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Zr.W. 89. Iahrgauz. 2. KtilM des Jotmärla" gttliiitt Allisdlall ZoNtag, 29. 5kj>ft!»btl 1912. Hus Iräduftnc und Handel» Eine sozialistische Kutschergeuossenschaft in Madrid  . Einer der interessanten Berichte, die der unermüdliche Reisende Vauder�delde imPsuple" zu veröffentlicheir pflegt, beschäftigt sich mit Spanien  , dessen Parteitag V. diesmal beiwohnt. Er weist daraus hin, daß jedes Glied der Internationale sich auf irgend einem Gebiete von den übrigen auszeichne. In Spanien   ist es die Beschaffung von V o l ks h ä u s e r n, in der die noch ziemlich schwache Bewegung der anderer Länder vorangeht. In Madrid  besitzt der Gewerlschaftsverband, der bei der industriellen Rück- ständigkeit des Landes sich in der Hauptsache auf die Bau- und die Transportarbeiter stützt, ein schönes Haus, in dem neben dem Eisen- bahnerverband mit seinen 70 lXX) Mitgliedern(unter 148 OVO Ge- werkschaflern des Landes überhaupt) u. a. die Sektionen der Bau- arbeiter(0000 in Madrid   allein) und der Kutscher ihre Räume haben. Der Kutscherverein zählt über 4000 Mitglieder, d. h. bis auf 150 alle Berufsgenossen. Seine Eigenart besteht in der neben seinen gewerkschafilichen Aufgaben gepflegten genossenschaftlichen Aktion, deren Ziel kein geringeres ist als die Uebernahme des ge- samten Kutschereibetriebes auf Rechnung der Organisation. Seit IVa Jahren betreibt er auf Halbpart mit den bisherigen Eigentümern das wichtigste Wagen- und Auto- Unternehmens Madrids, dein 380 Wagen, 4lö Pferde und 19 Auto- mobile gehören. Das Gesellschaftskapital ist ll'/z Millionen Frank, wovon schon 400 000 abgezahlt sind. Beschäftigt werden 310 Ar- beiter, wovon 200 Kutscher. Zur Kundschaft gehören die ersten Hotels, die Kammern, Diplomaren usw. Die Arbeiter haben einen Mindestlohn von 4 Peseta(knapp 8,10 M.), während die Kutscher durch Trinkgelder auf etwa 9 Peseta kommen. Der ganze Reinertrag wird zur Abzahlung verwandt. Entsprechend der Kapitalsabtragung vermindert sich der Anteil der alten Eigentümer an der Leitung des Unternehmens. Anfangs begünstigte die Regierung die Genossenschaft, in der sie ein Mittel zur Angliederung von Arbeitern an die bestehende Ordnung sah. Welche Vorkehrungen getroffen sind, um eine mög- liche kapitalistische Entartung der Genossenschaft zu verhindern, sagt Vandervelde   leider nicht. Doch hören wir, dasi bisher wenigstens die engste Verbindung mit der Arbeiterbewegung besteht, wie die Regierung voriges Jahr erfuhr, als die Transportarbeiter zur Unter- ftiitzung der streikenden Bergarbeiter von Bilbao   einen Sympathie- streik in ganz Spanien   inszenierten. Wie ein Mann folgten die Kutscher dem Aufruf. Als Caualejas und seine Ministerkollegen wie gewöhnlich zum Parlament fahren wollten, versagten die Kutscher den Dienst, so baff sie sich mit Militärautomobilen beHelsen mußten. Der Streik dauerte nur einen Tag, da die Bergleute erfolgreich waren und die Arbeit wieder ausnahmen. Soziales. Wer hat die Kosten für die Angcstelltenverflcherung zu tragen? Von einem auf dem sozialpolitischen Gebiete gut unterrichteten Arzt geht uns folgende Zuschrift zu:. Wer das Zustandekommen des obigen Gesetzes verfolgte, mußte sich, da von einem Reichszuschuh Abstand genommen wurde, von vornherein sagen, daß die Konsumenten allein die Leidtragen- den sein werden. Und siehe da: in denVerbandsblättern", der Zeitschrift des Verbandes der Handlungsgehilfen zu Leipzig  , heißt es in einem Artikel der letzten Nummer am Schlüsse: Der Verband Deutscher Handlungsgehilfen zu Leipzig  richtet daher wie bisher, so auch in diesem Jahre an die Arbeit- geber unter Hinweis aus die bestehende Teuerung den Aufruf, den Angestellten die