Sozialdemokratie ak-Z ihre Hauptaufgabe betrachten, wesentlich g e st ä r k t werdend Wir glauben, da« das Geheimnis, wanim lein Reicher daran denkt, dem Reichsverbande gegen die Sozialdemokratie ISO 000 M. zu vermachen, ziemlich leicht zu ergründen ist. Man will sein Geld doch zweckentsprechend verwendet sehen. Dah aber das Unternehmen der Herren v. Liebert und v. Zedlitz nicht das geringste gegen uns ansrichten kann, hat das immense Wachstum unserer Partei seit der etwa zehnjährigen Existenz des Reichs Verbandes selbst denen offenbart, die für eine erfolgver« sprechende Bekämpfung der Sozialdemokratie in sogenannter patriotischer Begeisterung oder um einen Titel zu erlangen, vielleicht eine grötzere Summe riskieren würden. Geld und nochmals Geld. Die nationalliberale Parteikasse ist leer, und doch bedarf sie dringend des Zuflusses. So schickt denn der Zentralvorstand der nationalliberalen Partei einen Notschrei nach dem anderen hinaus, nicht nur an die Kommerzienräte, Fabrikanten, Gruben- und Hütten- besitzer, sondern auch an die Bergleute des Saar - und RuhrrevierS. Und damit das Zahlen besser von statten geht, fügen sie gleich eine Zahlkarte für das Postscheckkonto der nationalliberalen Partei bei. DaS Anschreiben lautet: „Berlin W. 9, im Januar 1913. Schillingstratze 9. Hochgeehrter Herr und Parteifreund! Wenn wir in ernster Zeit uns bittend an die Freunde im Reiche wenden, so geschieht es aus der Ueberzeugung heraus, dah wir mit ihnen allen in der unablässigen Sorge für des deutschen Vaterlandes Wohl eins sind. Diese Sorge fordert im Hinblick auf die hochgespannten internationalen Beziehungen und in Ansehung unerfreulicher innerpolitischer EntWickelungen erhöhte Aufmerk- samkeit, aber auch entschlossene, opferwillige Mitarbeit gerade der naiionallibcrale» Partei, die es den Erfordernissen nationaler Politik gegenüber an sich nie hat fehlen lassen. Je stärker und Weilhin sichtbar heute internationale Macht- ansprüche hervortreten, um so fester wird die Partei zum Reiche stehen müssen, dem sie in dessen Geburtsstunde und auf seinem Werdegange unvergängliche Dienste leisten durfte. Das ist weiterhin auch notwendig gegenüber der Entwickelung, die sich im Änschlutz an die verfehlte Rcichsfinanzreform seit dem Jahre 1909 im Innern vollzogen hat. Was immer besorgte Vaterlandsfreunde vorausschauend fürchteten, es ist durch die Wahlen im Januar 1912 übertroffen worden. Eine starke Welle der Unzufriedenheit hat die Sozialdemokratie mit 110 Mandaten in den Reichstag zurückgeführt; an die Stelle des Blockes ist das Zentrum als führende und ausschlaggebende Partei getreten. Wenn diese Partei in diesen schweren Zeilläusen au« Anlag der mutwillig aufgerollten Jesuitenfrage Reichskanzler und Bundesrat das Vertrauen aufsagt und zugunsten einer inter - riationalen, dem Reiche feindlichen Organisation nationale Interessen schädigt, dann sind alle Kräfte zu sammeln, um die Weiteremwickelung des Reiches auf unbedingt nationaler Grundlage z» sichern. Heftige Kämpfe sind zu erwarten, in denen es starken Rüstzenges bedarf. Dazu gehören mit in erster Linie reichliche Geldmittel, um den wachsenden Anforderungen aus dem Lande nach materieller und rednerischer Unterstützung genügen zu können und diejenige Ausklärungs- und Werbearbeit in ausgiebigster Weise zu leisten, die heute mehr denn je erforderlich ist. Wenn Sie mit uns der Ueberzeugung sind, dast die nationalliberale Partei gerade in dieser ernsten Zeit eine nationale Notwendigkeit ist, dann dürfen wir auch wohl Ihrer Opferwilligkeit vertrauen und Sie bitten, uns mit einem Beitrage zu unterstützen, dessen