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Rauplsachtich dann, daß die unterliegende Partei durch Herbei- führung von Verwickelungen den Krieg erweitern kann, und warnt vor der Vertrauensseligkeit, die meint, daß es den Großmächten gelingen werde, den Krieg zu lokalisieren. DasJournal deS Debats " meint, daß erst nach der bulgarisch -türkischen Entscheidungsschlacht die Interventionen der Mächte eintreten werden, wenn nicht schon früher infolge der militärischen Vorgänge im Sandschak. Sehr bemerkenswert ist eine Meldung des Petersburger Korrespondenten desTemps", daß polnische Finanz- kreise vertrauliche Instruktionen erhiel- ten, ihre Werte nachMoskauzu überführen, falls Komplikationen eintreten sollten. In einem Leitartikel sucht derTemps" die Regierungen der Großmächte zu verteidigen, die nie den Anspruch erhoben hätten, den Krieg zu verhindern, aber sich gratu- lieren könnten, daß ihnen die Lokalisierung gelänge. Das ist sicher eine kühne Behauptung. Wozu dann die diplomatische Aktion auf dem Balkan , wenn sie von vornherein hosfnungs- los war? TerTemps" führt da wirklich eine Komödie auf, würdig derer, denen er seine Verteidigung angedeihen läßt. Bemerkenswerter ist das Eintreten desTemps" gegen die militaristisch-finanzielle Scharfmache- r e i. Jetzt wäre nicht der Augenblick, sich der Krise zu de- dienen, um die Parlamente zur Bewilligung rückständiger Kredite zu zwingen. Die Polemik trifft einen Teil der fran- zösischen Presse, wie z. B. den»Figaro", der neue Ausgaben für Armee und Flotte fordert. Die Diplomaten. Konstantinopcl, 1l>. Oktober. Gestern sind die Botschafter bei dem französischen Botschafter zusammengekommen, um die Note vorzubereiten, die der Pforte übergeben werden soll. Sie wird wahrscheinlich denselben Inhalt haben, wie die in Sofia über« reichte. Die Vertreter der Balkan st aaten sind noch ohne Instruktion und können daher heute nicht abreisen. Die Behörden hindern die Griechen an der Abreise, indem sie von ihnen die rückständigen Steuern verlangen. Bulgarien foppt die Großmächte. Sofia , 10. Oktober. Der Regierung nahestehende Kreise sind zwar von dem diplomatischen Schritt Oesterreich-Ungarns uno RuhlaBds enttäuscht, erblicken jedoch andererseits darin de» ernsten Versuch der Großmächte zu einer friedlichen Lösung. Ministerpräsident Geschow hat Zeitungskorrespondenten gegenüber erklärt, daß der gestrige Ministerrat keine Eni- s ch e i d u n g getroffen habe. Der Meinungsaustausch mit A t h e n und Belgrad dauere noch fort. Natürlicherweise habe Monte- negro , nachdem es die Feindseligkeiten begonnen hätte, keine Stimme mehr. Jedenfalls könne die Entscheidung nicht länger verzögert werden. Trotzdem brauche man aber nicht die Hoffnung aufzugeben, daß noch im letzten Augen- blick der Friede gesichert werde. Gegenüber den Gerüchten. daß Griechenland heute die Feindseligkeiten eröffnen werde, er- klärte der Ministerpräsident Geschow, er sei sicher, daß die Kriegserklärung Griechenlands heute nicht er« folgen werde. Ein Ueberfall auf Sakasoff. Aus Sofia wird uns gemeldet: Eine große Gruppe von Studenten überfiel nachmittags den sozialdemo- kratischen Abgeordneten Sakasoff. während er auf dem Heim- weg begriffen war, und insultierte ihn tätlich. Zwei Studenten feuerten sogar aus ihren Revolvern Schüsse ab. ohne ihn jedoch