Redaktion: 8M. 68, Litidcnstrassc 69. Fernsprecher: Amt Moritzplatz, Nr. 1983. Mittwoch, den ÄA. Oktober 191�. Expedition i öd. 68, Lindenetrasse 69» Fernsprecher: Amt Moritzplatz, Nr. 1984. Südwcttdcurtcbc Airtichaftssragen. L Der auf Grund des Gesetzes über die Verfassung Elsaß - Lothringens vom 31. Mai 1911 erstmalig gewählte Landtag hat sich in seiner ersten Session mit einem Eifer der Beratung sozialpolitischer und volkswirtschaftlicher Probleme hingegeben, der lebhaft kontrastiert mit dcr geruhigenSanftlebigkeit des seligen Notabelnausschusses. Man merkt daraus, daß das Wahlgesetz trotz seiner Mängel immerhin einer breiten Wählermasse die Möglichkeit gegeben hat, den Deputös eventuell bei der Neu- Wahl eine unliebsame Quittung über ihr Verhalten auszu- stellen. In rascher Reihenfolge hat der elsaß - lothringische Landtag, zumeist auf Veranlassung der elf Mann starken sozialdemokratischen Fraktion, zu wichtigen, vom alten Notahelu- ausschuß vernachlässigten sozialen Fragen Stellung genommen. Zur Erörterung bezw. gesetzgeberischen Vorbereit-i�g kaiüen Anträge oder Anregungen betr. B a u a r b e t t'c rTch n tz, Gewerbegerichte, Arbeiterkammcrn, Ar- beiterschutz in den Bergwerken, Sllrtu-ttsna ch- weise, Arbeitslosigkeit, um nur die- bedeiitsamsten Verhandlungsgegenstände zu nennen., r'"" Von symptomatischer Bedeutunss sü? die Stimmung in Elsaß-Lothringen , zugleich auch sehr merkwürdig hinsichtlich der in ihm sich manifestierenden volkswirtschaftlichen Anschauungen, ist aber der„Antrag Zimmer"(Lothringer Gruppe) betreffend die Verhüttung der in Elsaß- Lothringen gewonnenen Erze. Es lohnt sich, diesen Antrag und seine Begleitumstände näher zu beleuchten, weil wir in ihm ein Produkt des protektionistischen, insbesondere auf den einseitigen Schutz der großagrarischen und gewisser groß- »»«dustrieller Interessen zugeschnittenen Systems vor unö haben, als dessen hartnäckigste offizielle Vertretung das preußische HaydelS- und dito Eisenbahnministerium anzusehen sind. Die Antragstever verlangen von der Regierung,„bis zur nächstjährige» Tagung des Landtags Vorschläge dahin zu machen, daß die im Lande stattfindende Ver- h ü t t u n g der in Elsaß-Lothringen gewonnenen Erze, sei es auf dem Gebiete der Steuergesetzgebung, sei es auf andere(!) Weise. zwecks Hebung der inländischen Industrie möglichst begünstigt wird". Der Antrag will ein Wieder- aufleben des Merkantilismus einleiten. Die Ausfuhr der heimischen Erze /soll, sei es durch direkte oder indirekte Be- steuerung oder Verzollung erschwert werden. In Luxemburg besteht seki einigen Jahren eine steuerliche Begünstigung der inländischen ErzVerhüttung, worauf sich der Abg. Zimmer auch berief, was aber an der Tatsache, daß 1911 noch über 47 Proz. der luxemburgischen Eisenerze außerhalb des Landes verhüttet wurden, nichts ändert und nicht aus der Welt schafft, daß die Einführung eines Verhüttungszwanges ein Rückfall in die mittelalterliche kleinstaatliche Handels- und Verkehrserschwerung ist. dessen Schädlichkeit auch für Elsaß- Lothringen offenbar wird, wenn wir uns die industrielle Lage der Reichslande vergegenwärtigen. In Deutsch -Lothringcn wie in den Nachbarländern Luxem- bürg und Französisch-Lothringcn befinden sich riesige Erz- ablagerungen. Dies sogenannte„ M ine tte gebiet" ist mit seinen auf über fünf Milliarden Tonnen Eisenerzvorrat, wovon 1800 Millionen auf Deutsch-Lothringen kommen, das bedeutendste der bekannten Erzreservoire der alten Welt. Nach- dem die Minette durch die Erfindung des Entphosphorrmgs- Verfahrens für den modernen Verhüttungsprozeß brauchbar geworoen war. warf sich die Spekulation mit Macht auf jene Fundgebiete. 1872 wurden in Elsaß-Lothringen erst zwanzig Eisenerzfelder verliehen. Im Betrieb standen mir 7 Gruben mit einer Förderung von 684 600 Tonnen. 