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als cm Zeitungsecho finden konnke. war vorweg ausge- schlössen. Heute ist der fordernde Teil nicht Serbien , das sich mit seinem Anspruch auf einen Streifen an der Adria auf das Recht der Waffen berufen kann, wogegen die Großmacht für ihre Forderung nicht das bescheidenste wirkliche Interesse ihres staatlichen Lebens anzuführen vermag. Nun ging diese Politik von der Voraussetzung aus, daß Serbien gegenüber einem Willen von der Entschiedenheit, wie ihn die gesamte Dreibundmacht darstellt, bei seiner Widerspenstigkeit nicht werde veryarren können, daß es werde einlenken müssen, daß es, die Aussichtslosigkeit seiner Absichten erkennend, dem Fordern Oesterreichs nachgeben werde. Schon die An- schauung zeigte eine erstaunliche Unkenntnis der psychologi- jchen Verfassung eines siegreichen Staates, zumal eines Staates, in dem die Phantasie immer stärker war als die Be- sonnenheit. Wie konnte ein verständiger Mensch daran nur glauben, die serbischen Herren werden sich beeilen, Europa zu beruhigen: wie konnte man glauben. Serbien werde un- gesäumt und ohne Widerrede die Forderungen Oesterreichs erfüllen? Vielmehr mußte man darauf gefaßt sein, daß Serbien es darauf anlegen werde, den Brand immer weiter zu tragen, seine Stellung also derart wählen werde, die man jetzt alsProvokation" be- zeichnet, welche aber nur die Haltung ist. bei der Serbien hoffen kann, von seinen ausschweifenden Hafen» wünschen wenigstens einen Bruchteil durchzusetzen. Wenn es nun wirklich so in der Welt ist, daß der Frieden Europas von dem Grade der Einsicht und der Vernunft Serbiens ab- hängig scheint, wenn das kleine Serbien der Mittelpunkt wird, um den alle Großmächte kreisen, so ist das nur die Folge jener falschen Politik, die es Serbien ermöglicht hat, die ganze slawische Welt zur Hilfe und Unterstützung anzu- rufen. Wären die Diplomaten, von deren Dummheit wir abhängen, nicht gar so unverständig, so hätte sich Oesterreich» Ungarn, anstatt wie hypnotisiert auf den Sandschak zu schauen, vor Ausbruch der Feindseligkeiten oder gleich nach Beginn des Krieges die Unverletzlichkeit des gesamten albani- schen Gebietes gesichert: damals hätte Serbien für die Ueber» lassung des Sandschaks diese bescheidenen Forderungen ohne Schwanken erfüllt. Aber die famose Dreibunddrplomatie hatte ihre Rechnung so ganz auf einen Sieg der Türken ge» stellt, daß sie nun. da das Gegenteil eingetroffen, den Er» eignissen nachlaufen muß, ohne sie mehr einholen zu können. Der zweite und der noch größere Irrtum war die falsche Einschätzung Rußlands , von dem die Diplomaten nur den jeweiligen Ssasonow'sehen und für dessen Friedensliebe sie Ströme von Tinte vergießen ließen. Aber es war doch eine wahrhaft kindliche Vorstellung, sich einzubilden, die Sache werde sich so glatt erledigen lassen wie im Annexionsjahre und es werde eine Drohung nnt derschimmernden Wehr" nach Petersburg genügen, um Rußland klar zu machen, daß es seine Hand von der Sache zu lassen habe. Schon daß durch diese vier Jahre hindurch mit dem Siege derZentralmächte" über Rußland und über die Tripelentente unausgesetzt ge» prahlt wurde, und noch mehr, daß die Schwarzgelben von dieser Kaltstellung Rußlands durch den großen deutschen Bruder unausgesetzt als mit einer fertigen Tatsache redeten und ruhmredig verkündeten, daß es Rußland nicht wagen