zu treffen. Sakasoff flüchtete sich in das nächstgelegene Haustor und entging so der sicheren Lynchjustiz, welche die Studenten an ihm vornehmen wollten. Die Front- fenster des Hauses, wohin sich Sakasoff geflüchtet es gehört dem Gymnasialprofessor Kalow wurden durch Steine und andere Wurfgeschosse gänzlich zertrümmert. Polizei und Gendarmerie zerstreuten schließlich die Studenten. Borstoß der« Italiener bei Derna. Während in der Schweiz die Unterzeichnung de? Friedens- vertrage» zwischen Italien und der Türkei bevorsteht, suchen die italienischen Kolonnen auf afrikanischem Boden.mehr Boden zu gewinnen. Diese» Vordringen wird auch nach Friedensschluß noch mit schweren Kämpfen verbunden sein, da die Eingeborenen sich nicht an die diplomatischen Mmachungen kehren, sondern dem fremden Eroberer auch weiter mit den Waffen entgegentreten werden. Am DieStag haben die Italiener den schmalen Küstensaum. den sie bis jetzt bei Derna innehatten, durch einen Vorstoß er- wettert. DieAgenzia Stefani" meldet darüber: Nach der Landung der Truppen in Bomba wurde gestern auf Befehl de» Generals Reifoli in dem westlichen Sektor von Derna eine Vorwärtsbewegung durchgeführt, um auch auf-dieser Seite die Bcsetzungszonc zu erweitern. Eine vom General Salsa be- fehligte Kolonne brach von Derna am frühen Morgen auf. Sie marschierte zunächst westwart» acht Kilometer läng» der Küste und stieg sodann in südlicher Richtung gegen de» Uadi Bumsafer an. Eine andere Kolonne unter dem Befehl des Generals Capello marschierte gegen Marabout Sidiabdalla und nahm Stellung am linken Ufer des DernafluffeS. Der Widerstand des Feindes war zuerst leicht, aber die Terrainschwierigkeiten waren sehr erheblich. Gegen 10 Uhr vormittags wurde das Feuer des Feindes heftiger. Um 4 Uhr 30 Minuten nachmittags griff türkische Artillerie mit vier Geschützen ein. Die italienische Artillerie eröffnete aus fünf Kilometer Entfernung Feuer auf sie. Der Feind wurde auf der ganzen Linie zurückgewiesen. Die italienischen Truppen be- mächtigten sich der ganzen wichtigen Gegend von Sidiabdalla und der Stellungen südlich von Halfgiaraba und sind gegenwärtig dabei, diese Siellungen zu befestigen. Tie Verluste des Feindes sind sehr beträchtlich. Auf italienischer Seite wurden v i e r M a n n getötet und liv verwundet. Einige Feinde wurden gc- fangen genommen. » Kuklancls Doppelspiel. Geit Wochen hat Herr Sfafonow, der commis voyageur bet zarischen AuSlandspolitik, in den Hauptstädten Europas unter der Maske des Friedensapostels dem kriegerischen Vor- stoß der unter Rußlands Leitung stehenden Balkanstaaten den Boden bereitet biL im letzten Augenblick der Agent des ikarisnlus. Montenegro, als Avantgarde der verbündeten balkanstaaten gegen die Türkei losging. Es gibt kein Wort, das scharf genug Marc, dav frevel- hafte Doppelspiel der russischen Rcgrerung ,u brandmarken. Damit sei durchaus nicht gesagt, daß die Methoden der englischen, französischen, deutschen und oster- reichischen Diplomatie höher einzuschätzen seien als das vorgehen der zanschen Diplomaten in der Balkan - krise. Der Unterschied ist bloß der, daß die russische Diplomatie, ungeachtet aller gegenteiligen amtlichen Behauptungen, am Balkan andere Zwecke verfolgt als die genannten Großmächte. Diese sind bei der jetzigen Balkankrise an der Erhaltung des Statusquo