Höhe die angefügte Wahlmarke angibt, ohne damit Ihrer Selbsteinschätzung eine Schranke zu ziehen. Es dürfte sich empfehlen, den beiliegenden Postscheckschein, welcher nicht frankiert zu werden braucht, zur Einzahlung zu verwenden und ihn ausgefüllt am nächsten Postschalter abzugeben. Auch können Einzahlungen bei der Deutschen Bank und der DiSkontogesellschast Berlin auf Konto Nationalliberale Partei betätigt werden. Mit parteifreundlichein ffirutz Der Zentralvorstand der Nationalliberalen Partei. Bassermann, Dr. Friedberg, Dr. Vogel, M. d. R. M. d.«. Präs. d. 2. sächs. Kammer. Auf der oberen linken Seit« des Schreibens ist eine Wahlfonds- marke im Betrage von drei Mark mit dem Bildnis R. v. Bennigsens ausgeklebt. Die nationalliberale Partei erwartet also von den Bergarbeitern, datz sie einen Jahresbeitrag von mindestens 3 M. leisten. Sonst können die Unternehmeragenten nicht genug über die Ausbeutung der Arbeiter zu sozialdemokratischen Parteizwecken klagen._ Tie Landtagstvahlen in Lippe. Die vier Stichwahlen der dritten Abteilung am Sonnabend, den 1. Februar, an denen die Sozialdemokratie beteiligt war, haben der Partei keinen weiteren Mandatsgewinn gebracht. ES ist den Liberalen möglich gewesen, durch die Daransetzung ihrer letzten Kräfte diese Mandate noch einmal zu behaupten. Der überraschende Erfolg der Sozialdemokratie im ersten Wohlgange schreckte die Liberalen auf und veranlasste sie zu einer äußersten Kraftanstrengung. Unsere Partei wird alio wie bisher im lippischen Landtage nur durch einen Abgeordneten vertreten sein. In drei von den sieben Kreisen hatten die Hauptwahlen bereits die Entscheidung gebracht, in den übrigen vier standen unsere Genossen mit Fortschrittlern zur Stichwahl,— die Konservativen und die Reserven hatten den Ausschlag zu geben. DaS Ergebnis ist: Hanptwahl Stichwahl Soz. Lib. Kons. Soz. Lib. 1. Kreis 1008 863 290 1LS5 1286 S Kreis 1369 1457 268 1613 1946 6 Kreis 612 885 680 855 1097 7. KreiS 1422 1345 518 1559 1647 An den Zahlen aus den einzelnen Ortschaften läßt sich feststellen, das; nur vereinzelt verärgerte Konservative uns ihre Stimme gegeben haben, dag sie aber in der Haupt- fache bei der bürgerlichen Fahne geblieben sind oder überhaupt nicht gewählt haben. Die Liberalen haben sich im Stichwahlkampfe als die Beschützer von Thron und Altar, als die treuen Freunde des„angestammteir Fürstenhauses- aufgespielt. Die Zeitung des„entschieden liberalen" Reichstagsabgeordneten Dr. Neu- mann-Hofer feierte now am Tage der Wahl den Fürsten , weil er sich durch das Geschenk einer Klarinette an ein Patenkind einen „treuen Untertanen erworben" habe. Daneben sei hier ein P r L b ch e n aus einem offiziellen liberalen Flugblatte ge- boten, das ebenfalls aus der Druckerei des genannten Reichstags- abgeordneten hervorgegangen ist: „Die Sozialdemokratie bedroht jeden Staatsbürger in seinein Eigentum, will ihm Haus und Hof, Hab und Gut, alles, waö er von seinen Bätern ererbt und durch Fleih erworben und aus Sparsamkeit zusammengehalten hat. wegnehmen, um es zum Staatseigentum zu machen, damit auch alle diejenigen Leer- gänger und Durchbringer der Grast st ädte mit- zehren können, die es nach den Ersparnissen unserer fleistigen lippischen Landsleute und Ziegler gelüstet." Diese Mätzchen zeigen zur Genüge den Verfall des Liberalismus. Ein ultraulontaner Steuerskandal in Bayern . Durch eine Verbandlung vor der Strafkammer des Landgerichts Deggendorf sNiederbayern) kam ein niedlicher klerikaler Steuerskandal ans Tageslicht. Der in Arnsdorf , einem kleinen Landstädtchen prak- tizierende Arzt und bezirksärztliche Slellvertretsr