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Kurz abgefertigt. In gestriger Nummer berichteten wir über verschiedene perfide Anschuldigungen der.Germania� gegen einige frühere bayerische Minister und Mitglieder deS HoflagerS. Der allzu täppische Artikel des ultramontanen Blattes scheint am bayerischen Hoflager das Gegenteil von dem bewirkt zu haben. was er sollte, denn die Münchener offiziöseKorrespondenz Hoffmann" erteilt darauf fol- gende Antwort: Ein Berliner Blatt bezieht in Betrachtungen, die eS der politischen Lage in Bayern widmet, auch Versuche.un- verantwortlicher Beeinflufiung" ein, die sich angeblich am königlichen Hoflager in Hohenschwangau geltend machen und nennt in diesem Zusammenhange zweimal den Namen des königlichen Generaladjntanten Generals der Artillerie Freiherrn v. Wiedenmann, des Chefs der Gcheimkanzlei. Demgegenüber ist festzustellen, dafi die Haltung des ChefS der Geheimkanzlei gegen- über dem derzeitigen Ministerium vom ersten Tage der Geschäfts- Übernahme an von unantastbarer Loyalität gewesen ist. Die in Betracht kommenden Presseäußerungen stellen sich sonach als deweislose Behauptungen dar." Die Angestellten und die Parteien. DerVerein für Handlungskommis von 18S8" fühlt sich mit Reckt! getroffen. Durch einen Absatz in unserem Leitartikel über Die Angestellten und die Parteien" in Nr. 189 desVorwärts" (vom 27. August), in dem die Rede eines seiner Führer vor den Giögen des Hansabundes kurz glossiert war. Er sendet uns einen authentischen Bericht" dieser Rede, die ebeit das bestätigt, was wir geschrieben hatten: nur entnehmen wir ihm. dah der betreffende Herr nicht ausdrücklich eine Beschränkung der Ueberstunden aus drei Tage in der Woche, sondern aufeine gewiffe Höchstzahl von Tagen"(unter der sich jeder vorstellen kann, waS er mag) gewünscht hat.Eine bestimmte Stunde des Arbeitsschlusses festzulegen, scheint mir nicht nötig", heitzt es dann weiter, und es folgt jene Stelle, wo die Beschränkung der r e g e l m ä h i g e n(aber durch unbezahlte Ucber- stunden gern überschreitbaren) Arbeitszeit auf neun Stunden alsbe- rcchtigter Wunsch" erklärt wird. Die Zuschrift glaubt das Klägliche dieses berechtigten Wunsches" damit entschuldigen zu können, daß sie daralif hinweist, der Redner habe nur diegeteilte" Arbeits- zeit im Auge gehabt.Bei durchgehender Arbeitszeit verlangen wir eine Höchstbegrenzung der Arbeitszeit auf acht Stunden."Alle grotzen Angestelltenverbände" sollen dieselben Ansichten haben. Möglich; aber alle fortgeschrittenen Angestelllenverbände verlangen mit dem Gros der Arbeiterschaft längst den acht- stündigcn Arbeitstag auch bei Tischzeit, bei ungeteilter Arbeitszeit einen Achtstundentag, in dem bereits eine halbstündige Frühstücks- pause eingerechnet ist. Der S9er Verein hätte wirklich allen Grund, mit dieser Rede seines Führers nicht weiter hausieren zu gehen. Der Mann, der durch das Angebot unbezahlter Ueberstundenfeste Brücken zur Arbeilgcberschaft" schlagen und dieabschüssigen Wege" zu den Arbeitermassen verbauen will, ist wirklich alles andere eher als eine Zierde der Angestelltenbewegung. Ter Parteitag der Fortschrittlichen Volkspartei . Die Fortschrittliche Volksportei hält vom bis 7. Oktober in Mannheim einen allgemeinen Parteitag ab. Die Tagesordnung ist ziemlich reichhaltig. Abg. F i s ch b e ck gibt den Geschäftsbericht. Abg v. Payer den Bericht der Reichstagsfraktion, Gothein spricht über wirtschaftliche Fragen, Zollfragen, Teuerung usw. So- dann sollen Referate erstattet werden über die Fortschrittliche