interessiert: England um seinen neu erworbenen Einfluß am Goldenen Horn nicht zu verlieren; Frankreich um das Schicksat der im Orient investierten" Milliarden seiner kleinen Sparer nicht zu gefährden; Deutschland um die Zuneigung des ihm als wirtschaftliches Ausbeutungsobjekt nahestehenden Ottomanen­reiches nicht völlig einzubüßen; Oesterreich endlich weil es eifersüchtig darüber wacht, daß ihm der Weg nach Saloniki , diesem Ziel des österreichischen Imperialismus, von keiner anderen Macht verlegt werde. Rußland befindet sich hinsichtlich der Balkanfrage in einer anderen Lage. Seit jeher sah das amtliche, nationalistische Rußland seinen Ehrgeiz darin, die Hegemonie über die kleinen Balkanstaaten wiederzugewinnen und den Ausgang aus dem Schwarzen Meer zu erzwingen. Die Methoden, die es hierbei anwandte, wechselten mit der Zeit. Vor noch nicht gar langer Zeit ließ die Zarenregierung in den Balkan - staaten durch ihre Agenten Verschwörungen veranstalten. Attentate und Mordversuche gegen die Staatsmänner und Fürsten verüben, die nicht bloße Kreaturen in den Händen Rußlands sein wollten. In den letzten Jahren schlug die russische Diplomatie am Bolkam andere Wege ein. Nach dem Zusammenbruch der neoslawistischen Agitation während der Annexionskrise galt es, das Vertrauen der Balkanstaaten durch zähe Minierarbeit wiederzugewinnen. Der neu- ernannte russische Gesandte in Belgrad , Herr v. Hart- w i g, nahm die Balkanbundesidee Tscharikows auf und führte eine Militärkonvention zwischen Bulgarien , Serbien . Griechenland und Montenegro herbei. Als Agent und Be- schützer dieses Vierbundes reiste Herr Sfafonow nach dem Auslande, um das von der russischen Hetzpresse propagierte Ziel zu erreichen: Nichteinmischung der Mächte in den Kampf zwischen den Balkanstaaten und der Türkei ! Diese Losung der russischen Expansionspolitiker, die sich mit der berühmtenLokalisation" des Balkanbrandes deckt, birgt trotz ihrem anscheinend friedlichen Charakter die fch in erften kriegerischen Ge fahren in sich. Die beste Illustration dafür sind die Nachrichten über die russischen Truppenmobilisationen und über die Kriegskredite Oesterreichs . Diese Maßnahmen bringen kraß �zum Ausdruck, was bei der Zerrissenheit Europas . den Sondcrbestrebungen der beiden stärksten Mächtegruppen und dem Zusammenbruch der neuesten diplomatischen Aktion des diplomatischen Konzerts schon ohnedies klar ist daß die ersten Flintenschüsse am fernen Balkan eine Aera schwerer wirtschaftlicher Erschütterungen und polt- tischer Komplikationen auf dem europäischen Fest- lande einleiten. Anstatt dem russischen Brandstifter am Balkan zu bedeuten, daß sämtliche Mächte eine Einstellung der Hetz­arbeit tn den Balkanstaaten forderten, anstatt gemeinsam und entschlossen den beginnenden Brand zu löschen, vertrödelte die europäische Diplomatie die kostbarste Zeit, verzettelte sie ihre angebliche Friedensenergie in kleinlichen Eifersüchteleien und Sonderoktiousn. bis die Gefahren, die sie nicht zu bannen ver- mochte, über ihrem Kopfe zusammenschlugen. Auch die russische Regierung, die sich des Erfolges rühmen kann, für die von ihr aufgestachelten Balkanstaaten Zeit ge­wonnen und die Vermittelungsaktion illusorisch gemacht zu haben, befindet sich in einer ähnlichen Lage. Auch ihr sind die Ereignisse über den Kopf gewachsen