Krieg er herdorhebt. Der Sekretär HuhZmanI derliest zwei Bnefe,die von den Genossen L a p t s ch e>v i t s ch und S a k a s o w ein-gelaufen sind. Auf Antrag Vandervcldes werden die Briefe in dasvom Internationalen Bureau vorbereitete Bulletin, das olle dieKriegssrage betreffenden Dokumente samnieln wird, �aufgenommenwerden.Genosse Laptschewiisch schreibt aus Belgrad unter dem1V. Oktober:„Unsere Partei ist nicht imstande, sich in der Sitzung desBureaus vertreten zu lassen. Fast alle unsere Genosien sind ander Grenze und unsere Organisationen einfach verwüstet. DieRegierung hat Alt und Jung an die Grenze geschickt. ZweiAlle und drei Junge das ist alles, was geblieben ist,um das Vermögen und die Dokumente der Partei und derGelverkschasten zu Hilten und das Parteiorgan, das jetzt zweimalwöchentlich statt wie bisher täglich erscheint, zu redigieren. Unterdiesen Umständen sind wir keinen Augenblick im stände, uns vonunserem Volkshaus, wo wir Tag und Nacht verbringen, zu trennen.So müssen wir uns begniigen, den Genossen des InternationalenBureaus unsere herzlichen Griisje zu senden. Wir halten eS fürunsere Pflicht, folgende Erklärungen zu geben: Noch vor derMobilisation hat unsere Partei in einer großen Versammlung gegendie zum Krieg führende Politik protestiert und, im Einklang mit derResolution der ersten sozialdemokratischen Balkankonferenz von 1S09eine demokratische Balkanföderation gefordert. In diesem Sinnehat auch unser Parteiorgan in der kritischen Zeit energisch ge-schrieben und demgemäß hat sich auch � die Partei im Parlamentverhalten.Nußland hetzt die Balkanstaaten zum Krieg— Rußland, dessenzaristische Politik dieses Blutbad braucht, um durch die Schwächungder Völker ihre imperialistischen Zwecke zu fördern. Der Krieg aufdem Balkan lähmt die orientalische Revolution, hetzt die Nationen,die in jedem Ort eine Mosaik darstellen, durcheinander und bedrohtden Weltfrieden. Deshalb bitten wir die Genossen, sich mit der.Vage der Balkanvölker zu beschäftigen, vor allem die Genossen in»c.n Äroßstaaten, die mit ihrer iniperialistischen Politik die Situationverschärfen und durch ihre Diplomatie eine perfide Rolle spiele»,vor allem Rußland und Oesterreich, in der Presse und in den Parka-menten den Imperialismus und Kolonialismus zu bekämpfen. Denndie europäischen Regierungen wecken die Kriegsgelüste der Balkan-staaten und hindern dadurch ihren Zusammenschluß zu einer demo-kratischen Republik."Genosse S a k a s o w schreibt aus Sofia unter dem 10./23. Oktoberüber die Erfahrungen der jüngste» Zeit folgendes:„Jede sozialistischePartei soll ihre Maßnahmen gegen den Krieg schon lange vor derMobilisationsorder treffen. Es ist notwendig, daß die Sache de»Kriegs unpopulär tverde. Darum ist eS die Pflicht der Sozia-listen, in Ariedenszeiten eine möglichst starke Propaganda gegen denKrieg zu betreiben, um die Völker über die Argumente der bürger-lichen Parteien und den Mißbrauch, der mit den sogenannten Lebens-interessen getrieben wird, aufzuklären und die Auffassungen, die zuKonflikten führen können, zu widerlegen. Ein Krieg mit einemNachbarn, gegen den die Argumente, die man gegen die bürgerlichePerhetzungspolilik ins Feld führt, nicht wirken, wie dies jetzt derFall ist, wird ein populärer Krieg und die Sozialisten können gegenihn nichts