Volks- Partei und die Landwirtschaft, über die Volkspartei und der Mittel- stand und über die Arbeiterfrage. Außerdem wird Abg. M o m m s e n noch die Frauenfrage behandeln und Abg. Wiemer die staats- ärgerliche Gleichberechtigung. Endlich wird der Abg. Kopsch noch über die Organisationsfragen reden. Wenn alle diese wichtigen Fragen nicht nach Art der Katholikentage durch einfache Vorträge erledigt werden sollen, müßte der Parteitag mindestens acht Tage zusammenbleiben, nicht aber, wie vorgesehen, etwa drei halbe Tage. DieFreisinnige Zeitung" veröffentlicht die Anträge zum Parteitag. Zur Arbeiterfrage liegt nur ein Antrag von Dr. Ablaß, Dr. Flesch und Genossen vor. der über allgemeine Redensarten kaum hinauskommt. Die tatsächliche Ungleichheit zwischen Unter- nehmer und Arbeiter will der Antrag beseitigendurch Ausfüllung der Lücken des ArbeiterrechtS, durch Gesetze und staatlich getragene Einrichtungen, die den besonderen Bedürfniffcn der Schwachen, der Unvermögenden entgegenkommen, ohne der Entwickelung des Handels und der Industrie und der Ausdehnung des Warenmarktes im Welt- verkehr zu schaden". Pfarrer Naumann scheint uns durchaus der rechte Mann zu sein, der über die Lösung der Arbeiterfrage auf der Gniudlage eines solchen Antrages reden kann. Zur Frnuenfrage liegen eine große Reihe Anträge vor. die alle auf die Anerkennung der staatsbürgerlichen Gleichberechtigung der Frauen hinauslaufen. Weitere Anträge zum Programm fordern ein Koinmunalprogramm und ein Agrarprogramm. Eine große Menge Anträge wollen die Organisation im Sinne einer schärferen Zentralisation ausbauen. Auch die Beitragsfrage wird durch ver- schiedene Anträge berührt; einige wollen Jahresbeiträge von 3 und i M. und eine Abführung an die Zentralkasse von 1035 Prozent, andere Anträge wünschen eine proportionale Besteuerung der Mit- glicdcr. Zur Frage der Wahltaktik fordern mehrere Anträge, daß vor dem Abschluß von Kompromissen die WahlkreiSvertrauensmänner zu hören sind. Ein anderer Antrag wünscht in daS Parteiprogramm die grundsätzliche Bestimmung aufgenommen, daß für die Zukunft jedes Wahlkompromiß mit dem Zentrum und Konservativen, als mit den fortschrittlichen Grundsätzen unvereinbar, abzulehnen sei. Landtagseröffnnng in Rudolstadt . StaatSminister v. d. Recke eröffnete am Mittwoch den Landtag deS Fürstentums Schwarzburg -Rudolstadt. in dem unsere Genossen die Mehrheit haben. Die Thronrede kündigt die Vorlage des Staats- Haushallsetats für die Finanzperiode 1812/14 an. Ferner wird die nachträgliche Genehmigung von vier bereits erlasseneu Gesetzen. darunter die bekannte Teuerungszulage, erbeten. Donnerstag finden >crtrauliche Besprechungen statt, am Freitag wird dann das Prä- �dium gewählt. Die Wiederwahl deS Genossen Winter zum Präsidenten ist natürlich sicher, wegen des Vizepräsidenten finden Verhandlungen mit den Bürgerlichen statt. Sollten diese VerHand- lungen zu keinem Resultat führen, dann wird Genosse Hartmann Vizepräsident werden._ Der achte fhatidinavifche Hrbelterhongreß. Stockholm , 2. September. (Eig. Ber.) Montag morgen erfolgte die Eröffnung durch den Vor- sitzenden der schwedischen Gewerkschaftszentrale Lindquist- Stockholm. In seiner Begrüßungsansprache wandte er sich besonders an den dänischen Genossen e n s e n, der vor 26 Jahren den ersten skandinavischen Arbeiterkongreß in Gothcnburg präsidierte und dessen Eingreifen es zu verdanken ist. daß die schwedischen Gewerkschaften von damals der liberalen Bewegung entrissen wurden. Zu Vorsitzenden mit gleichen Rechten werden