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Kadis bor. der gemäß den Vorschriften des ScheriatZ die RaibS aus den Reihen der örtlichen Ulemas ernennen wird. Reformen für die türkischen Insel«. Rom  , 18. Oktober. Wie dieAgenzia Stefan!" aus Kon­ stantinopel   meldet, hat der Sultan   gestern ein Jrade zugunsten der Bewohner der Inseln des Aegäischen Meeres unter­zeichnet. In dem Jrade wird versichert, daß Reformen der Rechtspflege und der Verwaltung eingeführt werden sollen, um den Bewohnern Gerechtigkeit und Wohlergehen ohne Unterschied deS Kultus und der Religion zu gewährleisten. Zu Be- anrten und Richtern sollen nur Personen ernannt werden, die die Landessprache beherrschen und volle Befähigung besitzen. Volle und unbegrenzte Amnestie wird denjenigen Bewohnern gewährt, die an den Feindseligkeiten teilgenommen und sich bei dieser Gelegenheit bloßgestellt haben mit Ausnahme derer, die sich gemeiner Verbrechen schuldig gemacht haben. Die festgeuommeuen oder verbannten Per- sonen sollen unverzüglich in Freiheit gesetzt werden. Oesterreich   erkennt den Frieden an. Wien  , 17. Oktober. Oesterreich-Ungarn   hat die Souveränität Italiens   über Libyen   anerkannt. Frankreich   und Rußland  . Paris  , 18. Oktober.  (Privattelegramm des V o r w ä r t s".) DerTemps  " erklärt heute, größter Gleichmut sei die Bedingung einer gemeinsamen Aktion Europas  . Er tadelt darum den Ausspruch des englischen   Bot- schafters in Wien   Cartwrigth� daß England Kreta  zu annektieren wünsche. Sei auch nicht daran zu zweifeln, daß der Ausspruch gefallen sei, so kompromittiere doch dieser Scherz die englische Politik, deren Korrektheit sich im vorigen Monat erwiesen habe, als die britische   Regierung an die solidarische Aktion der Schutzmächte Kretas   bei einer eventuellen Wiederbesetzung appelliert habe. Besonders heftig geht derTemps" gegen die PetersburgerNowoje Wremja" los wegen deren Drohung, daß Rußland   sich andere Verbündete suchen könnte. DerTemps" fragt, wo Rußland diese finden könnte, da in Berlin   keine Neigung be- stehe gegen die Türkei   vorzugehen. Italien   werde aller- dings seit einem Jahre von Rußland bear- b e i t e t und diese Arbeit habe auch der Vorbereitung des Balkanbunds gedient. Man wisse auch, daß die bulgarische Anleihe in dem diplomatischen Korps Sofias zwei Pathen hatte, einen italienischen und einen russischen. Der italienische Friedensschluß zeige aber auch, daß die italienische Slawenfreundschaft ihre Grenzen habe. Daß die Interessen derTripleentente im Orient n i ch t i d e n t i s ch sind, sei nichts Neues. Die Frage sei bloß, ob die um der allgemeinen Politik willen ihre Sonderinter- essen versöhnen könnten. TerTemps" tröstet sich schließlich über den Seitensprung des russischen   Blattes damit, daß Ssasonow. gestützt durch den Zaren, eine durchaus andere Politik vertrete. Die russische   Regierung hat demselben Blatt zufolge offizielle griechische Zusagen erhalten, daß Griechen- land keine Operation gegen die Dardanellen  unternehmen werde und hat darauf an die Pforte sofort «nergische Vorstellungen für deren Offenhaltung gerichtet. Journal des Täbats" erklärt das russische   Communiqu6 über ein Einvernehmen mit Oesterreich bezüglich des Status- quo für sehr schön, tragt aber, wie die Ausführung gesichert sein wird. Wer soll die Balkanstaaten im Falle ihres Sieges zwingen, die eroberten Territorien freizugeben? Man glaubte bisher, dies sei Rumäniens   Aufgabe. Die Haltung der rumänischen Regierungspresse zeige aber, daß g eh e i m e Ab m,a ch u n g e n existieren müssen und man wisse nicht, wann und wie die rumänische Karte ins blutige Balkanspiel geworfen werden wird. Die französische   Sozialdemokratie gegen den Krieg. Paris  , 18. Oktoiber.