ausrichten. Dagegen wird ein Krieg für koloniale.imperialistische und kapitalistische Interessen immer unpopulär bleibenund den Sozialisten gute Aussichten in ihrem Kampf und Protestund selbst in ihrer WiderstandSaktion bieten."Der vierte Punkt der Tagesordnung betrifftAnschlüsse an das Internationale Bureau.Die zu diesem Punkt eingebrachten Anträge T r o e l st r a undKautsky über das Vertretungssystem werden zurückgezogen. Dieenglische Frage wird»ach einer Diskussion vertagt. Hierauf wirddie Frage der„Sozialdemokratischen Partei Hollands" behandelt.Als Vertreter dieser Organisation wohnen G o r t e r und W i j n-k o o p der Verhandlung bei. Dem Exekutivkomitee wird das Mandaterteilt, zugunsten der Einigung zu vermitteln. Als Basis wird aufJaurös' Vorschlag die Freiheit der Kritik, aber auch das Maßhaltenin dieser anerkannt. Damit ist diese Angelegenheit erledigt.Rachmittagssitzung.Die Verhandlung über die AngliederungSgestiche wird fortgesetzt.Es kommen hierbei die Streitfragen der russischen Organisationzur Sprache. H a a s e unterstützt den von P l e ch a n ow geäußertenWunsch nach einem Aufruf zur Einigung. Er betont, daß dieEinigungßbewegung nicht dadurch gestört werden dürfe, daß sichEinzelpersonen als Vertreter der Gesamtpartet ausspielen. Auchdürfen die sog.„Liquidatoren" von den Einigungsverhandlungennicht ausgeschlossen werden.Aus Kanada, A u st r a l i e n und Südafrika sind zahbreiche Ansuchen uin Aufnahme in die Internationale eingelaufen.Das Bureau erteilt dem Exekutivkomitee die Vollmacht, zwischen denverschiedenen Organisationen dieser Länder zu vermitteln, um einekanadische, australische und südafrikanische Sektion zu konstituieren.Eine lebhafte Diskussion entspann sich über das Ansuchen dertschechischen Sozialdemokratie, von der Internationaleaufgenommen zu werden und eine Stimme im InternationalenBureau zu erhalten. B u r i a n verlritt das Ansuchen, Dr. Adlerunterstützt es. Für die Tschechoslawen sprechen Nemec undS o u k u P. Das Bureau beschließt, die tschechischen Sozialdemo-lraten als Untersektion der tschechischen Sektion zuzulassen. Dagegenstimmen nur die Tschechoslawen.Hierauf gelangt das gestern von Kautsky im Entwurf vorgelegte.von einer aus Vertretern der verschiedenen Nationen zusammen-gesetzten Subkommission durchberatene und umgearbeiteteManifest gegen den Krieg zur Verlesung. Es wird ein-st im m ig angenommen.Eine von P l e ch a n o w und Rubano witsch eingebrachteResolution, die gegen die in den zarischen Gefängnissen verübtenGreuel protestiert und das Erwachen der russischen revolutionärenBewegung begrüßt, das sich auch bei den Wahlen kundgegebenhat, wird gleichfalls einstimmig angenommen. Desgleichen eine vonAgnini undBalabanow iJtalien), Emilio Corralez undFabra RibraS iSpanien), P l e ch a n o w(Rußlandj, Kautsky(Deutschland), N a h u m(Türkei) und Rosa Luxemburg(Polen) unterzeichnete Resolution, die gegen die willkürliche Ver«Haftung der Organisatoren Ettor und Giovanitti unter demBorwand der moralischen Mitschuld an einem gemeinen VerbrechenEinspruch erhebt. Sie erklärt das gegen sie eingeleitete Gerichts-verfahren als ein offenkundiges Attentat auf die Rede- und KoalitionS-freiheit und lenkt die Aufmerksamkeit des Proletariats auf die reaktionärePolitik der Vereinigten Staaten, wo