Der f)aräau2fprmger.Von Martin Ander's enNexö.Wer kennt nicht die Geschichte von dem Pardauzspringer, derkeinen rechten Degrisf von dem Gesetz der Schwere hatte und l>e-ständig in etwas hinaus mußte, das nicht tragfähig war? Er warein fröhlicher, sorgloser Vurfch und hat wahrscheinlich gar keinGefühl für sein eigenes Gewicht gehabt; vielleicht hat dieser Mangeldazu beigetragen, daß er Schieferdecker wurde; jedenfalls aber warer schuld daran, daß der Mann so oft vom Dach hrnunterfiel! Merk.würdigerweise kam er sast immer gut davon, und man könnte ver-sucht sein z>rl glauben, daß das Gesetz der Schwere für seine Personaußer Kraft gesetzt war.Seine Taten als Erwachsener kennt, wie gesagt, ein jeder. Aberhier sollt ihr«ine Episode aus seiner Kindheit hören, die zeigt, daßcr schon damals hohle Knochen hatte wie die Vögel und es ihmdarum nicht in den Kopf hinein wollte, daß die Luft nicht zu tragenvermochte.Seine Mutter war in jungen Jahren Witwe geworden. DerKnabe war noch nicht auf der Welt, als der Vater, der Maurer-bandlanger war, auf das Ende einer Wippe trat, hinunterfiel undsich den Tod holte. Na, sie vergeudete keine Zeit damit, sich dieAugen aus dem Kopfe zu heulen, sondern packte resolut zu, erledigtein aller Geschwindigkeit ihr Kindbett und machte sich dann daran,Treppen auszuwischen— und was sonst vorkam. Stets traf mansie bis Wer beide Ellbogen in der Arbeit mit den Fäusten.Der aleine Albert wurde gewartet, so gut es ging— Nahrungsst nun et-nmal wichtiger als Pflege. Im übrigen liebte sie ihrWürmchen, das dem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten war—das konnte jeder sehen, der dem Vater bloß einmal auf der Treppebegegnet war. Es war nicht überflüssig, dabei zu verweilen, hierin der Mietsl ascrn«, wo jeder Neuankommende sofort fragte:„Wiebist kriegen Sie für den Jungen, Frau Olfen?"Wie viel ste für den Jungen kriegte!— Nein, sie war auf an-ständige Art zu ihm gekommen, und eS konnte nichts nützen, daßsie aufs'Rathaus rannle und versuchte, sich eine Unterstützung fürden Kleinen zu holen. Sie mußte ihn schön selber versorgen!Solauge er noch lag, war das nicht schwer. Jeden Morgen inder Frühe wurde r'r in einen Wäschekorb gesteckt, und Frau Olsenlief mit ihm nach d>er Kinderbewahranstalt. Sie lief auch den übri-gen Teil des Tages,' und nach Feierabend war sie eine der vielenFrauen, die finnlos durch die Straßen der Hauptstadt rennen—nach Hanse zum Kindchen.Man behauptet, daß Kinder auf dem Lande von Geburt anobenauf sind; aber kein Kind in der Welt lernt so früh, sich selberzu helfen, wie ein. Kopenhagener Gassenkind. Hier in der Stadtlcisst man manchen kleinen Kerl, der für sich sorgt, sobald er kriechenkann, und der das Dasein fest anpacken muß ,n einem Alter, wodie andern— Glücklicheren— noch unbekümmert mit Puppen undZinnsoldaten spielen.Albert war erst zwei Jahre, als er eS satt bekam, Zuschauerzu sein, und ansing, die Sacke selber in die Hand zu nehmen. SeineSpezialität war, sich auf die Erde plumpsen zu lassen, aus derWiege oder von dem S�uhl hinab, auf den man ihn gesetzt hatte.Bis aus weiteres fiel«r immer auf den Kopf; und wenn seineMutter ihn am Abend-Vi holte, war seine kleine Birne weich undgeschwollen. In der Kinderbewahranstalt war man seiner gvünd-lich überdrüssig; eines schonen TageS würde cr natürlich so un-glücklich fallen, daß«S sein Tod war— und so.das ganze Geschäftruinieren.Drum mußte die Mutler ihn zn Haufe