daß unter der Herrschaft einer Scheiudemolratie die bourgeoise Anarchie so groß ist, daß Gruppen imstande sind, den Krieg zu ent- fesseln. Uird da wähnt man, daß sich die Völker in einen Rausch hineintreiben lassen werden! Nein, das wird nicht geschehen! Das internationale Proletariat wird doppelt wachsam sein. Unser Kongreß wird den Staatsmännern und Herrschern die notwendigen Warnungen erteilen. Und nicht durch eitle Prahlereien bereiten wir uns aus die Verantwortlichkeilen von morgen vor. Mit Stolz dürfen wir sagen, daß wir unsere Pflicht erfüllt haben: in Italien , in Serbien und Bulgarien . Schwere Prüfungen harren auch auf unsere Herrschenden. Adler sagte: Ich prophezeie nicht, aber ich e r i n n e r e mich. Ich erinnere mich, daß dem Krieg von 1870 die Kommune folgte, dem russisch-japanischetl Kriege die russische Revolution. Wenn die Herrschenden uns die Hoffnung rauben wollen, eine friedliche Revolution zu vollbringen, wenn sie den Boden auf dem sie stehen, unterminieren, sind sie nicht nur Verbrecher, sondern auch Wahnsinnige. (Stürmischer Beifall.) Die Versammlung schließt in großer Bewegung mit dem Gesänge der„Internationale". Potttiscbe(leberlickt. Berlin , den 30. Oktober 1912. Sturm im Abgeordnetenhause. Feierlich hielt am Mittwoch Herr Mugdan , der von den Wohlhabenden des Tiergartenviertels, soweit sie gläubige Christen sind, zu ihrem Vertreter Erkorene, seinen Einzug ins Dreiklassenparlainent. Ob die auf der Tagesordnung stehenden Gegenstände das jüngste Mitglied des Hauses sonderlich interessiert haben, wissen wir nicht. Der Gesetzentwurf betreffend die Anlegung von Sparkassenbeständen in Jnhaberpapieren, dessen zweite Lesung zunächst zu Ende geführt wurde, gelangte im wesentlichen nach einem Kompromißautrag der bürgerlichen Parteien zur Annahme. Ein sozialdemokratischer Abände- rungsantrag, der festgelegt wissen wollte, daß von den zur Verwendung stehenden Sparkassenbeträgen in allen Fällen die Hälfte zur Erhöhung des Zinsfußes der Spareinlagen zu verwenden ist, fand keine Gnade vor den Augen der Mehr- heit, die für die kleinen Sparer nichts übrig hat. Eine Reso- lution der Fortschrittlichen Volkspartci, die die Regierung er« sucht, möglichst noch in dieser Session einen Gesetzentwurf vor- zulegen, durch welchen die öffentlichen Sparstellen gegen das Kursrisiko tunlichst sichergestellt werden, das ihnen der Zwangsbestand an Inhaberpapieren aufbürdet, wurde einer besonderen Kommission zur Vorberatung überwiesen. Diese Resolution bildet im Grunde genommen die schärfste Ver- urteilung des Gesetzes, und es ist charakteristisch für die Art der preußischen Gesetzesmacherei, daß man sich in derselben Sitzung, wo man eine Vorlage genehmigt, für die Notwendig- keit ausspricht, ein neues Gesetz zur Beseitigung der durch das eben geschaffene Gesetz zu erwartenden Schäden zu schaffen. In vorgerückter Stunde erhielt der Pole Korfan ty das Wort zur Begründung der Interpellation über die E n t- e i g n u n g ländlicher Besitzungen zu Ansiedlungszwecken. Seine Rede war eine flammende Anklage gegen die gemalt- same, gegen Recht und Verfassung verstoßende Polenpolitik der Regierung, deren unheilvolle Folgen für den Staat er in scharfen Worten brandmarkte. Der Landwirtschaftsminister Freiherr von Schorlemer beschränkte sich auf die Ver« lesung einer kurzen Erklärung des Staatsministeriums, die das Vorgehen der Regierung formell als zu Recht bestehend anerkennt. Ihm schlössen