(Privattelegramm des V o r w ä r t s".) DieHumanitö" veröffentlicht heute ein Manifest des sozialdemokratischen Partei- Vorstandes und der sozialdemokratischenFrak- t i o n. Unter keinem Vorwand wollen die Proletarier Frankreichs   sich in das Kriegsunheil hineinreißen lassen. Tie Nation und ihre Vertreter können nicht Allianzen und Ver- träge anerkennen, über die sie nicht befragt wurden. Für das republikanische Frankreich   gibt es keine Verpflichtungen, die es für einen Krieg an den Henkerzaren binden könnten. Ge- treu den Stuttgarter   und Kopenhagener Beschlüssen müssen alleMittelzurErhaltungdesFriedensange- wendet werden. Ter Parteivorstand fordert die Föderativ- n-n auf. ebenfalls Kundgebungen zu veranstalten: er selbst bereitet für den 16. und 17. November Meetings in e c''fteren Städten vor. Das Manifest der Gewerkschafts-Konföde- ktleichfalls erschienen. Es erinnert an den Mar- feiller Gewerkschaftsbeschluß, daß die Antwort auf eine Kriegserklärung der Generalstreik'sein würde. Politifcbc deberftcbt. Berlin  , den 18. Oktober 1912. freisinnige Kampfmethode. Wie sehr der Freisinn mit seinem politischen Latein zu Ende ist, wie sehr er scheut, den Wahllampf im ersten Kreise auf dem Boden sachlicher Auseinandersetzungen auszufechten, beweist das von ihm herausgegebene Flugblatt. Es wird darin behauptet, die Sozialdcmotratcn raubten den Armendas kostbare Gut" des Wahl- rechts. Unter einem Aufwand künstlicher Entrüstung behauptet man der Wahrheit zuwider, die Sozialdemokraten wollten Arbeitslosen das Wahlrecht rauben. Diese sinnlose Unterstellung gründet sich darauf, daß in dem Protest gegen- d'.e� Wahl des Herrn Kaempf unter anderen auch einige Fälle aufgeführt� sind, wonach frei- sinnig« Schlepper Armenunterstützungsempfänger,� Ausländer, Geistesschmache und Entmündigte an die Wahlurne geschleppt haben. T*>ß diese Leute in der Wählerliste standen und gegen die Sozial- demokratie aufmarschieren mußten, ist um so auffälliger, als der Freisinn veranlaßt«, daß mehrere hundert Wahlberechtigte aus der Wählerliste gestrichen wurden. Und diese zu Unrecht aus der Wählerliste Entfernten erhielten die Benachrichtigung dar- über auch noch so spät, daß sie gegen die Streichung nicht einmal mehr Widerspruch einlegen konnten. Weiter veranlaßte derselbe Freisinn, daß«in« große Zahl von Bankiers, Direktoren, Kon» fektionären und ähnlichen Leuten, die doch sicher keine Armen- Unterstützung beziehen, in die Wählerliste des ersten Kreises auf- genommen wurden und hier auch ihr Wahlrecht aus- ü b t c n, obwohl sie in den Vororten wohnen. Angeblich verfügen diesearmen Leute", gegen welch« sich der Wahlproteft der Sozial- demokraten richtet, in Berlin I   über eine Schlafstelle! Mit Bezug auf diesen Protest hat die Wahlprüfungskommission des RcichZtages folgendes beschlossen: Die Nachprüfung der Wählerlisten durch den Referenten i ergab, daß laut Verfügung vom IL. Dezember, 21. Dezember,! 27. Dezember 1N11 uird 2. Januar 1912 zirka 415 Streichungen ohne nähere Angaben von Gründen vorgenommen sind. Dagegen erfolgten über 149 Nachtragungen. Diese Tatsache läßt die Be- haupwng des Protestes daß der Freisinn eine große Schiebung inszeniert habe nicht uninöglich erscheinen. Nach sehr ein- gehender Beratung wurde darüber abgestimmt: 1. Ist nach Abschluß der Wählerlisten irgendeine Veränderung zulässig? 