»,« l. Kniaze Ks.Amiirts" Kerlim WksdlÄ.».«»>««»«- Der Protest der H»«ger »den! Im Zentrum der Satten. Der Hunger darf nicht an das Schloß und an seine satte Umgebung heran! Das war die glorreiche Parole, die für den Sonntag Herr v. Jagow ausgegeben hatte. Unser in seiner Art unersetzlicher Polizeipräsident ist der reaktionäre Burcaukrat par excellence. Er muß wohl in seinen Akten gelesen haben, daß mal irgendwo und irgendwann die„Volks- seele kochte". So dekretierte er: Alle Mann aufs Pflaster und bewaffnet bis an die Zähne! Was am Sonntag an Polizcimannschaften auf die Beine gebracht war, übertraf alles bisher bei ähnlichen Gelegenheiten Beobachtete. Schon fünf politische Hungerversammlungcn hatte alle Polizeinerven in Aufruhr gebracht. Herr v. Jagow vollführte einen seiner Genie- streiche: er demonstrierte mit der ganzen Polizei gegen den Hunger! Nichts konnte besser die Bethmann Hollwegsche Aus- powerungspolitik illustrieren als dieses riesige Polizeiaufgebot. Kamen sonst die Polizeibeamten gemütlich zu zweien und dreien angeländert, so zogen sie am Sonntag in größeren Ab- teilungen zu ihren hinterhältigen und unterirdischen Stelldich- eins. Von allen Seiten rückten um 11 Uhr ganze Schtvadronen auf ihren starkknochigen für Berliner Hühneraugen dressierten Polizeigäulen heran. Sämtliche Schutzleute waren mit Brow- nings, die Berittenen außerdem mit übergehängten gefüllten Patronentaschen ausgerüstet. Eine halbe Stunde lang startte das Zentrum von Bläulingen. Dann war plötzlich die Straße wieder einigermaßen polizeirein. Sämtliche Vorstadtwachen und Vorstadtstraßcn waren entblößt von„Sicherheitsbeamten". Agrarisch ist Trumpf und geht vor. Jeder Straßenbahnwagen brachte ganze Scharen von Uniformierten nach dem Stadtinnern. Die Bürgerlichen reckten die Hälse, hatten kaum eine Ahnung, was los ist. Allein im Schloß sollen mehr als dreihundert Beamte gelegen haben; in dem Neubau der Niederdeutschen Kredit- dank an der Börse waren 60 Mann eiuquartiert. In den Tattersall am Brandenburger Tor ging zuletzt kein Polizei- pserdcschwanz mehr hinein, und auf dem Vorhof standen ganze Kompagnien aufmarschiett. Man witterte Wohl den„Feind" im Anzug auf den Tiergarten. Stundenlang passierte nichts, rein gar nichts. Die blauen Herrschaften standen sich gelang- weilt die Beine in deit Bauch. Die Ablösung der Wache brachte bei dem prachtvollen Herbstwetter eine größere Menschenmenge als sonst mit. Gleich wurde die Polizei nervös. Lieb Vater- land kannst ruhig sein... Jagow, steck den Degen ein! Um 2 Uhr sind die Linden fast menschenleer. Aus dem Schloßportal zieht die abgelöste Wache heimwärts nach der Kaserne in der Alexanderstraße. Berittene Polizei voraus, Berittene hinterdrein, nebenbei Dutzende von Schutzleuten zu Fuß. Die Polizei als Schirmerin des Militärs... es ist zum Schreien! Wo der seltsame Zug vorüberkommt, ohne jede Zivil beglcitung, lacht man auS vollem Halse. Man lacht über die Furcht der Staatsgewalt vor dem— Hunger. Natür- lich sind alle Kreuz- und Querstraßen bis weit in die ersten Vorstädte hinein dicht mit Helmen besetzt. Es ist immer ein Schauspiel für Götter, wie die Bcaniten ge- spannt in die Straßenferne äugen und die Fahrradordonnanzen hin- und hersausen. Und wenn erst geflüstert ist, daß die Versammlungssäle sich leeren, kommandieren die leitenden Polizeimoltkes alle fünf Minuten: Raus auS de Verstecke... rin in de Verstecke l So haben sie vom Mühlendamm bis zur Friedrichsbrücke fünf Stunden lang weiter nichts zu tun ge- habt, als— sich auslachen zu lassen. Etwas anders sah es zwischen Monbijouplatz, Oranien- burgcr Tor und Weidendammer Brücke aus. Von der König - stadtbranerei aus hatten sich lose Züge durch Elsasser und Rosenthaler Straße geschoben. Am Oranienburger Tor stand die erste breite Sperrkette. Hochrufe auf die inter - nationale Sozialdemokratie wechselten ab mit dröhnenden Pfuis auf unsere volkvverdcrbliche Staatspolitik und ihre ge- fügigen Werkzeuge. Nach bekanntem Rezept wurden durch Herausgreifen verschiedene Verhaftungen vorgenommen. Um 8 Uhr hatte Herr v. Jagow, der Glorreiche, über den Hunger einen glänzenden Sieg• erfochten und sich die Anwartschaft aus einen noch glänzenderen— Piepmatz verdient. Hurra! *» * Die fünf Riesenversammlungen. Der Niesensaal der„Neuen Welt" der zsur Verfügung stand, nahm von der Maffe der Herbeieilenden mehr als BOOO Personen auf. Es waren wohl beinahe 6000 Per- sonen. die in fürchterlicher Enge diesen größten Versammlung�- saal Berlins füllten, als um zwölf Uhr die Versammlung eröffnet wurde. Bevor der erste Referent das Wort ergriff, trug ein starker Sängerchor das Lied vor:„Ich warte Dein, wenn über alle Felder der erste Hauch des Lebens wieder weht." Von den Referenten, den Rcichstagsabgeordncten Dr. OSkar Vobn und Dr. Karl Lieb- lnecht, sprach zuerst Genosse Cohn. Mit SarkaSmen, wie Peitschen. hiebe so scharf, behandelte er die Art. wie seit Jahren die Agrarier und ihre Presse den Notschrei des Volkes als einen überflüssigen Fleischnotrunrmel hingestellt haben. Dem stellt« er gegenüber die tatsächlichen Verhältnisse, die sogar dazu geführt haben, daß Hunde- fleisch zu Leckerbissen geworden ist. Wenn nun früher Bethmann Hollweg und feineSgleicksen von der Fleischteuerung als einer vor- übergehenden Erscheinung gesprochen, und von einem Festhalten „unserer bewährten Wirtschaftspolitik", der nämlich zugunsten der Agrarier, und wenn daS Organ BethmaunS, die„Norddeutsche All- gemeine", noch vor einem Monat ein Billigerwerdcn deS Fleisches prophezeite, so scheine die hohe Regierung inzwischen Zweifel an der Zuverlässigkeit ihre« Propheten bekommen zu haben. DoS zeige die Kundgebung der Regierung, die dieser Tage die Welt über- raschte. Wenigstens halbe Zugeständnisse finde man darin, und im übrigen seien cS wieder nur halbe und heuchlerische Maßnahmen, die empfohlen würden, da man es mit den agrarischen Einpeitschern nicht ganz verderben wolle. Wenn wir eS nun auch als eine Auf- gäbe der großen Städte betrachteten, für eine bessere Ernährung der Einwohner einzutreten, so müsse man sich doch dagegen ver- wahren, daß die Regierung wie es in ihrer Kundgebung geschehe, daö meiste auf die großen Städte abzuwälzen suche, soweit man überhaupt etwas zu tun für gut halte. Der Reichskanzler habe aber immer noch nicht begriffen, �worauf es ankomme. Das sei ihm gesagt worden von den 110 Sozialdemokraten, die im Reicks- tage sähen:'Einberufung des Reichstags, Beratung mit ihm. Ab- schassung des ominösen§ 12 usw. Warum habe der Reichskanzler nicht jetzt, wo die Kundgebung erschien, zugleich Order zur Ein» berufung des Reichstags gegeben? Wollte er bis zum November, bis zu dem gleich vorgesehenen Termin warten? Tie 110 sozial- demokratischen ReichStagsabgeordncten würden sich ja mit einer indirekten Antwort des Reichskanzlers auf ihre Eingabe begnügen, wenn sie in alsbaldiger Einberufung des Reichstages bestände. Daß es im gewöhnlichen Leben als ein einfaches Erfordernis der Höflichkeit angesehen werde, auf eine direkte Frage eilte direkte Antwort zu geben, davon wolle man gar nicht reden. Das. ar- beitende Volk dürfe sich nicht blenden lassen durch die Halbheit der zum größten Teil wirkungslosen Kundgebung, zu der die Regierung sich aufgerafft habe. Es müsse sich seiner Machtmittel bewußt werden und sich klar werden, daß kein Reichskanzler lang und stark genug sei, der gesammelten Kraft des Volkes auf die Dauer zu widerstehen.— Stürmischer Beifall, der während der Rede wieder- holt eingesetzt hatte, folgte diesen Ausführungen. Mit lebhafiem Bravo begrüßt, nahm dann Dr. Liebknecht das Wort. Mit beißendem Hohn überschüttete er die solange geübte Vogelstrautzpolitik der Bethmänner. Er wird stürmisch mit Bei- fallskundgebungen unterbrochen, als er stark betont, daß in der ganzen Bureaukratie keiner eine Ahnung habe von dem tah- sächlichen Ernst der Situation. Niemals werde, hob er an anderer Stelle seiner Rede hervor, die Sozialdemokratie Matznahmen zu- wider sein, die die ländliche und bäuerliche Produktion schützen und stützen sollten im Interesse der Allgemeinheit und die verbunden würden mit Maßnahmen für eine gute und billige Volksernährung. Die Widersprüche, die von uns erhoben würden, richteten sich dagegen, daß den Großagrariern, die es nicht nötig haben, Millionen in den Nimmersatten Rachen geworfen würden. Wenn wir uns heute noch eine solche, mit den Agrariern durch dick und dünn gehende Regierung gefallen lassen müßten, dann sei zum gut Teil das Volk dran mit schuld; es müsse alles tun, sich eine andere Regierung zu. verdienen. Es müsse sich noch in ganz anderer Weise anschicken, seinen eigenen Willen gegenüber der Sie- f'erung durchzusetzen. Auf die Maßnähmen zur Abhilfe in der rage der Fleischnot eingehend, stellte Redner fest, daß von Leitern der Regierung in Basel und von Leitern der schweizer Konsum- vereine ihm gegenüber es kürzlich geradezu als ein Skandal be- zeichnet worden sei, wenn man in Deutschland die schweizerischen Erfahrungen mit dem Gefrierfleisch als ungünstig hinstellen. Er sei der festen Ueberzeugung. daß die deutsche Regierung nur das Volk wieder einschläfern wolle. Wenn die Herren aber die Zeichen der Zeit sehen wollten, dann müßten sie sich sagen, auch der schiffs- taustarke Geduldsfaden deS deutschen Volkes könne einmal reißen. ES müsse anders werden, die agrarische Herrschaft müsse nieder- gerungen werden. Und vor allem sei ihr ihre Stütze in Preußen, das Dreiklassenwahlrecht, zu entreißen. Wenn die Versammelten aber jetzt heimgingen, sollten sie sich nicht zu törichten Streichen hin- reißen lassen, sondern die Ruhe und Besonnenheit bewahren, die den Herrschenden so stark in den Knochen liege. In der Nähe seien 300 Schutzleute postiert. lStürmische Entrüstungsrufe, die nicht aufhören wollen, so daß Redner sich unterbrechen mutz.) Er fährt dann fort: Wir können den Herren von der Polizei sagen, sie werden keine Arbeit bekommen, wenn sie nicht wünschen sollten, welche zu bekomme». Das Volk wird nicht unbesonnen sein. Es wird seine ganze Entrüstung und seinen ganzen Zorn gegen das herrschende Regime zusammenfassen in dem Entschluß, weiter zu arbeiten zum Wöhle des Volks, zur Vernichtung des Junkertums, zur �Bestrafung derer, die schuld seien an Not und Elend im Volke. (Donnernder, langanhaltender Beifallssturm.) Nach einem GcsangSvortrag:„Nun sind die Stürme aufgc« wacht" leerte sich langsam unter Hochrufen der Saal. Concordiasäle. Aus dem großen„Concordiasaal" mußten schon um 11 K Uhr die Tische entfernt werden, um den andrängenden Massen die Teil. nähme<m der Versammlung zu ermöglichen. Tausende mußten aber trotzdem den Schluß der Versammlung auf der Straße ab- warten. In seinem trefflichen Referat schilderte RcichstagSabgeordnetcr Büchner das Wesen der deutschen Wirtschaftspolitik als die Grund- Ursache der Verteuerung deS Lebensunterhaltes. Gesetze sind mächtig, führt« Redner aus, mächtiger aber sei die Not deS Volkes. Daß die Not groß ist, brauche nicht erst in einer öffentlichen Ver- sammlung gesagt zu werden. Das empfinden mit den Arbeitern die kleinen Beamten und Geschäftsleute. Das Volk rufe nach billigcrem Brot, eS verlange Abstellung der TcuerungSursache. Der Kanzler aber schweige, was beweift, daß Deutschland nach abso- lutistischem System regiert werde. Der Wille des Volkes werde mißachtet, wenn auf die Eingabe der sozialdemokratischen Reichs- tagsfraktion, durch welche die Einberufung des Reichstages gefordert wurde, vom Reichskanzler keine Antwort erfolgt. Die Not des Volkes wurzelt in der von den Agrariern dem Reiche aufgezwunge- wen Wirtschaftspolitik. Den Junkern zuliebe Iverden die Lebens- mittel verteuert. Dazu kommt dann der nimmerfatte Moloch Militarismus, der den Staat mehr und mehr zur Verschuldung führt. Von den Kosten für den Militarismus drücken sich aber die besitzenden Klassen, daher müsse das werktätige Volk mit direkten und indirekten Steuern durch Zölle und Abgaben überlastet werden. So wollen es die Junker, sie seien eS, die Minister stürzen können. die die Throne wackeln lassen. Caprivi mußte einstens wie jetzt Mermuth gehen, weil sie den Junkern nicht zu Gefallen die Politik bestimmten. In längeren Ausführungen behandelt dann Redner die Zoll- Politik mit ihren Liebesgaben an die Junker und der Verteuerung der Lebenshaltung für die Arbeiter, um dann zu zeigen, daß die Einfuhr von lebendem Schlachtvieh und Gefrierfleisch ohne Gefahr für die Volksgesundheit bewerkstelligt werden könne. Die Reichsregierung sträube sich gegen die Einfuhr von ge- kühltem und gefrorenem Fleisch, das man in England um sie Hälfte des Preises wie für frisches Fleisch kaufen und ohne Gefahr für die Gesundheit genießen könne. Redner verteidigt die Forde- rung auf Aufhebung des 8 IL der Fleischbeschauordnung, der Futter- und aller Lebensmittelzölle. Die Regierung gebe an, uns vor der Gefährdung unserer Gesundheit durch ausländische Einfuhr zu schützen, sie lasse aber diese angebliche Gefahr stet? außer acht, wenn es sich darum handelt, aus dem Auslände zwar krankheitsver- dächtige aber doch billige und willige Arbeitskräfte einzuschleppen. Nun endlich sei die Regierung aus ihrer Reserve dem Notschrei des Volke? gegenüber herausgetreten, sie biete einige Erlcichte- rungen an, von der Aufhebung der Futter- und Lebcnsmittelzölle und einer solchen des§ 12 der Fleischbeschanordnung sei keine Rede, ein Beweis dafür, daß die Junker zum� Schaden des Voltes geschont werden sollen. Damit dürfe sich diese? aber nicht be- gnügen. sondern eS gelte an der Forderung auf Abstellung der Grundursachen d?S Hungerzuftandes festzuhalten. Gerechte und dem Volke gedeihliche Zustände aber werde erst die Verwirklichung der sozialistischen Idee bringen. Der Sozialismus ist der Sauer« teig, der uns vorwärts treibt, ohne Sozialdemokratie keine Sozial- gesetzgebung, der Sozialismus fordert die Produktion für und durch das Volk, seine Losung sei, dem Volke die Produktion, dem Volke daS Land!(Stürmischer Beifall.) Wie schon bei seinem Eintritt in den Saal, wird Landtags- abgeordneter Adolf Hoffmann nun auch durch allgemeines Hände- klaischen begrüßt, als er zu feinen kurzigen markigen Ausführungen das Wort ergreist. Die Wurzel deS Giftbaume», Junkerübermut und Junkerfrechheit habe man im preußischen Landtag zu suchen. von dort gehen alle Bestrebungen zur Niedcrdrückung de» Volkes aus; jene» Auch-Parlament zu untergraben, an feine Stelle eine wahre Volksvertretung zu setzen, müsse als die wichtigste Aufgabe gölten. Alle reaktionären Bestrebungen gehen von Preußen ov9 und haben dort eine Stütze, Preußen sei maßgebend für Deutsch - land. Die preußischen Minister sind gleichzeitig Reichsminister, der Reichskanzler ist gleichzeitig preußischer Ministerpräsident. Als Herr von Bethmann Hollweg Kanzler wurde, habe man ihn ge- feiert als den langen Philosoph. Philosophen hätten bekanntlich die Eigenschaft, über ihre tiefgründigen Betrachtungen hinweg die Wirklichkeit zu vergessen, und wenn der Reichskanzler über die gegen den Notstand zu ergreifenden Maßnahmen ausgeträumt hat, dann wird das deutsche Volk inzwischen wahrscheinlich verhungert sein, so daß er auf den Trümmern des Reiches sitzen werde wie einstmals Hannibal auf den Trümmern von Karthago . Das Mittel, den Kanzler aus seinen Träumen zu erwecken, liege in den Händen deS Volkes. Man dürfe sich keinen zu großen Hoffnungen hingeben, daß schon mit der eventuellen Einberufung des Reichstages etwas erzielt sei, stehe der Zwang der Massen nicht hinter den Abgeordneten, so daß diese um ihr Mandat zu fürchten hätten, dann sei auch vom Reichstag nicht? zur Linderung der Not des Volkes zu erwarten. Nach einer scharf umrissenen Charakteristik der bürgerlichen Parteien, der von diesen unterstützten Wirtschaftspolitik und deren Folgen kommt Redner auf die von der Regierung in Aussicht ge- stellten Linderungsmaßnahmen zu spreck>en. Die diesbezügliche Er- klärung der Regierung sei bestimmt, das Volk einzulullen. Man dürfe sich auch nicht täuschen lassen dadurch, daß die Junker gegen die Mahnahmen bereits Sturm laufen. Was die Regierung dem Volke als Brosamen hinwirft, sei bestimmt vorher mit den Junkern abgekatert worden und daher sei deren Entrüstungssturm nichts weiter wie eine Komödie. In kräftigen Strichen schildert Redner die Verkehrtheiten der sogenannten göttlichen Welwrdnung, die die Kinder verhungern läßt, während feine Damen ihren Hunden Diners zu 300 Mark auftischen. Gegen Teuerung, Unterernährung, Hunger und Volks-mS- beutung jeder Art muß sich unser Kampf wenden. Wir müssen rechtzeitig Vorkehrungen treffen und mehr tun, wie Beifall klatschen in Volksversammlungen. Manche Leute sagen sich, wenn die Not am größten— ist die Sozialdemokratie am nächsten, sie kommen erst zu uns, wenn sie Erleichterung suchen. Die Axt, mit der wir in das Bollwerk der Reaktion Bresche schlagen, das ist die Presse, die Agitation und Organisation. Wir bedürfen auch der Frauen als Mitkämpferinnen. Im Interesse der Zukunft ihrer Kinder gehören sie in unsere Reihen. Sorgsam lockere die Mutter das Bett des Kindes, damit es gut ruhe. Du Mutter sollst aber auch daran denken, deinem Kinde das Bett der Zukunft zu bereiten! Nach einem feurigen Appell, mitzukämpfen den Befreiungs- kämpf, schließt Redner seine oft von Beifall unterbrochene AuS- führung mit dem Ruf: Nieder mit den Junkern, Arbeiter ver- langt euer Recht, verteidigt die Zukunft euerer Kinder; nieder mit den Volksbetrügern I Die Protestresolution wird einstimmig angenommen und dann die würdig verlaufene Versammlung mit einem begeisterten Hoch auf die internationale Sozialdemokratie geschlossen. Der Saal leerte sich hierauf langsam und in bester Ordnung. Für die Massenversammlung in der Brauerei Königstadt» Schönhauser Allee , genügte der große Saal schon um 11 Uhr nicht mehr, und die überströmende Fülle ergoß sich in den Garten. Gegen 12 Uhr war überhaupt nur noch der Zugang zum Garten frei. trotzdem nicht abgesperrt war. Im Saal waren die Galerie, die Treppen zur Galerie und die Bühne dicht besetzt, auch die Neben- räume waren überfüllt, und an allen Zugängen zum Saal staute sich die Menge, als der Vorsitzende Hentschel die Versammlung zur festgesetzten Zeit eröffnete und als ersten Redner den Abgeordneten des fünften Kreises, Robert Schmidt, vorstellte, der herzlich begrüßt wurde. Schmidt sprach eine volle Stunde und alle Aufmerksamkeit wurde ihm zuteil. Er kritisiert« die Zoll- und Wirtschaftspolitik der Regierung als volksfeindlich und verderblich und legte die Forderungen und Bestrebungen der Sozialdemokratie temgegen- über dar. Die Regierung dürfe nicht glauben, daß das Volk sich über die Politik der Regierung täuschen lasse durch einige völlig ungenügende Maßnahmen gegen die herrschende Not und Teuerung im Lande. Der Ruf nach der Einberufung deS Reichstages bleibe völlig unberücksichtigt, die Rechte des Volkes würden mißachtet. Darum müsse das Volk immer lauter und eindringlicher und in immer größeren Massen seine Stimme erheben, denn gegen den Willen eines Volkes kann sich eine Regierung nicht dauernd auf ihrer Höhe erhalten.— Mit donnerndem Beifall wurde die Rede aufgenommen, die mehrfach schon stürmische Zustimmung unter den Versammelten ausgelöst hatte. Als der Vorsitzende dann als zweiten Redner Philipp Scheidemann ankündigte, da reckten sich alle Hälse, denn er war persönlich nicht so bekannt wie der Vor- rcdner und jeder wollte den sehen, der als Vizepräsident des Reicks- tages in aller Leute Munde war. Im Nebcnraum deS großen SaaleS stellten sich viele auf Tische und Stühle, um ihn genauer zu betrachten. Er sprach eine kurze halbe Stunde, oftmals durch frohen Beifall unterbrochen, denn er führte eine scharfe Klinge in einer Rede und schonte junkerlichen Hochmut und junkerliche Raff- gier ebensowenig als bureaukratische Anmaßung und Ucberhebung in den Kreisen der Regierung. Seine Worte weckten einen leb» haften Widerhall in den Herzen der Hörer, die am Schluß der kurzen, kraftvollen Rede nicht säumten, ihrer Zustimmung lebhafte« Ausdruck zu geben. Unterdessen harrte draußen im Garten eine Menge, die eine weit größere Versammlung bildete als die im Saal. Man sah sich aber vergebens um nach den Arrangements für eine zweite Ver- sammlung, man war vielfach der Meinung, daß ein Redner bestellt sein müsse, der die Forderung des TageS erörtern und den Massen auch hier Gelegenheit geben würde, in bestimmten Beschlüssen ihre Meinung kund zu tun. Man wußte sich eins mit denen drinnen im Saal, die alle.Hände hoben, als der Vorsitzende über die vorgelegte Resolution abstimmen ließ. Und angenehmer war der Aufenthalt im Garten, über dem ein lachender, herbstlicher Sonnenschein aus- gebreitet lag, immerhin als drinnen im Saal, wo eine stickige Atmosphäre herrschte und mancher im Schweiße seines Angesichts der Versammlung beiwohnte. Frauen waren verhältnismäßig in ge» ringer Zahl erschienen, sie hatten ja erst am letzten Dienstag ihre großen Protestversammlungen abgehalten. Als zum Schluß die Hochrufe auf die Sozialdemokratie im Saale ausgebracht wurden, fetzten sich die Rufe auch in den Garten fort. Man hörte den Ge- sang der Marseillaise , und langsam leerten sich Saal und Garten. Es war 2 Uhr. als die letzten das Lokal verließen. Ei war noch lange nicht 11 Uhr, als wir den großen Saal des Etablissement Germaniasäle in der Chausseestraße zum ersten Male betraten; aber die Besucher zählten bereits nach Hunderten. Schon vor%11 Uhr waren die ersten erschienen, um sich einen Platz au sichern. Je weiter der Zeiger der Uhr sich der Mittagsstunde näherte, um so stärker wurde der Zustrom der Männer und Frauen, die fest entschloffen sind, nicht länger wegen der Beutegier einer Handvoll Großgrundbesitzer am Hungertuche zu nagen.— Der geräumige Saal und Vorraum tvaren bald bis auf den letzten Platz gefüllt, aber immer weitere Massen, in größeren und kleineren Trupps, teils in losen Zügen, rückten an. Auf der Straße wogte die Menge auf und ab, amii-
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