Dr. Ha über, I der von 1899 bis 1905 Mitglied der Zentrumsfraktion des bayrischen Landtags war, hat früher eine Kapitalrente von 500 M. und später, nach dem Inkrafttreten der neuen Steuergesetze, eine solche von 744 M. versteuert. Als Gesamteinkommen(einschliestlich Kapital- renke) hat er nur 3044 M. angegeben. Jeder Kenner der Verhält- nisse hätte darüber stutzig werden müssen; nur die Steuerbehörde »ahm diese lächerliche Steuererklärung des ultramontanen Führers auf Treu und Glauben hin. Aber dem Dr. Hauber, der sich im Landtag mehr durch blinden Fanatismus als durch Gaben des Geistes ausgezeichnet hatte, wurde seine Ruhmredigkeit zum Verhängnis. Im August vorigen Jahres kaufte er ein Landgut bei Starnberg und liest durch ein ihm nabestehendes Zentrumsblatt er- zählen, er habe dafür 60 000 M. in Pfandbriefen angezahlt. Ein „guter Freund" Haubers sandte die Zeitungsnummer mit einem entsprechenden Vermerk dem zuständigen Rentamt, das nun wohl oder übel der Sache näher treten mustte. Als es bei dem Defrau- danten Nachfrage hielt, war dieser darauf bedacht, sich durch einen neuen Schwindel aus der Schlinge zu ziehen. Zu diesem Zweck wandte cc sich an das Bureau des niederbayerischen christlichen Bauernvereins, der zum Pichlerschen Flügel des Zentrums gehört. Dem Bureau flunkerte er vor, eS handle sich um einen Bauern, der fein Anwesen um 60 000 M. gekauft habe, die er bisher nicht ver- steuert hatte. Er wolle nun wissen, ob sich der Bauer nicht auf einen Ausländer berufen könne, oder ob der Sohn vielleicht sagen könne. er habe sich das Geld geliehen. Sekretär des niederbayrischen christlichen Bauernvcreins ist der ehemalige Zentrumsabgeordnete Bühl . Dieser, ein früherer An- gestellter der christlichen Bauernorganisation des Dr. Heim, gab den Rat, der Sohn des Bauern solle dem Rentamt vorschwindeln, das Geld habe ihm ein ausländischer Verwandter zur Verfügung gestellt. Wege» dieser Geschichte wurde gegen Bühl ein Straf- verfahren wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung eingeleitet, das jedoch wieder eingestellt worden ist. Inzwischen hatte sich aber der Staatsanwalt der Sache an- genommen. Er hielt Haussuchung bei Dr. Hauber ab und fand in dessen Geldschrank weitere 47 000 M. in Pfandbriefen. Vor der Straskammer muhte Dr. Hauber seine Steuerschwinde- leien zugestehen. Der Staatsanwalt hielt ihm vor. Steuerdesrau- dation sei nicht milder zu beurteilen als Betrug oder Diebstahl. Er beantragte, als Strafe den zehnfachen Betrag der hinterzogenen Steuer zu erheben. Das Urteil wird am 23. Februar verkündet. Pfarrer-Lyrik. Im Wochenblatt für die katholischen Pfarrgemeinden Münchens , das die vereinigten Stadtpfarrer als Hilfsmittel für die Groststadt- feelsorge gegründet haben und das unter der Redaktion des Geistlichen RateS und Stadtpfarrers Becker im Verlag des Katholischen Presse- Vereins erscheint, las man jüngst folgende dichterische Leistung: Lastt mit der Zeit uns geizen. Das Heim mit Liebe heizen. Zum Zürnen niemand reizen, Dann blühet unser Weizen Auch heuer Anno dreizehn, Gesegnet mit drei Kreuzen. Als gute Bibclkenner sollten die vereinigten Münchens doch wissen, dast das„Dichten" und menschlichen Herzens böse ist von Jugend auf. Darum sollten sie in ungeschminkter Selbsterkenntnis das Dichten unterlassen. Stadtpfarrer Trachten des Rußland . Ei« Sozialist als Präsident des finnischen Landtags. Helsingfors , 3. Februar. (W. T. B.) Zum Präsidenten des Landtags wurde mit 80 Stimmen der Sozialdemokrat T o k o i gewählt. Der frühere Präsident Svinhufoud erhielt 68 Stimmen. Htncnka. Ter Senat der Bereinigten Staaten