1882 betrug die Zahl der verliehenen Felder 230 und 1909/10 stnlt laut Regierungsangaben 360 vergeben worden, so daß heute det mineralhaltige Boden ElsaKLothringens in der Haupt- suche imter privatkapitalistischer Kontrolle resp. Ausbeutung steht. Es stehen an 60 Erzbergwerke im Betrieb. Die Minetteförderung Lothringens belief sich 1911 auf 17.73 Millionen Tonnen, mit der luxemburgischen zusammen aus 23.79 Millionen Tonnen. Lothringen und Luxemburg liefern heute' zirka 80 Proz. der im deutschen Zollgebiet geförderten Eisenerze, ist also unser weitaus bedeutendstes Erzversorgungs- gebiet geworden. Von der lothringischen Förderung gingen 1911 nach dem Saargebiet 14.66 Proz., nach dem übrigen Rheinland- Westfalen 15.96 Proz., im Lande verblieben 64,37 Proz. f-n 6002 Proz. im Jahre 1903(Bericht des elsaß-lothrin- >en Grubenbcsitzervereins). Die gesetzgeberische Verwirk- mg des Antrages Zimmer würde also unmittelbar ein lag gegen die Hütten im deutschen Zollinlande außerhalb iß-Lothringens sein. Denn die französischen und die luxemburgischen Hochöfen bedürfen keiner Erzzufuhr aus Lothringen , weil im Lande selbst überflüssige Eisenerze ge- Wonnen werden. Dagegen lvurden 1911 in niederrheinisch- westfälischen Eisen- und Stahlwerken über 3,17 Millionen Tonnen Minette verhüttet. Es unterliegt auch kaum einem Zweifel daß der Antrag Zimmer gegen die durch die Reicks- vsfassunq(Artikel 33) garantierte Zoll- und Handelsfreiheit Hmerhalb der deutschen Reichsgrenzen verstößt und deshalb schon von der Regierung nicht akzeptiert werden kann. Der Bericht des elsaß -lothringischen Grubenbesitzervereins wendet sich deshalb auch gegen den„Verhüttnngszwang" und spricht die Erwartung ans, daß„Preußen" e v e n t l. mit Repressalien antworten würde. Diesen Hilferuf nach„Preußen" hätte der Zechenbesitzer- verein besser nicht ausgestoßen, denn der Antrag Zimmer ist ein Niederschlag der großen Mißstimmung, die in Elsaß- Lothringen infolge der einseitigen Haltung gerade der preußi- schen Regierung in Sachen der Moselkanalisierung Platz gegriffen hat. Das durch keine sachlichen Gründe zu rechtfertigende Vorgehen der Regierung bei der Beratung des Schiffahrtsabgabe ngesetzes hat den Parti- kularistischen Bestrebungen einen beträchtlichen Resonanzboden in der Bevölkerung verschafft. Die meisten Befürivorter des Verhüttungszwanges unter- schätzen oder kennen die zwischen den in Betracht kommenden Wirtschaftsgebieten herrschenden natürlichen Wechselbeziehungen nicht. Der Erzreichtum im Minettegebiet ist zwar ungeheuer, aber dafür sind im Rcichslande für Verkokung geeignete Kohlen nur in geringem Maße vorhanden. Den»veitaus größten Teil ihres Koks müssen die Hüttenwerke im Minette- revier aus dem Ruhrbezirk beziehen. Wohl erklärte der lothringische Abgeordnete Engel in der Landtagssitzung vom 20. Juni d. I.:„Unsere lothringer Kohle wird jetzt verhüttet zu Koks und der Koks bewährt sich ganz gut. Es ist dies eine große Neuerung". Aber gerade der Abg. Engel, der sich im Par- lamentsalmanach als Bergwerksdirektor bezeichnet (Firma de Wendel, Groß-Moyeuvre ), muß wissen, daß auf absehbare Zeit die lothringischen Kohlengruben, auch wenn ihre ganze Förderung verkokt würde, (was schlechterdings unmöglich ist), nicht imstande sind, den enormen Koksbedarf der Eisen- und Stahlwerke im Minette- gebiet zu decken. Der Herr Abgeordnete und Bergwerks- direkor Engel hätte aber auch dem Landtag mitteilen sollen, daß sich die lothringischen Kohlen gw üben so gut wie ganz in ddn Händen der Firmen de Wendel, Thyssen und Stinnes befinde nl Wenn also ein irgendwie gearteter gesetzlicher Zwang auf die Verhüttung der lothringischen Erze im Ge- stehungslande ausgeübt würde, worauf das geschädigte östliche Wirtschaftsgebiet wahrscheinlich mit Erschwerungen der Kohlen- und Kokszufuhren antwortete, dann bedeutete dies keine Förderung der elsaß -lothringischen Landesinteressen, sondern die den Herrn Abg. Engel und seinen rakt ionsgenossen am nächsten stehende roßindustriellenfamilie. De Wendel sowie Thyssen-Stinnes erhielten eine ArtMonopol. Und