und sie wird kaum imstande sein, den Gefahren zu begegnen, die sich aus ihrem frevelhaften Spiel mit dem Kriegsfeuer ergeben dürften. Es sind zwei Tendenzen, die sich namentlich in der letzten Zeit in der russischen Auslandspolitik den Rang streitig zu machen suchen. Die eine, gemäßigtere Tendenz, meist von den verantwortlichen Instanzen vertreten, geht darauf aus, die günstige Lage Rußlands zwischen Dreibund und Tripel- entente zur Erweiterung des russischen Machtbereiches in Asien , zur Konsolidierung seiner finanziellen und militärischen Kräfte, zur Stärkung seines Einflusses in der europäischen Politik auszunutzen. Dieser Strömung steht eine andere gegenüber, die auf mächtige Hof« und Militär kreise gestützt, im Interesse der Ablenkung von den inneren Angelegenheiten zu den äußeren, im Interesse der Eroberung neuer Märkte eine stärkere Expansion der russischen Auslandspolitik fordert. Das nationalistische und chauvinistische Bacchanal. das künstlich großgezogen immer mehr an Einfluß gewinnt, kommt dieser Strömung entgegen. Es ist z. B- kaum glaub­lich, was die russische Presse, die offiziös-nationalistische wie die liberale, sich hinsichtlich der Balkanfrage leistet. Nachdem die offiziöse Presse, voran dieNowoje Wremja", in den letzten Wochen systematisch zum Kriege gehetzt und eS als ein S t a a t s- verbrechen bezeichnet hat, wenn die Balkanstaaten nicht den Krieg gegen die Türkei beginnen würden, droht das Organ des GroßkapitalsGolos Moskwy", Rußland werde zum Dreibund übergehen, wenn Frankreich und England nicht energischer die russische Erpresserpolitik am Balkan mitmachen würden! Auch der russische Liberalismus, der zwischen schwächlicher Opposition und patriotischer Kuechtseligkeit hin und her taumelt, su.cht den Kontakt mit dem offiziellen ValkaukurS zu bewahren. So schreibt das Hauptorgan des russischen Liberalismus, das KadettenblattRetsch", die wichtigste Aufgabe der russischen Diplomatie bestehe darin. der Einmischung Oesterreichs in die bevorstehende» Balkan - ereignisse vorzubeugen". Die europäischen Mächte müßten eS den Balkanstaaten ruhig überlassen, ihren Zweikampf mit der Türkei auszufechten. So schreibt das Blatt, obgleich es ihm nur zu gut bekannt ist, was von derLokalisation" der Balkankämpfe zu halten ist. Ungeachtet dieser aus Perfidie und Heuchelei zusammen- gesetzten Treiberei der russischen bürgerlichen Presse, kann in- des nicht davon gesprochen werden, daß die Regierung bei weiteren Komplikationen am Balkan einen Rückhalt in den Massen finden könnte. Was die russische Arbeiter- k lasse über die Balkanpolitik des Zarismus denkt, hat die sozialdemokratische Fraktion in der Duma schon, als Jswolski während der bosnischen Krise an die Duma appellierte, in ihrem flammenden Protest zum Ausdruck gebracht. Und daß auch die Bauernschaft, diese Kerntruppe der Armee, für die Eroberungszüge des ZariSinus kein zuverlässiges Material bildet, beweist nicht nur der kläg- lichc Ausgang deS Krieges mit Japan , das beweisen auch die fortgesetzten Meutereien in der Marine und die du nrpfe Gärung in der gesamten Armee. Der künstlich erzeugte Begeisterungsschwall für dieunterdrückten slawischen Brüder" am Balkan wir-d bei den ersten politischen Komplikationen wie Rauch verschwinden, und bleiben wird nur die große Enttäuschung ber Revolutionsfurcht