it. 282. LS.IahrgW. 1. Keilize des Jotiitfs" letlinn UxllisM. Diettstag, 3. DtjtAbtt M2. vie Nettlsge im Keichstage. 79. Sitzung. Montags den 2. Dezember 1912, nachmittags 2 Uhr. Am Bundesratstisch: v. Bethmann Hollweg . Kühn, d. Tirpitz, Delbrück , Kraetkc, Lisco, v. Heeringen, Solf, v. Kiederlen-Wächter. Erste Lesung des Etats. Präsident Dr. ttacmpf: Der Reichskanzler wird sofort beim Beginn die Erklärungen abgeben, die er abzugeben gedenkt. Ich schlage dem Hause vor, daran sogleich die Beratung der aus- wältigen Angelegenheiten zu knüpfen. Reichskanzler v. Bethmann Hollweg : Bei einer Besprechung der auswärtigen Lage sind es die Er- ei g nisse aus dem Balkan , die zurzeit so ziemlich unsere ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen. Allerdings haben die Verhältnisse auf der Balkanhalbinscl schon seit Jahrzehnten die Auf- merksamkeit der europäischen Großmächte in besonderem Maße be° schäftigt. Wiederholte Versuche sind gemacht worden, die Zustände da- selbst zu bessern und zu ordnen, wobei die Hauptschwierigkeil in der V er- schiedenveit der Rassen und der Religion beruhte. Bei dem Sckeitern aller dieser Versuche mußte immer wieder mit einem ge- wallsamen Ausbruch der Leidenschaften gerechnet werden. Das Bestreben der Regierungen der Großmächte war darauf gerichtet, diesen Ausbruch möglichst lange hinantzuhalten und toenigstens solange zu verschieben, daß er nicht zu einem Kampfe aller gegen alle auf dem Balkan selbst, und vor allem nicht zu Verwickelungen unter den Groß- mächten führte. Nun hatte sich aber im Laufe dieses Jahres die Stimmung zwischen der Türkei und den Balkanstaaten so zugespitzt. daß der Ausbruch des Konfliktes nicht mehr zu verhindern war, trotz des eifrigen Bestrebens der Mächte, den Flieden zu erhalten, insbesondere mußten wir auf eine gewaltsame Lösung gefaßt sein, seit uns zu Beginn dieses Sommers bekannt geworden war, daß sich die B a l k a n st a a t e n zu einem Bunde zu s am menge schlössen hatten. Als wir den Kampf als unvermeidlich ansahen, haben wir vor allem darauf hingewirkt, ihn zu lokalisieren. Dies ist bisher gelungen, und ich kann wohl die bestimmte Hoffnung aussprechen, daß das auch weiter ge- lingen wird.(Bravo !) Von den Borgängen auf dem Balkan werden wir zwar nicht unmittelbar berührt, und in manche il Punkten steht unser Interesse hinter dem anderer Mächte zurück. Immerhin sind wir berechtigt, gleich den anderen Mächten an der Neuregelung der Dinge mitzuwirken, denn an der künftigen Ge- stallung der ökonomischen Dinge auf dem Balkan sind wir sehr wesentlich und direkt interessiert. Ich erinnere nur an die Er- Haltung der den türkischen Staatsgläubigern gewährten Sicherheiten. Außerdem werden wir bei der Regelung mancher Frage unser Wort zugunsten unserer Verbündeten niit in die Wagschale ?u legen haben.(Schwaches Bravo! rechts.) Von den Krieg- ührenden wird nicht bestritten, daß bei der endgiliigen Regelung der künftigen Grenzen die Großmächte ihre Interessen zur Geltung bringen müssen und auf Grund dieser Interessen zur Mitwirkung berufen sind. Wenn über das Maß der Mitwirkung den einzelnen Groß- mächten und einzelnen der Kriegführenden Meinungsver- schiedenheiten bestehen oder entstehen, so wird den Groß- mächten die Durchsetzung ihrer Forderungen wesentlich erleichtert, wenn sie sie gemeinsam vertreten. Um dies zu erreichen, schwebt ein lebhafter Gedankenaustausch unter den Mächten, über den ich heute nichts Näheres sagen kann, da er noch an- dauert. Ich kann aber sagen, daß er bisher in entgegenkommendem Geiste geführt wurde und alle Aussichten auf Erfolg bietet. Natürlich werden die Ansprüche der Mächte im einzelnen erst dann festgestellt werden