gegen Roosevelt . Washington , 2. Februar. Der Senat hat mit zwei Drittel Majorität eine Resolution angenommen, in der befürwortet wird, die Amtsdauer des Präsidenten auf sechs Jahre zu verlängern, eine Wiederwahl jedoch' a u S z u s chl i e st e n. Während der Debatte wurde darauf hingewiesen, dast diese Mast- rcgel sich gegen etwaige Bestrebungen Roosevelts nach einer dritten Präsidentschaft richtet. Die Resolution geht jetzt an daL Repräsentantenhaus. China . Der Zusammentritt des Parlaments. Peking , 27. Januar. (Meldung der„Agence d'Exfteme Orient'.) Die Einberufung des chinesischen Parlaments war für die Mitte des Februar 1913 beschlossen worden, doch hat der Ministerrat seine Eröffnung auf Mitte März verschieben müssen, da sich die Wahlen zum Parlament in die Länge ziehen. Auanschikai hat aus diesem Grunde zwei Erlasse veröffentlicht, in denen er die Wähler zur Beschleunigung der Wahlen auffordert. Im ersten tveist er darauf hin, dast die provisorische Konsti- tution, die Einberufung der Kammern innerhalb von 10 Monaten Vorsicht. Außerdem seien die Wahlgesetze seit April 1912 ver- öffentlicht und die Wahlausschüsse bereits seit dieser Zeit konsti- tuicrt. Zahlreiche Provinzen fordern jedoch die Hinausschiebung des Schlusses der Wahlen, die provisorisch bereits am 10. Januar go- schlössen wurden. Der Präsident mahnt zur Eile, da es unbedingt notwendig ist. dost sich die Abgeordneten spätestens Ende März zur Eröffnung des beiden Kammern in Peking einfinden. In dem zweiten Erlast beauftragt er die Provinziallandtage am 10. Februar zusammenzutreten, um die Wahl von Senatoren unverzüglich vorzunehmen, damit beide Kammern sobald wie mög- lich in Peking einberufen werden können. )Ziis der Partei. Der sozialdemokratische Frauentag findet in diesem Jahre am 2. M ä r z statt. Sind an einzelnen Orten passende Lokale für den 2. März schwer zu bekommen, können die Versammlungen auf den 8. März verlegt werden. Sozialdemokratie und JnbiläumSrummel. In Königsberg veranstalteten am Sonntag die Partei- genossen aus Anlast der Jahrhundertfeier der Befreiungskriege und der bevorstehenden Kaijertage eine Demonstrationsversammluiig, in der Genosse H a a s e über die Befreiungskriege und über die deutsche Volksfrciheit sprach. Der Andrang der Masse» war so grost, dast die Versammlung trotz des herrschenden Schneesturmes ins Freie verlegt werden mustte. Die von etwa 3000 Personen besuchte Ver- sammlung nahm einen prächtigen Verlauf, trotz des Unwetters. poUreillch««» GcrichtUchcs ulw. In den Fußangeln des Preßgesetzes. Bei Würdigung des Aufsehen erlegenden Urteils gegen die LandtagZabgcordneten Borchardt und Lcincrt hatte die„Königs- berger Volkszeitun g", wie auch zahlreiche andere Blätter, Auszüge aus der schriftlichen Urteilsbegründung gebracht, ehe das Urteil rechtskräftig war. Ihr wurde deshalb wegen VergclMs gegen Z 17 des Prestgesctzes der Prozeß gemacht und der Verant- wortliche des Königsberger Parterblattes erhielt 50 M. Geldjtrase. Der Staatsanwalt hatte 200 M. deantragt. Tragikomisches bei Lieferung von Arbeitswilligen. In Essen besteht eine Firma, die Rheinland-Westfalen mit Arbeitswilligen versorgt, Ihr Geschäftsführer ist ein Herr Lange. Beim vorjährigen Fuhrmannsstreik in Duisburg wollte dieserHerr nun die einem Unternehmer gelieferten Arbeitsivilligen kontrollieren. Er und ein Mitkontrolleur kamen aber zu einerjnächtlichenStimde, in der die„nütz- lichsten Elemente des Staates" bereits schliefen. Da die Kontrollcure dem Unternehmer auch nicht mehr ganz nüchtern erschienen, so trieb dieser die Eindringlinge schließlich mir einem Stück