2. Sind Streichungen oder Nachträge nach der achttägigen Auslegung und bis zum Abschluß der Wählerlisten von Amts wegen noch zulässig? Einstimmig wurde dies verneint! Beweiserhebung, wann und aus welchen! Gründen Streichungen oder Nachträge im ganzen Wahlkreise erfolgt sind, durch amtliche Auskunft des Magistrats unter Einforderung des Hauptexemplars nebst den Belegstücken." ' Es lag somit für den Freisinn die Gefahr vor, daß neben der Ungültigkeitserklärung der Wahl KaempfS eine solche der ganzen Wählerlisten erfolgt wäre. AuS Vorsicht veranlaßte man daher Herrn Kaempf. sein Mandat niederzulegen. Daraus kann man ermessen, in welch grenzenloser Verlegenheit sich der Freisinn befindet und warum er kein Mittel verschmäht, um die Sozialdemokratie zu verdächtigen. Es sei noch festgestellt, daß ein freisinniger Wahlvorsteher bei der Wahl versuchte, eine Anzahl Wähler, die in der Wählerliste standen, nicht zur Wahl zuzulassen, angeblich, weil die Leute Armenunter st ützung empfangen hätten. Erst auf Jnter- vention bei dem Magistrat bequemte sich der Herr dazu, den Wählern die Abstimmung zu erlauben. Ob die Wähler rechtmäßig in der Wählerliste standen oder nicht, das zu entscheiden ist nicht die Sache freisinniger Wahlvorsteher, sondern die der Wahlprüfungskom- Mission. Derselbe Freisinn aber, der versuchte, Wähler, die man wohl für Sozialdemokraten hielt, von der Wahl fernzuhalten, an- geblich, weil sie Armenunterstützung bezögen, heuchelt nun Eni- rüstung, weil die Sozialdemokratie in ihrem Protest auch darauf verweist, daß derselbe Freisinn Armcnunterstützungsempfänger, die er als freisinnige Hilfstruppen betrachtete, zur Wahl geschleppt habe! Der Freisinn, der sich auf seinem Parteitage gegen die all- gemeine staatsbürgerliche Gleichberechtigung er- klärt hat, der die Rechtlosigkeit der Armenunterftützungsempfänger nicht grundsätzlich bekämpft, der das Hausbesitzer- Privileg verteidigt, der für das kMM-unalpolitische Drei- klassenwahlrecht eintritt, hat rein Recht, sich darüber zu beschweren, daß die Sozialdemokratie ihm keine Gesetzlosigkeit er- laubt. Der Ausschluß der Armen vom Wahlrecht ist eine Bestim- mung, die sich gegen die Sozialdemokratie richtet. Diese ist daher vollauf berechtigt, sich dagegen zu wehren, daß der Freisinn nicht zu seinen Gunsten und gegen die Sozialdemokratie die gesetzlichen Bestimmungen mißachtet. Die freisinnigen Salbadereien über die Sozialdemokratie als Gegner des Wahlrechts sind der Ausfluß einer den Tiefstand des Freisinns charakterisierenden kläglichen politischen Heuchelei. Die mecklenburgische Berfassungskomödie. Die Regierungen beider Mecklenburg   haben sich wieder einmal bemüßigt gefühlt, einen neuen Verfassungsentwurf auszuarbeiten. Er ist noch weit kurioser und rückständiger als der letztbegrabene, da bekanntlich die großherzoglichen Regierungen die weise Taktik befolgen, sich desto weiter rückwärts zu konzentrieren, je energischer die mecklenburgische Ritterschaft sdaS heißt der rittecschaftliche Groß« grundbesitz) auf ihre alten angestammten oder, wie es im obotritischen Ständejargon heißt:.erbvergleichtichen" Rechte pocht und ohne Rücksicht alle Vorschläge ablehnt, die ihre jetzige Machtstellung irgendwie antasten. Die durch die neuen Entwürfe vorgeschlagene BerfassungSreform ist denn auch mit keiner der Verfasiungen der übrigen deutschen Vaterländer zu vergleichen. Sie ist einfach ein Unikum an politischer Albernheit. Nach den neuen Entwürfen soll z. B. künftig der Landlag von Mecklenburg-Schwerin   aus 8t Abgeordneten bestehen. nämlich aus 29 Vertretern der Ritterschaft, 29 Vertretern der Land- schaft, 20 auS ständischen Berufswahlen hervorgegangenen Ver« trelern, je 10 Vertretern der landwirtschaftlichen und städtischen Bevölkerung auS sogen, allgemeinen Wahlen und vier vom Groß- herzog ernannten Vertretern. Der Landtag von Mecklenburg-Strelitz  besteht auS 23 Abgeordneten, davon vier Vertreter der Ritterschaft, vier der Landschaft, sechs aus ständischen Wahlen hervorgegangenen, je drei der