in der Stube behaltenund sich ihre Stellen in der Nähe suchen, damit sie von Zeit zu Zeitmal nach ihm sehen konnte; im übrigen mutzte fie sich helfen, so gutes ging. Wenn sie nur für ein paar Stunden fort war, dann ließes sich machen, daß sie ihn ans Bett oder an einen Stuhl festband;aber der Henker mochte wissen wie: das Bürschchen machte sich fürnichts und wieder nichts los, und die Bescherung war fertig. EShätte wirklich nichts genutzt, wenn der liebe Gott den achtstündigenArbeitstag verlangt hätte, um alle die grauen Haare zu zählen, diedie Mutter deS Jungen wegen auf dem Kopfe hatte. Ein richtigeskleines Wunder war er. und man wußte nie, woran man mittHiN war— genau wie beim Vater.Heiligabend blieb Fram Olsen zu Haus. Sie hatte die ganzeWoche über gehörig geschafft, so konnte sie heute daheim bleiben undnach dem Eigenen schauen. Da war genug zu tun. jedes Stück indem kleinen Nest sollte zu den Feiertagen nachgesehen werden, derJunge sollte in eine Balge mit Lauge gesteckt werden, es sollteSchweinebraten mit Notkohl geben, und auch einen Weihnachtsbaumim Blumentops wollte Frau Olsen ausputzen. Aller Augenblickekamen die Nachbarfrauen gerannt und bettelten um eine Hand-rcichung, fast der ganze Vormittag verging mit Aufwaschen vonTreppen und Netiraden für die anderen. Frau Olfen wollte diesenVerdienst auch noch mitnehmen, setzte das Kerlchen auf den Treppen-absatz und scheuerte ihren Weg die Stufen hinab in einem Breivon grüner Seife und Saud— platschnaß und glücklich über denKleinen, der da oben stand und wie ein betrunkener Mann am Ge-länder hin und her schwankte. Sie unterhielt ihn währenddessen,und er plauderte zurück, freudetrunken darüber, daß er der Mutterso nahe war. Und jeden Augenblick mußte sie Zetermordlo schreien,damit er nicht herunterstürzte, ihr in die Arme. Dann kamen dieFrauen gelaufen und brachten ihm ein bißchen Wcihnachts-Näscherei; aber sobald cr das vertilgt hatte, war er wieder da—der verflixte Strick!— und tappte und taumelte über das Ge-länder hin.„Das'hat er von Vätern", sagten die Frauen schmeichelnd—„er wird gewiß auch mal Schieferdecker wenden, gebt acht!" Heutwaren sie so zuckersüß, weil'» Heiligabend war und sie Hilfebrauchten.Erst um die Mittagszeit war Frau Olsen fertig und konnte anden eigenen Haushalt denken. Sie entledigte sich der nassen Lumpenund setzte den Jungen auf einen Stuhl ans Fenster, während sieschnell hinunterlief, um Bohnen und Milch für ein Tähchen Kaffeezu holen, bevor man von frischem an die Arbeit ging. Die Sache waraußerdem die: sie schuldete der Nachbarin ein Matz Kaffeebohnenvom Tage vorher; und das war ihr heute schon einmal unter dieNase gerieben worden.Sie lief, so flink sie konnte. Aber als sie vor die Haustür kam,da lag der Kleine wirklich unten auf dem Trottoir— sie wärebeinahe über ihn gefallen.„O, nun ists also doch geschehen l" riefsie, sammelte den Klumpen in ihren Rock auf und lief sofort mitihm zum Doktor. Denn was machte sie sich wohl daraus, daß dieFrauen auf der Straße ihren roten Unterrock sehen konnten!Der Doktor gaffte den Kleinen ein Weilchen an und sagtedann:„Wie hoch wohnen Sie?"„Im zweiten Stock," erwiderte Frau Olsen, wie'S wahr war.„Machen Sie, daß Sie nach Hause kommen und danken Siedem lieben Gott auf den Arsten.— Und ein andermal seien Sienicht wieder so gedankenlos!"„Wieviel kostets?" fragte Frau Olsen und knickste kaum— dennsie war nicht schlecht erbost über seine Grobheiten.