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Nr. 276.

Erscheint täglich außer Montags. Prets pränumerando: Viertel­fährlich 3,30 Mart, monatlich 1,10 mt, wöchentlich 28 Bfg. frei in's Haus. Einzelne Nummer 6 Pfg. Sonntags- Nummer mit illuftr. Sonntags- Beilage Neue Belt" 10 Pfg. Poft- Abonnement: 8,30 Mt.pro Quartal. Unter Kreuz­ band  : Deutschland   u. Defterreich: Ungarn   2 Mt., für das übrige Ausland 3 Mt.pr.Monat. Eingetr. in der Poft Beitungs- Breisliste für 1893 unter Nr. 6708.

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10. Jahrg

Infertions- Gebühr beträgt für die fünfgespaltene Petitzeile oder deren Raum 40 Pfg., für Vereins- und Beriammlungs Anzeigen 20 fg Inferate für die nächite Nummer müssen bis 4 Uhr Nachmittags in Der Expedition abgegeben werden. Die Ervedition it an Wochen­tagen bis 7 Uhr Abends, an Sonn und Fefttagen bis 9 Uhr Bor mittags geöffnet.

Fernsprecher: Amt I, 4186. Telegramm- Adresse: Sozialdemokrat Berlin  !

Berliner   Bolksblatt.

Zentralorgan der sozialdemokratischen Partei Deutschlands  .

Redaktion: SW. 19, Beuth- Straße 2.

Die Berliner   Kaufmannschaft und der Schuk

der Handelsangestellten.

Freitag, den 24. November 1893. Expedition: SW. 19, Beuth- Straße 3.