der elsaß -lothringische Landtag, der soeben erst gegen die schranken- und lastenlose Ueberantwortung der Bodenschätze an großkapitalistische Spekulanten Stellung nahm, und sogar eine„vorläufige M u t u n g s s p e r r e" beschloß, hätte durch den Verhüttungszwang den Firmen de Wendel, Thyssen und Stinnes ein Bombengeschäft verschafft. Merkwürdig ist es überdies, daß sich ausgerechnet ein zu dem größten lothringischen Gruben-, Eisen- und Stahl- Werksbesitzer(de Wendel) in enger Beziehung stehendes Par- lamentsmitglied, der Herr Bergwerksdirektor Engel, so energisch für die Sperrung der Mutungen ins Zeug legt. An sich ist natürlich vom sozialistischen Standpunkt gegen die Aufhebung der Bcrgbaufreiheit— die in Wirklichkeit nur ein Privileg weniger Großunternehmer ist— nichts einzu- ivenden. Der sozialdemokratische Redner hat denn auch die Zustimmung seiner Fraktion zu dem Not-Gesetzentwurf, der vom 31. Dezember 1912 an die Annahme von Mutungen (Beanspruchung von Bergwerksfeldern) bis zur anderweitigen gesetzlichen Regelung untersagt, ausgesprochen. Unser Frak- tionsredner hat aber auch sogleich mit Recht darauf ver- wiesen, daß der selige Landesausschuß auf dem Gebiete der volkstümlichen Bergwerksgesetzgebnng völlig versagt habe. Ob die Mntungssperre jetzt noch überhaupt das Volksvermögen vor Schaden bewahren könne, sei sehr fraglich. Wie kommt aber ausgerechnet ein Wortführer der Berg- Werksunternehmer, deren Vereinigungen sich sonst stets für unbeschränkte Aufrechterhaltung der„Bergbaufreiheit" aus- sprechen, dazu, ihrer Einschränkung das Wort zu reden. Dieses Novum verdient eine nähere Betrachtung. Herr Berg- Werksdirektor Engel, Mitglied der Metzer Handelskanimer für den de Wendelschen Werksbezirk Groß-Moyeuvre . bringt einen Antrag auf„Modernisierung" des ganzen elsaß-lothrin- gischen Berggesetzes ein und begründet speziell die Mutungs- sperre bezw. Einstellung weiterer Bergwerksfelderverleihung I Dabei teilt er die Tatsache mit, daß seit Jahren die Bohrgesellschaften in Elsaß-Lothringen wie auch in Baden eine umfangreiche Tätigkeit entfalten: besonders die Jnter- nationale Bohrgesellschaft(Schaaffhausener Bankverein) habe an 150 oder 160 Mutungen erreicht. Diese Mutungen würden aber nicht kurz nach der Verleihung in Betrieb genommen, sondern die Felder„mit sehr großen Gewinnen verkauft, sogar sehr große Flächen an A u s l ä n- der und bis jetzt ist eigentlich nichts in Betrieb".(Stenogr. Bericht über die Landtagssitzung vom 26. Juni 1912.) Das heißt, die betreffende Bohrgesellschaft nutzt die„Bergbau- freiheit" durch Inangriffnahme Hunderter von Bohrungen aus, läßt sich die Felder gleich hundertfach verleihen und ver- kaust sie mit Riesenprofit. Betriebe toerden aber nicht er- öffnet. Erreicht ist so die Beschlagnahme dieser wertvollen Bergwerksfelder(Erze, Kali, Kohle) durch einige Unter- nehmergesellschaften. Die Bergbaufreiheit ist nur ein Märchen. Wie es gemacht wird, zeigt das Beispiel des Kaliberg- Werks„Amelie" in Oberelsaß. Die Kosten seiner Anlagen inklusive Felderwerb haben sich auf rund 4 Millionen Mark belaufen: aber für 29 Millionen Mark sind die Anlagen an die Gesellschaft„Deutsche Kaliwerke" A.-G. Bernterode, ver- kauft worden. Nun weigern sich die smarten Profitmacher sogar, die Wertzuwachssteuer zu bezahlen! Nach dem Statistischen Jahrbuch für Elsaß-Lothringen betrug 1910 der Flächeninhalt der verliehenen Bergwerks- felder zirka 2399 Quadratkilometer, aber der Flächeninhalt der im Betrieb befindlichen Felder belief sich auf nur 742 Quadratkilometer. Von 761 verliehenen Feldern wurden nur 84 ausgebeutet! Das privatkapitalistische Spekulanten- tum hat die elsaß -lothringischen Bodenschätze okkupiert, hat ungeheure Komplexe des Landes förmlich beschlagnahmt. Und die Regierung wie die Notablenkammer haben das ruhig ge- schehen lassen. Jetzt erst kommt die schwächliche Maßregel der bedingten Mutungssperre, statt eines Gesetzes, das