können, wenn die Stipulationen vorliegen, die die Kriegführenden unter sich getroffen haben werden. Dann wird zu übersehen sein, inwieweit sie in die Interessensphäre anderer Mächte eingreifen. Sollten sich bi§ dahin— was wir nicht hoffen— unlösbare Gegensätze ergeben, so wird es Sache der im einzelnen Fall direkt interessierten Mächte sein, ihre Ansprüche zur Geltung zu bringen. Das gilt auch für unsere Bundes- genossen; wenn sie aber bei der Geltendmachung ihrer Interessen wider alles Erwarten von dritter Seite angegriffen und damit in ihrer Existenz bedroht werden sollten, dann wurden wir unserer BundcSpflicht getreu fest und entschlossen an ihre Seite zu treten haben. (Bravo I rechts und bei den Nationalliberalen.) Und dann würden wir zur Wahrung unserer eigenen Stellung in Europa zur V e r- teidigung unserer eigenen Zukunft und Sicher- heit fechten!(Bravo ! bei denselben Parteien.) Ich bin fest überzeugt, daß wir bei einer solchen Politik das ganze Volk hinter uns haben werden.(Zustimmung rechtö.) Wir haben große Interessen bei der Lösung des Streites zwischen der Türkei und den Balkanstaaten zu vertreten. Seit langen Jahren war unsere Politik darauf gerichtet, bei guten wirischaft- lichen und poliiischen Beziehungen zu. den Balkanstaaten die Türkei in wirtschaftlicher Hinsicht zu erhalten und zu stärken. Wir glauben, dadurch der Türkei manchen Dienst erwiesen zu haben, ohne daß wir dabei unsere guten Beziehungen zu anderen Mächten gestört hätten. Dieser Politik, die allerdings bei Ausbruch des türlischcitalienischen Krieges gerade bei uns heftig angegriffen wurde, möchte ich es als einen Erfolg vindizieren, daß wir uns während eines Krieges zwischen einem Freunde und einem Bundes- genoffen, die Sympathien beider zu erhalten gewußt haben. Diese Politik werden wir auch weiter fortsetzen. Wir hoffen, daß unsere bisherigen freundschafilichen rege» Beziehungen zu den Balkanstaaten durch deren zweifelloses Erstarken, namentlich in wirtschaftlicher Hinsicht, einen neuen Aufschwung nehmen werden. Dabei wird unser Streben auch ferner dahin gehen, die Türkei nach dem Friedensschluß als wichtigen ökonomiscben und politischen Faktor zu erhalten. In diesem Wunsche und Bestreben begegnen wir uns nicht nur mit unseren Bundesgenossen, sondern auch mir anderen Mächten, die sich mit ans die Erhaltung einer wirtschaftlich gesunden Türkei angelegen sein tasten Dieses Bestreben widerspricht schon an sich dem von der Preste. den Großmächten oder einzelnen derselben vielfach unler- gestelllen Absichten von Landerwerb auf Kosten der Türkei aus Anlaß des gegenwärtigen Krieges. Ich kann diese Unter steNang nacb den bisherigen Besprechungen unter den Mächten als» n r i ch r i g bezeichnen. Der rege Gedankenaustausch unler den Mächten bauen an und wenn ich auch noch nicht sagen kann, in welchen Formen er sortgesetzt werden wird, so wird er fortgesetzt werden nach den günftiaen Ergebnissen, die er schon jetzt gehabt hat, und die eine allsei, ig« befriedigende Lösung unter den Großmächten erwarten lassen.(Vereinzelter Beifall rechts.) Abg. Ledebour(Soz.): Ich glaube nicht zu irren, wenn ich aus dem e r st a u n t e n Stillschweigen, das auf die Rede des Reichskanzlers folgte und das nur durch schwaches Beifallsgemurmel rechts unterbrochen wurde, den Schluß ziehe, daß alle Parteien dieses Deutschen Reichs- tages eine etwas ausgiebigere Auskunft von dem Reichskanzler in dieser so außerordentlich kri- tischenLage fürEuropa„nd unser Vaterland er« wartet haben, ausgiebigere Auskünfte vor allem deshalb, weil den ganzen Sommer über, als wir, als Europa wiederholt dicht vor dem Ausbruch eines großen, allgemeinen Krieges gestanden haben, die Reichsregierung es trotz der an sie ergangenen Aufforderungen nicht für nötig gehalten hat, den Reichstag zu- fammenzuberufen und sich mit dem Vertreter des Volkes darüber zu verständigen, welche Haltung in den Balkanwirren und allem was daraus entstehen kann, denn eigentlich das Deutsche Reich einzunehmen hat. Was wir heute zu hören bekommen haben, waren Allgemeinheiten, waren Platitüden, das hätte jederzeit ge- sagt werden können, sowohl bei Beginn des Krieges, als auch ein paar Jahre nachher.