Holz vom Hofe. Herr Lange fühlte sich nun aber nicht durch diese ihm angetane Schmach beleidigt, sondern stellte Strafontrag gegen den verant- wortlichen Redakteur der Essener „Arbeiterzeitung". die den Vorfall satirisch behandelt hatte. Der Staatsanwalt bekundete auch das nötige Verständnis' für die Sache und erhob die Anklage im öffentlichen Interesse. Am Freitag hatte die Strafkammer in Essen hierüber zu befinden. Obwohl nun der Fuhr- Unternehmer unter seinem Eide aussagte, mit einem Stück Holz ivahllos auf Lange und seinen Begleiter geschlagen zu haben, um sie vom Hofe zu bringen, auch Lange selbst zugab, betrunken ge- wcsen zu sein, erfolgte doch die Verurteilung des Angeklagten zu 1 00 Mark Geldstrafe. Jugendbewegung. Arbeiter-Jugend. Aus dein Inhalt der soeben erschienenen Nummer 3 des fünften Jahrganges heben wir hervor:„Ihr sollt nicht falsches Zeugnis reden!"— Vom Reichstag. Wie er arbeitet.(Zur Staatsbürger- künde.)— Das Herz und die Mutgefätze. Von A. Lipschütz.(Mit Abbildungen.)— Fort mit dem Politikparagraphen. Von M. Peters.— Aus der Jugcndbclvcgung. Die Gegner an der Arbci. Vom Zftiegsschauplatz. Usw. Beilage: Ausreißer. Erzählung von John William Nylander. —(Etwas über Musikpslege(Schluß). Von A. Quist. Krähwinkelhistorie. Gedicht von Rtargarete Bculler.— Von der Schönheit der Natur. Bon Adolf Bruno.(Mit Abbildungen.)— Lessing.(II. Der freie Schriftsteller.) Von E. Hoernlc.— Wissenswertes von der Sprache.— Des Vaters Taschenuhr. Erzählung von Aug. Wysocki._ Sozialea. Schadenersatz' wegen verspäteter Heransgabe der Jnvalidenkarte. Die Frau des Arbeiters L. war über zwei Monate ohne In. validentartc, deren Herausgabe Ihr ftüherec Arbeitgeber her- weigerte. Frau L. war vom 4. September bis 31. Oktober 1912 bei dem Restaurateur Haack als Aufwartefrau mit einem Lohn von monatlich 15 M. beschäftigt. Die Jnvalidenkarte hatte sie nicht am Tage des Austritts aus der Beschäftigung, sondern erst am 2. Januar 1913 erhalten. Sic forderte dieserhatb durch Klage vor der Kammer 6 des Gcwrrbegerichts einen Schadenersatz in Höhe von 31 M. In der gestrigen Verhandlung gab die Klägerin an, sie habe die Aushändigung ihrer Jnvalidenkarte wiederholt gefordert, der Beklagte habe jedoch die Aushändigung verweigert. Einmal habe er ihrer Tochter einen Zettel mitgegeben, auf dem geschrieben stand, dast Beklagter die Karte erst dann herausgeben würde, wenn sie ihm das Geld für die geklebten Marken schicken und ihr Mann 20 Pf., die er dem Beklagten angeblich schuldete, bezahlen würde. Ohne Karte habe sie nirgends Arbeit bekommen können, auch auf dem Arbeitsnachweis habe man sie nicht eingetragen. Am 2. Ja- nuar, als sie die Hilfe der Polizei habe in Anspruch nehmen wollen, hätte der Beklagte ihr die Karte zugesandt. Der Beklagte gab an, er hätte nicht gewußt, daß er verpflichtet wäre, für eine Frau, die täglich nur etwa drei Stunden bei ihm beschäftigt wäre, Marken zu kleben. Die Klägerin habe ihm die Karte auch nicht beim Antritt der Stellung, sondern erst bei ihrem Austritt gc- geben. Er habe dann keine Marken zu Hause gehabt und hätte der Klägerin gesagt, sie möchte die Karte am folgenden Tage ab- holen. Dies sei jedoch nicht geschehen. Das Gericht verurteilte den Beklagten zur Zahlung der geforderten 31 M. Es sah als erwiesen an, dast die Klägerin sich öfter um die Karte beworben habe. Ohne Karte habe sie keine Arbeit bekommen können und hätte Anspruch auf Schadenersatz. Gast- und Schankwirtschaftcn. Wie die nun vorliegenden Nachweisungen dartun, ist die Zahl der Gast- und Schankwirtschaften in Preußen, in denen geistige Getränke verabfolgt