„Für diesmal können Sie mit dem Schreck davonkommen."Nun kauft« Frau Olsen gleich Kaffeebohnen und Milch ein, undsie und das Bübchen leisteten sich ein Täßchen Kaffee, das sie aufdiese Bescherung hin wohl gebrauchen konnten. Nachdem das er-ledigt war, setzte sie den Jungen für einen Augenblick ans Fenster-brctt, während sie zur Nachbarin hineinhuschte, um ihr das MaßBohnen zu bringen. Denn Frau Rasmussen war ein alteS Weib,dem man nicht gern lange etwas schuldig blieb.„WaS ist da für'e Ballade auf der Straße?" sagte FrauRasmussen plötzlich, als sie noch ein bißchen zusammenstanden undsckuvatzten. Frau Olsen stürzte in ihre Wohnung, um nachzusehen,und da stand das Fenster offen und das Kind war weg— das ver-flirte Balg! Obwohl sie fest davon überzeugt war, daß sie denuntersten Haken geschlossen hatte.— Unten auf dem Trottoir lager und rutschte umher, mitten zwischen einer ungeheuren Menschen-menge, Mter der auch ein Schutzmann war.Als Frau Olsen— zusammen mit dem Schutzmann>— denFungen zum zweitenmal heranschleppte, wurde der Doktor wütendund erklärte, solche Rabenmütter müßten für einige Zeit ins Zucht-haus gesperrt werden. Frau Olsen war nicht die Frau dazu, sichso anfahren zu lassen; das Leben hatte sie gelehrt, gleiches mitgleichem zu vergelten. Aber erst wollte sie ihren Jungen behandeltsehen, bevor sie daran ging, dem Doktor ihre Meinung zu sagen.Bei der Untersuchung slellte es sich jedoch heraus, daß der Kleinesich bloß den Allerwertesten ein bißchen gestoßen hatte. Und daskam wiederum daher, weil er so gut imstande war— der Doktorsagte cs selbst. Das stimmte sie milder.„Er bat bald Ucbung im Hinunterfallen," meinte der Arztdann.„Sie können ihn austreten lassen, Fraul" Und der Schutz-mann grinst«.Aber da nahm Frau Olsen denn doch das Blatt vom Mund.„Ja, der Herr Doktor ist ja allerdings ein studierter Mann,"sagte sie spöttisch,„und Gott bewahre die anderen Menschen davor,in der Scheuerschürz« herumlaufen zu müssen. Man hat bloß seinTreppenaufwischen und sein Kleines und sonst saure Arbeit vomMorgen bis zum Abend. Aber seine Zeitung liest man doch, undAugen zu sehen hat man auch. Und selbst wenn der Herr Doktorkein Auge dafür hat, so weiß man doch, daß das hier vererbt ist."Und dann erzählte sie die Geschichte von dem Vater, der vom Gerüsthiuuntcrfiel und gleich tot war, als sie noch den Jungen untermHerzen trug.„Dummes Zeug!" sagte der Doktor bloß.„Sie mit Ihrer Ver-erbung! Nein, gehen Sie nach Hause und geben Sie ordentlichacht aus den Jungen, dann fällt er sicher nicht auS dem Fenster."Und Frau Olsen ging bitter gekränkt mit ihrem Gnom nachHaus.Sie setzte ihn auf den Stuhl neben dem Fenstersims und gabihm sein Spielzeug, schloß sorgfältig auch den obersten Haken undging dann zu Frau Rasmussen hinein, um ihr das Ganze zu be-richten. Es sollte kein Geheimnis bleiben, daß Frau Olsen demArzt des Stadtviertels zu den Weihnachtsfeicrtagcn einmal ordent-lich Bescheid gesagt hatte.—„Kommen Sie mit rüber, dann sollenSie sehen, wie rot und verschwollen Bübchens vier Buchstaben sind!"sagte sie schließlich und öffnete die Tür zu ihrer Wohnung.Die beiden Frauen stießen ein Gebrüll aus, der Junge standoben in dem Fensterrahmen und war im Begriff, die obere Haspeloszumachen.„Wollen Sie mir nun sagen, was eine arme Mutter anstellensollt" rief Frau Olsen verzweifelt und schüttelte ihren Jungen.