Nr. 235. 29. IahMS.1. DkilU i(ü Jonörts" ßfrlintt WKsdlck.JifMtnj, 8. AKIidtt 1912.Slirttcbaftlicijer Wochenbericht.LZalkanwirre» und Wirtschaftsleben.Mitten in oie Haussestimmung einer industriellen Hochkonjunkturhinein traf die Nachricht von den kriegerischen Verwickelungen aufdem Balkan. In der ersten Bestürzung glaubte man an aktive Be-teiligung auch der europäischen Großstaaten, zum mindesten Ruß-lands und Oesterretch-UngamS. Schon am Montag, den 30. Sep-tember, hatte die Nachricht von großen Probemobilisierungenin Russisch-Polen Beunruhigung bei der Berliner Börse verursachtund die ansteigende Tendenz der Jndustriepapiere in eineschwache Stimmung umgewandelt. Am Dienstag, den 1. Oktober,trat an allen europäischen Börsen auf die Meldung bin,daß Bulgarien, Serbien, Montenegro. Griechenland und die Türkeimobilisieren, ein starker Kurssturz ein. Zu einer völligen D eroutekam es in Berlin, Frankfurt, Wien und Petersburg. In Berlin ver-loren die einheimischen Ba»ken lns 4 Proz.. die auswärtigen bis10 Proz. Von den Schiffahrtswerten fielen die Aktien des Lloydum 9, die der Hansa um 12 und die der Hamburg-Amerika-Liniesogar um 13 Proz. Zum Teil noch schlimmer erging es den Papierenvon Jndustriegesellschaften. So sanken die Aklien der GelsenkirchenerBergwerksgesellschaft um 16 Proz., bei dem Rückgang ist allerdingshier die Mitteilung des Direktors der Gesellschaft mit zu berück-sichtigen, daß an die voraussichtliche Dividende keine über-triebenen Hoffnungen zu knüpfen seien. Am Mittwoch,den 2., hielt die weichende Tendenz der Kurse noch an.Insbesondere gaben die Anleihepapiere der Balkanstaaten stark nach.Recht schlimm gestaltete sich die Lage am Kaffaindustriemarkt. DieVoigtländische Maschinensabrik erlitt einen Kurssturz von 77 Proz.Vom 3. d. MtS. an herrschte dann bei sämtlichen europäischenBörsen eine ruhigere Auffassung. Der Frieden Italiens mit derTürkei, die Ueberzeugung, daß der Balkankrieg lokalisiert bleibenwürde, vielleicht überhaupt durch die Intervention der Großmächtezu vermeiden sei, trugen dazu bei. Erst am Sonnabend machte sichwieder eine pessimistischere Beurteilung der politischen Lage auch anden Börsenplätzen geltend.Zur Erklärung dieser Kursstürze in der vergangenen Wochemuß man gewisse börsentechnische Momente heranziehen. Daßdurch den Ausbruch eines Krieges auf dem Balkan etwa erheblichdie Gewinne der Großen Berliner Straßenbahn, die ebenfalls um3 Proz. sanken, oder unserer großen Elektrizitäts- und Stahlwerke,die um zehn und mehr Prozeut fielen, berührt wurden, ist gänzlichunwahrscheinlich.� Dennoch wurde das Börsenpublikum allein durchdie Möglichkeit eines Weltkrieges so erschreckt, daß es seinen Besitzan Werlpapieren schleunigst abstieß. An den Börsen ist seit einigerZeit der Hauptträger der Spekulation daS Privatpublikum. Dieglänzende Beschäftigung der Schwerindustrie hat zu einer vermehrtenTeilnahme nicht berufsmäßiger Spekulanten an dem Börsenspiel ge-führt. Die Nachrichten über die Mobilisation des Balkans und dienahe Aussicht eines Krieges, dessen Ausdehnung nicht bekannt warund daher um so mehr zu vagen Vermutungen Gelegenheit bot,führten zu Verkäufen auS Angst vor größeren Verlusten. Dasmachte sich besonders auf dem