(Heiterkeit.) lieber die Absichten der Reichsregierung, über die Pläne ihrer Bundesgenossen, die zu verteidigen sie sich bereit erklärt hat, haben wir nichts vernommen. Die ganz allgemeine Versicherung von Bundestreue ist etwas sehr schönes, ist moralisch, hört sich sehr schön an, es handelt sich aber immer darum, um was für Ob- j e k t e es sich dreht, wenn die Betätigung dieser Bundestreue in Aussicht gestellt wird. Ich möchte wirklich wissen, ob diejenigen, die die Rede mit Beifall aufgenommen haben, aus den Ausführungen des Reichs- kanzlers irgend eine positive Tatsache herausziehen können, aus der man schließen kann, wann denn, um welche Frage, um welche Kampfobjekte die Bundesgenossen Deutschlands und gleichzeitig auch das Deutsche Reich nach der Auffassung des Reichskanzlers bereit sein müßten, mit den Waffen in der Hand An- sprüche dieser Bundesgenossen zu vertreten. Auch nicht mit einer Silbe ist der Reichskanzler darauf eingegangen und weil in dieser gegenwärtigen Situation davon doch die ganze Frage abhängt, ob wir den Frieden bewahren können, ob Deutschland seinen Einfluß zur Bewahrung des Friedens in die Wagschale werfen könnte, deshalb haben diese Ausführungen des Reichskanzlers sehr geringen Wert zur Aufklärung über die gegenwärtige Lage. Der Reichskanzler hat nicht von den Dingen geredet, sondern er hat um die Dinge herumgeredet, und daS sind wir leider feit Jahren gewohnt.(Zuruf rechts.) Der Unterschied zwischen Ihnen und uns ist nur der, daß Sie mit dieser Nichtachtung des Reichstages zufrieden sind, während wir darin eine gröbliche Verletzung der Interessen unseres Vaterlandes erblicken.(Sehr nchtig! bei den Sozialdemokraten.) Es wäre um so mehr notwendig gewesen, daß wir eine vollkommen ausgiebige Aussprache über die gegenwärtige Lage erhalten, als die bisherigen Erfahrungen gezeigt haben, daß seit Jahrzehnten die Reichsregierung und ihre Vertreter in allen großen und wichtigen Fragen, die die Welt bewegt haben, einen unbegreiflichen Mangel an der rechtzeitigen Er- kenntnis der Weltlage zeigten.(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Ich darf Sie bielleicht an einige solche Situationen erinnern. Fürst B ü l o w konnte die ostasiatischen Ver- Hältnisse nicht beurteilen, er wollte uns nur einen Platz an der Sonne sichern; es hat sich aber gezeigt, daß die Besetzung von Kiautschou ein Mißgriff gewesen ist(Widerspruch rechts und bei den Nationalliberalen), vor allem auch, weil die deutsche Reichs- regierung die EntWickelung der ostasiatischen Mächte nicht zu be- greifen versteht. Kurz darauf erging das Telegramm Kaiser Wilhelm II. , in dem er als Admiral des Atlantischen OzeanS den Admiral des Stillen Ozeans be- grüßte.