werden, im Jahre 1911 wieder etwas zurück- gegangen, von 193 979 im Jahre 1910 auf 133 602 im Berichts» jähre. Dagegen ist die Zahl der„alkoholfreien" Schankwirtschaften von 8659 auf 3130 gestiegen. Der erwähnte Rückgang entfällt aber ausschließlich auf die Städte. Auf dem Lande hat sich die Zahl der Alkohol vertreibenden Betriebsstätten um etwa 136, nämlich von 90 768 auf 90 964 erhöht. Demnach entfällt auf die Städte ein Abgang von 573 Wirtschaften mit Alkoholausschank. Die Zahl der nur Branntwein im Kleinhandel vertreibenden Betriebsstätten ist von 22 637 auf 22 352 zurückgegangen. Von dem Abgang ent- fallen auf die Städte allein 219 Betriebe. Die Verschiebungen er- klären sich anscheinend aus dem stärkeren Rückgang des Schnaps. konsums in den Städten. Sie beherbergen auch die meisten „alkoholfreien" Wirtschaften, nämlich 6299 während auf das Land nur 2831 entfallen. Verhältnismäßig ist die Zahl der „alkoholfreien" Wirtschaften noch gering. Sie macht erst 4,5 Pro;. (1910: 4,3 Proz.) aller Betriebsstätten aus. Ermittelt man, auf wieviel Einwohner eine Gastwirtschaft entfällt, dann ergeben sich folgende Resultate: Im Jahre 1906 kam auf 173 Personen eine Wirtschaft, im Jahre 1911 eine solche auf 196 Personen. In den Städten stieg in derselben Zeit die zu einer Wirtschaft erforderliche Kopfzahl von 153 auf 173, auf dem Lande von 195 auf 223. Hier- bei sind aber die„alkoholfreien" Wirtschaften mit einbegriffen. Berücksichtigt man nur die Betriebe mit dem Ausschank geistiger Getränke, dann stieg die für eine Wirtschaft erforderliche Per- soncnzahl im Gesamtdurchschnitt von 195 aus 232, in den Städten von 170 auf 222 und auf dem Lande von 222 auf 243. Di« aus einen Betrieb mit Brannttveinvertricb im Kleinhandel entfallende Personenzahl erhöhte sich nur von 1712 auf 1779, in den Städten von 993 auf 1069, auf dem Lande von 4320 auf 4431. An der Bevölkerungszahl bemessen, ist der Rückgang der Bc. triebe, in denen geistige Getrände verabfolgt werden, in den Städten am größten. Daß nicht Konsumvcrmindcrung diese Er- scheinung erklärt, geht schon aus dem schwachen Rückgang der nur Schnaps im Kleinhandel ansschänkenden Betriebe hervor. In der durch die voraufgestellten Ziffern zum Ausdruck kommenden Ent, Wickelung machen sich großkapitalistische Tendenzen bemerkbar. Auch das Gastwirtsgcwerbc wird mehr und mehr Großbetrieb. In den Städten errichten Brauereien große Bicrpaläslc. die Dutzende von Kleinbetrieben überflüssig machen. Die tatsächlichen Verhältnisse werden übrigens durch die Statistik noch verschleiert. Die Filialbetricbe der Brauereien oder anderer Unternehmungen, wie z. B. Aschinger in Berlin , werden als selbständige Betriebsstätten gezählt. Das sind sie oft nicht einmal technisch, Wirt- schaftlich aber gehöre» sie bestimmt zusammen, bilden ein Unter- nehmen, das großkapitalistisch betrieben wird. In den vorstehenden Angaben sind übrigens mir die ständi- gen Gast- und Schanktvirtschchaftcn berücksichtigt worden. Außer diesen werden auch bei besonderen Gelegenheiten, bei großen Festen, Paraden, Manövern usw. Schankwirtschaften vorübergehend betrieben. Solcher wurden im Jahre 1911 18 917 gezählt, im Jahre vorher 18 188. Bemerkenswert hierbei ist nur, daß bei diesen besonderen Gelegenheiten Alkohol unbedingt Trumpf zu sein scheint. Im Jahre 1910 wurden nämlich bei den besonderen Gelegenheiten 508 alkoholfreie Betriebe gezählt, im Jahre 1911 deren nur noch 442. Man erzielte da Wohl keine ermutigenden Erfolge. Hurrapatriotismus und Alkohol, vor allem Schnaps, ge- hören nun einmal zusammen.
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