Kadis bor. der gemäß den Vorschriften des ScheriatZ die RaibSaus den Reihen der örtlichen Ulemas ernennen wird.Reformen für die türkischen Insel«.Rom, 18. Oktober. Wie die„Agenzia Stefan!" aus Konstantinopel meldet, hat der Sultan gestern ein Jrade zugunsten derBewohner der Inseln des Aegäischen Meeres unterzeichnet. In dem Jrade wird versichert, daß Reformen derRechtspflege und der Verwaltung eingeführt werdensollen, um den Bewohnern Gerechtigkeit und Wohlergehen ohneUnterschied deS Kultus und der Religion zu gewährleisten. Zu Be-anrten und Richtern sollen nur Personen ernannt werden, die dieLandessprache beherrschen und volle Befähigung besitzen. Volle undunbegrenzte Amnestie wird denjenigen Bewohnern gewährt, diean den Feindseligkeiten teilgenommen und sich bei dieser Gelegenheitbloßgestellt haben mit Ausnahme derer, die sich gemeiner Verbrechenschuldig gemacht haben. Die festgeuommeuen oder verbannten Per-sonen sollen unverzüglich in Freiheit gesetzt werden.Oesterreich erkennt den Frieden an.Wien, 17. Oktober. Oesterreich-Ungarn hat dieSouveränität Italiens über Libyen anerkannt.Frankreich und Rußland.Paris, 18. Oktober.(Privattelegramm des„V o r w ä r t s".) Der„Temps" erklärt heute, größterGleichmut sei die Bedingung einer gemeinsamen AktionEuropas. Er tadelt darum den Ausspruch des englischen Bot-schafters in Wien Cartwrigth� daß England Kretazu annektieren wünsche. Sei auch nicht daran zuzweifeln, daß der Ausspruch gefallen sei, so kompromittieredoch dieser Scherz die englische Politik, deren Korrektheit sichim vorigen Monat erwiesen habe, als die britische Regierungan die solidarische Aktion der Schutzmächte Kretas bei einereventuellen Wiederbesetzung appelliert habe. Besonders heftiggeht der„Temps" gegen die Petersburger„Nowoje Wremja"los wegen deren Drohung, daß Rußland sich andereVerbündete suchen könnte. Der„Temps" fragt, woRußland diese finden könnte, da in Berlin keine Neigung be-stehe gegen die Türkei vorzugehen. Italien werde aller-dings seit einem Jahre von Rußland bear-b e i t e t und diese Arbeit habe auch der Vorbereitungdes Balkanbunds gedient. Man wisse auch, daß diebulgarische Anleihe in dem diplomatischen Korps Sofiaszwei Pathen hatte, einen italienischen und einenrussischen. Der italienische Friedensschluß zeige aber auch,daß die italienische Slawenfreundschaft ihre Grenzen habe.Daß die Interessen derTripleentente im Orientn i ch t i d e n t i s ch sind, sei nichts Neues. Die Frage sei bloß,ob die um der allgemeinen Politik willen ihre Sonderinter-essen versöhnen könnten. Ter„Temps" tröstet sich schließlichüber den Seitensprung des russischen Blattes damit, daßSsasonow. gestützt durch den Zaren, eine durchaus anderePolitik vertrete.Die russische Regierung hat demselben Blatt zufolgeoffizielle griechische Zusagen erhalten, daß Griechen-land keine Operation gegen die Dardanellenunternehmen werde und hat darauf an die Pforte sofort«nergische Vorstellungen für deren Offenhaltung gerichtet.„Journal des Täbats" erklärt das russische Communiqu6über ein Einvernehmen mit Oesterreich bezüglich des Status-quo für sehr schön, tragt aber, wie die Ausführunggesichert sein wird. Wer soll die Balkanstaaten im Falleihres Sieges zwingen, die eroberten Territorien freizugeben?Man glaubte bisher, dies sei Rumäniens Aufgabe. DieHaltung der rumänischen Regierungspresse zeige aber, daßg eh e i m e Ab m,a ch u n g e n existieren müssen und manwisse nicht, wann und wie die rumänische Karte ins blutigeBalkanspiel geworfen werden wird.Die französische Sozialdemokratie gegen den Krieg.Paris, 18. Oktoiber.