„Ich hatt ihn so nett auf diese Sette gesetzt, damit er die Kinderauf dem Hof spielen scheu konnte, und da klettert er mir— Gottstraf mich— hinauf und hebt selbst den Saken ab, ein dreijährigerBengel! Das Fenster zubinden? Das könnte gerade was nützenbei so einem durchtriebenen Herrchen. Er wäre imstande, mir nochobendrein die Scheiben zu zerschlagen, der Lustschifferl Aber manhat'S ja immer gesagt. Man kann nicht wissen, was auS so einemBurschen noch mal werden soll. Ein arger Strick ist cr schon!Ach ja, es hat sein Gutes und hat sein Schlimmes, Mutter zu sein!"Alexis Garrel»Der Name ideS französischen Forschers Carrel isk im vorigenJahre auch in Deutschland weiteren Kreisen bekannt geworden.Earrel war zu den Amerikanern in die Schule gegangen und sorgtenun durch Vorträge in Europa dafür, daß seine meisterhaftenUntersuchungen bei den Vertretern der Wissenschast und auch sonstdie ihnen gebührende Beobachtung fanden. Man lernt in Amerikaallerlei.Nun wird die Aufmerksamkeit der Oestentlichkeit wiederum aufCarrel gelenkt, nachdem ihm der diesjährige Nobelpreis für Medizinzuerkannt worden ist.Carrels Arbeiten, die alle im Rockefellerinstitut in New Aorkausgeführt worden sind, sind von praktischem und theoretischemInteresse. Carrel hat als erster Methoden ausgearbeitet, die esgestatten, sichere Nähte an Blutgefäßen anzulegen. Auf den Unter-suchungen von Carrel fußend, sind dann in der Chirurgie'der Mut-gefäße weitere wichtige Untersuchungen unternommen worden, andenen eine ganz« Reihe tüchtiger Chirurgen und Pathologen,namentlich in Deutschland, mitgeavbeitet haben. Heute ist mansogar in der Lage. Blutgefäße zu flicken. So kann man Stücke,die man auS der Wand einer Schlagader herausgeschnitten hat, ineine andere Schlagader, aus der man ein entsprechendes Wand-stück hcrausgefchuitten hat, so sicher einnähen, daß die geflickteSchlagader wie früher ihre Dienste tut. Die Gefäßnaht mit nach-folgender guter EinHeilung des überpflanzten Stückes gelingt zu-weilen auch dann, wenn man das Stück einer anderen Tierartentnimmt.Diese Versuche Haiben insofern ihre große Bedeutung, als sieder Chirurgie eine ganze Menge neuer Möglichkeiten für ihr prak-tiicheö Hanocln bei Verletzungen von Mutgefäßen weisen. Mögenbisher diese Methoden nur noch einem engeren Kreise besonderstüchtiger Meister in der Chirurgie zugänglich sein— sie versprechenin Zukunft für die Praxis eine ganze Menge. Das wird uuS umso ersichtlicher, wenn wir die weitere Entwickelung verfolgen, diedie Chirurgie der Blutgefäße nach den ersten Versuchen von Carrelim Laboratorium der Forscher eingeschlagen hat.Zunächst zeigten Enderlen und Borst, daß«S gelingt, DefekteIn Arterien lSchlagadern) auch durch Waichstücke aus Venen(Blut.ädern) zu ersetzen, obgleich die Wand der Venen viel dünner istals die der Arterien. Tie dünnwandigeren Venenstücke, die in dasArterienrohr eingenäht sind, haben jetzt einen viel höheren Druckauszustehen als an ihrem früheren Platze in den Venen. Dennder Druck in den Arterien ist viel größer als in den Venen. Haltensie aber den für sie ungewohnten Druck zu Anfang auS, so passensie sich ihm allmählich au: die erhöhte Inanspruchnahme des ver«pflanzten Venenstücks führt zu feiner Verdickung, und da? ver-pflanzte Stück nähert sich in feinem Aussehen allmählich der dickerenArterienwand. Mit diesen wichtigen Befunden von Endcrlen undBorst, daß man schadhafte Rrterienwandungen durch Stücke ausVenen flicken kann, ist der Chirurgie der Blutgefäße