. Ein Bündnis mit der Sozialdemokratie fei seiner Ansicht nach ausgeschlossen. Die öffentliche Stimmabgabe mache es einer großen Anzahl freisinniger Wähler unmöglich, einen Sozialdemokraten zu wählen. DaS ist natürlich ein Unsinn; denn die Urwähler brauchten ja gar nicht für die Sozialdemokratie zu stimmen, sondern lediglich die W a h l m ä n n e r, diese aus den Reihen der Beamten und sonstiger abhängiger Existenzen auszuwählen, läge ja für den Freisinn nicht die geringste Veranlassung vor. Er könnte solche Wahlmänner aufstellen, die, ohne eine Gefährdung ihrer Existenz oder eine Maßregelung fürchten zu müssen, sehr wohl für den sozialdemokratischen Abgeordneten stimmen könnten. Aber Herr Schepp will eben- von einem Zu» sammengehen mit der Sozialdemokratie nichts wissen. Er behauptet; daß das wüste Austreten der Herren Borchard, Liebknecht und Ströbel im preußischen Abgeordnetenhause auch gar nicht dazu an» getan gewesen sei, irgend welche Sympathien für die Sozialdemo» kratie zu wecken. Die Fortschrittliche Volkspartei müsse deshalb den Kampf nach beiden Fronten führen, nach rechts und nach links, und zwar mit gleicher Energie. So sei das Natürliche für die Fortschrittliche Volkspartei , Anschluß bei den Nationalliberalen zu suchen. Die Nationalliberalen seien ja auch die natürlichen Ver» bündeten der Fortschrittlichen Volkspartei , weil man höre nur in der Frage der Ostmarkenpolitik eine wesentliche Divergenz zwischen den beiden liberalen Parteien in Preußen vorhanden sei. Die preußischen Nationalliberalen haben nicht nur die Volks- schulen der Kirche ausgeliefert, haben nicht nur die Simultanschule auf den Aussterbeetat setzen helfen, sondern haben sich auf alle Zeit als skrupellose Scharfmacher bewiesen. Sie haben gegen die Forde- rung der Arbeiterschaft in jeder Frage gestimmt, sie haben sich die grüßte Mühe gegeben, die Regierung gegen die Arbeiterklasse. sowohl gegen die politischen und gewerkschaftlichen Organisationen, aufzuputschen. Sie sind die entschiedenen Anhänger des skandalösen preußischen PrivilegiertenwahlrechtS gewesen. Daß sie Herr Schepp trotzdem als die natürlichen Verbündeten des Frei« sinsss betrachtet, während er ein Zusammengehen mit der Sozial- demokratie entrüstet von sich weist, ist kennzeichnend für die Sorte von Freisinn, die die Mehrheit der fortschrittlichen Landtagsfraktion bildet. Denn wenn Herr Schepp selbst auch im Kreise Oberbarnim durch ein konservativ-freisinniges Kompromiß gewählt worden ist, und wenn dieser Herr aus Wuhlgarten auch den un- sympathischsten Typ fortschrittlicherVolksvertreter" in der preußi- schen Duma verkörpert, so darf doch nicht verkannt werden, daß Herr Schepp mit seinen Slnsichten keineswegs allein dasteht, sondern bei einer beträchtlichen Anzahl seiner MitVolksvertreter" auf Zu st im, mung. rechnen darf. Wir nehmen von den Bekenntnissen einer schönen freisinnigen Seele einstweilen nur Notiz und überlassen es der Fortschritt» lichcm Volkspartei selbst, zu den Auslassungen ibreS Abgeordneten Stellung zu nehmenl Aufhebung der Verfaffnng in Bayern . Die Eskamotierung der Verfassungsrechte wird in Bayern unter der jetzigen glorreichen Zentrumsregierung immer unverschämter be- trieben. So kommt aus Oberfrauken wieder die Nachricht von einem Gewaltakt. In der Gemeinde AlienploS bei Bayreuth ist bekanntlich im Herbst 1911 der Schreiner Hübner zum Beigeordneten(1. Bürger« meister) gewählt worden; aber das Bezirksamt, wie auch die Beschwerdeinstanzen versagten die Bestätigung dieser Wahl mit der Begründung: Hübner biete nicht die Gewähr, daß er sein Amt entsprechend führen werde, weil er ein zielbewußter, tätiger Sozialdemokrat sei. Die Bürger von AlienploS antworteten auf diesen Gewaltstreich damit, daß sie Hübner bei der Ersatzwahl abermals wählten, aber die Wahl wurde nach der Gemeindeordnung für ungesetzlich erklärt. Es mußte daher zu einer dritten Wahl geschritten werden, auS der der Maurerpolier Echnauer hervorging. Nach vollzogener Wahl wurde der Gewählte vor das Bezirksamt zitiert und gefragt, welcher politischen Gesinnung er huldige. Mit Recht verweigerte er die Antwort. Dieser Tage erhielt er nun vom Bezirksamt ein Schreiben, worin ihm mitgeteilt wird, daß seiner Wahl die Be- ftätigung nicht erteilt werden könne, weil er nach den gepflogenen Erhebungen im Jahre 1993(also vor zehn Jahren) bei der Gründung eines sozialdemokratischen Vereins in Heinersreuth mitgewirkt und