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Serbien , ein ausgesprochenes Agrarland mit Rinder-' und Schweinezucht, mit Weizen-, Mais- und Pslaumenbau, und von der Natur zu einem Exportland allerersten Ranges bestimmt, ist in einer ziemlich raschen wirtschasllichen Ent- Wickelung begriffen. Nach der soeben erschienenen amtlichen Statistik die Zahlen in CalwersStatistischem Jahrbuch" sind teils falsch, teils veraltet ist die Ein- und Ausfuhr von 578 Millionen Kilogramm im Jahre 1907 auf 808 Millio­nen im Jahre 1911 gestiegen, die Ausfuhr allein von 355 auf 437 Millionen. Der Wert der Ausfuhr im Jahre 1911 belies sich aus 117 Millionen Dinars, wovon wieder aus Erzeugnisse des Ackerbaues und der Viehzucht 104 Millionen entfielen. Dieses verhältnismäßig günstige Ergebnis ist aber nicht er- zielt worden, weil die günstige natürliche Beschaffenheit des Landes erzeugt wurde durch sonstige günstige Verhältnisse, sondern trotzdem die Gunst der Natur durch die Ungunst der Verhältnisse wieder korrigiert wird. Das Unglück Serbiens , wie es der Berliner Kongreß von 1878 als ein Staaten- gebilde mit schier unmöglichen Grenzen geschaffen hat, ist, daß es keinen Hafen hat, der als ein Ausfalltor seiner Pro- dukte dazu dienen würde, das Land wirtschaftlich unabhängig zu machen und es in eine rapide ökonomische, insbesondere auch industrielle Entwickelung hineinschleudern würde. Als Aussuhrstraßen kommen für Serbien in Betracht: Oesterreich- Ungarn mit dem Eisenbahnweg und der Donau stromauf- wärts, die Türkei mit der Bahn Belgrad Uesküb Saloniki und dem Hafen am Aegäischen Meer , Rumänien mit der Donau stromabwärts und dem Hafen am Schwarzen Meer . Nun ist Oesterreich-Ungarn aber, die Exportkapitalisten in Wien so gut wie die magyarischen Schweinezüchter, von jeher darauf ausgegangen, Serbien in völlige wirtschaftliche Ab- hängigkeit von sich zu bringen, die einen, um in Serbien keine Industrie aufkommen und ihren Absatzmarkt auf dem Balkan nicht verringern zu lassen, die anderen, um gleich den preußischen Junkern in all ihrer Unersättlichkeit sich ihre Preistreibereien nicht durch die Konkurrenz des Auslandes durchkreuzen zu lassen. So hat sich Serbien all die Jahre hindurch, die Faust Oesterreichs an der Gurgel, gewehrt und gewehrt, es hat von 1890 an vier Jahre lang einen Handelskrieg gegen Oesterreich geführt; es war bei der Annerionskrise im Frühjahr 1909 drauf und dran, durch einen Krieg gegen die Großmacht die schnelle Vernichtung an die Stelle der langsamen zu setzen und es hat sich dann doch wieder unter das Joch eines ungünstigen Handelsvertrages beugen müssen, der sein Getreide und sein Fleisch mit hohen, fast mit Prohibitivzöllen belegt. An sich sehen die Ziffern der serbischen Ausfuhr nach Oesterreich gar nicht so übel aus, sie stieg sogar im Wert zwischen 1910 und 1911 von 18 Millio- nen auf 48 Millionen Dinar und die Donaumonarchie zählt unter allen Erportländern Serbien an erster Stelle. Der Wert der Getreideausfuhr ist von 1909 zu 1911 dazwischen liegt der Handelsvertrag von 5 Millionen auf 11 Millionen Dinar gestiegen, des frischen Fleisches von IVz auf 3*4 Millionen. Serbien führt nämlich weit mehr frisches Fleisch aus als lebende Schweine, es besitzt von allen Staaten am meisten Kühlwaggons, mit denen das Fleisch selbst in Paris noch frisch und genießbar ankommt: aber diese 160 Kühl- wagen sind für das Wachstum der Ausfuhr und die Nachfrage noch immer zu wenig. Das wirft ein eigentümliches Licht auf das Zugeständnis Bethmann Hollwegs, der in Deutschland drohenden Hungersnot