(Privattelegramm des„V o r w ä r t s".) Die„Humanitö" veröffentlicht heute einManifest des sozialdemokratischen Partei-Vorstandes und der sozialdemokratischenFrak-t i o n. Unter keinem Vorwand wollen die ProletarierFrankreichs sich in das Kriegsunheil hineinreißen lassen. TieNation und ihre Vertreter können nicht Allianzen und Ver-träge anerkennen, über die sie nicht befragt wurden. Für dasrepublikanische Frankreich gibt es keine Verpflichtungen, diees für einen Krieg an den Henkerzaren binden könnten. Ge-treu den Stuttgarter und Kopenhagener Beschlüssen müssenalleMittelzurErhaltungdesFriedensange-wendet werden. Ter Parteivorstand fordert die Föderativ-n-n auf. ebenfalls Kundgebungen zu veranstalten: erselbst bereitet für den 16. und 17. November Meetings ine c''fteren Städten vor.Das Manifest der Gewerkschafts-Konföde-ktleichfalls erschienen. Es erinnert an den Mar-feiller Gewerkschaftsbeschluß, daß die Antwort auf eineKriegserklärung der Generalstreik'sein würde.Politifcbc deberftcbt.Berlin, den 18. Oktober 1912.freisinnige Kampfmethode.Wie sehr der Freisinn mit seinem politischen Latein zu Endeist, wie sehr er scheut, den Wahllampf im ersten Kreise auf demBoden sachlicher Auseinandersetzungen auszufechten, beweist das vonihm herausgegebene Flugblatt. Es wird darin behauptet, dieSozialdcmotratcn raubten den Armen„das kostbare Gut" des Wahl-rechts. Unter einem Aufwand künstlicher Entrüstung behauptet mander Wahrheit zuwider, die Sozialdemokraten wollten Arbeitslosendas Wahlrecht rauben. Diese sinnlose Unterstellung gründet sichdarauf, daß in dem Protest gegen- d'.e� Wahl des Herrn Kaempfunter anderen auch einige Fälle aufgeführt� sind, wonach frei-sinnig« Schlepper Armenunterstützungsempfänger,� Ausländer,Geistesschmache und Entmündigte an die Wahlurne geschleppt haben.T*>ß diese Leute in der Wählerliste standen und gegen die Sozial-demokratie aufmarschieren mußten, ist um so auffälliger, als derFreisinn veranlaßt«, daß mehrere hundert Wahlberechtigte aus derWählerliste gestrichen wurden. Und diese zu Unrechtaus der Wählerliste Entfernten erhielten die Benachrichtigung dar-über auch noch so spät, daß sie gegen die Streichung nicht einmalmehr Widerspruch einlegen konnten. Weiter veranlaßte derselbeFreisinn, daß«in« große Zahl von Bankiers, Direktoren, Kon»fektionären und ähnlichen Leuten, die doch sicher keine Armen-Unterstützung beziehen, in die Wählerliste des ersten Kreises auf-genommen wurden und hier auch ihr Wahlrecht aus-ü b t c n, obwohl sie in den Vororten wohnen. Angeblich verfügendiese„armen Leute", gegen welch« sich der Wahlproteft der Sozial-demokraten richtet, in Berlin I über eine Schlafstelle! MitBezug auf diesen Protest hat die Wahlprüfungskommission desRcichZtages folgendes beschlossen:„Die Nachprüfung der Wählerlisten durch den Referenten iergab, daß laut Verfügung vom IL. Dezember, 21. Dezember,!27. Dezember 1N11 uird 2. Januar 1912 zirka 415 Streichungenohne nähere Angaben von Gründen vorgenommen sind. Dagegenerfolgten über 149 Nachtragungen. Diese Tatsache läßt die Be-haupwng des Protestes— daß der Freisinn eine große Schiebunginszeniert habe— nicht uninöglich erscheinen. Nach sehr ein-gehender Beratung wurde darüber abgestimmt:1. Ist nach Abschluß der Wählerlisten irgendeine Veränderungzulässig?2. Sind Streichungen oder Nachträge nach der achttägigenAuslegung und bis zum Abschluß der Wählerlisten von Amtswegen noch zulässig?Einstimmig wurde dies verneint!Beweiserhebung, wann und aus welchen! GründenStreichungen oder Nachträge im ganzen Wahlkreise erfolgt sind,durch amtliche Auskunft des Magistrats unter Einforderung desHauptexemplars nebst den Belegstücken."' Es lag somit für