könne, mit der Dreibundsmacht anzubinden; schon das mußte den Gegenschlag auslösen, der nun in einem Maße erfolgt ist, daß er die ganze Welt unheimlich erregt. Nun wird man in Deutschland wohl begreifen, was seine wahre Pflicht war: die nämlich. Oesterreich-Ungarn , wo man auf einen Prestigeerfolg versessen ist, von zwecklosen Forderungen, von gefährlichen Drohungen abzuhalten, den Mangel an Besonnenheit, den Oesterreich immer zeigt, wo es sich um serbische Dinge handelt, durch erhöhte Kühle und Ueberlegung wettzumachen. Allen Respekt vor der bundesgenössischen Treue, aber Deutsch - land hätte sie weit besser betätigt, wenn es. statt Oesterreich in seiner wechselvollen, haltlosen, von Forderung zu Forderung taumelnden Politik zu bestärken, statt den Bundesgenossen in einer Politik zu bestärken, die die Gefahr eines hirnrissigen Krieges in sich trägt, Oesterreich vor dummen Streichen abgehalten hätte. Das war nun die Politik, die die Sozialdemokratie angeraten hat und die die bürgerlichen Uebergescheiten verhöhnen zu dürfen glaubten und die sie mit der kindischen Rederei siehe den Herrn Pastor Naumann abtun wollten, daß die Sozialdemo- kraten die gigantische Bedeutung eines Hafens, der nur auf dem Papier stehen würde, nicht einzusehen vermögen. Wie aber derjenige in Oesterreich die einzige richtige Politik für des Volkes Wohlfahrt macht, der den Staatslenkern den Wahnwitz dieses Krieges um eines papiernen Hafens willen unmöglich macht, so bewährt sich auch in Deutschland nun der als der echte Vertreter der Interessen des deutschen Volkes, der Deutschland von der Mitschuld und Mitlast dieses Krieges abzuhalten versucht, der ein Verbrechen an der Menschheit und-die Verleugnung jeglicher Vernunft wäre, der in Wahr » heit ein Krieg ist, der unter allen Umständen unterbleiben » Eine englische Friedcnsmahnung. London , 26. November.(Privattelegramm des Vorwärts".) Die sozialistische Presse hat alles Recht, sich der Wirksamkeit ihrer Kritik zu rühmen. Kein geringeres Organ als die offiziöse Times" schreiben heute in einem Leitartikel: In England werden die Leute erstaunt und ungläubig vernehmen, daß der Krieg wegen der Frage eines serbischen Hafens oder selbst wegen der dahinter stecken sollenden größeren Angelegenheiten möglich ist. Ja, dorthin treiben die Nationen blindlings. Wer macht denn den Krieg? Die Antwort ist zu finden in den Kanzleien Europas unter den Leuten, die zu lange mit Menschenleben als mit Bauern in einem Schachspiel gespielt, die sich in ihren Formeln und dem Jargon. der Diplomatie so verwickelt haben, daß sie aufgehört haben, sich der handgreiflichen Realitäten, mit denen sie tändeln, be- wüßt zu sein und so wird der Krieg ferner gemacht werden, bis die großen Massen, die der Spielball der professionellen Ränkeschmiede und Träumer sind, das Wort sprechen, das zwar nicht den ewigen Frieden denn der ist unmöglich aber die Entschlossenheit bringen wird, daß Kriege nur für eine gerechte, redliche und vitale Sache geführt werden. Wenn das Wort je gesprochen werden soll, so war nie eine ge- eignetere Gelegenheit vorhanden als jetzt, und wir hoffen, eS wird gesprochen werden, während es noch Zeit ist. Die Mächtebesprechen". London , 26. November. Wie das Reutersche Bureau aus hiesigen diplomatischen Kreisen erfährt, ist. soweit hier bekannt, nichts ge- schehen, was den Pessimismus rechtfertigen könnte, der