landwirtschaftlichen und städtischen Bevölkerung aus all- gemeinen Wahlen, einem vom Großherzog ernannten, einem Ver« treter der Hauswirte des Fürstentums Ratzeburg   und einem Ver- treter deS Magistrats von Neustrelitz  . Durch ständische Wahlen werden gewählt Vertreter der Landwirtschaflskammer, Vertreter der Pächter. Vertreter der Handwerks- und Handelskammer, Vertreter der Universitäten und Geistlichkeit und Vertreter der Bevölkerung mit Hochschulbildung. Für die Arbeiter und den kleineren Mittelstand ist eS total gleichgültig, ob diese VcrfassungSenlwürfe Gesetz werden oder der Erbvergleich von 1755. dieses Raritätenstück einstiger feudaler Herr- schaftskämpfe, bestehen bleibt. Wird doch selbst für die sogen, allge« meinen Wahlen, dürch die in Mecklenburg-Schwerin   20 und in Meckien- burg-Strelitz 6Volksvertreter" erkoren werden sollen, ein Wahl- verfahren vorgeschlagen, das fast genau dem preußischen Dreiklasicn- Wahlsystem nachgebildet ist. Auch die öffentliche Abstimmung und die indirekte Wahl ist in die Entwürfe aufgenommen. Eine Tragikomödie des Tuellzwanges. Am 23. Juni d. I. war es auf dem Homer   Rennplatz in Ham« bürg zu einem öffentlichen Skandal gekommen. Der Sportsmann Graf Königs in arck war, weil er sich auf einen Smbl stellte, von einem Aufsichtsbeamlen ersucht worden, dies mit Rücksicht auf die anderen Tribünenbesiicher zu Unterlasten. Der feudale Herr kam der Aufforderung auch dann nicht nach, als Vorstandsmitglieder des Nennklubs sich persönlich bemühten, ihm bessere Manieren beizu- bringen. Die Folge war, daß nun ein Schutzmann den Auftrag er- hielr, den Graten von der Tribüne zu entfernen. Für diese Schmach" rächte sich der Graf dadurch, daß er samt- liche Vorstandsmitglieder des Rennklubs vor die Pistole forderte. Der Ehrenrat, dem die Sache unterbreitet wurde, entschied, daß die Beteiligten sich nicht schlagen, sondem durch gegenseitige Erklärungen vertragen tollten. Tie Hamburger Elstkiaisigen waren heilfroh, daß die schwüle Geichichte so glatt erledigt werden sollte, der preußische Junker da- gegen durchkreuzte den Spruch des Ehrenrats durch eine neue Provokation, die er brieflich zwei Vorstandsmitgliedern des Ham- burger RennklubZ zukommen ließ. Nun suhlten diese, der Rechls- anwali Dr. S ta m m a n n und der Senator d. B e renb er g- Goßler, in ihrer Eigenschaft als Reserveoffiziere sich moralisch verpflichlel. die Forderung anzunehmen. In einem Walde zwischen Ludwigslust   und Willenberge habe« sie sich der Pistole des Grasen gestellt. Der RechlSanwalt wurde verwundet und liegt jetzt noch im Krankenhause. Das Duell mit dem Senator, das bereils am 17. Sepleniber stattfand, verlief unblutig, hatte aber das Nachspiel, daß ein Militärgericht den hamburgischen Senator zu drei Monaten Festung verurteilte. Slun sitz! der Hamburger Senat   in einer bösen Patsche. Von seinem eigenen BegnadigungS- recht, das ihm als oberste Behörde eines souveränen Staates zusteht. kann er natürlich in diesem Fall keinen Gebrauch machen. Er muß schon warten, bis der König von Preußen Gnade vor Recht er- gehen läßt. Dann aber bleibt immer noch bestehen, daß ei» Senator, der berufen ist, die Autorität der Gesetze zu beschützen, sich selbst einer Verletzung dieser Autorität schuldig gemacht hat. ES ist daher nicht ausgeschlossen, daß die Affäre den Senator V. Beren- berg-Goßler in seinem Amt unmöglich macht. Das ist um so wahr- scheinlicher, als dieser Senator, der zu den jüngeren Mitgliedern des Hamburger   Senats gehört, sich als Chef d e s B o l k s s ch u l« Wesens bei den Hamburger Reaktionären unbeliebt gemacht hat dadurch, daß er den bekannten fortschrittlichen Ideen und Erziehungs- arundsätzen der Hamburger Volksschullehrerschaft