(Zuruf rechts: Alte Geschichten!) Ja, es ist uralt, aber es zeigt, wie verkehrt die Leiter der deutschen Politik die Verhältnisse seit undenflicher Zeit beurteilen. (Sehr gut! bei den Sozialdemokraten.) Kurze Zeit darauf sank die Flotte des AdmiralS des Stillen Ozeans bei Tsushima . Es folgte die Begönnern ng des Sultans von Marokko , über dessen Schicksal ich kein Wort zu verlieren brauche. Am 8. No- vember 1898 haben wir eine Rede Wilhelms II. in Da m a sk u S gehabt, an deren Schluß er sagte: Möge der Sultan nnd mögen die 399 Millionen Mohammedaner, die auf der Erde verstreut sind, dessen versichert sein, daß zu allen Zeiten der deutscheKaiser ihr Freund sei. Das war eine Versicherung dauernder und tat- kräftiger Freundschaft, die nicht �als Höflichkeitsfloskel abgetan werden kann. Das mußte bei den Türken und bei dem Sultan den Glauben erwecken, daß sie unter allen Umständen gegenüber den Angriffen fremder Mächte auf die Unter st ützung Deutschlands rechnen können und deshalb durfte die deutsche Reichsregierung nicht im Unklaren darüber sein, daß die tatsächliche Durchführung dieser Freundschaftsversicherung absolut unmöglich sei. Das war eine leichtfertige Festlegung Deutschlands auf eine werktätige Bundesgenossenschaft, die nicht durchgeführt werden konnte.(Sehr richtig I bei den Sozialdemokraten.) Dieses Versprechen hat den Sultan , die Türkei und die 390 Millionen Mohammedaner nicht davor behütet, daß nachher Marokko französisch, Lydien italienisch geworden ist und daß die Türken jetzt aus Europa so ziemlich restlos, hinaus müssen. Solch leichtherzige Versprechungen unserer Hilfsbereitschaft konnten allerdings nur in vollkommener Berken nung der in der wirtschaftlichen EntWickelung begründeten Kräfte und des Kräfteverhältnisses zwischen der Türkei und ihren Nachbarn abgegeben werden. Aus diesen Erfahrungen heraus haben wir aber das dringendste Bedürfnis, daß die Reichsregierung uns über ihre Pläne und Absichten klaren A u f s ch l u ß' gibt. Sehr wahr! beiden Sozialdemokraten.) Was man mit jenen Versicherungen erreicht hat, war zum Beispiel, daß in der Türkei das reaktionäre Regiment Abdul Hamids gestärkt, und ge- kräftigt wurde. Der frühere Sultan Abdul Hamid glaubte, sich auf den ihm so eindringlich versprochenen deutschen Schutz verlassen zu können und hat deshalb alle Versuche bekämpft, in seinem Reiche rechtzeitig Reformen zur Ver- besserung der Lage der Türken und insbesondere der Frcmdvölker einzuführen. Die deutsche Reichsregierung und gerade ihre verant- wortlichen Leiter tragen deshalb einen großen Teil der Mitschuld an den verrotteten Zuständen, die sich in der Türkei herausgebildet haben.(Sehr richtig I bei den Sozialdemokraten.) Sie haben durch ihre Freundschaftsversicherungen die Reaktion in der Türkei gestärkt und dem Sultan ermöglicht, jahrzehntelang ungestraft und un- gestört diese Mißwirtschaft fortzuführen und die Metzeleien anden Armeniern zu veranstalten; aus Angst vor der eigenen Mannschaft, die sich gegen ihn empören könnte. bat der Sultan sogar jede Verbesserung der militärischen Ein- ricbtungen unterlassen. Als aber die türkische Armee vollkommen zerrüttet war, sind allerdings ein preußischer General und preußische Offiziere nach der Türkei gegangen und haben dort versucht, soweit dazu ein einzelner imstande lst. den preußischen Drill im türkischen Heere einzuführen.(Heiterkeit bei den Sozialdemokraten. Unruhe rechts.) Sie mußten aber notwendigerweise damit scheitern, weil die gesamten Zustände im türkischen Reiche infolge des despoti - scheu, von der deutschen Reichsregierung gebilligten Regiments einer langsamen, aber sicheren Fäulnis entgegen gingen. Als dann später die sogenannte jungtürkische Revo- lution ein Ende machte mit den hamidischen Verbrechen und die Reichsregierung nachher darauf hingewiesen wurde, daß sie also unter Umständen auch mit einer siegreichen revolutionären Partei sich verständige, da erflärte der damalige Reichskanzler Fürst als B ü l o w:»Ja, daS ist etwas ganz anderes, als waS sonst Revolution gilt, daS in der Türkei sind Leute, die u n- blutige Revolutionen machen." Kurze Zeit darauf kämpften die Jungtürken die hamidische Reaktion durch die Belagerung und Erstürmung von Konstantinopel mit Waffengewalt nieder und drückten ihrer unblutigen Revolution den blutigen Stempel auf. Auch davon hatte der gute Bülow keine Ahnung!