infofern manch«neue Möglichkeit gewiesen, als man von der großen Anzahl derVenen im Organismus die eine oder andere im Notfall gut ent-behren und sie ohne Schaden für den Organismus zum Flickender Schlagadern hergebe» kann.Carrel ist nun noch viel weiter gegangen. Er schnitt einemHunde und einer Katze ein Stück aus der Aorta, dem großen Blut-gefäße des Körpers, her-niS und ersetzte den so entstandenen Defektdurch«inen Flick, den er aus dem Bauchfell(dem Peritoneum) desTieres genommen batte. Das Bauchfell, daS die Innenwand desBauches und die Gedärme auskleidet, ist eine ganz dünne Haut,die aus einer lockeren Bindegewebslage besteht und von einerSchicht ganz flacher Epitelzellen ausgekleidet ist. Die Tiere, denendas größte Blutgefäß, von dem sämtliche Arterien des Körpers ihrenAusgang nehmen und in dem gleich nach dem Herzen der stärksteDruck im ganzen Kreislaufsystem herrscht, auf diese Weise geflicktwar. lebten noch volle fünf resp. zweiundzwanzig Monate. Diefremdartigen und dünnen Flicke waren aber in die Arterienwandnicht nur gut eingeheilt, fondern es zeigte sich auch bei'der Unter-suchung nach dem Tode der Tiere wieder dasselbe, w«S wir beider Verpflanzung von Benenstücken in die Arterienwände schon be-öbachtet hatten: die Flicke hatten sich an die neuen Bedingungenangepaßt. Sie hatten, wie sich Carrel ausgedrückt hat, eine„Mimikry" durchgemacht. Die Bindegewebszellen der Bauchfellfetzenhatten sich in Muskelzellen umgewandelt— die BindegcwcbSzcllenund die MuSkelzellen der Arterienwäude sind einander nahe ver-.wandt, wie uns das die Keimesgeschichte(Embryologie) lehrt.Dann arbeitete Carrel eine einfache Methode aus, um Arterien-stücke, die aus dem Körper herausgeschnitten find, längere Zeit hin-durch im Eisschrank aufzubewahren— auch mit Rücksicht auf dieProbleme, die bei der praktischen Verwertung all der Befunde, dieim Laboratorium gemacht wurden, an die Chirurgie herantreteniönnten.Von größtem Interesse sind schließlich Versuche, die Carrelim vorigen Jahre mitgeteilt hat. Wir müssen erwägen, daß es inder Praxis nicht immer möglich wäre, für die schadhafte Stelleeiner Arterie ein entsprechendes Stück einer anderen Arterie odereiner Vene oder eines anderen in Betracht kommenden Körper-teils(wie z. B. des Bauchfells) von demselben Individuum zngewinnen. Ebenso, daß die Ucberpflanzung von Gefäßstückcn voneiner Tierart auf die andere oder auch nur von einem Individuumauf das andere niemals so gute Chancen bietet, wie die Heber»Pflanzung von Stücken, die demselben Individuum entnommensind. Carrel hat nun hier wieder ganz neue Wege im„Aus-bessern" von schadhaften Blutgefäßen eingeschlagen. Er schnitteinem Hund ein Stück der Bauckxiorta lder großen Bauchschlagader)heraus und befestigte in der Schlagader ein entsprechend großesGlasrohr, dessen Innenwand cr mit einer Paraffinschicht über-zogen hatte, um die Gerinnung des Blutes, wie sie bei Berührungmit dem Glas eintreten würde, zu verhindern. Der Hund lebtesechs Tage. Bei der Sektion des Tieres zeigte es sich, daß an derInnenwand der Glasröhre, von den beiden freien Enden der Glas-röhre ausgehend, eine Neubildung der Blutgefäßwand, wenn auchnur die der Jnnenschichten derselben, bald vollendet wäre, wenn sichdas Glasrohr durch heftige Bewegungen des Versuchstieres nichtverschoben hätte. In einem zweiten Versuche nähte Carrel an dieStelle eines herausgeschnittenen Arterienstücks ein Gummirohr indie Aorta