geneigter ist als seine Vorgänger. Erinnerlich wird noÄ lein, daß er der Denunziation, die gegen den Lehrer L a m S z u s wegen des BuckeS Das MensÄenschlachthaus" verübt wurde, nur insoweit Folge gab, als er Lamszus einige Tage beurlaubte, diese übereilte Maßnahme sogleich aber wieder aufhob, als er sich davon überzeugt halte. daß er über den Inhalt und die Tendenz des BucheS getäuscht worden war._ Schöne Wahlverwandtschaft. Zwischen demReichsdeutschen Mittelstandsverband" und deck Agrarkonservativen besteht eine seltsame Uebereinstimmung, die sich nicht nur auf die politische Anschauung und Taktik erstreckt, sondern auch darin zutage tritt, daß bei den Leitern des Mittelstandsver» bandes und den Leitern des Hauptvereins der Deutsch-Konservativen, Berlin  , Bernburger Straße 24/25, sich sonderbarerweise öfters genau dieselben Gedanken und Jdeenassoziationen einstellen. Nun ist zwar derReichsdeutsche Mittelstandsverband", wie die böse Fama wissen will, nichts anderes als ein Ableger des ehrsamen Bundes der Landwirte, lediglich zu dem Zweck gegründet, die sich durch das Großkapital bedrückt fühlenden Kleingewerbetreibenden durch aller- lei Mätzchen für die agrarkonservative Politik einzusaugen; aber die Gleichartigkeit der politischen Gedankengänge in der Leitung des Mittelstandsverbandes und im konservativen Hauptquartier ist so vollständig, daß sie aus dem gleichen politischenZielstrebeu" nicht erklärt zu werden vermag, sondern nur die Annahme übrig bleibt, daß die führenden Größen des Reichsdeutschen Mittelstands- Verbandes entweder ihre Gedanken aus der Bernburger Straße 24/25 beziehen, vielleicht auch manchmal umgekehrt, oder daß die Kapazi- täten beider Vereine sich gegenseitig befruchten und ihre Eier ge- meinsam ausbrüten. Dafür nur ein Beispiel. In einem angeblich von Herrn Ludwig Fahrenbach, dem Generalsekretär des Mittelstandsverbandes, für dieReichsdeutsche Mittelstands-Korrespondenz" verfaßten Artikel heißt es: Die sozialdemokratischen Organisationen träufeln shstema- tisch das Gift des Hasses in die Brust der Arbeiter, so daß diese in ganz naturwidriger Weise im Arbeitgeber den Ausbeuter und unversöhnlichen Feind sehen. Wird dieser Zustand in Groß- betrieben schon unangenehm empfunden, fo führt er in den mittel- ständischen Kleinbetrieben, wo der Arbeitgeber und vielfach auch dessen Familienmitglieder tagaus, tagein mit den Arbeitern in engster Gemeinschaft tätig sein müssen, zu ganz unerträglichen Verhältnissen. Durch mutwillige Stillegung der Betriebe, durch Boykott usw. werden alljährlich unzählige mittelständische Existen- zen aufgerieben. Des Mittelstandes Not ist hier grenzenlos und läßt das Schlimmste befürchten. Hier mutz Einhalt geboten werden, so lange das staatserhaltende Bürgertum noch die Kraft dazu hat." Genau dieselben Sätze findet man in einem gestrigen Original- artikel derKonserv. Korresp.", der den Titel�rägt:Gegen den sozialdemokratischen Terrorismus". Weiter heißt eS in derMittelstands-Korrespondenz": Untersucht man aber die Verhältniste etwas genauer, so wird man finden, daß der. Mißerfolg des Abwehrkampfes auf das Uebergrcifcn der gehässigen Formen des Klassenkampfes auf den bürgerlichen Radikalismus zurückzuführen ist. Um Wähler zu fangen, schürte man künstlich den Konkurrenz- und Geschäfts- neid, verhetzte Berufsstand gegen Berufsstand, die ehrliche Arbeit in der Stadt gegen die ehrliche Arbeit auf dem Lande. DieKonserv. Korresp." saßt dagegen diesen schönen Gedanken in folgenden Satz: Wie kann diesem Uebel nun abgeholfen werden? Auf den. bürgerlichen Radikalismus kann man bei diesen Abwehr- bestrcbungen nicht rechnen, denn er hat sich zum Teil die ge- hässigen Formen des Klassenkampfes der