sich in zustimmenden Erklärungen die Vertreter der beiden konservativen und der national- liberalen Parteien an. Die vollzählig erschienene polnische Fraktion begleitete die Ausführungen sowohl des Ministers als auch der Hakatistischen Redner mit stürmischen Pfui-Rufen. Wenn es trotzdem am Ende der erregten Sitzung zu keinen Szenen gekommen ist, wie sie unter Kröcher und Erffa an der Tagesordnung waren, so ist das der beste Beweis dafür, wie« viel von der präsidialen Führung abhängt. Die Besprechung der Interpellation wird am Donnerstag fortgesetzt. Dann folgen Petitionen. Der neue Erzbischof von Köln . Wir haben gestern bereits der Meldung, daß der bis- herige Bischof von Münster , Dr. Felix v. Hartmann, zum Erzbischof von Köln erwählt sei, die Charakteristik hinzuge- fügt, daß der Neuerwähste der intransigenten ultramontanen Richtung angehöre und seine Wahl einen Sieg der Berlin - Breslauer Richtung über die Bachemiten und ihre geistliche Gefolgschaft bedeute. Diese Auffassung wird jetzt von ver- schiedenen rheinischen und westfälischen Zeitungen bestätigt. So schreibt die„Rhein.-Westf. Ztg.", die sich bisher immer als sehr genau unterrichtet über die Vorgänge im klerikalen Lager erwiesen hat: „Die Wahl des neuen Erzbischofs bedeutet die größte Ueberraschung für die Führer der Kölner Rieh- tun g. Die Wahl ist ein Beweis, daß Rom nicht gewillt ist, ihnen irgendwelche Konzessionen zu machen. Dr. Felix v. Hart- mann auf den Kölner ErzbischofSstuhl, heißt nichts anderes, alS einen Vertreter der strengsten kurialen Richtung zum päpstlichen Wächter über die Kölner Richtung zu machen. In der Riarzellenstraße in Köln kennt man ganz genau die Ge- finnung des Neuerwählten, der langjährigen rechten Hand deS verstorbenen münsterischen Bischofs Dingelstadt . Von dieser seiner intimsten Gegnerschaft gegen die„Kölnische Volkszeitung" hat er auch mit seinem Freunde Domkapitular Professor Hüls und dem früheren Seminarregens, jetzigen münsterischen Weihbischof Jlligens, niemals Hehl gemacht. Jedermann kennt ebenso die Stellung, die der von diesen drei Freunden nebst dem verstorbenen Bischof gestützte„Westfälische Merkur" dem Kölner Blatt gegenüber eingenommen hat und noch einnimmt. Es ist zweifelsohne, daß die Wahl nicht dic erste Willens- äußerung des Kölner Domkapitels darstellt. Schon im August wußte bereits der Mailänder liberale„Corriere della Sera ", der sehr häufig durch die Prälatur direkt aus dem Vatikan bedient wird, daß die Kurie einen von dem Domkapitel in Aussicht genommenen Kandidaten nicht wünsche. Dieser war Weihbischof Dr. Müller, entschiedener Anhänger der Kölner Richtung. Nun hat Rom , wie die wiederholten außerordent- lichen Sitzungen des Kapitels in den allerletzten Stunden be- weisen, dem Kapitel seinen Willen aufgedrängt." Aehnlich schreibt die„Köln . Ztg.": „Wir haben zur Zeit der Berufung Felix v. HartmannS auf den Bischofsstuhl von Münster einer Zuschrift Raum gegeben, die im Juteresse des Friedens zwischen Staat und Kirche sowie im Interesse unseres modernen Kulturlebens die Kandidatur des Herrn v. Hartmann um deswillen bekämpfte, weil unter ihm ein äußer st strenger, allen modernen Regungen feindlicher U l t r a m o n t a n i s m u s in der Diözese Münster um sich gegriffen hatte. Wir erinnern nur, an die Haltung, die sich die Herrn v. Hartmann nahestehende Presse gegen den Försterkursus in Münster erlaubte, und an die schroffe Stellungnahme, die er zum Modernismus