ein. Dieser Hund lebte ganze 15 Monate. Als cr ge-tötet wurde, fand Carrel die große Arterie des Hundes wiederverwachsen. Es hatten sich von den freien Enden der angeschnitte-neu Arterie aus neue normale Jnnenschichten, wie sie die Arterien-wände besitzen, im Verlaufe des ganzen Gummirohres gebildet.Zweifellos werden alle diese Versuche von Carrel dazu bei»tragen, daß die Gefäßchirurgie in der Zukunft einen großen Auf-schwung nehmen wird.Andere Arbeiten von Carrel haben in jüngster Zeit auf einemGebiete bahnbrechend gewirkt, auf dem auch für die Biologie über-Haupt eine ganze Menge zu holen ist. Das sind die UntersuchungenCarrels über die Gewebskultur. Diese Untersuchungen, die Carrelmit feinen Mitarbeitern Burrows und Ruth ausgeführt hat,knüpfen an die ausgezeichneten Arbeiten des amerikanischen Zoo-logen Harisson an. Harisson schnitt Froschlarven, die noch keinausgebildetes Nervensystem besaßen, kleine Stückchen aus der An-läge des Rückenmarkes heraus und brachte sie in Froschlymphe.Die kleinen Stückchen der Rückenmarksanlage wurden sozusagen inder Froschlymphe gezüchtet, und Harisson konnte unter dem Mikro-skope die Weiterentwickelung der herausgeschnittenen Stückchen be«obachten. So konnte er unter dem Mikroskop das Anwachsen derNervenfasern aus den jungen Nervenzellen direkt fehen. Carrelhat nun mit Hilfe der Methode von Harisson die verschiedenstenKörpergewebe außerhalb des Organismus gezüchtet. Zunächstzüchtete er Nervengewebe, Muskelgewebe und Hautstückchen vonHühnerembrhonen in Blutflüssigkeit. Dann Bindegewebe, Knorpel,Knochenmark, Haut, Bauchfell, Milz, Niere, Schilddrüse, Eierstockund Lymphdrüsen von Hunden und Katzen und anderen Tieren inBlutflüssigkeit. Er fand, daß nach wenigen bis 43 Stunden—das ist für die einzelnen GewebSformen verschieden— ein Wachstum der Gewebe beginnt: die Zellen beginnen sich zu teilen, zuvermehren. Die Gewebsstücke nehmen an Umfang zu. Sie lebenund wachsen außerhalb des Organismus, weil ihnen die Nähr-stoffe des Blutes, in denen sie gehalten werden, zur Verfügungstehen. Das Wachstum kann 3 bis L5 Tage anhalten. Ein StückchenMilz war durch Zellenvcrmehrung in 2? Stunden um das 40fachedes ursprünglichen Umfanges gewachsenl ES ist hier dasselbe wiebei den Bakterien, die sich ungeheuer lebhaft vermehren, wennihnen in der Kultur alle nötigen Nährstoffe zur Verfügung ge-stellt werden.Die Methode von Harisson, die Carrel weiter ausgearbeitethat, gibt uns die Möglichkeit, die verschiedenen Bedingungen, vondenen das Leben und das Wachstum der Zellen abhängig ist, zustudieren. Es wird vielleicht die Zellphysiologie, die im Laufe derletzten zwanzig Jahre durch die ausgedehnten Untersuchungen vonVerwarn an einzelligen Lebewesen eine so mächtige Ausgestaltungerfahren hat, durch die Untersuchungen Carrels über Züchtungvon Geweben außerhalb deS Organismus sehr gefördert werden.Allerdings muß gesagt werden, daß hier noch alles in den erstenAnfängen steckt.Carrel hatte seine Untersuchungen über GewebSzüchtung mitRücksicht auf Probleme der praktischen Chirurgie unternommen.Er sagte sich, man brauche eine Methode, die eS gestattete, dieLebensbedingungen der Zellen und Gewebe zu untersuchen, umdann eventuell später einmal— in krankhaften Prozessen oder beiHeilungSvorgängen zum Nutzen des Patienten in das Zellebeneingreifen zu können. So hat Carrel den Versuch gemacht, dieNarbenbildung, wie sie bei der Wundheilung stattfindet, außerhalbdes