Sozialdemokraten selbst angeeignet." So geht eS weiter! Bald gleichen die Sätze beider Organe einander völlig, bald variiert dieKonserv. Korresp." die Gedanken derMittelstands-Korrespondenz" oder faßt sie in kürzere Sätze zusammen. Da nun doch sicherlich ein so patriotisches,vornehmes" Blatt, wie dieKonserv. Korresp." nicht ein anderes Blatt plündert und dessen Gedankcii als Originalleistungen eigener Kopfarbeit aus- gibt, so bleibt nur übrig, daß Herr Fahrenbach zugleich für die Konserv. Korresp." arbeitet, oder aber, daß er seine Artikel ganz oder teilweise aus der Bernburgcr Straße bezieht. Für die engen Beziehungen zwischen Agrarkonservativen und demReichsdeutschen Mittelstandsverband" wohl der beste Beweis. Klerikale Lehrertcrroriflernng. DieSchulfälle" mehren sich in Elsaß-Lothringen  . Vergangene Woche hat das Schöffengericht in Colmar   i. E. einige katholische Väter von WettolSheim  , die angeklagt waren, ihre Kinder gesetzwidrig vom Schulbesuch ferngehalten zu haben, freigesprochen mit der Begründung, die Eltern seien zur Schulversäumnis durch die Kinder berechtigt gewesen, da der Lehrer Hildwein derselbe, der als Mjtglied der Fort» ichrittSpartei mit dem Pfarrer in Zerwürfnis lebt und den der Oberschulrat neuerdings versetzt bat die Kinder in der Schule mißhandelt und ihre religiösen Gefühle verletzt habe. Der offenbar den Klerikalen nahestehende Kreisschulinspektor hatte als Zeuge ausgesagt, der Lehrer habe den Religionsunterricht nicht im Sinne der katholischen Kirche   erteilt: so habe er den Wunder- glauben nicht respektiert, indem er z. B. Moses nicht als den von Gott   eingesetzten Führer hinstellte, sondern als einen genialen Schwindler, wenngleich dieser Aus­druck von dem Lehrer nicht angewendet worden sei. Der AintL« anmalt beantragte Berurteilung der angeklagten Wettolsheimer Bürger, da nur Krankheit oder Naturereignisse vom Schulbesuch befreien könnten. außerdem sei die behauptete Kindermißhandlung, über welche die Aussagen der vernommenen Kinder auseinandergingen, gar nicht erwiesen. DaS Gericht schloß sich jedoch den Ausführungen des Ber  - leidiger«, eines bekaniiteu klerikalen Rechtsanwalts an, der eine heftige Rede gegen die die kirchliche Autorität nicht hinlänglich schützenden ,taallichen BeHorden gehalten hatte, und sprach die Au- geklagten frei. Neu ist an diesem Urteil, das von der Staats- anwallichaft wohl angefochten werden wird, jedenfalls die Feststellung. daß die Eltern zur Fernhaltung ihrer Kinder vom Schulbesuch be» rechtigt sind, wenn die Kinder in der Schule mißhandelt werden, und m diesem sinne ist das Urteil nur zu begrüßen. , Schwergewicht dieses aufsehenerregenden Schöffengerichts- Urteils liegt jedoch auf der religiösen Seite, und in dieser Be- ziehung wirkt es in allen Gemeinden, in denen Pfarrer und Lehrer aus p o l i t i s ch e n Gründen nicht miteinander auskommen, wie eine Aufforderung zur Zuspitzung des Konfliktes. Prompt ist unmittelbar aus die Verlündigung des Urteils ein neuer Schulfall gefolgt und zwar in N iedermichelbach im Kreise MiUhauieu i. E.. einer kletnen klerikalen Dorfgemeinde, wo letzten Montag ein Teil der n t n den Kindern befahl, die Schule nicht zu besuchen. lieber den Anlaß schweigt sich die Zentrumspresse vorläufig noch aus, aber sie teilt triumphierend mit, daß der sofort benachrichtigte K r e i s d i r e k t o r noch am gleichen Tage des Ausbruchs dieses Schulstreiks in dem Orte zur Untersuchung erschien. Die Sache läuft natürlich auch hier auff die Strafversetzung LeS Lehrers hinaus. Dabei ist es interessant, zu wissen, daß in Niedermichelbach seit längerer Zeit ein Konflikt zwischen Pfarrer und Lehrer besteht, weil der Lehrer als Organist(Orgelspieler in