einnahm. Wurde doch von den Professoren der Theologie in Münster verlangt, daß sie trotz des erhalte- neu päpstlichen Dispenses den Bischofseid l e i st e t e n. Es kommt mit ihm ein Mann auf den Kölner Bischofsstuhl, dem man gerade nicht nachsagen kann, daß er ein Anhänger der Kölner Richtung wäre. Insofern bedeutet seine Wahl eine Ueberraschung, und' seine Wirksamkeit wird gewiß in manchen Dingen von der des verstorbenen Erzbischofs ver- schieden sein." Kardinal Kopp wird nicht mehr über den„faulen Westen" zu klagen haben' er hat einen Partner erhalten. Pfarrer Hackenberg gestorben. Der nationalliberale LandhagAabgeordnete Hackenberg ist am Mittwoch vormittag einem Herzleiiden erlegen. Hackenberg war seit 1888 Mitglied des Abgeordnetenhauses, zu dessen besten Rednern er gehörte. Er vertrat namentlich in pädagogischen und religiösen Fragen seine Fraktion und verstand jedesmal durch seine geistvolle, nichts weniger als pastovale Art das Haus zu fesseln. Die noble und verbindliche Form, in der er sich mit seinen politischen Gegnern auseinandersetzte, sicherte ihm auch bei der sozialdemokratischen Fraktion lebhafte Sympathien. War es doch Herr Hackenberg, der, als einmal Herr von Kröcher während einer Rede Hackenbcrgs einen sozialdemokratischen Abgeordneten um Unterlassen seiner Zwischen- rufe ersuchte, sofort bemerkte, daß er sich durch die Zwischenrufe keineswegs belästigt gefühlt habe. Die anständige Form seiner sachlich doch durchaus entschiedenen Polemik, die sich allerdings von den ultrainontanen Klopffechtereien himmelweit unterschied, fand freilich nicht überall Beifall. Brachte es doch der Zentrumsabgeord- nete Dr. Bell einmal fertig, Herrn Hackenberg vorzuwerfen, daß er einen sozialdemokratischen Redner wie seinen Lieblingssohn be- handelt habe. Herr Hackenberg war freilich nicht nur bei den bür - gerlichen Parteien überhaupt, sondern auch innerhalb seiner eigenen Fraktion ein weißer Rabe. Die Sozialdemokratie empfindet angesichts des überraschenden HinscheidenS des geistig so rüstigen Mannes nicht nur menschliches Mitgefühl, sondern sie bedauert auch aufrichtig das Ausscheiden eines so ritterlichen Kämpen aus der parlamentarischen Arena. Eine neue Reichstagsersatzwahl. In der vergangenen Nacht ist im Alter von 69 Jahren der Reichstagsabgeordnete v. Bonnin gestorben, der den Wahlkreis Neu- stettin seit 1893 im Abgeordnetenhaus und seit 1893 im Reichstag vertreten hat. Bei der letzten Wahl erhielt er 8746. der sozial- demokratische Kandidat 1419 und der Nationalliberale 2943 Stimmen. Kriegshetze und Riistnngsmanie. Die Alldeutschen und Leiter des neugcgründeten Wehrvereins scheinen die gespannte Lage, in die Europa durch den Balkankrieg geraten ist, für eine günstige Gelegenheit zu halten, eine rege Agitation für Heeres- und Flottenvermehrungen zu betreiben. Sie haben eine Anzahl von ausrangierten Offizieren auf die Agitation ausgeschickt, die als militärische Wanderapostel von einer Stadt zur anderen reisen und das schöne Evangelium von der segcns- reichen Wirkung vermehrter Rüstungen verkünden. Darunter be- findet sich der Generalleutnant v. W r o ch e m. Er reist zurzeit am Niederrhein umher. In Mülheim a. d. Ruhr, wo er am Sonnabend im„Deutschen W e h r v e r e i n" redete, trat er auf, als ob Deutschland bereits am Vorabend eines Krieges stände. Natürlich war es England, auf das er es abgesehen hatte; aber auch einem Kampfe mit Frankreich ist er nicht ab- geneigt. Nicht