Kassaindustriemarkte bemerkbar, wo dieKäufe und Verkäufe am gleichen Tage in bar getätigt werden. Der Be-sitzer eines Wertpapieres übergibt dazu seinem Bankier den Auftrag,sofort die Stücke zu Geld zu machen. Aber auch im Terminhandel(Lieferung und Bezahlung des gekauften Papieres am Ultimo)spielten solche Angstverkäufe eine gewiffe Rolle, wobei das berufs-mäßige Spelulantentum a la baisso natürlich die Situation nochzu einem besonderen Druck aus die Kurse ausnutzte. Der Rückgangder Kurse veranlaßte aber auch die Banken, die auf der Basis ge-ringer Anzahlung die Spekulationsgeschäste des privaten Publikumsübernehmen, Nachschüsse zu fordern und bei Nichtbefriedigung Ver-käufe vorzunehmen. So zeigt sich in den Börsenvorgängennur der plötzliche Rückschlag auf eine Spekulation, die bereits dieGewinne einer Hochkonjunkturbeschäftigung in ausgiebigem Maßevorweggenommen hatte. Besonders verständlich ist die Ernüchterungin Petersburg und Wien, den Börsenplätzen der Länder, für dieein Krieg eine gewisse Wahrscheinlichkeit bedeutet und die durcheinen Krieg industriell außerordentlich geschädigt würden. Anbeiden Orten haben denn auch Jndustriewerte einen ganz be-deutenden Kursverlust erfahren.Einen verhältnismäßig geringen Kursverlust erfuhren die An-leihe-Renten der Balkanstaaten. Abgesehen davon, daß die Kurseder Anleihen bereits seit einiger Zeit auf Grund der Nachrichtenüber die Balkanunruhen gesunken waren, erklärt sich das daraus,daß die Einnahmen für Schuldenzinsen von vornherein ver-pfändet sind. Die Finanzwirtschaft fämtlicher Balkanstaaten stehtunter westeuropäischer Kontrolle. Ein Verlust für die Inhaber solcherkleines feuilleton.„Vorwärts" als Zeitungstitel. Ein deutsch-amerikanischer Ge-noffe schreibt uns: Unter den Titeln der Parteipresse, die im„Unter-Haltungsblatt' besprochen wurden, verdient der„Vorwärts" etwasmehr hervorgehoben zu werden. Unser Zentralorgan, das im29. Jahrgang steht, hatte bereits Vorgänger in den VereinigtenStaaten von Nordamerika. Der„Vorwärts", den die'„New DorkerVolkszeitung" als selbständiges Wochenblatt für die Leser im Landeherausgibt, verzeichnet den 35. Jahrgang. Und der„Vorwärts"von Milwaukee, Organ der Partei von Wisconsin, steht im 31. Jahr-gang. Zu diesen beiden gesellte sich vor zwei Jahren der„Vorwärtsder Pacific Küste', den die Partei in San Francisco herausgibt.Außerdem gibt es in Amerika noch einige kleinere Parteiblätter mitdem Titel„Vorwärts" in anderen Sprachen, darunter auch einenjüdischen„Vorwärts" in New Vorl.Theater.KöniglichesSchauspielhaus:..EinWaffengang",Lustspiel von Oskar Blumenthal. Das Stück ist ein Feuilletonmit Fortsetzungen in drei Akten. Em komischer Romanschriftstelleradligen Geblüts, den alle Backpiche beruckend finden müssen, bemühtsich mit Baronen und Komtessen um die Wette, das Nichts, das manzu sagen hat. mit einem Schein gezierten Geistes vorzutragen. InNamen, Toiletten und im Tone soll marklert werden, was ehrerbietigeGemüter als„mondäne Eleganz" bestaunen. Und die» Rezept, nachdem in guten alten Zeiten das„KonveriationSstuck fabriziert wurde,erwies sich im Königlichen Schauspielhause immer noch als zugkräftig.Das Publikum applaudierte mit großer Energie und rief den viel-geliebten