sich die Justiz zynisch in denDienst des Kapitalismus zur Bekämpfung des durch Propagandaund Organisation die Verbesserung seiner Lage anstrebendenflroketarlats stellt. Sie fordert die sozialistischen Parteien allerander zu einer energischen Protestbewegung auf und zählt be-sonders auf die energische Intervention der amerikanischen Arbeiter.Die Sitzung wird vom Vorsitzenden Aandervelde um 7 Uhr ge-schlössen.Hböfcordnetenbaus.90. Sitzung. Donnerstag, den 3t. Oktober 1913vormittags 1t Uhr.Am Ministertisch: v. S ch o r I e m e r, V.Dallwitz.Da» Hau» ehrt da« Andenken de» verstorbenen Abg. V.Hacken«Seeg(natt.) in der üblichen weise.Die Besprechung der polnischenInterpellation über die Enteignungwird fortgesetzt.Abg. Graf Praschma(Z.): Die bisherigen Redner au? demHause haben sich die Besprechung der Interpellation leicht geinacht.Aber mit der Behauptung, daß es sich um eine rss juätcata handelt,ist die Sache nicht erledigt.(Sehr wahr! bei den Polen.) DasGesetz kann geändert werden, die Enteignung selbst ist wie einvollstrecktes Todesurteil nicht wieder gut zumachen.(Sehr richtig I im Zentrum und bei den Polen.) Herrv. Zedlitz freute sich gestern über die Einigkeit der„nationalen"PaAeien. Bei der Beratung des Enteignungsgesetzes war von dieserEinigkeit und Begeisterung nichts zu merken. Von allen Seitenwurde oiese Vorlage, für die die Regierung ihre ganzeAutorität einsetzte, aufs schärfste kritisiert und die größte Parteistimmte ihm schließlich zu unter einer Motivierung, die einer Ab-lehnung verzweifelt nahe kam.(Sehr wahr I bei den Polen.) DieVornahme einer Enteignung aus politische» Gründen istirispiellos, ist unerhörtin der preußischen Geschichte.(Sehr richtig! bei den Polen.) Wennauch die Form der Ausführungen des Abg. Korfanth manchmal überdas Ziel hinausging, so können wir doch vieles von dem was ersagte, nur unterschreiben. Für mich als ch r i st l i ch-konservativen Mann war es schmerzlich, daß ein Mann wieder Abg. Korfanth solche Dinge hier vorbringen konnte.(Sehrgut l im Zentrum.) Dabei nmcht die Art, wie die Enteignung vor-genommen wird, auch noch den Eindruck der Schwäche auf feitender Regierung: man scheut sich, energisch das Gesetz anzuwendenund will nur irgendwie den Halatisten den Mund stopfen.(Sehr wahr! bei den Polen) Das Ziel erreichen Sie dochnicht und ebensowenig werden die Polen jemals nachgeben.(Sehr wahr I bei den Polen.) Die Politik, die Sie treiben, ehrtnicht die Grenzen deS Eigentums, darum ruht nach denWorten Octavio Piccolominis an seinen Sohn kein Segen darauf,und sie wird nicht zum Segen führen.(Lebhafter Beifall im Zentrumund bei den Polen.)Präsident Graf Schwerin-Löwitz: DaS Wort Hai...Abg. Graf Praschma: Ich bin noch nicht ganz fertig.(Heiterkeit.)Es kommt hinzu, daß diese Maßnahme der Regierung eineBriiskierung Oesterreichsbedeutet, die gerade im jetzigen Moment am wenigsten angebrachtist. Und endlich widerspricht die Enteignung den christlich-konservativenGrundsätzen und den sonstigen Maßnahmen zur inneren Koloni-satiou.(Sehr gut! im Zentrum.) Statt sie zu enteignen, müßteman die Polen zwangsweise ansiedeln. Die Herzen der Polen ge-Winnen Sie durch diese Politik niemals.(Sehr wahr I bei den Polen.)Sie stärken nur den Radikalismus unter den Polen, Sie treiben siein die Industriezentren, wo sie dem Sozialis-muS verfallen.