durch Einfuhr frischen Schweinefleisches aus Serbien zu begegnen, denn auch in weniger kriegerischen Zeiten wäre Serbien mit den vor- handenen Waggons nicht in der Lage, Fleisch bis Deutschland zu schaffen schon in Wien , in Brünn , in Prag strecken sich die Fäuste hungernder Proletarier danach aus und führen es ihrem Magen zu. Aber diese Ausfuhrsteigerung beweist nur. welche Ent- Wickelungsmöglichkeiten in dem Lande schlummern, nicht aber, wie vortrefflich der Handelsvertrag ist. Und nicht nur mit den Zöllen des Handelsvertrages schadet Oesterreich-Ungarn den ökonomischen Interessen Serbiens , sondern auch durch die Unlust, die Schwsinedurchfuhr in größerem Maße über Agram, Trieft nach Italien zu gestatten, und durch eine Reihe anderer wirtschaftspolitischen Maßregeln. Es sind eben un- haltbare Zustände, wenn serbischer Weizen, für Belgien be- stimmt, statt donauaufwärts zu gehen, den weiten Umweg donauabwärts durch das Schwarze und das Mittelländische Meer wählt. Zwar ist man gegenwärtig mit dem Bau der Donau-Adria-Bahn beschäftigt, die die kürzeste Verbindung zwischen Belgrad und dem türkischen Hafen San Juan dl Medua bei Skutari herstellt, aber bei dieser Bahn kommt es wieder sehr auf die Tarifpolitik an. die die Türkei Serbien gegenüber einschlagen wird. So oder fo die serbische Aus­fuhr hängt immer von der Gunst und Gnade anderer Mächte ob. Würden aber wirklich der Sandschak und Altserbien mit Einschluß der albanesischen Küste bei San Juan di Medua autonom und dann au das serbische Königreich angegliedert, dann wäre die Frage gelöst. Nicht nur könnte Serbien un- mittelbar seine Produkte billiger und besser aus eigenen als aus fremden Häfen übers Meer führen, sondern Oesterreichs Faust müßte sich auch von Serbiens Gurgel lösen, denn nur wenn Oesterreich weiß, daß Serbien ihm auf Gnade und Ungnade ausgeliefert ist, kann es ihm ungünstige Handels- Verträge diktieren. Ein serbischer Hafen schafft also nicht nur direkt bessere Exportmöglichkeiten, sondern auch indirekt bessere.Handelsvertragsvoraussetzungen. Das ist der ökono- misck>e Hintergrund von Serbiens Kriegslust und Kriegs- stimmung. Aber auch das Militärisch? ist ein ökonomischer Faktor und heute, nachdem sieben Tage Mobilmachung Millionen um Millionen verschlungen haben, mehr derni je. Preußische Gamaschenknöpfe, die aus irgendeinem alten Militärkalender ein paar Zahlen herausgeschnitten haben, versichern in der Presse, daß allein Bulmmuns Heer ein ernsthafter Gegner für die Türkei sei. W�r die serbische Armee kennt und steht, weiß, daß sie zwar nopt an Zahl, wohl aber an Wert der bulgarischen gleichkommt. Dieses Heer nun, das im Ver- hältnis zur Bevölkerung Serbiens übergroß ist. das ein volles Drittel des Budgets verzehrt, das in der Ueberlieferung früherer Türkenkriege und in der Hoffnung aus kommende Türkenkriege erzogen ist. daß jetzt mobilisiert an der Grenze steht, das täglich!00 000 Kilogramm Schweinefleisch ver­braucht. das ist auch ein ökonomischer Faktor, der zum Kriege drängt, denn vielen mag der Krieg als die Verzinsung eines im Frieden toten Kapitals erscheinen. Die Demobilisierung würde, wenn es sich nicht um ganz beträchtliche Zugeständnisse der Türkei handelte, aus die Mißstinimung der einberufenen Massen stoßen, die ihre Mais- und Weinernte im Stiche ge- lassen haben und nun für nichts ins Feld gerückt sein sollten. Bei einer Demobilisierung träte wohl Mol.kes kluges Wort in Kraft:Die Flinten sind leicht ausgegeben, aber schwer wieder zurückzubekommen," und mehr noch, die Flinten würden sogar von