Ueberwindung der Schwierigkeiten durch Ge- Währung von Gehaltszulagen zu erleichtern. Die Einführung der Angestelltcnversicherung dürfe nicht Anlaß zur Hinausschie- bung notwendiger Zulagen geben, denn die Zahlung des Arbeit- gebcranteils zur Versicherung sei eine soziale Pflicht, die nicht auf die Angestellten abgewälzt werden dürfe, zumal die Leistun- gen der Versicherung indirekt wieder der gesamten Volkswirt- schaft durch Hebung der Konsumfähigkeit zugute kommen. Nach einem Jahre werde jeder Arbeitgeber sich auf die neuen Verhält- nisse eingerichtet haben und die verhältnismäßig kleine Erhöhung seines Spesenkontos bei der Preiskalkulation mit berücksichtigen." Ja, wenn es bei der Preiskalkulation unter Berücksichtigung einer kleinen Erhöhung des Spesenkontos seitens des Arbeitgebers bliebe, iräre es noch nicht so schlimm. Aber der Arbeitgeber will auch die Zinsen und den Verlust dessen, was er sonst aus dem Gelde in seinem Geschäfte herausschlagen könnte, aus dem Danaer- geschenk herausholen; und der Preisaufschlag der Waren wird dem- nach ein viel größerer werden. Nehmen wir an, ein großes Waren- haus stänse unter der Führung eineshumanen Arbeitgebers" nach dem Wunsche der Deutschen   Handlungsgehilfen zu Leipzig  . Dieser gäbe die Absicht kund, für seine 400 Angestellten den auf sie fallen- ten Anteil an die Angestelltenversicherung mitzubezahlen. Die Angestellten sollen ein durchschnittliches Einkommen von 1500 M. beziehen. Dann würde derhumane Geschäftsinhaber" 43 000 M. an die Anstalt zu bezahlen haben. Ich wette aber 1000 gegen 1, daß dergütige Mann" mirrdestenS das Doppelte als Spesen be- rechnen und auf die Waren schlagen wird. Ist der Mann nicht gütig" ich muß sagen-für die Selbständigkeit und Achtung des Angestellten ist es besser, wenn der Prinzipal nur seinen Anteil und der Angestellte den('einigen bezahlt so wird eine Preis- steigerung der Waren auch eintreten, und die Konsumenten werden in jedem Falle die Kosten der Angestelltenversicherung zu tragen haben. Und wenn in dem herangezogenen Artikel von der Hebung der Konsumsähigkeit gefaselt wird, so sollten doch die Angestellten .daran denken, daß sie, während sie auf der einen Seite scheinbar seiwaS bekommen, auf der anderen Seite die Preissteigerung der Waren trotz ihrer dafür hingegebenen Arbeitskraft mittragen müssen. Dir ethische Seite dieses Gesetzes erinnert mich ganz daran, als vor den Wahlen zum Zolltarif-Neichstag der ostelbische Junker seinen Wählern die Jnlandszölle damit schmackhaft machte, daß er als humaner Agrarier(!), sobald der Zolltarif zustande käme, für den Roggen und Weizen usw. mehr bekäme und dann auch seinen Arbeitern einen höheren Tagelohn(?) geben könne. Der in Ergebenheit sterbende Knecht und Jnstwohner ließ es denn auch nicht an dem nötigen Bravo fehlen und wählteblau". Als aber der Johann und der Michel, nachdem ihnen das Deputat an Roggen und Weizen ausgegangen war, um einige Scheffel dieser wertvollen und durch ihre eigene Arbeitskraft crivorbenen Lebens- nlittelstoffe die Junker angingen, da erhielten sie die schöne Ant- wort: Das könnt ihr haben, aber ihr müßt jetzt für den Roggen und den Weizen den Preis bezahlen, um den er durch den Zoll- tarif, den ihr ja haben wolltet, gestiegen ist. Der Johann und der Michel machten ein estvaS dummes Gesicht, aber ich glaube, sie sind seit der Zeit etwas nachdenklicher geworden. Daß in den Reihen der Angestellten der Johann und der Michel noch nicht aus- gestorben, beweist am besten, baß die meisten noch nicht wissen. wo sie hingehören. Organisationen, die sich ansSBitten �t?cr- legen, find keine Znterefscnvertretungeii.«Kämpf und erkämpf Dir Deinen eigenen Wert", das ist das Motto der kaufmännischen Verbände, die der Gencralkommission der freien Gewerkschaften Deutschlands   angeschlossen sind. Dahin gehört der Angestellte und die Angestellte, wenn sie mit der Zeit ihre Arbeitskraft richtig bewerten, wenn sie aus dem unvollkommenen Angestelltenvcr- sicherungsgesetz im Laufe der Jahre eine wirklich soziale Ein- richtung geschaffen haben wollen." SerLdrts- Leitung. Entschädigung durch Geschworene. Der seltene Fall, daß von den Geschworenen für einen frei- gesprochenen Angeklagten eine Geldsammlung veranstaltet wird, er- eignete sich in einer Verhandlung, die am Freitag vom frühen Morgen bis in die späten Nachtstunden hinein unter Vorsitz des Landgerichtsrats Baumgarten das Schwurgericht des Land- gerichts II beschäftigt hatte. Angeklagt wegen wissentlichen Mein- eids war die Verkäuferin Eva Mateja. Die Angeklagte wurde be- schuldigt, in einem Zivilprozeß fälschlich beschworen zu haben, daß sie mit einem Gärtuereibesitzer Scharwitzke in keinerlei Beziehungen stehe. In der an Zwischenfällen reichen Beweisaufnahme stellte es sich heraus, daß die Hauptbelastungszeugin, eine Frau I., in einer nicht einwandfreien Weise aus das Zeugnis anderer Zeugen eingewirkt hatte. Die Folge war, daß die Geschworenen sämtliche Schuldfragen verneinten und die Angeklagte freigesprochen werden mußte. Da die Angeklagte durch ihre Verhaftung aus ihrer Stel- lung herausgerissen worden war und nun völlig mittellos dastand, veranstalteten die Geschworenen auf eine Anregung des Obmanns, Kommerzienrat Bamberg  , eine Sammlung, die einen Ertrag von über 100 M. hatte._ Verstoß des Fiskus gegen die guten Sitte». Aus Essen   wird uns geschrieben: Eine interessante Schadenersatzklage des Deutschen   Transport- arbeitcrverbandeS gegen den preußischen FiskuS beschäftigte am Freitag die 3. Zivilkammer des Landgerichts Essen. Kläger   war der Gewerkschaftsbeamte Wilhelm Kimmritz, Be- klagter der Fiskus, vertreten durch den Oberstaatsanwalt in Hamm  und die Königliche Regierung in Düsseldorf  . Der Klage liegt zu- gründe eine Schadenersatzforderung, die der frühere Eisenbahn- arbeiter Jakob Dimpel aus Essen geltend gemacht hat, weil er wegen seiner Zugehörigkeit zum Deutschen   Transportarbeitervcr- bände von der Königlichen Eisenhahndirektion in Essen   entlassen worden war. Dimpel bemißt seinen Schaden auf etwa 70 M. und hat diesen Betrage an Kimmritz, einen Beamten des Verbandes, abgetreten. Der Verband hat dem Dimpel eine Gcmatzregelten- Unterstützung im Betrage von 01 M. gezahlt. Beide Beträge klagt Kimmritz ein. Die Klage ist darauf gestützt, daß die Eisenbahn- direktion rechtswidrig durch unerlaubte Mittel und in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise Kenntnis von der Mitglied- schaft des Dimpel bei dem Verbände erlangt habe. In dieser Be- ziehung macht der Kläger   folgendes geltend. Die Essener Polizei sollte auf Ersuchen der Staatsanwaltschaft in Duisburg   eine Haus- suchung in den Räumen der EssenerArbeiterzeitung" vornehmen, um den Drucker einer Postkarte strafbaren Inhalts zu ermitteln. Auf Ersuchen der mit der Durchsuchung beauftragten Polizei- bcamten wurde letztere auf die Räume des im gleichen Hause unter- gebrachten Bureaus der Geschäftsstelle des Transportardciterver- bandes ausgedehnt, angeblich weil die Möglichkeit vorliege, daß die Karte aus der Geschäftsstelle stamme. Die Beamte» haben nun nach Behauptung des Klägers die beschlagnahmten 40 Aktenstücke drei Tage lang im Polizeipräsidium zurückbehalten, und bei dieser Gelegenheit Abschrift von den Mitgliederlisten genommen, die dann der Königlichen Eisenbahndircktion in Essen   übermittelt worden sei. Entweder habe der Polizeipräsident selbst oder einer seiner unmittelbaren Untergebenen die