alle noch nicht in Betrieb befindliche Bergwerksfelder(höchstens gegen Erstattung der wirklich aufgewendeten Kosten) zum Staatseigentum erklärt. Bezeichnend für unsere Zustände ist auch die in der Land- tagssitzung vom 20. Juni dieses Jahres erfolgte Mitteilung des Abg. H a u ß, die Internationale Bohrgesellschaft habe „offenbar infolge einer Indiskretion"(I) Wind bekommen von der Absicht des Landtages, die Mu- tungssperre nur für solche Felder eintreten zu lassen, wo die Schürfarbeiten nach dein 19. Juli dieses Jahres begonnen wurden. Daraufhin habe die Äohrgesellschaft an 15 Stellen einfach ein Rohr von 2 Meter Größe in den Boden getrieben, um glaubhaft zu machen, sie hätten ernstlich Schürfungen vorgenommen! Warum zog gerade Herr Engel gegen die massenhafte privatkapitalistische Beschlagnahme der Bcrgwerksfelder los? Ihm kann doch nicht unbekannt sein, daß die Firma de Wendel allein mehr Felder in Besitz genommen hat, als alle„ausländischen" rheinisch-wcstfälischcn Hütten zu- sammengenommen. Der de Wendelsche Felderbesitz beträgt 8411, die der genannten„ausländischen" Werke(9) zusammen 7118 Hektar. Fast das ganze kolossale erzreiche Gebiet zwischen Fentsch und Orne hat de Wendel okkupiert. Selbst- redend hat auch er nur erst den kleinsten Teil der ihm ver- liehenen Felder in Betrieb genommen. Nachweislich würde der angeblich zum Landcsnutzen eingeführte Verhüttungszwang dann auch vornehmlich eine lukrative Sonderbegünstigung der drei Firmen bedeuten, die ihrerseits die unheilvollen Versäumnisse in der elsaß-lothrin» gischen Wirtschaftsgesetzgebung durch Aneignung der bedeu- tendsten reichsländischen Kohlenfelder und umfangreicher Erz- lager ausgenutzt haben. Da wie gesagt die lothringischen Kohlenfeldcr allein den Brennstoffbedarf für die lothringische Hüttenindustrie nicht liefern können, so kommen als weitere Begünstigte die Firmen mit eigenen Kohlengruben an der Ruhr in Betracht, worunter sich wieder die drei schon mono- polisierten Gesellschaften befinden! Nach Lage der Sache würde sich also das„volkstümliche Heilmittel" Verhüttungs- zwang darstellen als eine staatliche Subvention einiger Groß- firmen auf Kosten der anderen, vornehmlich der mittleren und kleinen Unternehmungen im Lande. Und mit der bloßen Mutungssperre verhält es sich ebenso. Sie kann an der Monopolstellung der Großunternehmungen gar nichts än- dern, wenn nicht auch die Verstaatlichung wenigstens der am 31. Dezember dieses Jahres nicht im Betrieb befind- lichen Felder, ihre Reservierung für den Staatsbetrieb, mindestens aber für einen Betrieb nüt entscheidender staatlicher Beteiligung, gesetzlich festgelegt wird. Es dürfen daher nicht unter der Deckadresse„Förderung der reichsländischen Interessen" die elsaß -lothringischen Bodenschätze völlig und dauernd dem privatkapitalistischen Spekulantentum aus- geliefert werden. JDer Entscheidung entgegen. Die Konjetturalstrategen und Bierbankfcldherren haben jetzt gute Tage. Bei dem Chaos der täglichen Widerspruchs- vollen Meldungen, die teils von den amtlichen Nachrichten- bureaus der einzelnen kriegführenden Staaten mit bestimmten politischen und militärischen Hintergedanken in die Welt lanziert werden, teils dem Hirn sensationslüsterner Kor- respondenten entspringen, teils aber auch aus dem schmutzigen Dunkel der Börsenkulissen zu kurzem Lügenfluge aufflattern, ist der von keinerlei Sachkenntnis getrübten Phantasie taten- durstiger Zeitungsschreiber und Leser der weiteste Spielraum gelassen. Da kann man lesen und hören, wie die Türken operieren werden oder müßten, wie Bulgaren und Serben durch geniale Marschkombinationen den Feind in eine Mause- falle treiben müßten und was dergleichen Kriegstaten mehr sind, die sich hinterm warmen Ofen so schön austüfteln lassen. Die bürgerliche Presse, die solchen blutrünsttgen Phan- tastereien Raum gibt,— unsere Parteiprefse verhält sich er-
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