selbst losgehen. So wird, je mehr Faktoren man in Rechnung zieht, der Krieg immer wahrscheinlicher und sicherer. Die Aussichten des Krieges? Ueber den Orient zu orakeln, ist eine mißliche Sache, und eine doppelt mißliche Sache, über einen Orient- krieg zu prophezeien. Aber auf ein wichtiges Moment, auch ökonomischen Charakters, weist in ein«?m Artikel derNeuen Freien Presse" Jmhosf Pascha hin. der ein Sachkenner ist. Er sagt: An vielen Orten befindet sich unkultiviertes Land, so daß der Bodenertrag kaum für die Bedürfnisse des Verteidigers ausreicht. Durch den Hochgebirgscharakter des Balkans wird das Heranziehen der Verpflegs- kolonnen sehr erschwert, und zwar um so mehr, je näher man am Feinde ist. Die Vorräte können auch nicht im Feindes- land ersetzt, sondern es müssen große und schwierige Rückmärsche gemacht werden, da der Nachschub wegen der fehlen- den Bahnen sehr schwer ist. Die große Kolonnen- tiefe zeigt den Guerillakriegen günstige Ziel- punkte. Der Schutz der rückwärtigen Verbindungen, die Etappensicherung, wird ein wunder Punkt sein. Schlechtes Wetter, Entbehrungen, Mühseligkeiten und Friktionen sowie enorme Verluste werden den eventuellen Krieg charakteri- sieren. Die Verwendung der Maschinengewehre wird an Be- deutung gewinnen." Diese Dinge vorausgesetzt, kann man den Wert der Komitatschis, der serbischen und bulgarischen Banden, nicht hoch genug einschätzen, denn sie werden die rückwärtigen Ver- bindungen stören und die Zufuhr dem türkischen Heere ab- zuschneiden wissen. Und diese Komitatschis werden vielleicht demeventuellen Kriege", wie Jmhosf Pasche sagt, die Ent- scheidung geben. Und es ist keineventueller" Krieg mehr. Es ist der Krieg! Denn eben, da diese Zeilen geschrieben werden, laufen Zeitungsjungen brüllend durch die Straßen:Montenegro hat den Krieg erklärt, die Gesandten in Cetinje und Kon- stantinopel sind abgereist!" Ein Schicksalsschlag und eine Schicksalsstunde! Der all- gemeine Balkankrieg, vor dem Europa jahrzehntelang ge- zittert hat und der ganz Europa als einen Trümmerhaufen zurücklassen kann, er ist da! politilcbe aebcrficbt* Berlin , den 12. Oktober 1912. Die Mandatsniederlegung Kaempfs. Der Abgeordnete für den ersten Berliner ReichstagSwablkreiS und Präsident des Reichstages Kaempf hat nun doch sein Mandat niedergelegt. Bei den allgemeinen Wahlen am 12. Januar erhielt er 4657 Slimmen, Genosse Düwell 4408; ein demokratischer Kandidat brachte es auf 1395, ein konservativer aus 482, ein klerikaler auf 169 und ein polnischer Kandidat auf 57 Stimmen. In der Stichwahl am 22. Januar siegte Kaempf mit 5588 Stimmen gegen 5579, die auf Genosien Düwell fielen/ Also eine Mehrheit von 9 Slimmen. Da ein begründeter Wahlprotest eingereicht wurde und daraufhin inindestens 19 Stimmen von Kaempfs Mehrheit abzuziehen gewesen wären, hieß es schon mehrmals, Kaemvf werde sein Mandat nieder- legen; doch vor kurzem erst dementierte er diese Meldungen. Daß er den Schritt in diesem Augenblick doch getan hat, scheint eine gewisie politische Nebenbedeutung zu haben. Bis Frei- iagabend war es unsicher, ob der Reichstag nicht im Oktober schon einberufen werde, entsprechend dem nachdrücklichen Verlangen der sozialdemokratischen Fraktion und dem allgemeinen Willen aller unter der LebenSmittelteuerung leidenden Kreise. Bethmann Holl- weg kalkulierte von seinem Standpunkt nicht mit Unrecht, daß er den im preußischen Abgeordnetenhause zu erwartenden agrarischen Sturm leichter bestehen könnte, wenn er in der TeuerungS- frage den Reichstag hinter sich habe. Dem Borwurf, daß er