den Freisinn die Gefahr vor, daß neben derUngültigkeitserklärung der Wahl KaempfS eine solche der ganzenWählerlisten erfolgt wäre. AuS Vorsicht veranlaßte mandaher Herrn Kaempf. sein Mandat niederzulegen. Darauskann man ermessen, in welch grenzenloser Verlegenheit sich derFreisinn befindet und warum er kein Mittel verschmäht, um dieSozialdemokratie zu verdächtigen.Es sei noch festgestellt, daß ein freisinniger Wahlvorsteher beider Wahl versuchte, eine Anzahl Wähler, die in der Wählerlistestanden, nicht zur Wahl zuzulassen, angeblich, weil die LeuteArmenunter st ützung empfangen hätten. Erst auf Jnter-vention bei dem Magistrat bequemte sich der Herr dazu, den Wählerndie Abstimmung zu erlauben. Ob die Wähler rechtmäßig in derWählerliste standen oder nicht, das zu entscheiden ist nicht die Sachefreisinniger Wahlvorsteher, sondern die der Wahlprüfungskom-Mission. Derselbe Freisinn aber, der versuchte, Wähler, die manwohl für Sozialdemokraten hielt, von der Wahl fernzuhalten, an-geblich, weil sie Armenunterstützung bezögen, heuchelt nun Eni-rüstung, weil die Sozialdemokratie in ihrem Protest auch daraufverweist, daß derselbe Freisinn Armcnunterstützungsempfänger, dieer als freisinnige Hilfstruppen betrachtete, zur Wahl geschleppt habe!Der Freisinn, der sich auf seinem Parteitage gegen die all-gemeine staatsbürgerliche Gleichberechtigung er-klärt hat, der die Rechtlosigkeit der Armenunterftützungsempfängernicht grundsätzlich bekämpft, der das Hausbesitzer-Privileg verteidigt, der für das kMM-unalpolitische Drei-klassenwahlrecht eintritt, hat rein Recht, sich darüber zubeschweren, daß die Sozialdemokratie ihm keine Gesetzlosigkeit er-laubt. Der Ausschluß der Armen vom Wahlrecht ist eine Bestim-mung, die sich gegen die Sozialdemokratie richtet. Diese ist dahervollauf berechtigt, sich dagegen zu wehren, daß der Freisinn nichtzu seinen Gunsten und gegen die Sozialdemokratie die gesetzlichenBestimmungen mißachtet. Die freisinnigen Salbadereien über dieSozialdemokratie als Gegner des Wahlrechts sind der Ausflußeiner den Tiefstand des Freisinns charakterisierenden kläglichenpolitischen Heuchelei.Die mecklenburgische Berfassungskomödie.Die Regierungen beider Mecklenburg haben sich wieder einmalbemüßigt gefühlt, einen neuen Verfassungsentwurf auszuarbeiten.Er ist noch weit kurioser und rückständiger als der letztbegrabene,da bekanntlich die großherzoglichen Regierungen die weise Taktikbefolgen, sich desto weiter rückwärts zu konzentrieren, je energischerdie mecklenburgische Ritterschaft sdaS heißt der rittecschaftliche Groß«grundbesitz) auf ihre alten angestammten oder, wie es im obotritischenStändejargon heißt:.erbvergleichtichen" Rechte pocht und ohneRücksicht alle Vorschläge ablehnt, die ihre jetzige Machtstellungirgendwie antasten.Die durch die neuen Entwürfe vorgeschlagene BerfassungSreformist denn auch mit keiner der Verfasiungen der übrigen deutschenVaterländer zu vergleichen. Sie ist einfach ein Unikum an politischerAlbernheit. Nach den neuen Entwürfen soll z. B. künftig derLandlag von Mecklenburg-Schwerin aus 8t Abgeordneten bestehen.nämlich aus 29 Vertretern der Ritterschaft, 29 Vertretern der Land-schaft, 20 auS ständischen Berufswahlen hervorgegangenen Ver«trelern, je 10 Vertretern der landwirtschaftlichen und städtischenBevölkerung auS sogen, allgemeinen Wahlen und vier vom Groß-herzog ernannten Vertretern. Der Landtag von Mecklenburg-Strelitzbesteht auS 23 Abgeordneten, davon vier Vertreter der Ritterschaft,vier der Landschaft, sechs aus ständischen Wahlen hervorgegangenen,je drei der landwirtschaftlichen und städtischen Bevölkerung aus all-gemeinen