in einigen festländischen Hauptstädten zu herrschen scheint und sich auch eines Teiles der hiesigen Prefie bemächtigt hat. Man betont, daß die vor- liegenden Tatsachen eher eine optimistische als eine pessimistische flnf» fassung rechtfertigen, und weist darauf hin, daß die Mächte ihre Besprechungen fortsetzen, um die Grundlagen für die Verhandlungen einer künftigen Konferenz festzustellen. Man betont serner, daß die Bemühungen der Mächte darin anscheinend erfolgreich ge- wesen sind, daß der österreichisch-ierbische Streit wegen der Konsuln ein weniger ernstes Aussehen angenommen hat, und daß die Ver- treter der kriegführenden Mächte die Verhandlungen über einen Waffenstillstand als Vorläufer von Friedensverhandlungen wieder aufgenommen haben. Oetterrdth und Serbien . Das Treiben der schwarz-gelben Hetzpresse. Wien , 26. November. Während dieNeue Freie Presse" nach, der gestrigen Aeiißerung derNorddeutschen Allgcm. Zeitung" eine friedliche Schlichtung des österreichisch- serbischen Konflikts für möglich hält, meint die übrige Wiener Presse, an der Situation habe sich absolut nichts gebessert. Der Konsularkonflikt mit Serbien habe sich im Gegenteil durch das neuerliche herausfordernde Vorgehen gegen den Konsul Edl, den man unter allen Unistäiiden in Uesküb festzuhalten suche, verschlimmert. Es sei notwendig, in dieser Affäre schleunigst Klarheit zu schaffen. Bezüglich ProchaSkas seien die schlimmsten Befürchtungen angebracht. DasNeue Wiener Journal" läßt sich sogar aus Belgrad aus ganz bestimmter Quelle berichten, es sei kein Zweifel mehr daran, daß Prochaska tn Prizrend ermordet worden sei. Konsul Prochaska in Uskueb. Belgrad , 26. November. Nach einem Telegramm aus Uesküb ist der östcrreichisch-ungarische Konsul Prochaska dort eingetroffen und hatte mit dem österreichisch -uiigarischen Konsul Edl eine Unterredung. Seit gestern dürfen die fremden Konsul» in den besetzten Ge- bieten mit ihren Regierungen durch Chiffredrpeschrn und versiegelte Briefe korrespondieren. Eine serbische Aeußerung zum KoasulatSkonflikt. Belgrad , 2S. November. Das Regierungsblatt.Samouprawa' nennt die Affäre des österreichisch -ungarischen Konsuls Prochaska peinlich und unerwünscht und führt aus, daß die übereilten, durch den sachlichen Stand der Angelegenheit in keiner Weise begründeten Ausfälle eines Teils der österreichisch -ungarischen Presse zu be- dauern seien. Wenn die serbischen Militärbehörden so beißt eS einzelne nicht vollauf gerechtfertigte Maßnahmen ergriffen haben sollten man sagt nicht umsonst i la guerre oomme ä la guerre so wäre es jedenfalls notwendig gewesen, erst daS Er- gebni» der Untersuchung abzuwarten, denn ebenso wie die serbischen Militärbehörden konnte auch Prochaska selbst gefehlt haben. Di« Untersuchung wird dartun, wer die Schuld trägt. Die serbische Regierung hat gegenüber Oesterreich-Ungarn und auch den übrigen Nachbarn niemals Schikanen geübt und konnte kein Jnleresie daran haben, daß dem Konsul Prochaska irgend etwas Unangenehmes widerfährt. Die serbische Negierung kann danach überhaupt keil« Verantwortung treffen. Wenn die Untersuchung Fehler der serbischen Militärbehörde erweisen sollte, so wird diese Behörde sich zu ver- antworten haben. Keine militärischen Maßnahmen Serbiens gegen Oesterreich . Paris , 26. Novenibcr. Der Sonder-Berichterstatter des Matin" meldet aus Belgrad : Nichts