(Sehr wahr! im Zentrum.) Alles, was kon-s e r v a t i v bleiben will in Posen, treffen Sie in erster Linie undschaffen einen Herd des Radikalismus mitten im Osten.Aus deutsch-nationalen Gründen rufe ich der Regierung zu: Nochist eS Zeit, den letzten Schritt nicht zu tun. An den Grundlagen derBodenständigkeit und des Eigentums sollte man in Preußen-Deutsch-land nicht rütteln.Wenn die jetzige Regierung nicht den Mut hat. von der Politikder Enteignung wieder zurückzugehen, so müssen wir auf einenzweiten Bismarck warten, der mit eisernem Besen mit dieserPolitik ausräumt. Die große Mehrzahl des deutschen Volkes wirder als Bundesgenossen auf diesem Wege finden.(Lebhafter Beifallim Zentrum und bei den Polen.)Minister deS Innern v. Dallwitz: Die Polenpolitik der Regierungist eine notwendige Konsequenz der geschichtlichen Eni-Wickelung. Der großpolnischen Propaganda muß entgegengetretenwerden, die Regierung muß diese separatistischen Bestrebungen ab-wehren. Sie findet nicht genug Land zu freihändigem Ankauf. Boneiner besonderen Harte den Enteigneten gegenüber ist keineRede.(Abg. Hoffmann sSoz.j: Das werden wir uns merken!> Ichwar zu diesen Ausführungen genötigt, um den maßlosen Ueber-treibunge» und krassen Entstellungen entgegenzutreten, die vonpolnischer Seite der Regierung ins Gesicht geschleudert worden sind.(Stürmische Pfui-Rufe bei den Polen.— Beifall rechtsPräsident Graf». Schwerin-Löwitz(zu den Pole»): Ich.ver-stehe Ihre Eregung, wenn Sie glauben, daß Ihnen unrechtgeschieht. Aber sein Recht vertritt man um so wirksamer, je ruhigerund leidenschaftsloser man vorgeht. Unterlassen Sie also bitte solcheZwischenrufe, die der Würde uiiserer Verhandlungen nicht entsprechen.sLebhafter Beifall.)Abg. Dr. Pachnicke(Vp) bekämpft die Enteignung aus politischen und wirlschafllichen Gründen. Der Justizminister hat seinerzeit erklärt, verfassundswidrig würde es sein. Polen am Erwerb vonBoden zu hindern. DaS fft nun der Fall, denn vom Erwerb istder Besitz nicht zu trennen. Ganz im Gegensatz zu der heutigenRede deS Ministers b. Dallwitz sagte uns Minister v. Schorlemer,daß noch bis 1913 genug Land zum freihändigen Ankauf vor-Händen ist. Der Weg von Berlin nach Posen ist mit Fehlern gepflastert. Statt die vernünftige AnstedelungSpolitik auf die ganzeMonarchie auszudehnen, beschränkte man sich auf zwei Provinzenund gab ihr dadurch eine nationale Spitze. So hält man diepolnische Welle nicht auf. Wer sich eine deuffchtreue Bevölkerungim Osten heranziehen will, darf nicht abgehen von der Linie deSRechts und der Gerechtigkeit.(Beifall bei der greis. Volkspartei.)Abg. v. Trampczynski(Pole): Die maßgebenden Persönlichkeitenhaben daS Unterscheidungsvermögen für Mein undDein verloren. Jedes von Polen neu gekaufte Land wirdjetzt ohne weiteres enteignet, und in der Verfassung steht, daß jederStaatsbürger das Recht hat, Grundbesitz zu erwerben! Wir wärendie größten Esel, würden wir der Regierung freiwillig Land zurAnsiedelung deutscher Bauern verlaufen, aber sobald sie polnischeBauern ansiedeln will, wird sie genügend Land zur Ver-fügung haben. Wir wollen nur als Nationalität weiter leben unduns entwickeln. Wer uns daran hindert, ist unser Todfeind.Eine Politik, die im Zeitalter der allgemeinen Wehrpflicht leiden-schaftlichen Haß in einem großen Teil der Bevölkerung erregt, istheller Wahnsinn.