der un» derantwortlichen Regierung, die an dem Feuer am Balkan ihr Süppchen zu kochen suchte. polltifcbc Ücberlicbt. Berlin , den 10. Oktober 1912. Einberufung des Reichstags. DieBraunschweigische Landeszeitung" läßt sich aus Berlin melden, daß die Einberufung des Reichstags unmittel- bar bevorsteht. Zwischen dem Reichskanzler und führenden Politiken: hätten bereits Besprechungen stattgefunden. In der ersten Sitzung werde der Reichskanzler ein Exposs über die auswärtige Lage halten. Man wird ja bald hören, ob diese Nachricht sich bestätigt. Ter Papst und die christlichen Getverkschaste«. DieGermania " schreibt: .Ueber ein Schreiben des Hl. Vater« an die deutschen Bischöfe in Sachen des svgenann<en Gewerkschafts st reits geben verschiedene Mitteilungen durch die Presse, die nach unseren Ju- formationen mehr oder weniger irreführend find. W t r sind über den Inhalt diese» päpstlichen Schreibens unterrichtet, glauben aber von der Wieder- gäbe der uuö gewordenen Mitteilungen abseben zu sollen, bis daS Schreiben deS Hl. Vaters im Wortlaut vorliegt. Ohne das Schreiben zu kennen, kann man voraussagen, daß der Papst zwar nicht den christlichen Gewerkschaften die Existenz- bercchtigung absprechen, aber deren Miiglieder verpflichten wird, außer ihrer Gewerkschaft einem katholischen Verein anzugehören. Und zugleich werden die Leiter der christlichen Gewerkschasien in irgendeiner Form unter die strenge Ausficht des Klerus gestellt werden._ Die Wahlrechtsverschlechterung m Plauen . Aus Plauen wird uns über die von den Liberalen vorgenom» mene städtischeWahlrechtsreform" nachträglich noch geschrieben: Nach achtstündiger Debatte beschlossen die Stadtverordneten am Dienstag abend mit 27 gegen 15 Stimmen das Fünftlaflenwahlrecht einzufüh- r e n. Begründet wurde die Aendernng mit dem Ansturm der Sozialdemokratie, die bei den diesjährigen Wahlen vielleicht acht- zehn Sitze erobern können. Bischer war das Kollegiumsozialisten- rein". Gewählt wurde bisher nach dem Listensystem. Bon dem aus 54 Mitgliedern bestehenden Kollegium schied jedes Jahr ein Drittel aus und mußte durch Neugewählle ersetzt werden. Stach der traurigen wirtschaftlichen Lage in diesem Jahre: Wohnungselend, Teuerung usw war eS nicht unwahrscheinlich, daß unsere Genossen in beträchtlicher Zahl in das Rathaus einziehen würden. In der Bürgerschaft aber wurde die Furcht vor der Sozialdemokratie künstlich genährt. Der Stadtrat hatte 3300 Auf» fordernngen an Leute ergehen lassen, die sähig waren, das Bürger- recht zu erwerben. Dieser Aufforderung hatten zirka 2000 Folge geleistet, und nun wurde die Fabel verbreitet, diese 2000 seien fast ausschließlich sozialdemokratische Wähler. Diesen Vorwand benutzte die reaktionäre Mehrheit, um die Notwendigkeit der schleunigen WahlrechtSänderung nachzuweisen. Dabei la«, ihr zustatten, daß der neu« Oberbürgermeister Dr. Dehne, der am 1. Juli sein Amt antrat, sich als williges Werk- zeug der Scharfmacher gebrauchen ließ. In der stürmii scher» Sitzung am Dienstag erklärte ein freisinniger Stadtverordneter sogar: Es hätten vor der Wahl Dr. Dehne» zum Oberbürgemeister VerHand- tungen hinter verschlossenen Türen stattgefunden, in denen Dr. Dehne sich verpflichtet habe, im Fall seiner Wahl einen Wahl» entrechtungsentwurf ausguarbeiten. Die Arbeiterschaft erhob zwar wuchtigen