kennzeichnet die Geistes- Verfassung der Serben bester, als die Tatsache, daß sie bereits an 60000 Mann nach Thrazien gesandt und noch weitere 50000 Mann dorthin senden wollen, und daß sich im Lande selbst gegenwärtig keine 10000 Mann befinden. Die Serben hätten ein unbegrenztes Vertrauen entweder zu der Mäßigung und den Friedensabsichten Oesterreich-Ungarns oder zu dem Beistande Rußlands . Schwarz-gelber Koller. Wie derFrankfurter Ztg." ans Wien gemeldet wird, ist dort dieBrbriterzettnng" konfisziert worden wegen Wiedergabe der von dem Sozialistcnkongrrß in Basel beschlossenen Resolution und verschiedener dort gehaltenen Reden. Der Staatsanwalt hat ferner die hier eingelroffeuca deutschen BlätterLeipziger Tageblatt ", Berliner Tageblatt",Breslau «; Zeitung",Hamburger Fremden» Watt" undMünchener Neueste Nachrichteil" konfisziert. Geheimniskrämerei im österreichischen Abgcordnetenhause. Wien , 26. November. DaS Abgeordnetenhaus begann heute die zweite Lesung der Regierungsvorlage betreffend die Ein- führung der Klassenlotterie. Nachdem die Verhandlungen hierüber abgebrochen waren, protestierte am Schlüsse der Sitzung der Abg. Seitz gegen die Konfiskation der heutigenArbeiterzeitung" wegen Veröffentlichung des Friedensmanifestes des Internationalen Sozialistenkongresses in Basel und dagegen, daß der Präsident die diesbezügliche Jnter- pellation der Sozialdemokraten nicht verlesen ließ. Die AuSfüh- rungen von Seitz wurden von den Abgeordneten der Linken mit lebhaften Schlußrufen und Lärm unterbrochen. Der P r ä s i- d e n t erwiderte, er fei mit Rücksicht auf die schwere Situation, in der der Staat sich befinde, der Ansicht, daß die Interpellation in geheimerSitzungzu verlesen sei. Abg. S t o e l z l(Deutscher Nationalverband) trat unter lebhaftem Beifall der Linken den Aus- führungen von Seitz entgegen und erklärte, die ganze Bevölkerung Oesterreichs wolle den Frieden, aber den Frieden in Ehren. Stoelzl hob den patriotischen Sinn der Bevölkerung hervor, welche bereit sei, mit aller Kraft für die Ehre und für die Integrität deS Reiches einzutreten. Von dem gleichen Gefühle fei auch das Parlament erfüllt.(Stürmischer, langanhaltender Beifall links.) Der Präsident ordnet hierauf eine geheime Sitzung an, worin die Abgeordneten sich der Ansicht des Präsidenten anschlössen, daß die Interpellation der Sozialdemokraten nicht in öffentlicher Sitzung zu verlesen sei. (Nächste Sitzung morgen.) Vom Hmgefchauplatze. Die Waffenstillstandsverhandlunge». Konstantinopel , 26. November. Der Minister deS Aeußern hat dem Vertreter oon Wolfis Trlegraphischem Bureau erklärt, daß gestern nachmittag um 2>/z Uhr die Waffrnstillstaiidsverhaiidlungcn begonnen hätten, indem die türkischen Unterhändler Oberst Ali Risa, der frühere Borfiyende der montenegrinischen Grenzrcgulierungs- kommission, und Reschid Pascha in Baktschilöj mit den bulgarischen Delegierten zusammentrafen. Bis gestern abend waren dem Minister deS Arußern noch keine neuen Borschläge Bulgariens bekannt. Der Kampf um Adriauopel. Sofia , 23. November. Die Besatzung Adrianopels unter- nahm gestern einen neuerlichen Ausfall gegen den südlichen Teil der bulgarischen Belagerungsarmee, wurde aber mit sehr bedeutenden Verlusten zurückgeschlagen. Eine angebliche jungtürkische Verschwörung. Konftantiiiopcl, 26. November. Ein Coinmuniquö des Kriegs- gerichts besagt über die Verhaftungen