(Beifall bei den Polen.)Ludwigs XVI., Necker:hat sich in die Erdeum sich gegen die Massegegen wilde Tiere schützt."Abg. Borchardt(Soz.)iDie Art, wie gestern die Interpellation von selten der Regierungund der großen Parteien behandelt worden ist, ist außerordentlichbedauerlich. Man hätte sich doch fragen sollen: Ist eS richtig,in einer solchen Frage, die große Massen der Bevölkerung erregt.eine so ostentative Mißachtung zu zeigen. Man könnte beinahe aufdie Idee kommen, daß dieAbsicht, zu provozieren,dabei vorlag. Einen solchen Gedanken werden die großen Parteiendieses Hauses aber natürlich niemals haben, niemals!(Heiterkeitbei den Sozialdemokraten.) Lag diese Absicht nicht vor, dannbleibt nur übrig ein ganz sträflicher Leichtsinn. Denn die Folgeneines solchen Vorgehens mußten jedem Poliiiker klar fein. DieHauptfrage, zu deren Beantwortung die Regierung verpflichtet ge-Wesen wäre, ist die: warum hat man die Enleignung gerade gegenüber diesen Güter» und gerade in diesem Augenblick zur Ausführunggebracht. Hinter die Ansiedelunaslommission kann man sich nichtverslecken, denn eS liegt ein Beschluß deS StaatsminifteriumS vor.Die Regierung hätte die Antwort auf diese Fragen umsomehr gebenmüssen, als der Abg. Korfanty ihr den Borwurf dersc e i g h e i t gemacht hatte.(Präsident Graf Schwerin-Löwitz:Das hat derAbg. Korfanty nicht getan, sonst würde ich daS gerügt haben.)Jedenfalls hat Herr K o r fa n t y gesagt, man habe gerade m diesemAugenblick das Gesetz zur Anwendung gebracht, weil man gehoffthabe, unter dem Donner der Balkankanonen werde die Sache keineBeachtung finden in der weiten Welt. Ans jeden Fall hat er alsoden Vorwurf des Versteckspielö erhoben. Heute hat janun die Regierung wenigstens etwas mehr gesagt, nachdem ein Ver-treter de» Zentrum» gesprochen hatt». Aber aus die politische Frage,waMM mät» gdkab« jetzt die Enteignung bornehmen will, auf dieseFrage, die u»S alle angeht, ist die Regierung wiederdie Antlvort schuldig geblieben. Von großem Interesseist auch die Preissrage bei dieser Enteignung. 190? sagteFürst Biilow, es handele sich bei dem Enteignungs-gesetz in der Hauptsache darum, das Steigen der Güter-preise durch unlautere Spekulationen zu verhindern. Danachmußten zunächst einmal vor allem die Besitzer der deutschenGüter enteignet werden, die sich von der Ansiedelungs-kommission ihre Güter zu hohen Preisen abkaufen lasten. Und wieliegt die Sache bei diesen speziellen Gütern? Eins davon hateinen Wert von höchstens SOOOVO M. Für diesen Preis hätte esdie Ansiedelungskominission schon lange haben können. Inzwischenhat es ein P o l e gekauft, es sind zuletzt 920 090 M. dafür bezahltworden, und nun soll es für 950 000 M. enteignet werden.(Hörtlhört!) DaS sind Dinge, über die die Regierung uns sehr viel hättesagen können, wenn sie etwas hätte sagen wollen. Bei all diesenEnteignungsdebatten erleben wir ei» merkwürdiges Schauspiel.Beide Seiten beteuern, daß sie den Frieden wollen, aber jeder ver-langt, daß der andere den Anfang macht. Ist denn das christlich?Dabei stehen auf der einen Seite christliche Priester und aufder anderen die Vertreter des angeblichen chri st lichen Staates.Wenn die Regierung sagt, die Staatsnotwendigkeit erlaubt es nicht,den Polen entgegenzukommen, so beweist sie damit, daß mit christ-lichen Grundsätzen nicht regiert werde» kann, daß die Staats-Notwendigkeit über dem Christentum steht, wir also in einem christ-lichen Staat gar nicht leben.