Lindquist-Stockholm , Nygaard-Kopen- Hagen und Jeppesen-Christiania gewählt. Ferner wurden fünf Kommissionen eingesetzt, die die zu den verschiedenen Ver- Handlungsgegenständen gestellten Anträge vorberaten und dem Kongreß definitive Vorschläge ausarbeiten sollen. Aus dem Auslande sind als Gäste anwesend: Vander- velde-Brüssel, Cohen- und Jansson-Berlin . Vandervelde schilderte in einer langen Ansprache an den Kongreß die politische Situation in Belgien , die es eventuell notwendig machen wird, daß die Arbeiterschaft zum Generalstreik greife, um das allgemeine Wahlrecht zu erobern. Er blicke mit Un- ruhe auf die intensiven Vorbereitung»» zu diesem Kampfe, weil die Ergebnisse sich nicht vorausberechnen lassen. Der Kampf könne geivonnen, aber auch verloren werden und die Folgen eines verlorenen Riesenkampfes für die Organisationen in Schweden hätten ihm gezeigt, welche Gefahren ein der- artiger Kampf in sich trage. Vermieden könne der Kampf in Belgien jedoch nur werden, wenn in der Wahlrechtsfrage Zugeständnisse gemacht würden. Die Grüße der deutschen Gewerkschaften überbrachte I a n s s o n- Berlin, worauf Jensen- Kopenhagen seinen Vortrag über die Bedeutung der skandinavischen Arbeiter- kongresse hielt. Redner besprach die bisherigen Kongresse, dabei besonders bei dem ersten Gothenburger Kongreß ver- weilend. Er feiert die große gewerkschaftliche Bedeutung dieser skandinavischen Arbeiterzusammenkünfte, die ein festes Band um die Arbeiter des Nordens geschlungen haben. Wenn er heute zurückblicke auf die Gothenburger Tagung von 1886, so werde es ihm schwer, zu glauben, daß die enormen Fortschritte der skandinavischen Arbeiter- bewegung in 26 Jahren gemacht seien. In Gothenburg habe man sich sogar herumstreiten müssen, ob die Gewerkschaften von liberaler oder sozialistischer Weltanschauung getragen sein sollen, ja, die Stockholmer Fachvereine hatten gar die Ein- berufung des Kongresses abgelehnt, weil sie befürchteten, daß die dänischen Sozialisten ihre Organisationen mit Beschlag be- legen würden l In Gothenburg sei es jedoch nach heftigen Debatten gelungen, eine schüchterne Erklärung für den Sozia- lismus durchzusetzen und er müsse feststellen, daß viele der da- nmligen Gegner eine große Arbeit für die sozialdemokratische Bewegung inzwischen geleistet haben. Redner besprach sodann die wachsende politische Bedeutung der Kongresse und erntete für seine Ausführungen stürmischen Beifall. Eine Diskussion fand nicht statt. In der Nachmittagssitzung hielt L i a n- Kristiania ein großzügiges Referat über Organisationsformen und Taktik der Arbeiterbewegung. Er schilderte die Entstehung der gewerk- schaftlichen Arbeiterorganisation Skandinaviens . ihre Ent- Wickelung von kleinen Wcrkstättenllubs zu lokalen Fachvereinen, zentralen Landesverbänden und darüber hinaus zu Landes- organisationen, die alle Verbände ihres Landes umfassen und weitgehende Aufgaben im Lohnkampfe zu erfüllen haben. Bis zur Errichtung der Landesorganisationen haben lokale Gewerkschaftskartelle eine große Rolle auf dem Gebiete des Lohnkampfes gespielt. Redner schildert dann die Unternehmer- organisationen Skandinaviens und ihre Taktik sowie die Störungen, die infolge dieser Taktik im gewerkschaftlichen Lager der Arbeiter entstanden sind. Im wesentlichen liefen diese Störungen auf eine Schwächung der Landes- organisation hinaus, gleichgültig, ob die Verfechter anarchistische Syndikalisten oder gute Gewerkschafter seien. Vor diesen Be- strebungen müsse gewarnt werden, vielmehr solle man auf systematisches Zusammenwirken der skandinavischen Landes- organisation untereinander sowohl als mit denen des Aus- landes bedacht sein.