von Jungtürken : Während der Versammlung vom 7. Oktober, deren Teilnehmer den Krieg forderten, bemerkte man unter der Menge, die einen Angriff auf die Pforte unternahm, vornehmlich Komiteemitglieder und auch Offiziere in Zivil. Die Versammlung war organisiert worden, um die Regierung zu stürzen und eine Revolution hervorzurufen, was durch die Rufe der Monifestanten: «Ihr habt daS Land verkauft!" bewiesen ist. Die Unter» suchmig stellte weiter fest, daß ein Delegierter des Komitees sich mit einem Terroristen bekannt machte, um Bombenatteniale gegen die geheiligte Person deS obersten Kriegsherrn wie gegen den KrieqS- minister und andere Würdenträger zu veranlassen. Auch die Militär» behörde nahm Verhaftungen von Personen vor, die beschuldigt sind, an diesen Plänen teilgenommen oder Einfluß aus sie ausgeübt zu haben. Diejenigen Verhasteten, gegen die ausreichende Beweise fehlten, wurden auf freien Fuß gesetzt. Es heißt, daß eine An- zahl der festgenommenen Komiteemitglieder nach Konia gebracht worden ist. Deutsche Kriegsberichterstatter als Opfer der Cholera. Frankfurt a. M., 26. November. DerFranks. Ztg." wird aus San Stefano gemeldet: Legatwnsrat Dr. Bn- miller ist im Grand Hotel zu San Stefano trotz der Bemühungen zweier deutscher Aerzte gestern nacht an der Cholera gestorben. Konstantiuopel, 26.. November. Zwei deutsche Kriegs- berichterstatter, die ebenso wie der verstorbene Legationsrat Dr. Buniiller in San Stefano an Cholera erkrankt waren, befinden sich auf dem Wege der Besserung. Die Besetzung der Insel Chios durch die Griechen. Athen , 26. November. Bon Oberst Delagrammatica ist folgende vom 26. d. M. datierte Depesche aus C b i o S eingelaufen: Die Insel Chios ist seit gestern abend beseIt. Nachdem am selben Tage in Coutari Truppen gelandet waren, trat ich den Marsch zur Stadt an, die ich ohne Schwertstreich besetzte, da sich die türlische Garnison ebenso wie die übrigen türkischen Truppen, die von dem Landungskorps gleich nach der Landung zer» streut worden waren, in die Berge zurückgezogen hatten. Die türkischen Truppen in Stärke von tSOO Mann ivurden von den Griechen in? Innere der Insel znrückgeivorfcn. Sie verloren mehrere Tore und Verwundete sowie Gefangene. Durch eine Proklamation habe ich der Bevölkerung die Besitzergreifung der Insel im Namen des Königs der Hellenen mitgeteilt. An der Eroberung von ChioS waren zwei Regimenter und zwei Batterien der griechischen Armee beteiligt._ Ccuerungsnot. Heute endlich ist der Tag gekommen, an dem die Ver- trcter des deutschen Volkes mit dem Kanzler und der Regierung abrechnen können, nachdem diese junkerlichen Hörigen monate- lang der Anklage an d e r Stelle ausgeivichen sind, die durch die Verfassung zur Erörterung der dringlichsten Aufgaben vor- gesehen ist. Wenn aber der Kanzler glaubt, daß durch diesen Zettaufschub seine Schuld ins Vergessen geraten ist und die ernsten Ereignisse auf dem Balkan mit all ihren Folgen das Interesse abgelenkt haben, so irrt er sich. Wo die Not noch unvermindert herrscht, kann es kein Vergessen geben. Die Vertreter der notleidenden Massen werden heute von neuem die Elcndsbilder entrollen und die notwendigen Maßnahmen fordern, mit denen der Hunger energisch bekämpft werden muß. Vergebens sind die reaktionären Parteien der Regierung durch die Teuernngs- interpellation im Landtage zu Hilfe gekommen. Nicht das