Wahlen, einem vom Großherzog ernannten, einem Ver«treter der Hauswirte des Fürstentums Ratzeburg und einem Ver-treter deS Magistrats von Neustrelitz. Durch ständische Wahlenwerden gewählt Vertreter der Landwirtschaflskammer, Vertreter derPächter. Vertreter der Handwerks- und Handelskammer, Vertreterder Universitäten und Geistlichkeit und Vertreter der Bevölkerung mitHochschulbildung.Für die Arbeiter und den kleineren Mittelstand ist eS totalgleichgültig, ob diese VcrfassungSenlwürfe Gesetz werden oder derErbvergleich von 1755. dieses Raritätenstück einstiger feudaler Herr-schaftskämpfe, bestehen bleibt. Wird doch selbst für die sogen, allge«meinen Wahlen, dürch die in Mecklenburg-Schwerin 20 und in Meckien-burg-Strelitz 6„Volksvertreter" erkoren werden sollen, ein Wahl-verfahren vorgeschlagen, das fast genau dem preußischen Dreiklasicn-Wahlsystem nachgebildet ist. Auch die öffentliche Abstimmung unddie indirekte Wahl ist in die Entwürfe aufgenommen.Eine Tragikomödie des Tuellzwanges.Am 23. Juni d. I. war es auf dem Homer Rennplatz in Ham«bürg zu einem öffentlichen Skandal gekommen. Der SportsmannGraf Königs in arck war, weil er sich auf einen Smbl stellte,von einem Aufsichtsbeamlen ersucht worden, dies mit Rücksicht aufdie anderen Tribünenbesiicher zu Unterlasten. Der feudale Herr kamder Aufforderung auch dann nicht nach, als Vorstandsmitglieder desNennklubs sich persönlich bemühten, ihm bessere Manieren beizu-bringen. Die Folge war, daß nun ein Schutzmann den Auftrag er-hielr, den Graten von der Tribüne zu entfernen. Für diese„Schmach" rächte sich der Graf dadurch, daß er samt-liche Vorstandsmitglieder des Rennklubs vordie Pistole forderte. Der Ehrenrat, dem dieSache unterbreitet wurde, entschied, daß die Beteiligten sichnicht schlagen, sondem durch gegenseitige Erklärungen vertragentollten. Tie Hamburger Elstkiaisigen waren heilfroh, daß die schwüleGeichichte so glatt erledigt werden sollte, der preußische Junker da-gegen durchkreuzte den Spruch des Ehrenrats durch eine neueProvokation, die er brieflich zwei Vorstandsmitgliedern des Ham-burger RennklubZ zukommen ließ. Nun suhlten diese, der Rechls-anwali Dr. S ta m m a n n und der Senator d. B e renb er g-Goßler, in ihrer Eigenschaft als Reserveoffiziere sich moralischverpflichlel. die Forderung anzunehmen. In einem Walde zwischenLudwigslust und Willenberge habe« sie sich der Pistole des Grasengestellt. Der RechlSanwalt wurde verwundet und liegt jetztnoch im Krankenhause. Das Duell mit dem Senator,das bereils am 17. Sepleniber stattfand, verlief unblutig, hatte aberdas Nachspiel, daß ein Militärgericht den hamburgischen Senator zudrei Monaten Festung verurteilte. Slun sitz! der HamburgerSenat in einer bösen Patsche. Von seinem eigenen BegnadigungS-recht, das ihm als oberste Behörde eines souveränen Staates zusteht.kann er natürlich in diesem Fall keinen Gebrauch machen. Er mußschon warten, bis der König von Preußen Gnade vor Recht er-gehen läßt. Dann aber bleibt immer noch bestehen, daßei» Senator, der berufen ist, die Autorität der Gesetze zu beschützen,sich selbst einer Verletzung dieser Autorität schuldig gemacht hat. ESist daher nicht ausgeschlossen, daß die Affäre den Senator V. Beren-berg-Goßler in seinem Amt unmöglich macht. Das ist um so wahr-scheinlicher, als dieser Senator, der zu den jüngeren Mitgliedern desHamburger Senats gehört, sich als Chef d e s B o l k s s ch u l«Wesens bei den Hamburger Reaktionären unbeliebt gemacht hatdadurch, daß er den bekannten fortschrittlichen Ideen und Erziehungs-arundsätzen der Hamburger Volksschullehrerschaft geneigter ist alsseine Vorgänger. Erinnerlich wird noÄ lein, daß er derDenunziation, die gegen den Lehrer L a m S z u s wegen des BuckeS„Das MensÄenschlachthaus" verübt wurde, nur insoweit Folge gab,als er Lamszus einige Tage beurlaubte, diese übereilte Maßnahmesogleich aber wieder aufhob, als er sich davon überzeugt halte.