Ebensowenig können die Vertreter der Kaufmannschaft gebracht werden. Als im Jahre 1887 dem französischen  in Abrede stellen, daß die Arbeitszeit der Lehrlinge nicht Parlamente der Antrag Nadaud vorlag, welcher einen kürzer ist wie die der Gehilfen. Diese wenigen Zugeständ- zehnstündigen Maximalarbeitstag und das Verbot der nisse an die Wahrheit werden blos nothgedrungen gemacht, Nachtarbeit der Frauen und Mädchen jedes Alters weil die amtliche Erhebung der Reichskommission trotz aller festsegte, gab die Pariser Handelskammer über den Gesetz­ihrer Mängel diese Verhältnisse auch auf grund von Aus- entwurf ein Gutachten ab, in der sie sich ganz ebenso wie Die Reichskommission für Arbeiterstatistik hat an- sagen der Prinzipale unwiderleglich klar erwiesen hat. die Berliner Kaufmannschaft im Jahre 1893 entrüstet über läßlich ihrer Erhebungen über die Lage der Angestellten im Sonst wird aber alles mit Rosafarbe getüncht und wo die die Eingriffe in die Freiheit des Arbeitsvertrages aus­Handelsgewerbe an die Interessenvertretungen der kauf- Rosafarbe sich absolut nicht anbringen läßt, da wird sprach und dann wörtlich folgendermaßen fortfuhr: männischen Unternehmer und Arbeiter eine Reihe von schamlos beschönigt. So wagten es die Herren, dem Die Sittlichkeit der Arbeiterin sei we­Fragen mit Rücksicht auf die beabsichtigte Regelung der Reichskanzler den Bären aufzubinden, daß von nach- niger gefährdet, wenn sie Ueberzeit ar­Arbeitszeiten, der Sicherung des Fortbildungsschul- Unter- theiliger Beeinflussung der Gesundheit, der geistigen beite, als wenn sie teine Verwendung für richtes für die Lehrlinge u. s. w. gerichtet. Der Stand- Fortbildung und des Familienlebens der Angestellten ihre Abende habe." punkt der Gehilfen wird am besten gewahrt in einer um- durch die Arbeitsdauer nicht wohl die Rede sein kann. Wirklich beispiellos ist die Aufopferung der Kapitalisten, fangreichen Eingabe der Freien Vereinigung der Kauf- Nun beweist aber die auf Anregung des Reichskanzlers leben sie nun in Paris   oder in Berlin  ! Ueberall rackern leute zu Berlin  , die unter dem Titel" Der Handlungs- vorgenommene Erhebung der Berliner   Orts- Krankenkasse sie die Kinder ab, um sie vor dem müßigen Herumlungern gehilfe und die kaiserliche Sozialreform. Eine Antwort an der Kaufleute, daß entsprechend der Dauer der Arbeitszeit und moralischen Verderb" zu schüßen, die Männer, um den Herrn Minister von Bötticher, betreffend die Arbeits  - der Prozentsaz der erkrankten Kaufleute steigt, daß die ihnen das verschwenderische Wirthshausleben" abzu­verhältnisse im Handelsgewerbe", soeben im Buchhandel Hälfte der verstorbenen Mitglieder an Lungenschwindsucht gewöhnen und die Weiber müssen auch ihren Sittlichkeits­erschienenen Broschüre enthalten ist. Neben dieser zu Grunde gegangen sind und daß fast die Hälfte der Er- fanatismus über sich ergehen lassen. Die ganze Arbeiter­unseren Lesern, Lesern, die sich für die traurigen Ver- krankten an dieser Krankheit leiden, was wohl von dem familie muß Tag und Nacht geschunden werden, um sie zu hältnisse im Kaufmannsgewerbe interessiren, sehr zu Mangel an Bewegung, von der Unmöglichkeit sich in frischer hindern, das heilige" Familienleben zu schänden. So ver­empfehlenden Schrift ist zur Kennzeichnung des Stand- Luft zu erholen, von dem Zwange, vierzehn und mehr steht die Bourgeoisie ihre Aufgaben. Die Sittlichkeit als punktes des profitwüthigen Unternehmerthums als be- Stunden in schlecht ventilirten, engen, ungesunden und Argument für die 14-16 stündige Arbeitszeit in den Berliner  sonders beachtenswerth die Eingabe des Vereins Berliner   staubigen Räumen zu verbringen, herrührt. Geschäften, das ist aber das neueste auf dem Gebiete der Kaufleute und Industrieller zu bezeichnen. Zur Aus- Die Pausen sind nach der Ansicht der Prinzipale für praktischen Sozialpolitik. Wahrscheinlich werden die Chefs arbeitung derselben waren 16 Unternehmer- Vereinigungen die Gehilfen ausgezeichnet geregelt, aber die Statistik der der Berliner   Konfektionsfirmen und Bazare nächstens zu Ehren­herbeigezogen. Wir können daher annehmen, daß der Ortskrankenkasse weist nach, daß die Bankbeamten in er- mitgliedern der Vereine für Hebung der Sittlichkeit ernannt wer­Unternehmerstandpunkt in der Eingabe in voller Reinheit schreckend hohem Maße magenleidend sind. Die einfache den; denn sie erziehen durch ihre angemessenen Loyne von zum Ausdrucke kommt. Da die für das Schriftstück ver- Erklärung für diese Erscheinung ist, daß diese Beamten 30-50 Mart die Mädchen zur Häuslichkeit und durch den antwortliche Berliner Kaufmannschaft erklärt, daß bei der überhaupt keine Pausen haben. Geschäftsschluß während der Saison um Mitternacht zur Sittlichkeit.

