Benehmen, daß sie hochgradig hysterisch war und trotzdem wurde sieauf zwei Jahre ins Gefängnis geschickt.(Hrntt hört I beiden Sozialdemokraten.) Daß Unternehmer mit anderem Maße ge»messen werden als Arbeiter, ist für diese Klassenjustizselbstverständlich. In Hamburg wurden von demselbenGericht gegenüber Unternehmern, die den Mitgliedern ihrerOrganisation mit der Materialsperre, dem Boykott in nacktesterForm, gedroht hatten, ein Einschreiten von der Staatsanwaltschaftabgelehnt, weil eS sich lediglich um ein im wirtschaftlichenKampf erlaubtes Mittel handle; Beamte des mit ihnen im Streitliegen HolzarbeiterverbandeS, die über einen Betrieb dieSperre verhängt hatten, wurden zu zwei Wochen Gefängnisverurteilt.<Hört, hörtl bei den Sozialdemokraten.) Neuerdingserleben wir eine ArtKlaffenjusttz in zweiter Potenz,eine' direkte Parteijustiz. Im letzten Wahlkampf hatte ein kon'ervotiver Rektor einetp Wähler den konservativen Stimmzettel mit>en Worten ausgehändigt:„Du dummes Kalb, nimm diese»Zettel". Er wurde wegen Beleidigung verklagt, und das Gerichtsprach ihn frei, indem es der Molivicruna des Staatsanwalts folgte,der Angeklagte habe aus edlen Motiven gehandelt.(Große Heiterkeit bei den Sozialdemokraten.) Ich bin gespannt,wie die Herren, die hier immer vortragen, daß die Richter sichvon rein objektiven Erwägungen leiten lasse», diese Behauptungmit der neuesten EntWickelung unserer Justiz noch vereinbare»wollen.Auf dein Gebieüe des Strafvollzuges haben sich Beispieleereignet, die uns die Schamröte ins Gesicht treiben müsse. Ich er-innere an den Beamten, der im Ruhrgebiet einen Säuglingmit ins Gefängnis bringen ließ— er hat sich nebenber damiteine Freiheitsberaubung zuschulden kommen lassen, die mit Zucht«hauS zu bestrafen wäre. Im Ruhrrevier hat ja die Klassenjustizüberhaupt Orgien gefeiert.Die Untersuchungshaft ist systematisch ohne Ansehen desFalles aus nicht in der Sache liegenden Gründen angeordnet worden,„um den Ernst der Sache und der Strafe der Bevölkerung vorAugen zu führen". Die Behandlung der Untersuchungsgesangenenmußte natürlich z« wünschen übrig lassen, da die Gefängnisse füreine solche Masse nicht ausreichen konnten. Wir kommen da zu Zu«ständen, wie sie von der russischen Unrechtspflege unter derEntrüstung aller wahren Menschenfreunde festgestellt worden sind. DieHandhabung der Untersuchungshaft bewegt sich in derselben Richtung wiedie Rechtspflege überhaupt, die Rechtspflege wird aus einem Institutzur Ermittelung der Wahrheit zu einem B- r w a l t u n g s i n st i t u t.Die Untersuchungshast als Massenerscheinung läßt sich garnicht andersals aus politischen Gründen erklären. Das Schlimmste ist, daß dieRichte« sich dem Mißbrauch der polizeilichen Gewalt fügen; daserschüttert das Vertrauen zu den Richtern am meisten, dag sie ohneeigene Prüfung blind die Polizeiorgane und die Staatsanwaltschaftund deren Anordnungen durch ihre Unterschrift decken. Daseinfache Volk muß den Eindruck bekommen, als ob die Justizeben auch nur ein Teil der Verwaltung ist. Daß dieUntersuchungshaft in ihrer jetzigen Gestalt nicht aufrecht zu erhaltenist, ist die einhellige Meinung aller namhaften Juristen, und auchder tSOS hier vorgelegte Entwurf zur Aenderung der Strafprozeß«ordnung spricht das klar aus. Da die Reform des Strafprozessesnoch in weite Zukunft gerückt ist. so sollte man überlegen, ob manbei diesem schreienden Mißstand nicht mit einem besonderen Gesetzeingreifen soll. Die Tendenz zur Verhängung der Untersuchungshaftwird bei politischen Prozessen noch verschärft, da wird sie auch ohneweiteres über Jugendliche verhängt, waseine finnlose Barbareiist.