Anweisung zu der Abschrift ge- geben. Der Kläger   folgert nun, daß ohne diese Abschrift und Uebermittelung an die Eisenbahnverwaltung der Arbeiter Dimpel nicht entlassen worden wäre, weil ja dann der Fiskus nicht er- fahren haben würde, daß Dimpel dem Verbände angehöre. Der Fiskus hafte aus Grund des Beamtenhaftpflichtgesetzes und, da die Bcamten als Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft und als Untergebene des Polizeipräsidenten gehandelt hätten, müsse sich die Klage gegen den Oberstaatsanwalt in Hamm   und die König  - liche Regierung in Düsseldorf   richten. Der FiskuS behauptete demgegenüber, daß der Eiscnbahndirek- tion eine Abschrift der Mitgliederliste nicht übersandt worden sei. Der Entschädigungsanspruch sei aber auch unbegründet, weil Dim- pel genau gewußt habe, daß er wegmv seiner Zugehörigkeit zu dem Verbände entlassen tverden würde, falls die Eisenbahnverwaltung davon Kenntnis erhalte. Die Verwaltung stehe auf dem Stand- punkte, daß der Verband der sozialdemokratischen Partei nahestehe, und es sei bekannt, daß die Staatseisenbahnverwaltung niemanden anstelle, der Anhänger der sozialdemokratischen Partei sei. Die Königliche Regierung hob noch hervor, es müsse auffallen, daß der Kläger   nicht auf Grund des Arbeitsvertrages des Dimpel mit der Eisenbahnverwaltung wegen ungerechtfertigter Entlassung auf Schadenersatz klage. Die Eisenbahndircktion habe nur von ihrem vertragsmäßigen Rechte Gebrauch gemacht. Im übrigen bestritten der Oberstaatsanwalt und auch die Regierung, daß das Land- gericht Essen zuständig sei, weil weder der Oberstaatsanwalt noch die Regierung ihren Sitz innerhalb des Landgerichtsbezirks habe. Dagegen behauptete der Kläger  , daß Essen als Ort der unerlaub- ten Handlung als Gerichtsstand zu gelten habe. Die Verhandlung wurde vertagt, da die Parteien weitere Schriftsätze einreichen wollen, lieber den Ausgang der Klage wer- den wir berichten. Ob das Gericht in Essen   zuständig ist, ist eine rein formalpro- zessuale Frage, die die Oeffentlichkeit nicht interessiert. Anders liegt es mit der materiellrechtlichen Frage. Unbedingt hat der Fiskus gegen das Recht und die guten Sitten verstoßen, wenn er sich auf dem vom Kläger behaupteten Wege Kenntnis von der Mit- gliedschaft verschaffte. Er verstieß aber, auch wenn das nicht der Fall war, gegen die guten Sitten. Die Vertragsbestimmung der Eisenbahndirektion, ihr Angestellter dürfe nicht Mitglied der So- zialdemokratie sein, ist eine dem Gesetz ins Gesicht schlagende Ver- letzung derguten Sitten". Die Gleichheit vor dem Gesetz aner- kennt die von den Bcamten beschworene Verfassung und es ist bei Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuches   in der Kommission und im Plenum von der Regierung und von allen Parteien anerkannt, baß Verträge, welche die Koalitionsfreiheit oder die Gewissens- freiheit beeinträchtigen, einen Verstoß gegen die guten Sitten im Sinne des Z 138 B, G. B. darstellen. Danach sind Abreden nichtig, die die Verpflichtung auferlegen, bestimmten politischen oder ge- werkschaftlichen Vereinigungen nicht anzugehören oder aus ihnen auszutreten._ Das Gaschwitzcr Eisenbahnunglück. Aus Leipzig   wird uns telegraphiert: Die dritte Strafkammer des Landgerichts pemUilte feen Lolomptivführcr Mvrguer gu» Reichenbach-Boglland, der am Abend des 19. Juni das Eisenbahn- Unglück bei Gaschwitz verursachte, wobei drei Personen getötet und 28 zum Teil schlver verletzt wurden, wegen, Gefährdung eines Eisen- bahntransportcs, verbunden mit fahrlässiger Tötung und Körper- Verletzung zu einem Jahr und drei Monaten Gefängnis. In der Verhandlung wurde festgestellt, daß die Signaleinrichtungen aus dem Bahnhof Gaschwitz vollkonunen in Ordnung waren und Morgncr das Haltesignal fahrlässig überfahren hatte. War dieFahrlässigkeit" die Folge einer UebervnstrengUW? Schutz von Wahlmogeleicn. Mit der Frage, ob die Wahlurne, bevor sie geöffnet wird, um- zuschütteln ist und wer dies gegebenen Falles zu besorgen hat, be- schäftigte sich am Freitag das Reichsgericht in der Strafsache wider den Maurer Hermann Werner in Thommendorf(Kreis Bunzlau  ), der vom Landgericht Liegnitz   am 20. April d. I. wegen unbefugter Amtsanmaßung und öffentlicher Beleidigung zu 100 M. Geldstrafe verurteilt ist. Am Tage der letzten Reichstagswahlen war der An- geklagte für unsere Partei als Wahlkontrolleur im Wahllokal tätig. Als abends um 7 Uhr der Gemeindevorsteher F. als Wahl- Vorsteher den Wahlakt für geschlossen erklärte und sich anschickte, die Wahlurne zu öftnen, bat der Angeklagte ums Wort und sagte:Ich bitte den Herrn Wahlvorsteher die Urne zu schütteln." Als F. dem nicht nachkam, sprgng der Angeklagte vor, ergriff die Urne, schüttelte sie um und stellte sie dann wieder hin mit den Worten:Es ist schon geschehen." Da dieser Vorgang unter den Anwesenden ein großes Gelächter auslöste, fühlte sich F. beleidigt und stellte gegen den Angeklagten Strafantrag, der die bereits erwähnte Vcrurtei- lung wegen Vergehens gegen§ 132(Anmaßung eines Amts) und § 187 Str.-G.-B. zur Folge hatte. Gegen das Urteil hatte der An- geklagte Revision eingelegt. In der Begründung führte sein Ver- leidiger u. a. aus: Das Wahlreglemcnt vom 28. April 1903 schreibt nicht vor, daß eine Wahlurne vor ihrer Entleerung zu schütteln sei; es ist also das Schütteln keine Amtshandlung und deshalb hätte der Angeklagte nicht wegen unbefugter Amtsanmaßung verurteilt werden dürfen. Der Begriff der Oeffentlichkeit und der Beleidi- gung sei verkannt. Der Angeklagte habe geglaubt, im Interesse der Sache das Schütteln vornehmen zu dürfen, ja vielleicht sogar zu müssen. Demgegenüber führte der Reichsanwalt u. a. aus: Wenn auch durch Gesetz das Schütteln der Wahlurne nicht borge- schrieben ist, so mutz doch berücksichtigt werden, daß der Wahlvor- steher und die Mitglieder Beamte im Sinne des Gesetzes sind, deren Pflicht es ist, darüber zu wachen, daß das Wahlgeschäft ord­nungsgemäß vor sich geht; hierzu gehört namentlich die Sicherung des Wahlgeheimnisses. Wenn nun in Verfolg dieser Geheim- Haltung es dem Wahlkommissar angezeigt erscheint, die Zettel durchzuschütteln denn, wenn die Zettel so übereinanderliegen bleiben, wie sie in die Urne geworfen werden, ließe sich leicht fest- stellen, wen die letzten Wähler gewählt haben. so würde dieses Schütteln der Urne zu einer Amtshandlung werden und nur dem Wahlvorsteher oder einem Wahlmitglied zustehen. Das sei auch dem Angeklagten bewußt gewesen. Er sei sich auch des beleidigenden Charakters seiner Handlungsweise bewußt gewesen. Auf Grund dieser Ausführungen beantragte der Reichsanwalt, die Revision als unbegründet zu verwerfen. Das Reichsgericht erkannte diesem Antrag gemäß(4 E). 599/12). Es ist richtig, daß zur Pflicht der Wahlvorsteher die Sicherung des Wahlgeheimnisses gehört. Warum klagt denn aber die Staats- anwaltschaft nicht die Wahlvorsteher an, die trotz Anwendung von Mogelurnen Zigarrenkisten u. dgl. das Schütteln unterlassen und geht gegen die vor. die glauben, der Vorschrift des Wahl- geheimnisses Achtung zu verschaffen. Der Reichstag hat in der letzten Session einstimmig die Regie- rung aufgefordert, Wahlurnen zu beschaffen, die das Wahl- gehcimnis sichern Warum ist die Regierung dieser Reinlichkeits- Pflicht noch nicht nachgekommen?, Aenberung in ver Rechtsprechung des Kammergerichts. Das preußische Gesetz zum Schutze landschaftlich hervorragender Gegenden vom 2. Juni 1902 gibt den Regierungspräsidenten die Befugnis, Polizeiverordnungen zum Zwecke eines solchen Schutzes zu erlassen. Der Regierungspräsident zu Potsdam   hat nun eine derartige Polizeivcrordnung erlassen, die die bekannten Reklamen an Bahnkörpern betrifft. Sie bestimmt in ihrem 8 1: Die Anbringung solcher Reklameschilder und sonstiger Aus- schriften und Abbildungen, die das landschaftliche Bild verunzieren, ist in den Kreisen Jüterbog  -Luckenwalde  . Teltow   und Zauch-Belzig  außerhalb der geschlossenen Ortschaften auf beiden Seiten der nach- benannten Eisenbahnstrecken bis auf eine Entfernung von je drei- hundert Metern, vom äußeren Rande des Bahnkörpers ab gerechnet, verboten: a> auf der Strecke Berlin Halle von. der nördlichen Grenze der Gemarkung Großbeeren   bis zur Westgrenze der Ge« markung Nieder-Görsdors; b) auf der Strecke Jüterbog-Treuen- brictzen bis zum Beginne der Gemarkungsgrenze Treuenbrietzen  ." Nach§ 2 sind bereits bestehende Anlagen der in 8 l genannten Art bis zum 16. Mai 1911 zu beseitigen. Ter 8 3 bedroht Zuwider­handelnde mit Strafe. m Wiegen Uebertretuna der Verordnung waren Binge und Ge­nossen, verschiedene Besitzer von Grundstücken bei Groftbeeren, an- geklagt worden, weil sie trotz Aussorderuna deS Amtsvorstehers große Reklamen nicht entfernt hatten, die mit ihrer Genehmigung auf den Grundstücken längs der Bahnlinie Berlin   Halle von dem Reklame- Unternehmer Funk ausgestellt worden waren. Herr Funk hatte sich bei den Angeklagten das Recht durch Vertrag gesichert. Die Schilder, die innerhalb einer Entfernung von 200 Metern von: der Bahn an- gebracht waren und Reklamen für eine Zigarettcnfirma enthielten, waren 0 Meter breit und 2 Meter hoch und wurden von 0 Meter hohen Pfählen getragen. Das Landgericht verurteilte die Angeklagten. Es erachtete die Polizeiverordnung für gültig und berief sich u. a. auf eine Eni- scheidung des Kammergerichts vom 2. März 1911, die eine gleich- artige Verordnung betraf und u. a. aussprach, daß nach dem Erlaß einer solchen Verordnung durch einen Regierungspräsidenten der Richter nicht nachzuprüfen habe, ob es sich jeweilig um eineland- schaftlich hervorragende Gegend" handele. Das Kaminergericht hat dieser Tage auf die Revision der An- geklagten das Urteil des Landgerichts in der Sache Binge und Gen. aufgehoben und die Sache mit folgender Begründung an die Vor- instanz zurückverwiesen: Nach nochmaliger Prüfung des Gesetzes vom 2. Juni 1902 sei der Senat zu dem Ergebnis gekommen, daß er dem Urteil desselben Senats vom März 1911 nicht in jeder Beziehung beitreten könne. Der Senat sei jetzt im Gegensatz zu der früheren Entscheidung der Ansicht, daß die Frage, ob eine landschaftlich hervorragende Gegend vorliege oder nicht, doch der Prüfung des Nichters unterliege. Das genannte Gesetz ermächtige die Regierungspräsidenten zum Erlaß von Polizeiverordnungen nur bezüglich landschaftlich hervorragender Gegenden. Der Richter habe nun zu prüfen, ob eine Polizeiv�rord- nung dem Gesetz entspreche oder nicht. Dazu sei aber anch ersorder- lich, daß er prüfe, ob die in der Perordnung behandelte Gegend eine landschaftlich hervorragende sei. Sei sie keine, dann sei die Ber- Ordnung ungültig. Da die Strafkammer jene Frage nicht nach- geprüft habe hinsichtlich der angewandten Verordnung, so müsse die Sache an die Strafkammer zurückgehen. Im übrigen aber sei das Kammergericht der Meinung, daß eine solche Verordnung nicht schon deshalb ungültig wäre, weil sie nicht angebe, was als Ver- unzierung im Sinne ihrer Bestimmungen gelten solle. Es sei falsch, wenn die Angeklagten geltend machten, daß das im einzelnen angegeben werden müsse. Auch wenn eine auf Grund dcS Gesetzes  erlassene Verordnung nur ausspreche, wgS dös Äesetz sage, sei sie