Beantwortung der Fragen der Reichskommission die Rechte Die lange Arbeitszeit wird in folgender Weise be­der Angestellten volle Berücksichtigung gefunden haben, und da schönigt: Die Ladenzeit bis 10 Uhr ist allerdings nach Mit der gleichen Entschiedenheit wie gegen die gesetz­fie vorgeben, überzeugt zu sein, daß eine gesunde, wohl ent- Maßgabe der in den betreffenden Branchen herrschenden liche Festsetzung der Ladenzeit erklärten sich die Chefs gegen wickelte zufriedere Gehilfenschaft eine zu erstrebende Be- Verhältnisse im Winter in mehr Geschäften als im Sommer den Zwang, die Lehrlinge die Fortbildungsschulen besuchen dingung für unsere wirthschaftliche Entwicklung sei, sollte üblich; aber mit Rücksicht auf den Umstand, daß es sich zu lassen, obgleich sie selbst zugestehen, daß nur zirka ein man wohl zur Annahme berechtigt sein, daß die Berliner bei der Gehilfenschaft doch zumeist um unverheirathete Viertel der Lehrlinge die Fortbildungsschule thatsächlich be­Kaufmannschaft in ihren unten folgenden Aeußerungen schon jüngere Leute handelt, dürfte eine Störung des Familien- sucht. Sie versichern die Reichsregierung, daß die besondere Zugeständnisse an die in ihren Geschäften Be- lebens durch die Berufsthätigkeit bis 10 Uhr Abends nicht moralische Verpflichtung" der Chefs genügen wird, schäftigten sieht. Wie wenig dies zutrifft, zeigte der Inhalt eintreten, vielmehr dürfte diese Dauer eher von damit dem Lehrling die für seine geistige Aus­der Denkschrift. Sie spricht sich gegen jedes gesetzliche Einwirthschaftlichem und moralischem Nußen für bildung erforderliche Zeit gewährt" werde. Diese greifen zu gunsten der kaufmännischen Angestellten aus. Die jüngere Gehilfenschaft sein, der da Erkenntniß wird sich in kürzerer oder längerer Zeit Selbst die kleinste Aenderung der heutigen Zustände wäre durch die Gelegenheit entzogen wird, Geld Bahn   brechen!" Die Erziehung der Lehrlinge hat einzig das Ende des deutschen   Handels nach der Meinung der und Körperkräfte zu vergeuden und sich den und allein dem gewissenhaften Ermessen des Prinzipals im Spigen der Berliner Kaufmannschaft. vielfachen Verführungen auszusehen, wesentlichen überlassen zu bleiben". Natürlich, denn jede Ja eine so wenig einschneidende Maßregel, wie die welche die Großstadt bietet." Schmälerung in der Ausbeutung und Züchtung der Lehr­Einführung einer Minimalfündigungsfrist würde nach der Die edlen Heeren äußern sich genau in dem Sinne, linge ist ein Eingriff in die heiligsten Rechte des Profits. Ansicht dieser Herrn sich im geschäftlichen Niedergang und wie vor 60 Jahren die englischen und wie vor 10 Jahren Eine allgemeine Festlegung der Verkaufszeit oder der in der Anhäufung der Konkurse äußern", eine Lage würde die österreichischen Unternehmer und wie die unserigen bei Dauer der Offenhaltung der Läden erweist sich als gänzlich geschaffen werden, die von unabsehbaren, gewiß gänzlich jeder Gelegenheit, wo die Frage des Arbeiterschutzes ernst- unthunlich."" Das öffentliche Interesse" würde dadurch unerwünschten, schädigenden Wirkungen für die allgemeinen lich in Fluß fam. Dieselbe unverschämte Verlogenheit und aufs schwerste geschädigt". Als ob nicht in England durch wirthschaftlichen und sozialen Verhältnisse begleitet sein zynische Rohheit, die die Herren Ausbeuter überall zeigen, die shop hour regulation act vom 25. Juni 1886 müßte". wo ihnen als Gesetzgebern zugemuthet wurde, das bischen die Arbeitszeit der Personen unter 18 Jahren auf 74 Wochen­Arbeiterschutz zu gewähren, welches bis jetzt erreicht wurde. stunden inkl. der Pausen beschränkt wurde. Seitdem find Geradezu komisch aber wirkt es, daß in allen Ländern die noch weitere Einschränkungen der Arbeitszeit in England selben Argumente( Gründe) fast mit denselben Worten vor- Gesetz geworden. Und Englands Handel ist doch der größte,

Dabei können die Herren nicht leugnen, daß Engagements mit eintägiger Kündigungsfrist thatsächlich vorkommen. Aber trotzdem keine Minimal- Kündigungsfrist!

Feuilleton.

Nachdruck verboten.]

Skizzen

Sozialisten, welche von der Regierung zum Tode ver­urtheilt waren, auch Anton.

aus der sozialistischen   Bewegung heiße Sehnsucht nach dem Leben. in Rußland  .