Autor, der ehedem manch wtrlltch lustigen Lustspieleinfallhatte, vor die Rampe..»'Der Auftakt ist so übel nicht. Wie Blumenthal früher zuweilengewandt an irgend welche Akrualitäten anknüpfte so in dem„Orienteppreßzug", so in„Hans Huckebein", der den eben erst ent-deckten Kinemalograpben zuausgelasienen Postenkatastrophen nutzt—taucht hier der findige Gedanke auf, gewisse lächerliche Exzenlrrznälen,zu denen ein radikaler, mit gleichen Rechten auch das gleiche Rechtauf Dummheit fordernder Feminismus führen lönnte, perstflterenl, zuverulken. Wenn sich die Herren der Schöpfung duellieren, muh es,meint eine emanzipationsbegeisterte Komteß, auch dem welblichen Ge-schlecht freistehen, mit dem Degen in der Hand für seine Taten elnzutretcn.Eine von dem Fräulein unter männlichem Pseudonym publiziertebeleidigende Kritik seines neuesten Romans hat Blumenthals Komvdien-Romancier damit beantwortet, daß er den unbekannten Rezeilsentenvor die Klinge fordern ließ; und das rappiergeübte Fräulein brenntff??. Begier, in diesem Zweikampf ihren Mannesmut zu zeigen. Sieschickt ihm ihre Zeugen und rückt, als er sich weigert, in eigenerSchuldpapiere gehört daher zu den UnWahrscheinlichkeiten, selbst imFalle eines Krieges.Einen Einfluß übten die Nachrichten von den Balkanwirren auchauf die Produktenbörsen aus. Die ersten Meldungenriefen an den Getreidebörsen Preiserhöhungen hervor, denenaber wieder Rückgänge folgten. Gegenüber den gewaltigen ErntenRußlands. Kanadas und Argentiniens, von denen besonders dieamerikanischen in diesem Jahre besonders groß sein sollen, kommendie Balkanländer weniger in Betracht. Aber selbst dieserAnteil ist— wenigstens in diesem Jahr— nicht so sehr ge-fährdet, da die Ernten bereits eingebracht sind. Allerdings wirdder Transport mancherlei Stockungen erfahren. Die Donauwird als internationale Straße unter allen Umständen frei-gehalten werden. Auch die Dardanellen werden wohlsicher durch die Einwirkung der Großmächte von jeder längerenSperrung freigehalten bleiben. Die kleineren Wasserstraßen,die für die Getreideverschiffungen vor allem in Frage kommen,würden allerdings im Kriegsfalle unbenutzbar werden. Sind dochjetzt schon die Bahnlinien zum Teil unterbrochen, zum Teil nurunter großen Schwierigkeiten und Kosten benutzbar. Zu weiterenHemmniffen aller Art für den Verkehr würde es also noch kommen;und die Transportversicherungsgesellschaften haben schon jetzt diePrämien beträchtlich erhöht. Die Klagen über Mangel an Kahnraumwerden sich noch vermehren, die Frachten, die infolge der günstigen Kon-junktur des Schiffsverkehrs schon recht hohe sind, noch mehr steigen.Eine Gefahr für die Nahrungsmittelversorgung Westeuropas liegtaber nicht vor.Die Frage, wie weit die augenblicklich herrschende i n t e r-nationale Hochkonjunktur durch einen auf die Balkanstaaten be-schränkten Krieg beeinflußt werden würde, ist schtver zu beantworten.Zu beachten ist dabei, daß die geradezu glänzende Beschäftigungbisher die Schwerindustrie betrifft, während die weiter ver-arbeitenden Gelverbe erst in Zukunft den Höhepunkt ihrer Leistungs-fähigkeit erreichen werden, daß ferner die Hochkonjunktur in denmeisten Staaten sich erst im Anfangsstadium befindet. Wollte