� daßer über den Inhalt und die Tendenz des BucheS getäuschtworden war._Schöne Wahlverwandtschaft.Zwischen dem„Reichsdeutschen Mittelstandsverband" und deckAgrarkonservativen besteht eine seltsame Uebereinstimmung, die sichnicht nur auf die politische Anschauung und Taktik erstreckt, sondernauch darin zutage tritt, daß bei den Leitern des Mittelstandsver»bandes und den Leitern des Hauptvereins der Deutsch-Konservativen,Berlin, Bernburger Straße 24/25, sich sonderbarerweise öfters genaudieselben Gedanken und Jdeenassoziationen einstellen. Nun ist zwarder„Reichsdeutsche Mittelstandsverband", wie die böse Fama wissenwill, nichts anderes als ein Ableger des ehrsamen Bundes derLandwirte, lediglich zu dem Zweck gegründet, die sich durch dasGroßkapital bedrückt fühlenden Kleingewerbetreibenden durch aller-lei Mätzchen für die agrarkonservative Politik einzusaugen; aberdie Gleichartigkeit der politischen Gedankengänge in der Leitungdes Mittelstandsverbandes und im konservativen Hauptquartier istso vollständig, daß sie aus dem gleichen politischen„Zielstrebeu"nicht erklärt zu werden vermag, sondern nur die Annahme übrigbleibt, daß die führenden Größen des Reichsdeutschen Mittelstands-Verbandes entweder ihre Gedanken aus der Bernburger Straße 24/25beziehen, vielleicht auch manchmal umgekehrt, oder daß die Kapazi-täten beider Vereine sich gegenseitig befruchten und ihre Eier ge-meinsam ausbrüten.Dafür nur ein Beispiel. In einem angeblich von Herrn LudwigFahrenbach, dem Generalsekretär des Mittelstandsverbandes,für die„Reichsdeutsche Mittelstands-Korrespondenz" verfaßtenArtikel heißt es:„Die sozialdemokratischen Organisationen träufeln shstema-tisch das Gift des Hasses in die Brust der Arbeiter, so daß diesein ganz naturwidriger Weise im Arbeitgeber den Ausbeuter undunversöhnlichen Feind sehen. Wird dieser Zustand in Groß-betrieben schon unangenehm empfunden, fo führt er in den mittel-ständischen Kleinbetrieben, wo der Arbeitgeber und vielfach auchdessen Familienmitglieder tagaus, tagein mit den Arbeitern inengster Gemeinschaft tätig sein müssen, zu ganz unerträglichenVerhältnissen. Durch mutwillige Stillegung der Betriebe, durchBoykott usw. werden alljährlich unzählige mittelständische Existen-zen aufgerieben. Des Mittelstandes Not ist hier grenzenlos undläßt das Schlimmste befürchten. Hier mutz Einhalt gebotenwerden, so lange das staatserhaltende Bürgertum noch die Kraftdazu hat."Genau dieselben Sätze findet man in einem gestrigen Original-artikel der„Konserv. Korresp.", der den Titel�rägt:„Gegen densozialdemokratischen Terrorismus".Weiter heißt eS in der„Mittelstands-Korrespondenz":„Untersucht man aber die Verhältniste etwas genauer, sowird man finden, daß der. Mißerfolg des Abwehrkampfes aufdas Uebergrcifcn der gehässigen Formen des Klassenkampfes aufden bürgerlichen Radikalismus zurückzuführen ist. Um Wählerzu fangen, schürte man künstlich den Konkurrenz- und Geschäfts-neid, verhetzte Berufsstand gegen Berufsstand, die ehrliche Arbeitin der Stadt gegen die ehrliche Arbeit auf dem Lande.Die„Konserv. Korresp." saßt dagegen diesen schönen Gedankenin folgenden Satz:„Wie kann diesem Uebel nun abgeholfen werden? Auf den.bürgerlichen Radikalismus kann man bei diesen Abwehr-bestrcbungen nicht rechnen, denn er hat sich zum Teil die ge-hässigen Formen des Klassenkampfes der Sozialdemokraten