Protest �egen die WahlrechtSräuber, wobei es bekanntlich zu Straßenkämpfen kam; ober das focht die reaktionäre Mehrheit des Kollegiums wenig an. Mit einek geradezu beispiellosen Vergewaltigung der freisinnigen Minderheit wurde die Vorlage des Rechts" und VerfassungSauS- schusses: unter Ablehnung aller Abänderungsanträg« durchgepeitscht und unter Geschäftsordnungsbruch nachts 1 Uhr angenommen. Ein nationalliberaler Stadtverordneter beantragt«, all« Abstimmungen geheim vorzunehmen, damit die Mitglieder nicht boykottiert werden könnten und die Mehrzahl der Stadlverordneten stimme dem Antrage zu. Der Antrag auf namentliche Abstimmung wurde glatt abgelehnt, obwohl der Vertreter der Minorität der Mehrheit zurief: Wer sich scheut, öffentlich seine Stimme abzugeben, soll sich nicht wählen lassen!" Dann wurde die Generaldiskussion durch einen Schlußantrag abgeschnitten.Die Entscheidung muh heute fallen oder die Sozial- demokratie beherrscht das Rathaus!" rief der neue Oberbürger- meister seinen Getreuen zu, und die Scharfmacher johlten ihm zu. Der freisinnige Stadtverordnete Dr. Rietzsch erklärte:Sie fürchten eine sozialdemokratische Mehrheit, mir ist eS aber noch nicht bekannt geworden, daß ein« sozialdemokratische Mehrheit mit der Minorität so schamlos umgesprungen wäre." Doch alle Anträge auf eine zweit» Lesung fielen glatt durch. Nach dem neuenRecht" wird in fünf Klassen gewählt, einge-. teilt nach der Steuerleistung. In der 1. Klasse wählen 4236 Ar- beiter und Kleingewerbetreibende mit einem Einkommen bis zn 2200 M. 0 Abgeordnete, während in der 5. Klasse 771 Wähler mit einem Einkommen von über 12 000 M. 12 Abgeordnete ernennen» Wer Hausbesitzer ist oder das Einjährig-Jreiwilligen-Zeugnis hat,» oder über 15 Jahre Bürger ist. wählt in der näch-> höheren Klasse. als zu welcher er nach seiner Steuerleistung gehört. Die Zahl den AbgcordnAen wird auf 60 erhöht. Alle zwei Jahre scheidet ecn Drittel aus. Heilige Einfalt. Eine große Freude ist derGermania " widerfahren, sie be» richtet in Nr. 228 fteudestrahlend:. ..Die sozialdemokrati sche Parteischule ver. mag trotz aller Anstrcnaungen und Agitation unter den Mirglic- dcrn der politischen und gewerkschaftlichen Organisationen sich keine besonders große Beachtung zu erringen. Die sozialdemo- Iratische Parteileitung hatte ursprünglich große Soffnungen auf diese Schule gesetzt, sieht sich aber von Jahr zu Jahr immer mehr darin getäuscht. Jetzt ist der diesjährige(sechste) Kursus cröff- net worden. Wer da aber glaubt, daß der Zugang ein ganz ge- waltiger sein würde, sieht sich schmählich getäuscht. Ganze 20 Schüler und 2 Schülerinnen haben sich zur Teilnahme an dem Kursus gemeldet." r Vielleicht merkt sich dieGermania " für die Zukunft, daß die sozialdemokratische Parteischule nicht nach dem Muster der M.-Glad- bacher Kurse arbeitet. Zu den letzteren werden Hunderte von- rern zugelassen, während die Schulerzahl unserer Parteischule von vornherein auf zirka 30 beschräntr wurde. Vorgeschlagen waren, trotzdem die Aufnahmebedingungen recht strenge sind, von den Or- ganisattonen im Reich ungefäbr 80 Parteigenossen, von denen nach den Bestimmungen der schule aber nur 31 zugelassen werden konnten._ »chncidig! Der Berliner konservative Wahlverein hat an den Minister des Innern eine Eingabe gerichtet, in der ausgeführt wird: