Euer Kaiser, während unsere Generäle Parade abhalten über die Truppen, die die Bourgeoisie ausrüstet, um Mord und Zer- slörung in die Länder zu tragen, gehen wir Sozialisten geraden Wegs auf unser Ziel zu, ohne uns durch irgend ein Hindernis schrecken zu lassen, auf das Ziel der sozialen Gerechtigkeit, des Friedens und der Brüderlichkeit unter den Völkern. Im Namen des Paris der Kommune, im Namen der französischen Sektion der Jntcr» nationale der Arbeit grüße ich Euch, sächsische Genossen aus dem roten Königreich. Es lebe die deutsche Sozialdemokratie, immer mächtiger und immer siegreicher. sSlürmischer Beifall.) Nach der Uebersetzung durch den Genossen Heilmann-Chemnitz erhält das Wort Neichstagsabgeordneter Rodert Schmidt-Berlin , als Vertreter der Generalkommission der Gewerkschaften Deutsch- lands. Er versichert den französischeir Kameraden, daß auch die deutschen Arbeiter eingesehen haben, daß ausschließlich die Bourgeoisie an Krieg und Eroberung interessiert sei. Er gibt einen Ueberblick über die großen Erfolge der Sozialdemokratie in Deutschland im letzten Jahre und über die neuen Anstrengungen der Gegner der Arbeiterklasse, die Zuchlhausgesetzpropaganda und die herrschende Teuerung. Mit scharfen Worten geißelt er die deutsche Justiz und erinnert an das Bild der Madonna mit dem Kinde von Bochum , das Bild der Bergarbeitcrfraucn, die.man mit dem Säugling an der Brust ins Gefängnis geworfen habe, weil sie in berechtigtem Zorn über Verrat und Slreikbruch ein rasches Wort hingeworfen hatten. Er fordert von den Arbeitern die Anstrengung aller Kräfte, um zu verhindern, daß die Gcwerkschafts- und GcnossenschaflS- bewegung durch neue Ausnahmegesetze geschädigt werde und die Verwirklichung deS Sozialismus zu erreichen. Mit �ciner kurzen Ansprache des Vorsitzenden König- Chcmnitz-Siid und einem begeistert aufgenommenen Hoch auf die internationale völkerbefrcicude Sozialdemokratie erreicht die Demonstrationsversainmlung ihr Ende. (Schluß gegen 1 Uhr mittag.) *• * Die Gröffnung cles Parteitages. Tic Borvcrsammlung. In dem Vorort Altcndorf erhebt sich das gewaltige Ge- bände der Sporthalle. Hier wird der Chemnitzer Parteitag feierlich eröffnet. Das erinnert an den Nürnberger Partei- tag, der in der imposanten städtischen Festhalle im Lunpold- heim im äußersten Süden der alten Reichsstadt seinen Anfang genommen hatte. Und auch in der sächsischen Weberstadt drängen sich die Massen in ungeheurem Ansturm gegen die Sporthalle, die zwar ItXK) Menschen saßt, aber natürlich lange nicht all den vielen, die Eingang finden wollen, Zutritt ge- währen kann. Tie riesige Halle ist geschmackvoll ausgeschmückt. An den Wänden und an der Decke Fahnen und Embleme. Der Haupt- cingang ist in den Farben der Stadt Chemnitz , blau und gelb, gehalten, und ei» großes leuchtendes Bild zeigt das Empor- steigen der Morgensonne. Tie Halle wird beherrscht von der 4 Meier hohen Rednertribüne, die ein Baldachin überdeckt. Tie Brüstung der Rednerestrade ist auf dunkelgrünem Grunde rot drapiert. Rote und weiße Farben geben dem Ganzen eine würdige Umrahmung. Neben der Rednertribüne grüßt das Chemnitzer Parteibanner:„Proletarier aller Länder, ver- einigt Euch!" Gegenüber steht in mächtiger Fraktur die alte Parole der Unterdrückten: Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit! Kernige Sprüche zieren die Wände. Im Saal sind die Gewerkschaftsbanner verteilt und die Sinn- bilder der Handwerke. Die Halle, deren einfache, aber imposante Konturen durch Glühlampenketten markiert in die Nacht hinausleuchten, macht bei Eröffnung des Parteitages einen wundervollen Ein- druck. Dicht gedrängt, aber trotzdem in wohlgeordneten Reihen sitzen über 7(XK1 Parteigenossen und Genossinnen in dem Riesenraum, in dem nur die vorgeschriebenen nicht allzu breiten Gänge zwischen den Tischreihen und an den Wänden rings herum freibleiben. Plötzlich entsteht in der gewaltigen Masse eine rasch wachsende Bewegung. Alles erhebt sich, aller Augen richten sich nach dem einen Eingang, durch den der greise Führer der Partei. Genosse Bebel, den Saal betritt. Tosender Beifall und begeistert wiederholte Hochrufe be- grüßen ihn. Aber auch die Vertreter der ausländischen Bruderparteien, die zum Teil den deutschen Parteigenossen gut bekannt sind, werden herzlich begrüßt. Es sind die Genossen S k a r e t- und S e i tz- Wien für die österreichische Gesamtpartei. B u ch i n g e r- und W e l t n e r- Budapest für Ungarn , De Brouckdre- und Vandersmissen- Brüssel für Belgien , Schweden hat den Genossen B r a n t i n g entsandt, Großbritanien unseren Queich, aus Frankreich sind der Pariser Gemeinderat Marcel C a ch i n und der Kammerdeputierte R o u a n e t- von der russischen Emigra- tion unser alter Genosse A x e l r od- Zürich erschienen, auch Genosse T r o tz k y ist gekommen. Die deutsche Sozialdemo- kratie Böhmens wird durch den Abg. H i l l e b r a n d- Karls- bad und den Landesparteisekretär C e r m a k- Teplitz und die Wiener Parteiorganisation durch den Genossen Pirk - ebner vertreten. Die junge zentralistische tschechische sozial- demokratische Arbeiterpartei hat den alten Bergarbeiterab- geordneten C i n g r und den Genossen Viktor S4 e i n- Wien delegiert. Zu dem Parteitag sind über 500 Delegierte erschienen. Der Parteivorstand ist vollzählig, die Reichstags- fraktion zum größten Teil anwesend. Männergesang eröffnet weihevoll die diesjährige Tagung der deutschen Arbeiterpartei. 000 Sänger haben auf einer Tribüne, die die ganze eine Schmalseite ausfüllt, Aufstellung genommen und meisterhaft bringen sie drei preisgekrönte Chöre zum Vortrag. Tann besteigt der Vorsitzende der Parteiorganisation des Wahlkreises Chemnitz , Genosse Müller, die Rednertribüne, um nach traditioneller Uebung die Delegierten des Proletariats des ganzen Reiches will- kommen zu heißen und eine Skizze der Parteientwickelung in Chemnitz und dem Erzgebirge zu geben. Genosse Müller: Mir ist der ehrenvolle Auftrag geworden, die Sendboten des deutschen Proletariats in Chemnitz willkommen zu heißen. Spät kamen die Vertreter der Arbeiterklasse nach Chemnitz , doch sie kamen, und die Freude der Arbeiter ist um so größer. Als wir Sie in Jena einluden, zu uns zu kommen, waren wir der optimistischen Auffassung. Sie in dem größten Chemnitzer Lokal begrüßen zu können. Aber wir hatten die EntwickelungS- fähigkeit eines Teiles des Bürgertums überschätzt, der Kauf. männische Verein, dem das Lokal gehört, lehnte die Aufnahme des Arbeiterparlamentes ab. Der Wunsch der Leute, die die Saal- gbtreibung inszenieren, um uns zu schädigen, ist wie immer nicht in Erfüllung gegangen, die Herrschaften haben sich ins eigene Fleisch geschnitten. Wir sind überzeugt, daß Sie sich auch in den nunmehr gemieteten Räumen, die hell und groß sind, wohl fühlen werden. Chemnitz , die Stadt der Arbeit nennt man sie. ist eine Stadt de» Proletariats, in der über 120 000 Menschen im Dienste des Kapitals stehen. Wenn je ein Parteitagsort darauf Anspruch machen konnte, historischer Boden für die Arbeiterbewegung zu sein, dann Chemnitz nicht in letzter Linie. Hier hat sich ein gewalti- ges Stück Arbeitergeschichte abgespielt. Im März 1848 forderten Rat und Stadtverordnete in einer Adresse an den König in ziemlich kräftigem Tone Preßfreiheit und eine wahre Volksvertretung. Der heutige Rat und die aus einem jämmerlichen Wahlrecht hervorgegangene Stadtverordnetenvcrsamm- lung würden sich zu einer solchen Entschiedenheit nicht entschließen. Die sind aus anderem Holze geschnitzt. Wenn z. B. die.Volks- stimme" sich in Entrüstung dagegen wendet, daß der Bürgermeister in der Stadtvcrordnetensitzung gegen die Sozialdemokratie und auf Grund des bekannten ReichSverbandsmatcrials Angriffe richtet. dann läuft der Rat der Stadt zum Kadi und verHilst einem Bürger der Stadt zu 4 Monaten Gefängnis, Chemnitz und seine Umgebung haben der Sozialdemokratie zu der ersten parlamentarischen Vertretung verholfen. Von dieser Zeit nahm die Arbeiterbewegung im Chemnitzer Kreise einen glän- zenden Aufschwung. Anfang 1870 legte Försterling, der 1807 in den Norddeutschen Reichstag gewählt worden war, das Mandat nieder. Tie Einheit der Chemnitzer Arbeiterbewegung war geschaf- fen und mit Recht konnte Theodor Dort 1871 sagen, daß es in Chmnitz weder Eisenacher noch Lassalleaner gäbe, sondern nur Sozialdemokraten.(Beifall.) Im Juli 1870 kam die erste Sächsische Landeskonferenz der Eisenacher Partei in Chemnitz zusammen, in der u. a, eine geharnischte Resolution gegen den Krieg gefaßt wurde. Auch nach dem siegreichen Verlauf des Krieges gaben die Chemnitzer Arbeiter einen trefflichen Beweis ihrer prinzipiellen Aufklärung über den Imperialismus. Das nahm die Bourgeoisie als willkommenen Anlaß, eine chauvinistische Verhetzung hcrvorzu- rufen, doch dieser Versuch schlug fehl. Eine große Versammlung beschloß eine Vertrauenskundgcbung für die sozialdemokratischen Vertreter und erteilte ihnen die Ermächtigung, im Namen der Chemnitzer Arbeiter zu sprechen, da diese durch die Mandatsniedcr- legung Försterlings ohne Vertretung waren. Zu Beginn des Jahres 1871 schufen sich die Chemnitzer Ar- beiter in der„Freien Presse" ein Organ, das mit den größten Schwierigkeiten zu kämpfen hatte. Mit der Hilfe des Rcchtsan- walts Otto Freytag in Leipzig gelang es, das Blatt über Wasser �u halten und eine kleine Druckerei zu errichten, so daß die„Freie Presse" zum Aerger der Spießer weiter erscheinen konnte. Tic Reaktionäre gaben natürlich den Kampf nicht auf, in dem sie Polizei und Justiz unterstützten. An Anklagen fehlte es nicht und an Strafen sejbstvcrstäudlich auch nicht. Nach ungefähr einem halben Jahre konnten die ersten Redakteure, Becker und L Y s e r, schon über 8 Monate Gefängnis quittieren. Am S. Juli 1871 war die Redaktion ganz verwaist. Im selben Jahre kam Johann M o st zu uns, dessen agitatorische Kraft den Chemnitzer Arbeitern unvergeßlich blieb. Aufs engi'lc waren die Geschicke der Chemnitzer Arbeiterbewegung bis zum"Sozialistengesetz mit Most verknüpft. Im Jahre 1872 übernahm Julius Vahltcich die Leitung der„Freien Presse", die sich unter seiner Leitung so gut ent- wickelic, daß 1877 sogar einmal ein Ucberschuß von 800 M. zu verzeichnen war. Es würde zu weit führen, wollte ich alle Einzel- Helten in der Geschichte der„Freien Presse", die ein Stück der Arbeiterbewegung selbst ist, hier besprechen. Erwähnt sei nur noch, daß auch Max Kegel , der Dichter des Proletariats, 5 Jahre in der Redaktion des Blattes tätig war, noch viele andere Führer der Arbeiterbewegung haben hier gewirkt oder sind aus dem Chcm- nitzer Bezirk hervorgegangen.