(Stürmischer Beifall.) Zwei weitere Referate zum gleichen Punkt wurden zunächst abgesetzt, bis die Komniissionen ihre formulierten Vorschläge für das Zu- sammenwirken der skandinavischen Arbeiterorganisation nmcht. Dienstag vormittag fällt die Sitzung aus. Abends fand Festvorstellung für die Delegierten im Kgl. Theater statt. fratikreich. Ein Lockspitzelstreich. Paris , 4. September. Hervss BlattGuerre sociale" hatte gestern die Presse zu einer Versammlung eingeladen, während welcher der Sekretär des Blattes seinen Kollegen die Mitteilung machte, er habe den' Besuch eines gewissen Ver- neuil erhalten, der erklärte, er sei vom P o l?z e i k o m- m i s s a r Vrode beauftragt worden. den Ankauf zahlreich erBrowningrevolver und anderer Schuß- Waffen mit dem Blatte zu besprechen. Der Polizeikommissar habe damit den geheimen Zweck verfolgt, sich bei seinen Vor- gesetzten beliebt zu machen und dadurch seine baldige Be- förderung herbeizuführen. Durch die Weigerung seiner Re- daktion sei jedoch das Komplott zunichte geworden. Rußland. Die Wahlen. Petersburg, 3. September. In Petersburg , Moskau , Kiew , Odefia und Riga werden die D u m a w a h l e» nicht vor dem 28. Oktober stattfinden. Für die übrigen Orte sind ver- ichiedene Termine angesetzt, jedoch unter Berücksichtigung des Um- standeS, daß die Duma nicht später als am 28. November eröffnet wird._ Gegen die Preßknebelung. Petersburg, 4. September. Die Oktobristen haben in einer gestern abgehaltenen Sitzung eine Resolution angenommen, in der gesagt wird, daS Verhalten der Verwaltungsbehörden der Presse gegenüber sei ganz unhaltbar. Die geplanten Beschränkungen der Presse hinsichtlich der Meldungen über die Landesverteidigung und der Kritik der leitenden hohen militälischen Befehlshaber würden die Lage der Presse noch mehr- verschlimmern. Eine gesetzliche Rege- lung deS Pressewesens sei durchaus erforderlich. Die Fraktion ver« lange, daß ihre Petersburger Kandidaten in der Rcichsduma sofort nach Eröffnung der Duma dies» Frage auswerfen. Marokko. Die gefangene» Franzosen . Mazagan, 3. September. Der Sckjcris Omrani erklärt, er habe von El Glaui einen Brief erhalten mit der Versicherung, daß die französischen Gefangenen in Marrakcsch gesund und wohlbehalten seien. Sie würden guh behandelt und be- fänden sich in einem von Soldaten El GlauiS bewohnten Haufe. Doppelter Sold. Paris , 4. September. Nach einer amtlichen Mitteilung hat die vom Kriegsminister M i l l e r a n d für die Prüfung der Frage des Soldes des Besatzungskorps in Marokko eingesetzte Kommission beschlossen, daß vom 1. September ab sämtliche in Marokko stehenden Truppen doppelten Sold erhalten sollen. Die Kosten für das Besatzungskorps werden durch diese Maßnahme um ö Mikhisnen Frank jährlich erhöht wechev. Aegypten . Eine abenteuerliche Geschichte. Konstantinopel , 3. September. Auf einen Wink der ägyp- tischen Polizei, die zwei Agenten hierher entsandte, hat die Polizei in Stambul den Chefredakteur des türkisch-arabi- schen BlattesEl Hilali Osinani" Scheik Abdul Azia Tscha- wisch, der ein Acgypter ist, unter dem Verdachte verhastet, daß er an den nationalistischen Umtrieben in Aegypten und an dem Komplott gegen den Khediven, gegen Lord Kitchener und den Premierminister beteiligt gewesen sei. Tschawisch wurde sofort nach Aegypten abgeschoben. Die Durchsuchung der Redaktion so- wohl wie der Privatwohnnng Tschawischs führte zur Beschlag- nähme