Körpers an herausgeschnittenen Hautwunden direkt zu be-obachten. Oder er hat Stückchen von bösartigen Geschwülsten(densogenannten Sarkomen) in Blutflüssigkeit gezüchtet und ihr Ver-halten in verschiedener Beziehung untersucht. Carrel hat mitRecht hervorgehoben, daß erst die Erkenntnis der Bedingungen, vondenen z. B. die Wundheilung oder das Wachstum der bösartigenGeschwülste(zu ihnen gehört ja auch der Krebs) abhängen, unsdie Möglichkeit geben werden, zu rationellen Mitteln in derKrankenbehandlung zu greifen. Nun ist ja die Möglichkeit, daßwir cs bald soweit bringen werden, eine Vernarbung von Haut-wunden durch geeignete ärztliche Eingriffe innerhalb wenigerStunden erzielen oder die Heilung eine» Knochenbruchs inner-halb einiger Tage veranlassen zu können, noch lange nicht in unsereNähe gerückt. Aber im Prinzip sind diese überschwänglichen Hoff-nungen Carrels doch nicht unberechtigt. Und es ist gerade dasgroße Verdienst Carrels, in großzügigster Weise gezeigt zu haben,welche methodischen Wege für den Siegeszug der modernen Medizinmit in Betracht kommen._ A. L i p s ch ü tz.Die Schneerose. Eine der merkwürdigsten Blumen unsererFlora ist die Sckineerose oder Christblume, die ihren Namen � daherhat, daß sie zur Winterszeit, wenn alle anderen Blumen draußen inFeld und Wald längst verschlvunden sind, blüht und selbst aus ncfemSchnee heraus ihre schönen, weißen Blüienköpschen emporstreckt.Weil sie zur Zeit der Wintersonnenwende blüht, hieß sie früher all-gemein Wendeivurz, während ihr wissenschaftlicher Name SchwarzeNieswurz(Hellsdorus uigsr) ist. Nieswurz heißt sie ihrer Wurzelwegen, die, in pulverisierter Form in die Nase gebracht, sehr heftigesNiesen erzeugt; diese Eigenschaft wird auch industriell in großem Um-fange ausgenutzt tn der Schnupftabakfabrikation; der Hauptbestandteildes in der ganzen Welt bekannten Schneeberger Schnupftabaks ist dieWurzel der Nieswurz. Es kann nicht wundernehmen, daß eine zu soungewöhnlicher Zeit blühende Pflanze schon seit jeher die Ansmerk-samkeit der Menschen in hohem Grade erregt hat. und ebenso selbst-verständlich ist eS, daß dieser geheimnisvollen Pflanze auch ganzbesondere Kräfte innewohnen mußten. Die zur heiligen Christzeitblühende Pflanze mutzte auch selbst heilig sein, und bei der furcht-barsten Geißel der Menschheit früherer Zeiten, bei der Pest, konntenur die Christrose Hilfe bringen. Man machte den PestkrankenEinschnitte in die Haut und steckte Stückchen von der Wurzel derSchneerosen in die Wunden, dadurch sollte die böse Krankhe« vertrieben werde». Dann hatte die Pflanze auch die Kraft, die bösenGeister und Kobolde zu vertreiben, und wer ein S-ückchen ihrerWurzel bei sich trug, war vor mancherlei Ungemach bewahrt. Weildie Schneerose nicht in allen Gegenden unseres Baterlande« vor-kommt, wurden die Berichte übet ihre Blütezeit vielfach als Märchenangesehen, was einen alten Botaniker veranloßte, bei der Be-schreibung der Pflanze in seinem Pflanzenbuch besonder» hinzu-zusetzen:„Christwurtz hat seinen Stamen darum, daß seine Blüte,die grüen ist auf Christnacht sich auftuet und blühet, welches ichauch selbst wahrgenommen und gesehen, mag für ein gespott habenwer da will." Wenn wir heute im Winter in einem Gartenoder am Waldrande auf die weißen Blüten treffen, betrachten wirimmer noch mit Staunen und Jnteresie dies kleine Naturwunder,da« uns den ersten Ausblick aus den kommenden, blühenden Krüh-ling eröffnet.