langer mehr dürfe sich, erklärte er, Deutschland der englischen Machtprobe unterwerfen. Frankreich habe wenigstens Grund, uns zu zürnen, da es sich seit 1879 in seiner Ehre verletzt fühle. Seit dieser Zeit beweise es auch eine Opferwilligkeit für die Stärkung des Heeres, die beispiellos dastehe. Es werde deshalb bestimmt früher oder später mit Frankreich zum Kampfe kommen. Aber auch aus Rußland weiß merkwürdigerweise der Herr General für Deutschland nichts Gute? zu melden. In Rußland sei, erzählte er. das Offizierkorps dem Panslawismus verfallen und der hasse Deutschland . Also habe Deutschland drei Groß- mächte gegen sich. Dazu sei Italien ein sehr unzuverlässiger Bundesgenosse und Oesterreich nicht imstande, uns Rußland bcm Halse zu schaffen. Der Herr Generalleutnant sieht also den politischen Horizont Deutschlands für äußerst bedrohlich umwölkt an. Diese Situation findet er aber keineswegs betrübend, denn eine lange Friedenszeit könneDeutschland nicht vertragen. „Die Welt ", sagte er,„muß wissen, daß wir den Krieg zwar nicht wollen, aber auch nichtfürchten, der jeden Tag eintreten kait n." Den Gipfel der Generalsphilosophie aber erreichte der Herr Generalleutnant, als er meinte:„Der gerechte Krieg ist nicht ein Uebel, sondern ein großer Kultur- und Machtförderrr.(!) Der ewige Friede würde bald zur Entartung führeck." Schließlich ließ der Redner folgende Resolution annehmen, die dem Reichstage, dem Reichskanzler und dem Kriegsminister zugesandt werden soll: „1. Die bei der jüngsten Wehrvorlage bewilligten 196 Maschinengewchr-Kompagnien nicht allmählich in mehreren Jahren, sondern sofort jetzt aufzustellen. Es hat in der Armee starkes Befremden, im Volke lebhaste Unruhe erregt, daß dieses am 1. Oktober nicht geschehen ist; 2. dem Beispiel der Franzosen entsprechend die deutsche Kavallerie schon im Frieden in Divisionen zu gliedern und diese mit Infanterie mit Rädern oder Kraftwagen auszustatten; 3..den ungeheuren Bvrsprung. welchen Frankreich in der Friedenbespannung seiner sämtlichen Geschütze und Munitionswagcn vor uns hat, durch eine be- deutende Erhöhung des Pferdcbestandes bei unserer Feldartillerie einzuholen und auch für sämtliche deutschen Geschütze schon im Frieden die Bespannung zu schaffen. Vor allen Dingen verlangt das deutsche Volk, zu der Nötigen Mehrleistung bereit, daß zum Ausgleich des zahlenmäßigen Uebergewichts unserer mutmaßlichen Gegner alsbald im Deutschen Reich das Gesetz der allgemeinen Wehrpflicht zur vollen Durchführung kommt." Eine recht ansehnliche Agiiationsleistung. Fragen möchten wir nur den Herrn Geckeral v. Wrochem, woher er weiß, daß das Volk zu der nötigen Mehrleistung bereit ist. Gerade jener Teil des„Volkes", der dem Wehrverein nahesteht, hat es bisher immer meisterhaft verstanden, sich zu drücken, wenn es galt, dem Vater- lande finanzielle Opfer zu bringen. Jedenfalls sind die Wehr- vereine am allerletzten befugt, im Namen des deutschen Volkes zu sprechen. Vertagung des bayerischen Landtages. Der bayerische Landtag hat heute seine Session beendet. Der Minister des Jimern verlas die Botschaft, durch welche der Landtag bis auf weiteres vertagt wurde�_ Wieder ein christlicher Schwindel zertreten. Nach dem letzten Reichstagswahlkampfe wurde von den.Christen" im Kreise Essen geflissentlich die Lüge verbreitet, der dortige I Konsumverein„Eintracht" habe der sozialdemokratischen Partei in Essen 1899 M. zu Wahlzwecken zur Verfügung gestellt. Zweck