ver sozialdemokratischen Forderung nachgebe, gedachte er dadurch auszuweichen, daß er die auswärtige Lage zum Borwand der Ein- berufung nahm. Der Plan war ganz plausibel, aber schließlich ist er doch noch gescheitert. Kaempf, der im Falle der alsbaldigen Berufung deS Reichstages jetzt nicht niedergelegt hätte, gewinnt nun Zeit, er hat sich sicher bei den maßgebenden Behörden vor der Niederlegung vergewissert, daß die Neuwahl sehr rasch stattfindet, so daß er beim Zusammentritt deS Reichstages wieder zur Stelle ist sofern die Wähler nicht anders entscheiden. DasBerliner Tage« blatt" sagt, die Neuwahl dürfte bereits Ende Oktober oder Anfang November vor sich gehen, da bei Nachwahlen inner« halb eines Jahres noch auf Grund der alten Wählerlisten gewählt wird._ Aus einer Zentrumsredaktion. In unserem Kölner Bruderblatt, derRheinischen Zeitung ", macht ein Redakteur, der bei demAachener Volksfreund ei»em der größten westdeutschen Zentrumsblätter, tätig war, seinem gepreßte» Herze» Luft. Er schreibt u. a.: Wie bei so manchem Redakteur noch kein ehrlicher havs länger als zwei Monate amBolksfreund" auSgehalten hasten noch bei mir die amBolkSsteund" täglich sich häu- senden Eindrücke des Geistes der Lüge und Heuchelei, unter dessen zermalmender Wucht alle Ideale von vornherein schmählich zerrieben werden." Noch kürzlich, bei einer Betrachtung der gemeinsamen Lage, habe einer der Redakteure amBolksfreund" ihm zugeraunt:Wenn unsere Leser wüßten. waS wir für Menschen sind!" Bei dem Anblick der vielen langen Reden auf dem Katho» li kentage habe der Verleger deSVolksfreund" gesagt: Warum sollen wir denn de» ganzen Quatsch bringen? Es ist doch jedes Jahr dasselbe Zeug!" Den BolkSverein für das katholische Deutschland habe der Chef- redakteur deSAachener Bolksfreund" dieMünchen -Gladbacher Sudelküche" und Dr. Pieper nebst Dr. BraunS, die M.-Gladbacher Direktoren, die Oberköche genannt. Der bisherige ZentrumSredakleur erklärt, daß er durch feine Veröffentlichung den Leiern der ZentruinSvreffe die Augen öffnen wolle. Sie möchten sich auf Grund des Gesagten ein Urteil über den.Bolksfreund" im besonderen und die Zentrumspresse im allgemeinen bilden._ Der badische Oberkirchenrat und der soziale Pastor. Auf die Beschwerde des südwestdeutschen JndustrielleuverbandeS gegen den Mannheimer liberale» Pfarrer Dr. L e h m a n n hat jetzt der Oberkirchenrat eine Rüge erteilt. In dem Zeitdokument, das die unumichränkte Herrschaft des Kapitals auch über die Diener der Kirche willig anerkennt, heißt e« am Schlüsse: Als wenig geeignet müsse» wir insbesondere erachien, daß Sle den Artikel ausdrücklich mit der Bezeichnung evangelischer Pfarrer unterzeichnet haben. Sie haben dadurch Veranlassung gegebe», daß in uiuiötiger und unerwünschter Weise die amtliche Stellung mit in den Streit hineingezogen worden ist. Die evangelische Kirche wird also diskreditiert, wenn sich einer ihrer Diener mit streikenden Arbeitern sympathisch erklärt. Die Sozialdemokratie ist dem badischen Oberkircheurat für dieses viel« sagende Zugeständnis recht dankbar. Der schweizerische Juristenvereiu gegen die Todesstrafe» _ Auch in der Schweiz spielt bei'der bevorstehenden Reform des Strafgesetzbuchs die Stellung zur Todesstrafe eine wichtige Rolle. Die Verfassung von 1874 hatte die Todesstrafe für das ganze Land abgeschafft. Die an einige sensationelle Mord« anknüpfende Agita- tioi. für Wiedereinführung führt« 1879 zu dem Ergebnis, daß man den einzelnen Kantonen dieses Recht einräumte, wovon eiimge reaktionäre Kantone auch Gebrauch machten. In dem