(Lebhafter Bcifall.l Das Ausnahmegesetz vernichtete mit einem Schlage, was sich die Chemnitzer Arbeiter unter großen Opfern geschaffen hatten, doch den Mut ließen sie deshalb nickt sinken. Sic arbeiteten un- erschrocken weiter, sie ertrugen alle Verfolgungen. Nach dem Fall des Schandgesetzes setzte die Arbeiterbewegung in Chemnitz wieder kräftig ein, bald wurde der Funken, der unter der Asche glimmte, zur hellen Loh«. Das 1887 verlorene Reichs- tagSmandat wurde glänzend wiedergeholt und dauernder Besitzstand der Partei.(Bravo I) Die schon in den Jahren des Ausnahme- gesetzcs eroberten LandtagSwahlkreis« wurden selbstverständlich bc- hauptet, bis die in Sachsen eingeführte preußische Treiklassenschmach die sozialdemokratischen Vertreter aus der sächsischen Landstube entfernte. Was Polizei, Gerichte, Verwaltungsbehörden auch unter- nahmen, sie vermochten die Chemnitzer Arbeiterschaft auf ihrem Siegeszuge nicht aufzuhalten. Zu welchen Leistungen die Polizei sich verstieg, mögen Sic daran erkennen, daß 1895 der Vorsitzende des Mctallarbeitervcrcins aufgelöst wurde.(Heiterkeit.) Das gleiche Schicksal widerfuhr dem Vertrauensmann der Partei. Ebenso ging es noch anderen Parteigenossen, die Auflösung ist ihnen gut bc- kommen, sie sind meist heute noch unter uns und leisten treue Dienste im Kampfe gegen unsere Gegner. Je mehr die politische und gewerkschaftliche Bewegung der Ar- beiter schikaniert wurde, um so mehr wuchs sie heran. Heute be- sitzt die Chemnitzer Arbeiterschaft ein Zeitungsunternehmen in einem stolzen Druckereigebäude, 00 000 Abonnenten mustert die „Volksstimme", der Wahlvcrein hat 14 000 Mitglieder, die Gewerk- schaften zählen 40 000 Mitglieder. Eine starke Genossenschaft ist vorhanden, ein eigenes Heim ist im..Volkshause" geschaffen. lBravo- rufe.) Das alles sind Beweise hierfür, daß die Chemnitzer Ar- beiterschaft auf dem Posten ist und zu kämpfen weiß. Ueber den 7 Reickistagswahlkreisen und 12 Landtagswahlkreisen des Chemnitzer Bezirks flattert daS rote Banner, und in den Gemeinden arbeiten viele Sozialdemokraten. Wenn auch in das Chemnitzer Stadt- Parlament durch das elende Berufswahlrecht nur wenige Arbeiter- Vertreter hineinkommen können: ihr Einfluß macht sich trotzdem geltend, und dem Ansturm der Arbeiter wird auch das Stadthaus nicht lange niehr widerstefteii können. Mit Stolz kann die Chem- nitzer und erzgcbirgische Arbeiterschaft auf das Erreichte blicken. (Zustimmung.) Die Reaktion ist eifrig an der Arbeit, das arbeitende Volk soll nach ihren Wünschen rechtlos gemacht werden. A t t e n- täte gegen das Koalitionsrecht werden geschmiedet. während das Volk von schwerer Teuerung heimgesucht wird. Daß der Chemnitzer Parteitag die für den Kampf nötigen Waffen schärfen und neue hinzufügen möge, das ist der innigste Wunsch der Cheninitzer und der erzgebirgischen Arbeiter. Glückauf zur Arbeit. Genossen und Genossinnen, ich heiße Sie nochmals im Namen der Parteigenossen des 10. Kreises willkommen.(Lang- anhaltender Beifall.) Es ergreift nun das Wort der Vorsitzende des Parteivorstandes Haast: Parteigenossen? Genosse Bebel, der schon seit mehreren Tagen hier in Chemnitz weilt, während dieser Zeit mit bcwundcrs- werter Frische und Arbeitskraft eine anstrengende Tätigkeit im Dienste der Partei entwickelt hat, und auch an den Verhandlungen des Parteitages teilnehmen wird, ist zu seinem eigenen Bedauern nicht in der Lage, heute hier die Eröffnungsrede zu halten. Wir mußten unS überzeugen, daß diese Kraftleistung ihm nicht zuzu- muten war und so haben wir unS, wenn auch schweren Herzens, darin gefügt, ihn heute hier nicht zu hören. Hier nicht in Chemnitz . mit dem ihn Erinnerungen aller Art verbinden, hier nicht in Chem- nitz, einer der ältesten Städte der modernen Arbeiterbewegung. Hier hat er 1806 sie sächsische Volkspartei gegründet und ein Pro- gramm entworfen, das bei Gründung der sozialdemokratischen Ar- beitcrpartei im Jahre 1800 wesentlich zur Grundlage ihres Pro- gramms gemacht wurde. Hier hat er mit leidenschaftlicher Glut die Lassalleaner bekämpft und nach Beendigung des Bruderkampses mit ihnen am 18. September �1869 eine Versammlung abgehalten, die er selbst als eine der schönsten bezeichnet, die er erlebt hat. Hier in Chemnitz hat er auch jenen denkwürdigen Prozeß� durchgemacht mit Auer, Dietz, Frohme, Ulrich u. a. Jenen denkwürdigen Prozeß, in dem die Regierung versuchte, die sozialdemokratische Partei als eine Geheimpartei auf Grund des Strafgesetzbuches zu vernichten. Haben wir vom Genossen Müller vorher gehört, wie hart, wie rigoro? die Klassenjustiz hier in Chemnitz ist, damals zeigte sie den Angeklagten ein freundliches Gesicht. Die Genossen Bebel und Auer verstanden eS, die Richter davon zu überzeugen, daß die aufgebaute Anklage eine ungeheuerliche war, und sie wurden freigesprochen. Freilich genossen sie nur einen vorüber- gehenden Triumph, denn nachdem da» Reichsgericht, an welche? sich die Staatsanwaltschaft gewandt hatte, dieses Urieil aufgehoben und den Richtern in Freiburg , an welche die Sache zur Verhandlung überwiesen wurde, den Weg gezeigt hatte, wie das Strafgesetzbuch auch gegen die Partei angewendet wevdcn könne, erfolgte dort die harte Verurteilung. Parteigenossen! Wie hat sich seit dem Jahre 1866 Chemnitz verändert, wie hat sich seit 1869 die Parteibewegung hier entwickelt. Freilich ist das für uns eine Erscheinung, die wir ohne weiteres erwartet haben, wenn auch die Aeltcren sich nicht eine Vorstellung davon machen konnten, in welchem Umfange, in welcher Art im einzelnen die VonvärtSbcwcgung sich vollziehen würde, denn die Industrie erzeugt das klassenbewußte Proletariat und mit ihrem Wachstum vermehrt sich die Sozialdemokratie. Seit 1890 ist das Chemnitzer ReichslagSmandat ununterbrochen im Besitz der Partei und wir wissen, nichts kann mehr dieses Mandat den Chemnitzer Sozialdemokraten entreißen. Im ganzen Königreich Sachsen sind die Fortschritte der Partei glänzende. Haben wir es doch ,n diesem Jahre erlebt, daß in sämtlichen 23 sächsischen Wahlkreisen eine größere Stimmcnzahl für uns aufgebracht wurde, als selbst im Jahre 1903. Und das. obwohl die bürgerlichen Gegner überall mit einer Energie den W<>l,lkaii>pf führten, wie man daS früher nicht gekannt bat. Haben sich doch vielfach bis 90 Proz. aller Wahlbe- rechtigten an dem Kampfe beteiligt. Parteigenossen! Bis auf drei WahUrcisc hat die Sozialdemokratie sämtliche Wahlkreise erobert, und wenn noch nicht die letzten Burgen des Kapitalismus gefallen sind, so lag das wahrlich nicht an fehlendem Kümpfcifer und fehlen- der Entschlossenheit unserer Freunde, sondern lediglich an der sozialen Struktur dieser Kreise. Aber wir zweifeln nicht daran, daß einmal, unterstützt durch die wirtschaftliche Entwickelung, aber dann auch unter den wuchtigen Hieben der immer stärker ausgc- bauten Organisationen, schließlich auch diese Kreise der Sozial- dcmokratie anheimfallen werden.(Beifall.) Die Entwickelung des Kavitaliimus führt uns immer neue Scharen zu, und die herrschen- den Klassen regieren, als ob sie mit Blindheit geschlagen wären. so daß immer mehr und mehr uns Fernstehenden die Augen ge- öffnet werden für die Schäden, die die herrschende Gesellschafts- ordnung in sich birgt und für ibre Tendenz zur immer größer werdenden Verelendung der Massen. Nur der Zusammenschluß aller derjenigen, die unter diesem furchtbaren System leiden, macht es möglich, daß durch diesen Kapitalismus die Kultur nicht voll- ständig vernichtet wird. Weil die Regierungen uns so wirksant unterstützen und namentlich in den letzten Jahren alles getan haben, was dazu führen mußte, das Volk mit Erbitterung zu erfüllen, so war zu er- warten, daß bei der Rcichstagswahl in diesem Jahre unser Hafer blühen würde. Parteigenossen! Sic wissen, daß die Früchte, die wir gesammelt haben, wohl größer und prächtiger ausgefallen sind, als die meisten von uns erwartet haben. Ueber vier Millionen Stimmen sind für uns abgegeben worden. Der Anteil unserer Stimmen ba: sich, soweit die Wabllwrcchtigten in Frage kommen, von 24 auf 29 Proz. vermehrt. Von den abgegebenen Stimmen baben wir diesmal 34 Proz. auf uns vereinigt. Wir baben eine Stimmensteigerung erlebt von der einen Wahl zur anderen, wie noch niemals, um fast eine Million Stimmen.(Lebhafter Beifall.) 110 Abgeordnete sind in das Rcichsparlament eingezogen. Mancher unserer alten erprobten Führer hat uns erzählt, daß sie in der Jugend, als sie selbst mitten im Feuer standen, als der erste Sozialdemokrat in den Reichstag einzog, als sich ein paar andere dazu gesellten, daß sie da gar nicht die Vorstellung hätten haben können, daß einmal dort im Reichstage soviel rote vatcrlandSIose Gesellen sitzen könnten.(Große Heiterkeit und Beifall.! Die sozialdemokratische Fraktion hat sich immer weiter ausgebreitet, die Menge der bürgerlichen Linken ist immer mehr und mehr nach rechts, auch äußerlich und räumlich, hingedrängt worden. So har sich im Reichstag ein Bild entwickelt, daß gerade den Alten, die früher ganz vereinsamt dort waren, im ersten Augenblick als etwas kaum Faßbares erschien. ES hat gar manchen bei uns im Deutschen Reiche gegeben, in unseren Reihen, der infolge dieses glänzenden Sieges erwartete, daß, wenn euch nicht die Burgen des Kapitalis- mus sofort unter dem wuchtigen Anprall dieser 110 wackeren Männer niedergeschlagen würden, so daß doch wenigstens Gesetze geschaffen würden, die eine wesentliche Erleichterung von den Lasten oder doch eine wesentliche Milderung der Leiden mit sich bringen würden. Richtig ist daS eine, und kann nicht bestritten werden, daß die Machtposition der Sozialdemokratie sich so erheblich verstärkt hat, daß die Partei mehr als vorher in der Lage ist, verbrecherische Anschläge gegen die Arbeiterklasse abzuwehren. Aber. Genössen, wir stellen eine Minderheit, und zwar eine immerhin noch recht beträchtliche Minderheit dar. und das erste große Gesetz, das die Regierung dem Reichstage vorlegte, bedeutete nicht eine Erlcichte- rung für das Volk, sondern eine ungeheure Belastung. Flotten- und'Hccresvcrinchrung war die Parole, unter der der neue Reichs- tag versammelt wurde. 40 000 Soldaten wurden mehr eingestellt, über 650 Millionen Mark dem Moloch Militarismus und MariniS- mus geopfert und alle bürgerlichen Parteien traten auf die Seite der Regierung und bewilligten die Lasten, so daß die Sozial- dcmokratie allein stand. Und wir müssen uns sagen, daß damit noch nickt daS Ende erreicht ist. Einem großen Teil der Bürgerlichen , den industriellen Scharfmachern insbesondere, war diese Flotten- und Militärvorlage viel zu gering, und die Militärs, die ihr Wesen treiben im Flottcnverei» und im Wehrverein, haben sich lebhaft darüber beklagt, daß die Regierung so bescheiden ge- wescn ist, daß die Sicherheit des Deutschen Reiches nicht genügend gewährleistet sei, sie haben in Aussicht gestellt, daß bald neue Forderungen kommen würden, und, Parteigenossen, das ist sicher, wie daß auf den Morgen der Abend folgt. Die Lasten, die durch diese Wirtschaft auf die breiten Massen gewälzt sind, sind schier unerträglich, das Volk muß schließlich darunter zusammen- brechen und wenn die Steuerschraube auch noch fester angesetzt wird, schließlich gibt es nichts mehr, was man aus dem Volke herauspressen kann. Die Bürgerlichen sehen sich deshalb genötigt. trotz ihrer Abneigung gegen die Steuern, obwohl sie es bisher immer verstanden haben, Heeres- und Flotienvorlagen zu be- willigen, aber die Zahlung den anderen, dem dummen Michel zu überlassen(sehr gut! und Heiterkeit), jetzt doch ernstlich an die Bewilligung einer B e s i tz st e u e r heranzugeben. Wie die Bc- sitzftener aussieht, daS können wir nach dem Charakter der bürger- lichen Parteien heute schon vermuten, man wird alles tun. um auch bei dieser Gelegenheit noch aus den weniger bemittelten Schichten so viel wie möglich herauszuholen und die reicheren Schultern zu schonen. Wohin führt das? DaS kann nur dahin führen, daß die Erregung gegen dieses Regiment in immer größere Kreise dringt und daß, weil die Sozialdemokratie die einzige Partei ist, die den Forderungen der Regierung Widerstand ent- gegensctzt, sie auch von denen, die ihr heute noch fernstehen, ange- sehen wird als die Partei, um deren Fahne sie sich scharen muffen. (Sehr gut!) Zu all den Lasten kommt hinzu die Teuerung der Lebensmittel. Die Regierung hat seit Jahren versucht, dem Volke elnzure.cn, cz sei die Teuerung nur eine vorübergehende Erscheinrulg. Nun, Genossen, ich glaube, sie wird nicht den Mut haben, auch, letzt noch mit dieser Ausrede zu kommen. Die Teuerung nr eine tnter- nationale Erscheinung geworden, freilich bei uns im Deutichen Reich verschärft durch die Zollpolitik, durch da? Sckiutzzollstickem, das als ein volksfeindliches System über unsere Reihen hinaus immer weitere und weitere Kreise der Bevölkerung erkennen müssen. Der Notstand ist so groß, wie das kann auch die Regierung nickt mehr ableugnen. Aber was tut sie trotz aller Anregungen, die ihr gegeben werden. Nichts. In kühler Ruhe verharrt sie, ja ihre Kundgebungen klingen wie ein blutiger Hohn auf das darbende und hungernde Volk.(Sehr richtig!) Parteigenossen! Obwohl von allen Seiten gefordert wird, in erster Linie von uns, von uns sogar in einer Eingabe an den Reichs- kanzler, daß endlich der Reichstag zusammengerufen werde, um das Fleischbeschaugesetz m denjenigen Bestimmungen abzuändern, welch« im wesentlichen die Einfuhr von Fleisch. namentlich von Gefrierfleisch au? Argentinien und Australien hindern, erklärt die Regierung, dazu liege kein Anlaß vor. Sie
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