Dreiklassenhaus ist dazu berufen, für die Wirtschaftspolitik dcS Deutschen Reiches irgendwelche Direktiven zu erteilen. Auf den Reichstag und seine Mitglieder kommt es vielmehr an! Wenn der Kanzler nicht etwa die verfassungsmäßige Institution deS organisierten Volkswillens verhöhnen will, wird er auch nicht hinter die Formel flüchten können. daß er seine und der Regierung Anschauungen über die Teuerung bereits im Abgeordnetenhause mitgeteilt habe. Mag er sich auch in erster Linie als Werkzeug launischer Gnaden seines Herrn oder als höflicher Kavalier gegenüber den scheuen Fragern im Landtag fühlen, dem Reichstag ist er nicht iveniger volle Rechenschaft schuldig. Er wird sprechen, ant- warten müssen auf das, was die Volksvertreter ihm vorhalten werden. Und wahrlich, dieses Schuldtonto ist nicht gering. Als im vergangenen Sonimer eine teilweise Mißernte, die im wesentlichen nur Gemüse, Kartoffeln und Futtermittel betraf, das nie an Ueberfluß leidende Volk schiver belastete, da forderte man nicht nur Abhilfe für den Augenblick, sondern wies den Kanzler auch auf die weiteren notwendigen Folgen der Dürre hin. Gerade das plötzliche geringfügige und schnell vorübergehende Sinken der Viehpreise, das der Kanzler als Beweis normaler Zustände pries, hätte ihn auf die Ge- fahr aufmerksam machen müssen, die dem deutschen Vieh- bestand für die nächsten Monate und Jahre drohte. Aus N o t schlachteten die Landwirte. Und heute herrscht ein Vieh- mangel, wie er seit Jahrzehnten nicht erlebt worden ist. Un- geheure Preissteigerungen und ein bedeutender Rückgang des Konsums mußten die unvermeidbaren Begleiterscheinungen werden, wenn man nicht die Grenzen für den Reichtum des Auslandes, für den Ueberfluß der überseeischen Länder öffnete. Im vergangenen Jahre bereits hätte der Reichs- kanzler durch Herabsetzung des Zolls auf Futterniittel und Vieh die Minderung des deutschen Viehbestandes hindern sollen. Der gleiche Kanzler aber wagt es jetzt, weitere Maßnahmen zur Bekänipfung der Teuerung mit der Rücksicht auf den Bestand der deutschen Viehwirtschaft zu verweigern! Das Material über die Not des Volkes liegt in Zahlen und beschreibenden Angaben so reichlich vor, daß es keines neuen Beweises bedarf. Auch die geringfügigen Erleichts- rungen für die großen Städte haben keine nennenswerte Besserung gebracht. Nach den amtlichen Ausweisen zahlt man noch heute für Hammel-, Rind- und Kalbfleisch etwa 18 bis 20 Pfennige, für Schweinefleisch und Speck 40 bis 48 Pfennige mehr pro Kilo als im November des Vorjahres. Im November zeigte sich sogar bei einigen Fleischsorten wieder eine Tendenz zum Steigen der Preise, nachdem die zweite Hälfte des Oktobers einen nur geringen Rückgang gebracht hatte. Bei solcher Notlage gelten nicht die angeblichen Jnter- essen einer Handvoll Junker, da heißt es Hilfe schaffen für die Millionen arbeitender Massen. Wirkliche Beseitigung der Notlage kann aber nur der Bruch mit der bisherigen Wirt» schaftspolitik bringen, deren Geschichte Opfer über Opfer an Hunger und Not zählt. Gleich der Regierung laden auch die bürgerlichen Par- teien die volle Verantwortung auf sich, wenn sie sich init den schwächlichen Maßregeln zufrieden geben. Nur die Vertreter der Sozialdemokratie kennen keine Aenderung in Programm oder Taktik, ob sie vor einer Volksversammlung, im Rathaus. im bundesstaatlichen Landtag odex im Reichsparlament