neuen Ent- würfe, der in vielen Richtungen vorbildlich ist, war zunächst die Todesstrafe nicht enthalten. Die weitere Kommissionsberatung hat dahin geführt, etwa den jetzigen Vermittlungsstandpunkt beizube» halten, während neuerdings vorgeschlagen wurde, das Begnadigungs - recht in jedem Falle nicht den zum Teil äußerst reaktionären KantonSräten, sondern der doch fortschrittlicheren Bundesversalmn» lung einzuräumen. Nun hat der Juristenverein in erfreulichem Gegensatz zu seinem deutschen und österveichischen Kollegen sich für die Anfrechterhalwng voller RechtScinheit auch auf diesem Gebiete und die völlige Ab« lehnung dieses Ueberbleibsels alter Zeiten, das merkwürdigerweiss gerade von den Leuten, die sonst nicht' genug Verachtung und Arg- wohn dm Volke entgegenbringen können, mit angeblicher Rücksicht auf den Willen desVolkes", d. h. auf unAave Rachegelüste realti'o- närer, verblödeter Schichten, verteidigt wird, mit volle-: Entschieden- heit ausgesprochen. Der Referent, BundcsaMvalt Kronauer, bekannte sich als persönlicher Gegner der Todesstrafe, trat aber mit Rücksicht auf das sonst vielleicht gefährdete Zustandekommen deS ganzen Reformwerks für die Erhaltung des jetzigen Zustands ein. Doch meinte auch er nicht, daß es ein Unglück sei, wenn man seinen Vorschlag ablehnte. Nach sehr eingehender Erörterung und Vor- legung mehrerer Airträge beschloß der Verein zunächst mit 101 gegen 20 Stimmen, die einheitliche Regelung für den ganzen Bund zu fordern, dann mit 69 gegen 44 Stimmen, es sei die Todesstrafe nicht in das Strafgesetzbuch aufzunehmen Beispiellose Schlamperei in einem Dresdener Offizierkasino bildete den Gegenstand einer umfangreichen Verhandlung vor dem dortigen Oberkriegsgericht. Es war ein offenes Geheimnis, daß das Offizierkasino des Infanterieregiments Nr. 177 bis Anfang 1911 mit enormen Defizits arbeitete. Die ohnehin erhebliche Schuldenlast die Gründung war schon eine durchaus unglücklicke wurde dadurch immer größer. Um die Geschäftslage zu bessern, nahm man schließlich eine Sanierung vor. Trotzdem blieben noch 27 000 M. Schulden übrig. Zur Zeit der fortgesetzten Defizits und Mißwirtschaft war der Hauptmann v. Löben Kasino- direktor, dem der Vizefeldwebel Merkel als Haus« Hofmeister unterstand. Merkel hatte die ganzen Kasinogeschäft« zu besorgen und besaß dabei das unbegrenzte Vertrauen seiner Vor» gesetzten. Anfang 1911 trat ein Wechsel der Kasinodirektoren und damit ein« aufsehenerregende Wendung ein. Der neue Chef nahm sofort nach Antritt seines Postens eine genau« Prüfung der Bücher vor und fand darin verschiedene Unregelmäßigkeiten. Ein hinzu- gezogener Bücherrevisor stellte auch Fälschungen und Schlampereien in der Buchführung und bei den Belegen fest. Auch erhebliche Unter» schleife und Verluste traten zutage. Bald danach wurde Vizefeldwebel Merkel in Haft genommen� weil man der Meinung war. daß er nicht nur Fälschungen begangen, sondern auch erhebliche Summen unterschlagen habe. Er macht« von Anfang an geltend, dah er von seinen Vorgesetzten ungenügend beauftichtigt worden sei. Die lange Untersuchung hatte dann auch das Ergebnis, daß der ehemalige Kasinodtrrktor Hauptmann v. Löben wegen ungenügender Beaufsichtigung Untergebener unter Anklage gestellt und vom Kriegsgericht nach geheimer Verhandlung �1) zu zwei Wochen Stuben­arrest verurteilt wurde. Das Gericht stellte fest, daß des Hauptmann an den Schlampereien nicht schuldlos war. Strafmildernd rechnete man ihm an, daß er in der Buch- fühmng nicht bewandert war und sich bereiterklärt hatte, zur Deckung des