manuntersuchen, wie die Industrie selbst auf die Ankündigung der Balkan-wirren reagiert hat, so fände man da keine Anhaltspunkte für eineAbschwächung. In Belgien wurden die Eisenpreise wiederum erhöht?das Essener Roheisensyndikat erhöhte die Roheisenpreise ebenfalls?am nordamerikanifchen Eisenmartt wurde der Preis für Roheisenheraufgesetzt. Dazu kommen positive Aenßerungen von Stahl- undEisenindustriellen: ein eventueller Ausfall des Absatzes im Balkan-gebiete wird durch die vermehrte Nachfrage auS anderen Ländernreichlich ausgeglichen. Ein Vergleich mit dem Tripoliskriegeträfe allerdings nicht zu. Einmal hat der Handel des nord-afrikanischen Gebietes längst nicht die Bedeutung der Aus- und Ein-fuhr der Balkanstaaten. Zudem wurde jener Krieg im wesentlichenauf einem Gebiet gefühtt, das für den europäischen Verkehr nichtals wichtiges Durchfuhrland in Betracht kommt. Vor allem aber: aufdem Balkan und in der asiatischen Türkei sind Hunderte von Millioneneuropäischen Kapitals angelegt fiir industrielle Unternehmungen,Verkehrsinstitute und als Staatsanleihen. Die Banken, die jenes Geldhergaben und deren„Arbeit" jetzt durch Zerstörung der Fabriken, Bahnen,Brücken, Häfen und durch Bankerotterklärung der punrpenden Staatengefährdet ist, würden im Kriegsfall dauernde Verluste erleiden. DieIndustrie dagegen würde ihren Absatz nur vorübergehend einstellen undeinen vorübergehenden Ausfall erleiden, der gegenüber der angespanntenBeschäftigung nicht allzusehr in Frage kommt. Gelänge es, denKrieg überhaupt zu vermeiden oder ihn räumlich und zeitlich starkeinzuschränken, so wird vielmehr ein rascherer Fortschritt der modern-kapitalistischen Wirtschast im Balkangebiet die Folge fein. Diejetzigen Wirren bedeuten ja nichts anderes, als daß zwei Groß-staalen innere Zwistigkeiten aus dem Balkan ausnutzen, um diewirtsckaftlich zurückgebliebenen Länder in irgend einer Form an diefortgeschritteneren größeren Staaten anzuschließen. Die Wirkungwird in jedem Falle— auch wenn nur die Diplomatie die Kräfte-Verhältnisse zum Ausdruck bringt— eine Verstärkung der groß-kapitalistischen Tendenzen auf dem Balkan brtstgen. EuropäischesKapital wird in vermehrtem Maße zufließen, und in größerem Um-fange den Absatz europäischer Waren hervorrufen. Wird also derKrieg verhindert oder schnell beendet, so erhält die Hochkonjunkureinen neuen Anstoß. Im anderen Falle wird die Abschwächungetwas frühzeitiger eintreten, als sie bei rein wirtschaftlichen Ursachenzu erwarten Ware._Der Parteitag der fortschrittlichenDolkspartei.An die in der letzten Sonntagsnummer mitgeteilten Referateder Abgeordneten G o t h e i n und Wendorff überPerson an, um dem Elenden, der kneift, die galanten Ausflüchte ab-zuschneiden. Aber das parodistische Motiv, das eine beweglich tem-veramentvolle Schwankphantasie so ergötzlich hätte variieren können,bleibt dann für alles Weitere unfruchtbar. Die Komteß vergißtim Handumdrehen, daß sie satirisch- karikaturistische Pflickitenzil erfüllen hat, und dem Romanschriftsteller fällt nichtsBeffcres ein, als seiner Feindin auf der Jacht des Onkels den Hofzu machen. Das wird im dritten Akt in dem Pariser Heim desOheimS mit glücklichem Verlobungsausgang fortgesetzt. Ein FräuleinVernier, die