der Hebung war, dem durch das Erstarken der„Eintracht" stark ins Hintertreffen geratenen„christlichen" Konsumverein„Wohlsahrt" Mit- glieder zuzutreiben. Obwohl die Behauptung vor dem Schöffen- aerichl in Essen als lügnerisch erwiesen wurde, kam dieses zur Frei« sprechung. Die Strafkammer als Berufungsinstanz verurteilte hin- gegen den Urheber des Schwindels zu 29 M. Geldstrafe. OelUmicb-CliigaMi. Parlamentscröffnung unter dem Schutze der Bajonette. Budapest , 39. Oktober. Abgeordnetenhaus. Für die heutige Sitzung des Abgeordnetenhauses waren von feiten der Quästur ent- sprechende Vorkehrungen getroffen worden. Um einer Ueber- rumpelung vorzubeugen, waren noch gestern abend Polizei- Mannschaften im Parlamentsgebäude untergebracht worden, die heute früh abgelöst wurden. In den frühen Morgenstunden nahmen Abteilungen von vier Jnfanterie-Regi- mentern vor dem Parlamentsgebäude Aufstellung, ferner 299 Schutzleute zu Fuß und 69 berittene Schutzleute. Die oppositionellen Abgeordneten versammelten sich um ,9 Uhr lm Klublokal der Justhpartei, von wo sie geschlossen vor das Abgeordnetenhaus zogen. Sie erschienen unter Führung der Abgeordneten Apponhi, Batthiany und des Grafen Michael Karolyi . Dcr Kommandant der Militär- abteilung, die den Eingang abgesperrt hieltz kommandierte: „Bajonett auf!" Es entspann sich ein kurzer Wortwechsel zwischen den Abgeordneten und dem Offizier. Aus der Menge von Neugierigen, die die Abgeordneten begleiteten, erschollen Rufe gegen die Soldaten:„Schämt Euch, Ihr seid ja auch Ungarn , Ihr seid ja unsere Brüder!" Man hörte auch Rufe:„Es lebe die Republik!" Schließlich entfernten sich die Abgeordneten vor 11 Uhr. Von den oppositionellen Abgeordneten betrat Graf Julius Andrassy als einziger das Haus. Um 19fh. Uhr eröffnete Präsident Graf Stephan Tisza die Sitzung. Die Regierungspartei und das Kabinett sind vollzählig erschienen. Snglanct. England und Deutschland . London , 23. Oktober. (Eig. Ber.) Der alte Lord Roberts verfällt in den Fehler so mancher Unglückspropheten, an deren Reden man sich allmählich gewöhnt, ohne eine Gänsehaut zu be- kommen, und die man eben aus Achtung vor ihrem Alter reden lassen muß. Seine letzte Rede hat wohl in Deutschland mehr Beachtung gefunden als in England. Der Versuch, die Furcht vor den angeblichen Plänen Deutschlands zur Förderung des Ge- dankens der allgemeinen Wehrpflicht auszunützen, beweist nur, daß all die schlagenden Argumente, die von den ersten Fachmännern gegen die Vorschläge der Militaristen angeführt worden sind, auf den alten General nicht den geringsten Eindruck gemacht haben. Das liegt sicher nicht an dcr Güte der Gründe. Die Alternative zu der Politik, die England von all den angedrohten Schrecken erlösen soll, wird heute sehr klar und deutlich in dem„Manchester Guardian" skizziert. Dieses fortschrittlichste und am kühlsten er- wägende Organ des englischen Liberalismus schreibt heute zu der Rede:«Je ernsthafter wir das Wachstum der deutschen Macht betrachten, um so größer sind die Gefahren, denen diejenigen Eng- länder, die den unvermeidlichen Krieg predigen, ihr Land aussetzen. Zwar schlägt auch Lord Roberts eine Versicherung gegen die Ge- fahren des Geredes vor, dem er selbst frönt. Aber wie würde uns die allgemeine Wehrpflicht für die Landesverteidigung helfen'! Wenn der Dienstzwang wirklich für den Zweck der Landes- Verteidigung ist, würde er an unserer Stärke nichts ausmachen, bis unsere Flotte