verschiedener Dokumente. DasBlatt warvom jung- türkischen Komitee subventioniert. Man behauptet, daß die Aufrufe des ägyptischen revolutionären Komitees, die in der letzten Zeit in Kairo angeschlagen wurden, bei dem genannten Matte gedruckt, worden seien. Aegyptische Blätter behaupten, das jungtürkische Komitee sei in diese Affäre ver- wickelt. Die Korrespondenz des Salonikier Komitees mit dem ägyptischen Komitee sei bei einem Hörer der medizinischen Fakultät in Konstantinopel , der jüngst in Kairo eintraf, konfisziert worden. Das Komitee von Saloniki habe das ägyptische Komitee aufge­fordert, Anschläge gegen Staatsmänner zu verüben Md sodann daS Volk aufzuwiegeln. Amerika. Demokratische Wahlerfolge. New Fori, 4. September. Die Wahlen im Staate Vermont , welche als politische Barometer des Landes angesehen werden können, zeigen ein starkes Anwachsen der demokratischen Stimmen. Infolge der starken Stimmenabgabe der Demokraten und der Rooseveltpartei haben die Republikaner bei der Wahl des Gouverneurs nicht die Mehrheit erlangt, was seit Jahren nicht vor- gekommen ist._ Standrecht! Charlcston(Westbirginia), 4. September. Wegen Gewakttätig­keiten der K o h l e n a r b e i t e r, die sich im Streik befinden, ist gestern das Standrecht verhängt worden. Während der ersten zwölf Stunden beschlagnahmte die Miliz 280 008 Patronen, sieben Maschinengewehre, 1500 Flinten und eine Menge Revolver . Soziales. Landarbeiter, die für die Landwirtschaft invalide find, werde» ver» pflichtet sich im Industriegebiet nach Arbeit umzusehen. Diesen Grundsatz, der eine weitere Dehnung der gesetzlichen Bestimmungen zuungunsten der Arbeiterschaft bedeutet, hat kürzlich das Reichsversicherungsamt aufgestellt. Nach dem Gesetz gilt als invalide, wer nicht mehr imstande ist, ein Drittel dessen zu erwerben. was gesunde Personen derselben Art mit ähnlicher Ausbildung in derselben Gegend zu verdienen pflegen. In der Be- gründung der Regierung zum alten Jnvalidengesetz heißt eS, daß der Versicherte nicht auf eine Erwerbsgelegenheit verwiesen werden kann, die sich möglicherweise an einer von dem bisherigen Be- schäftigungsorte weit entfernten Stelle bieten könnte. Außer- dem ist in der Begründung ausgesprochen worden, lag Versicherte nicht auf den Erwerb durch eine für sie völlig fremde, körperlich oder geistig ungeeignete Arbeit verwiesen werden dürfen. Für da« Gebiet der Unfallversicherung hat sogar das Reichsversicherungsamt im Jahre 1880 entschieden, daß bei Beurteilung des Grades der ErwerbSbeschränklheit latpdjpirt« ichaftlicher Arbeiter auch auf deren Seßhaftigkeit, wodurch die Konkurrenzfähigkeit auf dem allgemeine« Arbeitsmarkt beeinträchtigt werde. Rücksicht zu nehmen sei. Aus diesem Grunde müssen bei Landarbeitern auch die örtlichen Verhältnisse berücksichtigt werden. Soeben veröffentlichen dieAmtlichen Nachrichten" jedoch eine Ent- scheidung deS Reichsversicherungsamts für da« Gebiet der Invaliden- Versicherung, welche diesen Grundsatz über den Haufen wirft und einen strikten Gegensatz zu den von dem Gesetzgeber gewollten Grundsätzen bildet. ES handelt sich,in dem vorliegenden Falle um die Entziehung einer Invalidenrente. Der Sachverhalt ist folgender: Ein jetzt 31 Jahre alter'Mann war Ackerknecht von Beruf gewesen und hatte wegen einer chronischen Entzündung deS rechten Kniegelenks mehrere Jahre Invalidenrente bezogen. Im vergangenen Jahre wurde ihm die Rente von der Versicherungsanstalt entzogen. Das Schiedsgericht für Arbeiterversicherung verurteilte dieselbe jedoch zur Weiterzahlung der