selbstangeeignet."So geht eS weiter! Bald gleichen die Sätze beider Organeeinander völlig, bald variiert die„Konserv. Korresp." die Gedankender„Mittelstands-Korrespondenz" oder faßt sie in kürzere Sätzezusammen. Da nun doch sicherlich ein so patriotisches,„vornehmes"Blatt, wie die„Konserv. Korresp." nicht ein anderes Blatt plündertund dessen Gedankcii als Originalleistungen eigener Kopfarbeit aus-gibt, so bleibt nur übrig, daß Herr Fahrenbach zugleich für die„Konserv. Korresp." arbeitet, oder aber, daß er seine Artikel ganzoder teilweise aus der Bernburgcr Straße bezieht. Für die engenBeziehungen zwischen Agrarkonservativen und dem„ReichsdeutschenMittelstandsverband" wohl der beste Beweis.Klerikale Lehrertcrroriflernng.Die„Schulfälle" mehren sich in Elsaß-Lothringen. VergangeneWoche hat das Schöffengericht in Colmar i. E. einigekatholische Väter von WettolSheim, die angeklagt waren, ihreKinder gesetzwidrig vom Schulbesuch ferngehalten zuhaben, freigesprochen mit der Begründung, die Eltern seienzur Schulversäumnis durch die Kinder berechtigt gewesen, dader Lehrer Hildwein— derselbe, der als Mjtglied der Fort»ichrittSpartei mit dem Pfarrer in Zerwürfnis lebt und den derOberschulrat neuerdings versetzt bat— die Kinder in der Schulemißhandelt und ihre religiösen Gefühle verletzt habe.Der offenbar den Klerikalen nahestehende Kreisschulinspektor hatteals Zeuge ausgesagt, der Lehrer habe den Religionsunterricht nichtim Sinne der katholischen Kirche erteilt: so habe er den Wunder-glauben nicht respektiert, indem er z. B. Moses nicht alsden von Gott eingesetzten Führer hinstellte,sondern als einen genialen Schwindler,— wenngleich dieser Ausdruck von dem Lehrer nicht angewendet worden sei. Der AintL«anmalt beantragte Berurteilung der angeklagten Wettolsheimer Bürger,da nur Krankheit oder Naturereignisse vom Schulbesuch befreien könnten.— außerdem sei die behauptete Kindermißhandlung, über welchedie Aussagen der vernommenen Kinder auseinandergingen, gar nichterwiesen. DaS Gericht schloß sich jedoch den Ausführungen des Ber-leidiger«, eines bekaniiteu klerikalen Rechtsanwalts an, der eineheftige Rede gegen die die kirchliche Autorität nicht hinlänglichschützenden ,taallichen BeHorden gehalten hatte, und sprach die Au-geklagten frei. Neu ist an diesem Urteil, das von der Staats-anwallichaft wohl angefochten werden wird, jedenfalls die Feststellung.daß die Eltern zur Fernhaltung ihrer Kinder vom Schulbesuch be»rechtigt sind, wenn die Kinder in der Schule mißhandelt werden,und m diesem sinne ist das Urteil nur zu begrüßen., Schwergewicht dieses aufsehenerregenden Schöffengerichts-Urteils liegt jedoch auf der religiösen Seite, und in dieser Be-ziehung wirkt es in allen Gemeinden, in denen Pfarrer und Lehreraus p o l i t i s ch e n Gründen nicht miteinander auskommen, wie eineAufforderung zur Zuspitzung des Konfliktes. Prompt ist unmittelbaraus die Verlündigung des Urteils ein neuer Schulfall gefolgt undzwar in N iedermichelbach im Kreise MiUhauieu i. E.. einerkletnen klerikalen Dorfgemeinde, wo letzten Montag ein Teil dern t n den Kindern befahl, die Schule nicht zu besuchen.lieber den Anlaß schweigt sich die Zentrumspresse vorläufig nochaus, aber sie teilt triumphierend mit, daß der sofort benachrichtigteK r e i s d i r e k t o r noch am gleichen Tage des Ausbruchs diesesSchulstreiks in dem Orte zur Untersuchung erschien. Die Sacheläuft natürlich auch hier auff die Strafversetzung LeSLehrers hinaus. Dabei ist es interessant, zu wissen, daß inNiedermichelbach seit längerer Zeit ein Konflikt zwischen Pfarrer undLehrer besteht, weil der Lehrer als Organist(Orgelspieler in