enormen Defizits 10 000 M. aus seiner Tasche beizutragen. Im Juni fand darauf die kriegsgerichtliche Verhandlung gegen den Vizefeldwebel Merkel wegen Urkundenfäl- schung, Unterschlagung.Betrugs, Ungehorsams'-nd Falschmeldung statt. Merkel bezeichnet sich als Opfer der Verhältnisse. Er will vieles aus Gutmütigkeit getan haben. An der Mißwirtschaft sei er nicht schuld, eine solche habe schon seit Jahren bestanden. Wie es um die Kasinoschulden bestellt war, sei allgemein bekannt gewesen. In Offiziersversammlungen habe man auch lebhast klage darüber geführt. Die Defizits seien in der Hauptsache dadurch enfftanden, daß die Verkaufspreis« meist unter den Einkaufspreisen standen. Um di« Schulden und Defizits nicht allzu hoch erscheinen zu lassen, babe er allerdings mehrfach falsche Angaben in Berichten und Abschlüssen gemacht. Ein unlauteren Zweck will er jedoch damit nicht verfolgt haben. Die Anklage legte Merkel zur Last, daß er die Wirtschafts- bücher gefälscht hat in der Absicht, die Ueberbeträge in seine Tascty« wandern zu laffen. Weiter soll er in der Zeit von 1909 bis 1911 rund 659 M. aus der Kastnokaffe entnommen und für sich verwendet haben. In der Zeit von 1911 bis zur Ablösung hat Merkel Wäsche, guittungen in der Weife gefälscht, daß er höher« Beträge einsetzte. als er in Wirklichkeit bezahlte. Bei den einzelnen Wäscheposten befand sich auch Merkels Wirtschaftswäsche, di« er auf Kosten der Kasinokasse waschen ließ. Durch diese Manipulationen ist die Kaff« um rund 700 M. geschädigt worden. Bei der Ablösung Merkels wurde in der Kasinokaffe ein Manko von 500 M. vorgefundeu. Auch verschiedene kleine Einzelbeträge sollen in seine Tasche ge« wandert sein. Was für eine Mißwirtschaft und Schlamperei im genannten Kasino geherrscht hat, ergibt sich daraus, daß z. B. das Abendessen eines Offiziers für 150 Personen um mehrere hundert Mark niedriger berechnet worden war, als es hätte kosten müssen. Reb- Hühner wurden gebraten billiger verkauft, als sie im rohen Zustand« kosteten. Oft wurden Kompotts gegeben, die mehr kosteten, als man für das ganze Effe» verlangte. Charakteristisch ist auch ein Verlustkonto, das Merkel führte. Darin figurieren 1600 Flaschen Wein und Sekt, 75 Flaschen Likör, 3000 Flaschen Bier, 12000 Stück Zigarren und 24 000 Stück Zigaretten als abhanden gekom- m e n. Das Kriegsgericht nahm nur Falschmeldung in fünf Fällen an und verurteilte den Angeklagten zu sieben Monaten Ge» f ä n g n i s und zur Degradation. Gegen das Urteil legten sowohl der Angeklagt« al» auch der Gerichtsherr Berufung ein. Ersterer erstrebte Freisprechung und letzterer Bestrafung wegen gewinnsüchtiger Urkundenfälschung und Unterschlagung sowie Versetzung in die 2. Klasse des Soldaten« standes. Nach dem ärztlichen Gutachten ist Mörtel weder geistes- krank noch minderwertig, aber dienstunbrauchbar wegen Neurasthenie. Das Oberkriegsgericht erkannte nach sehr langer Verhandlung auf Verwerfung der Berufung« il und rechnete dem Angc- klagten 5 Monate der Untersuchungshaft auf die Strafe an. Di« Bestätigung der Degradation durch die Berufungsinstanz hat süe den im 18. Dienstjahr stehenden Angeklagten den Verlust der Dienst« Prämie in Höhe von 1000 M. zur Folge. Lelgien. Der Kampf nms Wahlrecht. Die belgische Arbeiterpartei organisiert zum 12. No- vember, dem Tage der Parlamelltseröfsnung, im g.anzen Lande etwa 1999 Versaminlungen. Für Brüssel wird ein halbtägiger D e m o nst ra t t ons st r e l r vorbereitet. Die Arbeiterschaft hat die Absicht, die sozialisti» sche Fraktion bis zum Parlament zu begleiten.