abenteuerlustige frühere Geliebte des Romanschrift-stellerS, die so tut, als wolle sie den alten Herrn heiraten, um ihmdann verstäudigerweise noch vor der Ehe zu einer Scheidung zuverhelfen, schiebt sich, die klaffenden Lücken der Handlung auszu-füllen, vor. Ganz gewiß auch keine Lebensfähige Figur, doch immer-hin in ihren Plaudereien amüsanter als das aufs reine Garten-laubenschema reduzierte Duellantenfräulein.Fräulein A r n st ä d t war eine schöne und pikante Vernier,C l e w i n g als Romancier ein romanhaft eleganter, schickerKavalier. Auch der berühmte Charakterspieler Vollmer wirktemit, leider in einer Episodenrolle, die ihm keinen Ellbogenraum fürdie Entfaltung seiner ironisch feinen Komik bot. ät.Mnsik.Der Berliner Volkschor setzte seinen vorjährige»Volksliederabend am Sonnabend durch einen zweiten fort.Das Programm ging durch vier Jahrhunderte, bis herauf zu einemKunstlied von Rob. Radecke(1830—1911), das bereits Volksliedwird. Was wir schon mehrfach bei solchen Gelegenheiten betont haben,trat diesmal besonders deutlich hervor: der Gegensatz der älterenzwei Jahrhunderte gegen die neueren. Seit rund 1700 haben wirdie auch die meisten„klassischen" Werke beherrschende Art, die dieHarmonien in möglichst enger Verwandtschaft miteinander verbindetund den Rhythmus mehr oder weniger tanz- oder marschmäßig hält.Die„Liedertafelmusik" ist dann nur eine kraffe Steigerung dieserArt. Wird ihr die„Zukunftsmusik" gegenübergestellt, und wirdgegen einen wirklich oder angeblich romanischen Einflußdie„neudeutsche" Richtung ausgespielt, so erinnert uns eine solcheZusammenstellung von Volksliedern, daß die. Zukunftsmusik" aneine frühere Bergangenheitsniusik und das Neudeuische an ein Alt-deutsches anknüpft. Das Alte und daS Neue umschlingen mit ihrergemeinsamen Art das Mittlere. Ließe sich ein Konzert dreiteiligeinrichten: erstens bis zum Vater Bach, zweitens von dessen Söhnenbis zu den heutigen Nachklängen der Romantik, drittens von Lisztund Wagner und den ihnen Nahestehenden an bis zum heutigstenHeute, so würde das Gesagte wohl überraschend klar werden.Liedertafelei singt sich nicht nur leicht, sondern macht auchweniger klangschöne Stimmen wohlgefälliger. Bringt man dagegenso schwierige und so wenig leiermäßige Lieder, wie sie diesmalkamen, und arbeitet man ihren Vortrag so nuancenreich aus. wiedie Zollfragen, die Teuerung und die Stellung der FortschrittlichenBolkspartei zur Landwirtschaftschloß sich eine längere Debatte, die insofern recht interessant ist,als sich zeigte, daß die Forltschrittspartei in ihren Reihen hoch-angesehene Mitglieder hat, die im wesentlichen mit der heutigenAgrazollpolitik der Regierung einverstanden sind und nun inso-fern von den zollpolitischen Ansichten des Bundes der Landwirteabweichen, als sie weitere Zollerhöhungen nicht für! nötig halten.Vor allem vertrat der Landtagsabgeordnete Pfarrer Kor eil-Ingelheim diese Auffassung. Er sagte: Ich kann üeim bestenWillen die Frage nicht so einfach ansehen, wie sie Herr Gotheinansieht. Die Verhältnisse im Norden. Süden und Westen liegeneben verschieden. Bei uns spielt die hohe Bodenrente nicht eine sogroße Rolle wie im Norden; wir haben auch bäuerliche Betriebe,die Hervorragendes in der Viehzucht leisten und die daneben Ge»treidebau ruhig betreiben, ja betreiben müssen.(Sehr richtig!) Füruns ist also-der gemischte Betrieb das Normal«. Dahev liegt füruns die Frage der Getreidezölle nicht so einfach. Wr müssen sagen:unter keinen Umstünden Zollerhöhung, aber unter allen UmständenBeseitigung der Futtermittelzölle.(Beifall.) Da-mit bin ich nicht im entferntesten ein liberaler Agrarier.(Heiter-keit.) Ich wünsche, daß weiten Kreis«» unserer Partei die Augenuoch mehr geöffnet würden für das, was ist. Es ist kein Zufall,daß in allen Parteien der Revisionismus in derZollfrage einsetzt. Wir sehen das beim Bund der Land-wiüte und wir sehen es bei der Sozialdemokratie. In der Sozial«dcmolratie beschränkt sich das nicht nur auf Artur Schulz, sonderilrerst(n diesen Tagen hat ein anerkannter hadischer Sozialdemokratgeschrieben, daß die Grundlagen der sozialdemokratischen Zollpolitiknicht mehr wissenschaftlich seien.(Hört! hört!) Redner bringt zumSchluß folgende Resolution ein:„Der Parteitag der Fortschrittlichen Voltspartei erklärt an-gesichts der bestehenden verhängnisvollen Fleischteuerung, diewesentlich durch Zölle und Seuchen mit verursacht worden ist, daßder Not durch geeignete Maßnahmen gesteuert werden muß, ohnedaß jedoch das nach wie vor richtige Ziel der Bauernpolitik, dieVersorgung des Marktes mit deutschem Vieh durchkreuzt werdendarf."_Die Abgeordneten Fegtet und Kotitz en widersprachendieser Ansicht, während der Reichstagsabgeordnete Dr. B l u n ck»Hamburg im ganzen den Ausführungen Korells zustimmt. Ererklärt: Von einer besonderen Steigerung der Getreidepreise kannbei uns nicht gesprochen werden. Die Getreidepreise haben sich beiuns in durchaus verständigen Grenzen bewegt.(Lebhafter Wider-spruch und Ohorufe.) Dann kennen Sie die Statistik nicht. Wirfollten auch daran denken, ob es wirklich unser Ziel ist. die indu-ftrielle Entwickelung Deutschlands zu fördern und ganz Deutsch.land zu industrialisieren.(Sehr richtig!) Ohne«inen entsprechen.den Zollschutz aber ist unsere Landwirtschast nicht existenzfähig.(Lebhafter Beifall und Zischen.)Nach einigen weiteren Reden wurde ein Antrag des Ritter-gutsbesitzers Becker- Bartmannshagen angenommen, der die Ein-setzung einer Kommission fordert, welche die Wirkungen der Zoll-gesetzgebung auf die kleinen, mittleren und Großbetriebe studiert.Tarauf hält der zum Geheimrat ernannte Abg. p, Pa h ersein Rcstrvt über dieTätigkeit der fortschrittlichen Reichstagsfraktion.Er besprach eingehend die Vorgänge bei der Wahl des Reichstags-Präsidiums und schilderte in humorvoller Weise die Irrungen, diesich im Reichstag bei diefer Wahl abgespielt haben._ Er dankte denAbgeordneten Kaempf und Dove dafür, daß sie in dieser schwierigenZeit in das Präsidium eingetreten seien. Sodann präzisierte erdie Stellung der fortschrittlichen Reichstagsfraktion zur.Heer- undFlottenvorlage und zu den Besitzsteuerii. Er schloß: Mit den119 Sozialdemokraten können wir nicht einmalrechnen, noch viel weniger die Regierung. In derRechnung der Regierung werden die 110 Sozialdemokraten mitt Nnlleingesetzt, dank der Taktik der Sozialdemokratie. Zieht man vonden Rcichstagsstimmen diese 110 ab, dann gehört von den verbleiben»den Abgeordneten ein Drittel dem Zentrum. Man braucht dieserZiffer nichts hinzuzufügen, um zu verstehen, ivas die Regierungveranlaßt, sich immer ans Zentrum zu halten. So lange diesesMachiverhältnis bleibt, wird an der Politik nichts geändert werden.Auf Antrag des Chefredakteurs Ne b e l u n g- Nordhausenwurde der Reichstagsfraktion für ihre erfolgreiche Tätigkeit derDank des Parteitages ausgesprochen.Mannheim, 6. Oktober.'(Telegraphischer Betichi.)Der Parteitag der Fortschrittlichen Volkspartei setzte am heuii-gen Sonntag seine Verhandlungen fort. Zur Beratung stand derPunkt:es hier geschah, so merkt man einen Mangel an schöner Klangfülledeutlicher als sonst. Der Volkschor kann eine solche schon wegenseiner Kleinheit nicht entfalten; um so verdienstvoller sein sachlichesBemühen und um so empfehlenswerter neue Anschlüsse an ihn IDaß im übrigen alles gut klappte, und daß die Solistin PaulaWeinbaum mit ihrer. Anpassung an die verschiedensten Lied-stimmungen ihren Erfolg rechtfertigte, braucht nicht erst betont zuwerden. Der Klavierbegleiter Wilhelm Scholz spielte seinen Partso sehr diskret, daß er manchmal wenigstens für die akustisch un-günstigen vorderen Partien des Saales gar zu leise war. Undivenn wir schon einmal Lieder zu hören bekommen, deren Melodieim Tenor liegt, dann würde sichs empfehlen, die Tenorstimmendabei ganz nach vorne zu rücken. ez.Notizen.— Musikchronik. Das erste Weingartner-Konzertin Fürstenwalde am 15. Ollober bringt die Erste, Zweite und DritteSinfonie von Beethoven.— Die Ergebnisse afrikanisch'? r Expeditionenstellt der Afrikaforscher Leo FrobeniuS vom 6,-18. Oktober imAbgeordnetcnhause aus,— Ein soziologischer Kongreß in Rom. Derachte Kongreß deS internationalen Instituts für Soziologie wirddemnächst in Rom seine Tagung beginnen. Das Arbeitsprogrammstellt in den Mittelpunkt der wissenschaftlichen Diskussionen den Be-griff des Fortschritts, der von allen Seiten beleuchtet werden soll:anthropologischer Fortschritt, ökonomischer Fortschritt, politiscker,geistiger und moralischer Fortschritt bilden Gegenstand der Vorträge.Man will den Versuch machen, eine allgemeine Formel zu finden,unter der sich der Begriff des allgemeinen Fortschritts defiineren läßt.— Seen als Wärmespeich er. Man weiß seit langem,daß die Seen Wärmespeicher sind. Während des Sommers erwärmtsich das Wasser bis zu einer bestimmlen Tiefe; im Winter kühlt essich wieder ab, indem es die Wärme ganz allmählich an die Luftwieder abgibt. Der italienische Gelehite Veroelli hat nun dieWärmemenge ausgerechnet, die auf diese Weise vom Comersee auf»gespeichert worden ist. Er legte die allgemein anerkannte Tatsachezu Grunde, daß eine Temperaturerhöhung des Seewaffers um einGrad mit der Absorption einer Kalorie durch ein Kilogramm Wasserübereinstimmt. Es ergab sich, daß der See im Sommer täglich260 Milliarden Kalorien aufspelchert, was der Verbrennung von34 000 Tonnen Kohlen entspricht. Vom Ende Februar bis EndeAugust beträgt die Gesamtzahl der oufgespeicherteu Kalorien43 000 Milliarden, Der größte Teil dieser Wärme bleibt in denoberen Wasserschichten, das milde Klima an den Ufern des Sees undder Reichtum der Vegetation erklärt sich aus der Wärmeabgabe inder kälteren Jahreszeit.