(Heiterkeit bei den Sozialdemokraten, laute Unruhe rechts.) Diese Tatsachen begründen Wohl zur Genüge, daß unser Vertrauen zu den Leitern unserer auswärtigen Politik so gering ist und daß wir sagen: wenn wir uns darauf verlassen müßten, daß der Friede Europas gesichert wäre durch die Aktion der europäischen, insbesondere der deutschen Diplomatie, dann würden ivir unbedingt vollkommen verlassen sei» von aller Hoffnung!(Lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemokraten.) Wenn jetzt— was wir alle freudig begrüßen— in dem Balkankricg eine Wendung eingetreten ist, die so ziemlich die Aussicht auf die Herstellung des Friedens eröffnet, so bin ich fest überzeugt davon, daß sehr viel, wenn nicht in der Hauptsache, der Umstand darauf eingewirkt hat, daß daS internationale Proletariat (Unruhe, Lachen und Lärm rechts und im Zentrum), das inter - nationale klassenbewußte Proletariat, das eine Gesamtheit von zehn Millionen aufgeklärter Männer und Frauen in Europa umfaßt(Erneutes Lachen und Lärmen rechts und im Zentrum, in dem die Schlußworte dieses Satzes untergehen. Der Redner apostrophiert die Lärmenden): Ja, wissen Sie das nicht, ist Ihnen denn das etwas Neues, daß in Europa 19 Millionen sozialistischer Männer und Frauen leben!(Zuruf rechts: Aber aufgeklärte 1 1— Zuruf bei den Sozialdemokraten: 19 Millionen ist noch zu wenig I) Gewiß, das ist noch sehr gering geschätzt. Aber vielleicht kommen auch Sie(nach rechts) noch einmal zur Einsicht, andere Mitglieder der bürgerlichen Gesellschaft sind Ihnen darin vorausgegangen. Als Beweis dafür will ich nur auf eine Aeußerung des Hauptorgans der englischen Bourgeoisie, der„Times", hin- weisen, die in einer Betrachtung über die mögliche Entwickelung des Balkankrieges zu einem allgemeinen Weltkrieg u. a. sagt:„Der gesunde Menschenverstand der Völker Europas begreift sehr wohl, daß ein Streit zwischen Staaten durch friedliche Diskussionen erledigt werden kann. In England wird man mit Entsetzen und Unglauben erfahren, daß ein Krieg möglich sein soll wegen der Frage eines serbischen Adriahafens oder wegen der größeren Fragen, die dahinter stehen, und doch treiben die Nationen dem blind entgegen. Nun, welche Mächte wünschen denn den Krieg? Die Antwort ist zu finden in den Staatskanzleien Europas (Hört! hört! bei den Sozialdemokraten), unter den Männern, die schon zu lange nicht unter der Masse der Menschen leben, die stets mit ihnen wie mit Figuren auf dem Schachbrett gespielt haben und die sich in den Maschen ihrer diplomatischen Netze so sehr ver- strickt haben, daß sie aufgehört haben, sich der bitteren Realität be- wüßt zu sein, mit der sie gespielt haben.(Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.) Und so werden die Kriege noch weiter gemacht werden, bis die große Masse, die bisher der Spielball der diplomatischen Intrigen war, daS Wort spricht, das nicht den ewigen Frieden— denn er ist unmöglich, aber die Entschlossenheit findet, daß Kriege nur une große und gerechte Lebensfragen gekäinpft werden sollen. Soll dieses Wort jemals gesprochen werden, dann hat es nie eine geeignetere Zeit dafür gegeben als heute, und wir vertrauen darauf, daß es gesprochen werden wird, so lange es noch Zeit ist I" (Hört I hört I bei den Sozialdemokraten. Das Lärmen auf der Rechten und im Zentrum ist-v c r st u m m t.) Dieses Wort, meine Herren, ist in Basel gesprochen ivorden (Stürmische Zustimmung bei den Sozialdemokraten) und Sie können sich verlassön, daß es Eindruck gemacht hat an den Stellen in Europa , siir die diese Sprache etwas mehr verständlich war als für Sie!