Rente. Es stützte sich dabei ans das Gut- achten eines ArzteS, in dem eS heißt:Der Kläger sei in seiner früheren Beschäftigung Ackerknecht und in keiner sitzenden Arbeit ausgebildet. Wenn nun auch das Gesetz keine Berufsinvalidität gelten lasse, sondern eine solche auf dem allgemeinen ArbeitSmarkle verlange, so könne man doch nur eine Betätigung in einem solchen Arbeitszweige verlangen, der dem Arbeiter nach seinen Kenntnisstn und Fähigkeiten zu ergreifen möglich sei. Und da sei denn doch die Auswahl für einen als Ackerkneckt tätig gewesenen Mann nur sehr beschränkt. Aus diesen Gründen sei der Kläger nach wie vor auf dem allgemeinen ArbeitSmarkt als invalide im gesetzlichen Sinne anzusehen." Das Reichsversicherungsamt h o b jedoch die Ent« scheidung des Schiedsgerichts auf. In der Begründung heißt es: «Nach dem Gutachten deS Dr. I. ist der Kläger für fähig zu erachten, alle Arbeiten im Sitzen zu leisten. Damit aber muß e»r erst 31 Jahre alter, nur in der Gebrauchsfähigkeit des rechten Beines wesentlich beschränkter, sonst aber gesunder und rüstiger Mann die gesetzliche Mindestverdienstgrenze erreichen können. Der Umstand. daß der Kläger nur Ackerknccht geweseit ist und eine Tätigkeit nicht gelernt hat, wie sie zahlreiche Arbeiter ausschließlich in sitzender Stellung ausüben, bildet kein Hindernis für diese Annahme. Wäre der Kläger ein berussmäßiger Lohnarbeiter dieser Art gewesen. so würde er voraussichtlich in dieser Erwerbssähigkeit überhaupt nicht beschränkt sein. ES gibt aber auch für einen ungelernten Ar- beiter auf dem allgemeinen Arbeitsmarkte teils rein mechanische, teils leicht zu erlernende Beschästigungen, die in sitzender Stellung ausgeübt werden können und dem Kläger fein Lohndrittel sichern würden, wenn sich der Kläger in der Auswahl nur nicht auf die Landwirtschaft und auf die engere Heimat beschränkt. Den Ver« sicherten muß aber im ösfentlichnr und im eigenen Interesse zu­gemutet werden, daß sie sich nicht nur an ihren, Wohnsitz und in dessen nächster Umgebung, sondern in einem weiteren Kreise um Arbeit abmühen. Im Industriegebiet aber würde er man ni g fach e Gelege nheitzu leichler Arbeit imSitzen finden; insbesondere kommt hier nach den örtlichen Verhältnissen die Z i g ar r en i n d u st r i e in Betracht." Wundern braucht man sich über vorstehende Entscheidung nicht. Ist doch z, B. auch eine Frau nicht für invalide erklärt worden, welche an beiden Beinen gelähmt war, sich aber noch mit Hilfe der Hände fortbewegen und stricken konnte. Es ist sicher, daß die Lande«- Versicherungsanstalten die neue Entscheidung als Anlaß benutzen, sich gerade die Akten der invaliden Landarbeiter genauer anzusehen, um diejenigen Rentenempfänger, die noch sitzen können, in die Industrie abzuschieben. Wo all die Arbeit für die Zigarrenarbciter berkommcn soll, darüber zerbricht man sich nicht den Kopf. Die Regierung und die Mchrheitsparteien deS Reichstags find sogar skrupellos genug, durch fortgesetzte Besteuerung des Tabaks in gewissen Abständen tansende und abertausende arme verkrüppelte Tabakarbeiter brotlos zu machen. Die furchtbare Arbeitslosigkeit, welche die Besteuerung des Tabaks im Jahre 1908 für die Tabakarbeiter zur Folge hatte, ist noch in aller Erinnerung. Die Zahl der bewilligten Invalidenrenten ist von 152 882 im tahre 1803 allmählich gesunken bis auf 114 SSI im Jahre 1810. >abei wuchs das Vermögen der Versicherungsanstalten im Jahre 1810 allein um über 83 Millionen Mark. Den Versicherten ist jedoch mit einrr Anfspeichening riesiger Vermögen nicht gedient.