(Sehr wahr I bei den Sozialdemokr.)Sehr interessant war ein Wort des Herrn v. Heydebrand beiden Debatten über das Enteigmmgsgesetz. Er sagte am16. Januar 1908:„Es gibt Verhältnisse, in denen die Ge-setze schweigen, wir können in Verhältnisse kommen, wo wirnicht anders existieren können, als wenn wir Grundsätze, die wirsonst festhalten, die unverrückbar bleiben, der Notwendigkeit in dengegebenen Grenzen unterzuordnen imstande sind, es gibt Verhält-niste, wo man nehmen muß, weil man es nichtanders bekommt."(Lebhaftes Hört! hört! bei den Sozial-demokraten.) Das sind Sätze, die wir Sozialdemolraten unsmerken werden.(Sehr wahr I bei den Sozialdemokraten.)Sie bedeuten. daß über alles Recht und über alle Gesetzedie StaatSinteressen gehen. daß eS also ein unverrück«bares und heiliges Recht gar nicht gibt. Weiter besagen dieseWorte, daß gerade das Privateigentum nicht so heilig undunverrückbar ist. wie Sie eS uns gegenüber immer behaupten. Nursolange die Staatsinteressen es erlauben, soll danach das Privat-eigentum heilig und unverletzlich sein. Wer bestimmt aber darüber.was Staatsinteressen sind? StaatSinteressen sind allemal dieInteressen und Wünsche derjenigen, die im Staate die Machthaben. Also nach Herrn v. Heydebrand soll das Recht immer nurverbindlich sein, soweit eS den Wünschen der Machthaber entspricht.Sie sind schon von anderer Seite darauf hingewiesen worden, daßdie Machtverhältnisse sich im Laufe der Geschichte ändern. In ver-gangenen Jahrhunderten sind Machthaber gestürzt und anderean ihre Stelle gekommen, und in der gukuiisti wird es ebenso sein.Also in den Worten des Herrn v. Heydebrand liegt das klareZugeständnis, die Gesetze sind nur geschaffen, um die je«weiligen Machthaber zu schützen, diese selbst brauchensich daran nicht zu halten. Eine solche Ansicht ist nicht etwa So-zialismuS. nein, das ist reiner Nihilismus.(Sehr wahr! beiden Sozialdemolraten.) Es stimmt vollständig überem miteinem Wort deS Finanzministers„Eine kleine Anzahl von Menschengeteilt und hinterher Gesetz« geinacht,der übrigen zu schützen, wie man sich_.Dem Sinne nach hat ein kom'erväliver Mann, wie Herrvon Heydebrand, genau dasselbe gesagt. Und da verlangenSie von uns, daß uns Recht und Privateigentumheilig sein soll. Wir werden dem Volke deutlich mitteilen,daß Siedie Gesetze nur zn Ihrer Verteidig, mg machen,sich selbst aber nicht daran gebunden haben.(Sehr wahr l bei denSozialdemokraten.) Daß Sie im übrigen mit all diesen Dingennur unsere Geschäfte besorgen, brauche ich Ihnen nicht noch zusagen.(Hört! hört! bei den Polen.) Ganz dasselbe wird die Eni-eignung, die wir vornehmen werden, allerdings nicht sein, und auspolitischen Gründen, um einzelne Personen oder Nationen zutreffen, werden wir Sozialdemokraten nicht enteignen, sondern nuraus wirtschaftlichen Gründen in allgemeinen Interesse, weil wir imPrivateigentum die Quelle des Elends und der Notsehen.