(Große Heiterkeit bei den Sozialdemokraten.) Der russischen Regierung, die ja von altershcr unter allen europäischen Regierungen der gefährlichste Friedensstörer gewesen ist. haben die Petersburger Arbeiter durch einen eintägigen Demon- strationSstreik in dem Augenblick, wo Rußland im Begriffe war, den Balkankrieg zn einem allgemeinen europäischen Krieg aus- zuputschen, klar zu verstehen gegeben, waS sie z» er lv arten hat, wenn sie abermals es wagen sollte, das Verbrechen eines großen europäischen Krieges zu begehen.(Bravo I bei den Sozial« demokraten.) Wenn ich hier spreche über die Fragen der auswärtigen Politik wie jeder andere Parteigenosse hier sprechen würde, so weiß ich mich nicht nur im Einklang mit der deutschen Sozialdemokratie, ich weiß mich im Einklang mit den sozialistischen Parteien aller Kulturländer der ganzen Welt.(Sehr richtig l bei den Sozialdemokraten.) Das ist aber der fundamentale Unter« schied zwischen unserer Stellung zu den Fragen der auswärtigen Politik und der Ihren. Sie, meine Herren, wie Sie auch sonst in Parteien zerklüftet sind, vertreten doch in Ihren hier und da von einander abweichenden Auffassungen(Graf W e st a r p: niemals aus« ländische Interessen!— Große Heiterkeit rechts. Gelächter bei den Sozialdemokraten.)— Sie vertreten(Abg. Südekum: meist persönliche Interessen I) immer die Interessen des kapitalistischen Ausbeutcrtums(Lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemokraten.), einer kleinen, allerdings heute noch sehr einflußreichen Clique in Deutschland . Aber ebenso wie Sie vertreten die Vertreter der englischen nnd französischen bürgerlichen Parteien auch nur die Interessen deS kapitalistischen Ausbeutcrtums ihrer Länder und durch diese einander widerstreitende Jntcressenpolitik der AiiSbentungseliquen der verschiedenen Länder entsteht die Krieg«- gefahr.(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Sie vertreten keine großen allgemeinen Weltinteressen, Sie vertreten nicht ein- mal die deutschen Interessen, dieJnteressen des deutschen Volkes, das in seiner ganzen überwiegenden Mehrheit mit seinen Interessen identisch ist— mit den Interessen des Proletariats. Und die Interessen des Proletariats Deutschland sind mit den Interessen deS Proletariats der ganzen Welt identisch. Die Worte, die ich hier spreche und sprechen werde, könnten genau so dem Sinue nach, dem Zwecke nach, der Wirkung nach, wenn auch nicht in allen Einzel- heiten identisch, ein französischer, ein englischer, ein italienischer, ein serbischer oder bulgarischer Sozialdemokrat sagen.(Lachen rechts. Sehr wahr I bei den Sozialdemokraten.) Wenn Sie in Ihrer vollkommenen Verblendung behaupten, das seien ausländische Interessen— nein, das sind nicht ausländische, das sind proletarische Wcltintercssen» die das Proletariat der ganzen Welt in Gegensatz bringen zu allen kapitalistischen - Jnteressencliquen. Und weil wir die Interessen des gesamten Weltproletariats, die auf den Weltfrieden hinzielen, ver- treten, deshalb sind wir auch die besten Vertreter, die auf die Dauer entscheidenden Vertreter des deutschen Volkes.(Sehr gut I bei den Sozialdemokraten.) Nun scheint es mir notwendig, mit einigen Worten auf die Ankündigung der unbedingten Bundesgenossen- schaft einzugehen, die der Herr Reichskanzler hier namens Deutschlands erklärt hat. Er hat— ich kann nicht wörtlich zitic- ren, aber ich glaube, meine Erinnerung täuscht mich nicht— gesagt: wir werden bei den weiteren Verhandlungen, die jetzt inr "!»«efiHrt werden� zunächst dgiflit zu pechMn hgbFü« dgß die
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