besiegt wäre. Zu der Zeit würde cS für uns keine Hoffnung mehr geben. Und wenn andererseits das Hecr der allgemeinen Wehrpflicht für den Dienst im Auslande bestimmt wäre, würde es uns viel eher in einen Krieg verwickeln, als uns davor bewahren. Denn die verhältnismäßige Schwäche unseres Heeres und der insulare Charakter unseres militärischen Systemö sind die eine Bedingung, zu der man sich in unsere Vorherrschaft zur See fügt. Wir könnten nur eine kontinentale militärische Macht werden, indem wir unsere insularen Vorrechte verlieren und unsere Vor» Herrschaft zur Sc« gefährdeten. Als Versicherung gegen das Risiko des Krieges mit Deutschland sind Lord Roiberts Vorschläge aus diesen und anderen Gründen, die wir oft im einzelnen diskutiert haben, fast wertlos. Was bleibt uns nun übrig? Gewiß dürfen wir nicht fortfahren, wie jetzt vom Kriege zu reden und mit einem europäischen Allianzshstem gegen Deutschland zu kokettieren. Wir erkennen vollkommen die Gefahren dieser Politik. Wir würden ihr ein freimütiges Einvernehmen mit Deutschland über alle Punkte, wo sich unsere Interessen berühren, entgegenstellen. DaS ist zu einem weit geringeren Preise zu haben als dem, den wir jetzt für das Einvernehmen mit Rußland bezahlen, und es würde ungeheuer viel schwerer in die Wagschale fallen als irgend- etwas,-was unS Rußland geben kann. Die Rivalität zwischen England und Deutschland ist zu weit gegangen, als daß sie durch schöne Worte oder den Glauben an die guten Absichten des andern gemildert werden könnte.. Taten und nicht Worte sind notwendig und irgendeine Regierung, ob liberal oder konservativ, die so wenig Sinn für politische Realitäten besitzt, daß sie keine Grundlage für ein politisches Uebereinkommen mit Deutschland finden kann, ist des Vertrauens des Landes unwürdig." k�ußland. Die Dumawahlen. Petersburg, 39.Oktober. (W. T. B.) Heute würden die ReichSdumawahlen zweiten Grades in sämtlichen Gouvernements des europäischen Rußland beendet. Es sind S912 Wahlmänner gewählt worden. Davon sind 2542 Nationalisten, 139 ge» hören der gemäßigten Rechten an, 247 sind russische Nation«» listen, 68 unabhängige Nationalisten, 698 Oktobristen und Progres» sisten, 424 Kadetten und 343 Wilde. Die anderen politischen Gruppen sind nur schwach vertreten. Die Vertreter jeder dieser Gruppen stellen höchstens ein Prozent der Gesamtzahl der Wahl- männer dar. Die Rechte erzielte eine Majorität in 29 Gouver- ncmcnts, die Nationalisten und Oppositionellen hatten in je acht Gouvernements eine Majorität. In 15 Gouvernements hängt der Wahlausgang von den Oktobristen ab. In Sibirien , dem Kaukasus und in Polen gehört die Majorität wie früher den Oppositionsparteien, deren Vertreter in der Mehrzahl einheimische Nationalisten sind. China . Das Verhältnis zu Tibet . Peking , 29. Oktober. Hier ist ein Erlaß veröffentlicht worden, durch den der Dalai Lama in seine früheren Würden und Titel wieder eingesetzt wird. Das Amtsblatt erklärt, da« mongolische und tibetanische Bureau, das unter der Leitung des 5A>binetts sieht, fordere die notwendigen Mittel für die Entsendung von Agenten nach Tibet , die die Lage untersuchen und sich bemühen sollen, die Tibetaner zu überreden, in das Lehnsverhältnis zu China wieder einzutreten. Es wird vorgeschlagen, daß diese Agenten, die tibetanisch sprechen müssen, tibetanische Kleidung anlegen und von drei Seiten in Tibet einziehen sollen.
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