(Sehr wahr! bei den Sozialdemolraten.) Aber es hat michdoch gefreut, aus der Debatte von vor fünf Jahren zu ersehen, wieweit selbst ganz rechtsstehende Mitglieder des Hauses unserensozialistischen Anschauungen zuneigen. Gegenüber einem Zentrums-Mitglied, der eine scharfe Verurteilung des Gedimkens der Eni«eignung aus früherer Zeit mitteilte, meinte Herr Dr. Friedberg:Ja, das mag richtig gewesen sein für damals, das sind Aeußerungenverstorbener Parlamentarier, aber ich glaube Ihnen gezeigt zuhaben,daß man in bezug auf die Enteignung heute auf einem modernerenStandpunkt steht."(Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.) Wirwerden Herrn Dr. Friedberg zu gegebener Zeit an diese Aeuße-rung erinnern»nd wir hoffen, daß er in seinen inneren Anschauungenimmer moderner werden wird, so daß er schließlich für eine völligeEnteignung allen Privateigentums eintritt, und wir ihn eines schönenTages als unseren Genossen begrüßen können.(Große Heiterkeit.Zuruf.) Herr Dr. Röchling meint, er wäre auch für die Eni«eignung, unter der Bedingung voller Entschädigung, also Sie sehen,wir kommen uns schon näher.(Beifall.)Bei alledem verkennen wir nicht, daß die preußische Regierungsich in einer schwierigen Lage befindet. Die Polen vermehren sich,und die preußische Regierung hat Angst, daß sie schließlich ganz West-Preußen und Posen fast allein besetzen werden und folgert darausBefürchtungen für die militärische Sicherheit Preußens. DiesenKernpunkt der Frage hat Herr v. Rheinbaben 190? ganz richtigerkannt. Diese EntWickelung hängt auch garnicht vom gutenWillen der Polen ab. Wir Sozialdemokraten verkennen alsonicht, daß die preußische Regierung wohl berechtigt ist, in irgendeiner Weise eine Lösung zu suchen, um aus(diesen Schwierigkeitenherauszukommen. Aber ist denn das, was die preußische Regie-rung tut, eine wirkliche Lösung? Wir sagen mit HerrnV. Heydebrand: wir wollen doch nicht Versteck tpielen I Wenndie preußische Regierung nach ihrem Programm wirklich bandelnwill, muß sie darauf ausgehen, das polnische Bolkswm zu vernichten;dann sind alle ibre bisherigen Matznahmen, auch die Enteignung.nur halbe Mahnahmen. Zur Ausrottung der Polen süyiensie nicht, wohl aber erzeugen sie bei den Polen einenunauslöschlichen nationalen Haß.Wie furchtbar ein solcher Haß fich in Kriegszeiten entladen kann,sehen wir jetzt auf dem Balkan. Aber gibt es denn überhauptMittel zur Lösung dieser Schwierigkeit. Es gibt wohl eineLösung, aber die kann der preußische Staat nicht ergreifen,diese Lösung heißt nämlich nicht Völkerhaß, sondern Völker«Verbrüderung, diese Losung heißt Internationalismus,heißt Sozialismus. Diese Lösung bedeutet, daß jedes Volkdas Recht seiner nationalen Existenz hat. sein Bolkstum wahren.seine nationalen Eigentümlichkeilen pflegen darf und daß alle Böller«vir in einer großen Vülkerfainilie brüderlich beieinander leben.Diese Lösung wird der preußische Staat nicht eher finden und ver-wirklichen können, als bis er einmal zum Sozialismus weiterentwtckelt ist.(Lebhafter Beifall bei den Sozialdemokraten.)Abg. Riffen(Däne): Unser Rechtsempfinden ist durch die Eni-eignung aus politische» Gründen aufstief st e verletzt worden.Wir können darin nur eine Gewalttat erblicken, gegen die wiraufs schärfste protestieren.(Bravo! bei den Polen.)Di, Debatte schließt, der Gegenstand ist erledigt. Es folgenPetitionen,zunächst solche auf Verbesserung der VorrückungS- und Einkomm enS-vsrhSltniff« der Htlk»g,rtcht»diev«r sowie aus Teuerung»«