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Um neun Uhr Abends kam der Gefängnißpope in Anton's Zelle. Seine Gestalt konnte keinen guten Eindruck machen: Es war ein wunderschöner Morgen, an dem Anton er war dick, hatte einen aufgedunsenen Leib, war in einem [ 15 und sein Kamerad die Todesstrafe erleiden sollten. Ent- abgetragenen Talar gekleidet und hatte ein breites, rothes zückend schön war, nach einem nächtlichen Gewitter, die Geficht mit taltblickenden Augen, er glich eher einem Feld­weiche Farbe des Himmels und der Morgenwolken; die webel als einem Prediger der Liebe. Frische der Luft, welche die Brust einsog, erweckte eine Wünschen Sie sich nicht mit Gott zu versöhnen?" fragte er im trockenen offiziellen Tone. Viele erweckte dieser schöne Morgen früher als sonst. Sie fommen umsonst zu mir ich glaube nicht Früh standen jene grausamen Menschen auf, deren Hand- an Gott," antwortete Anton. ( Aus dem Russischen   übersetzt.) wert es war, junge Leben zu vernichten; noch früher" Beichten Sie... Sie haben sich an Gott und an erhoben sich Tausende von guten Leuten, ohne deren dem von Gott Gesalbten versündigt; aber Gott   hat die Auch für Anton wurde dies verhängnißvoll. Die un- Hilfe es diesen grausamen Menschen nicht möglich gewesen reuigen Sünder lieb." bedachten Zungen seiner Kameraden sprachen von ihm, wäre, grausam zu sein. Vor Tagesanbruch standen die Diese im gemessenen, metallischen Tone gesprochenen irgend Jemand hörte es, irgend Jemand denunzirte es, Soldaten auf, die in der Stadt garnisonirt waren, und Worte ärgerten Anton. und Anton wurde arretirt. Da er sehr vorsichtig war, be- marschirten ebenso ruhig, wie zu einer Parade zur Stadt Erlauben Sie," unterbrach er den Popen, wenn Sie veitete er der Polizei nicht die Freude, irgend einen Beweis hinaus, um eine lebendige Mauer zu bilden, in deren in der That der Apostel Christi wären, dann würden Sie in seiner Wohnung zu finden, daß er zu einer politischen Mitte zwei Jünglinge hingerichtet werden sollten, weil sie mir sagen, daß man Jesus   auch dafür getödtet hat, daß Partei gehöre. Anton hatte sich an feiner Ermordung das Volt mehr liebten, als sich selbst. er ein Leben der Wahrheit predigte, wie man uns jetzt eines kaiserlichen Beamten betheiligt, da er an der Auch die städtischen Arbeiter erwachten und wanderten dafür tödtet. Aber Sie sind kein Diener Christi, sondern Meinung festhielt, daß die ganze Thätigkeit gegen dorthin, aus der Stadt hinaus, nicht um ihre Freunde zu des gegenwärtigen Herodes; ich bitte Sie, mich in Ruhe das Zentrum der Regierung gerichtet werden müßte; aber befreien und sie mit Triumph dem Leben wieder zuzu zu lassen." diese Ansicht äußerte sich in der Zeit noch nicht in der führen; nein, nur um zuzusehen, wie sie gehängt werden. Die kleinen Augen des Popen funkelten, als er sich der Drganisation der Explosionen. Sogar einige Herren und Damen erhoben sich frühzeitig Thür näherte und vor sich hin murmelte: Trotzdem die Polizei unverrichteter Sache aus Antons und fuhren in Kutschen zum Richtplak hin; sie schwaßten," Erleuchte Herr mit dem Lichte der Wahrheit Deinen Wohnung abziehen mußte, sah ihn die Regierung nicht nur lachten und eilten mit leichten Herzen, wie die Weiber Knecht und nimm ihm mit Deinem Geiste den Hochmuth!" als einen Verführer an, sondern auch als einen Menschen Roms, zum blutigen Schauspiel. Sich betreuzigend, verließ der Pope eilig die Belle, pon tiefer Ueberzeugung und starrer Wilenskraft, der des- Anton konnte in der letzten Nacht lange nicht ein wie ein Beamter, der seinen Dienst beendet hat. halb doppelt gefährlich war. schlafen. Er lag auf der Pritsche und sah, wie fort- Anton legte sich von Neuem auf seine Pritsche; der Infolge dessen befand sich, als der Präsident des während der Schieber in der Thür geöffnet wurde, und wie Besuch des offiziellen Priesters machte auf ihn einen pein­Kriegsgerichts in der Audienz deim Generalgouverneur sich das Auge des Wächters ihn beobachtete- sein Leben wurde lichen Eindruck. Er haßte die Popen, weil er wußte, daß die Befehle betreffs der Urtheile holte, unter den zwei eifrig gehütet, weil man es zur Hinrichtung brauchte. es ihr schmachvoller Beruf war, das Volk zu Knechten.