(Sehr richtig I bei den Sozialdemokraten.) Ich erinnere an denMoabiter Prozeß. Die beste Rosine in ihm. die Petroleuse, die einemPolizeileutnant eine Petroleumlampe ins Gesicht geworfen habensollte, war die Frau Reinhard, die man auch wochenlang inUntersuchungshast behalten hatte, und in der Hauptverhandlung er-gab sich, daß es eine schwerkranke Frau war, dienicht verhandlungsfähig war, so daß ihr Fall von denanderen abgetrennt werden mußte. Dieser Fall bietet dasGegenstück z» dem Fall Eulenburg. Im Fall Eulenburg willman dem Angeklagten keine Uligelegenheiten bereiten, im FallReinhard aber wohl der Staatsanwaltschaft; auch dieser Fall istjetzt nach L'/z Jahren noch immer unerledigt.(VizepräsidentDr. P a a s ch e ersucht den Redner, nicht auf einzelne Fälle.die der richterlichen Beurteilung unterliegen, einzugehen.) Ichfüge mich, aber gerade deshalb mußte ich den Fall Rein«ba'rd vorbringen, denn er unterliegt eben nicht der richterlichenBeurteilung, und wird vielleicht so lange hinausgeschoben, bis erverjährt ist. Auch der Fall Sattler ist der richterlichen Be«urteilung bereits entzogen. Frau Sattler war auf die Denunziationeines ungenannt bleiben wollenden Zeugen hin angeklagt und inUntersuchungshaft genommen, aus einer festen Wohnungvon ihrem Mann und ihren Kindern fortgenommen wegen Flucht«Verdachts. Und die Staatsanwaltschaft begründete den Fluchtverdachtdamit, daß sie einmal mit 10 M. wegen Uebertretung der Straßen«vioNzen.— Vorträge im Institut für Meereskunde: Montag.Dr. H. Spcthmann: Das Gesamtbild der europäischen Küsten(aus-verkauft); Dienstgg, Oberlehrer G. Schulz: Deutschlands Seevögel»nid die Bestrebungen für ihren Schutz; Freitag, Dr. L. Brühl: Eisund Kälteindustrie in der Fischerei.— Musikchronik. Im DeutschenOpernhauS gastiertam Dienstag als Tatjana in«Eugen Onegin" die PetersburgerKünstlerin ikenia D o r l i a c.— Die Zirkusvorstellungen deS DeutschenTheaters(im Zirkus Schumann) sind auf Mittwoch, den 2S. Februar(„König Oedipui') und Mittwoch, den 5. März(«Jedermann")festgesetzt. Ter Verkauf beginnt Sonntag, den 9. Februar, imDeutschen Theater. Montag, den 10. Februar, bei A. Wertheim.— PaurS Abschiedsprotest. Zwischen dem plötzlich inllngnade gerateüen Kapellmeister Paur und dem GeneralintendantenHülsen, der seine Künstler zu decken hätte(sollte man meinen), hatsich ein gerührter Abschiedsbriefwechsel abgespielt. Herr Hülsen be-schränkt sich auf die landläufige Phraseologie, aber Paur bemerktunter anderem:«Ich bedauere lebhaft, daß ich mich veranlaßt fühlen mußte,plötzlich aus dem Verbände Ihres vortrefflich geleiieten Institutsauszuscheiden; die seht freundliche Aufnahme, der ich mich bei meinemAntritt der Stillung als erster Kapellmeister am königl. Opernhansevon Ihrer Güte sowie von der Ihres vortrefflichen Künstlerpersonals,der Presse und de? Berliner Publikums zu erfreuen hatte, macht mirdas Ausscheiden aus meiner Tätigkeit doppelt schwer."Intendant, Künstlerschast, Preffe, Publikum— alles piepe.Paur hat).setnem König" nicht gefallen.— Eine Beran staltung für Else LaSker-Schüler,in der die Pianistin Ella Jonas-Stockhaufen, der KammersängerBaptist Hoffmann und der l2 jährige Violinvirtuose LaSzlo Jpolyauftreten werden, findet Sonntag uin 4 Uhr im Harmoniumsaalstatt. Else LaSter-Schüler wird aus eigenen Werken vorlesen.— Berichtigung. Die Berliner Erstaufführung von ErnstHardts Drama„Der Kampf ums Rosenrote" fand nicht,wie versehentlich in der Sonnabendnummer stand, im DeutschenTheater, sondern im Deutschen Schauspielhause statt.— Eine Blumen« und Pflanzenauöstellung ver-nnstaltet die„Deutsche Gartenbaugesellschaft" im Landwehrosfizier-kasino in Charlottenburg am 12. Februar. Insbesondere werdenOrchideen, Rosen, Flieder, Schneebälle und andere Treibsträucher.ferner Tulpen, Maiblumen und Azaleen in einzelnen Gruppen wieauch in dekorativer Verwendung vorgeführt. Die Eröffnung erfolgtMontag mittags 2 Uhr.— Radiotelegraphische Verbindung der Ost-s e e k ü st e n Die Telegraphenverwaltunslen von Schweden undRußland beabsichtigen, eine radiotelegraphische Verbindung zwischenden Ostseelüsten einzurichte».Polizeiordnung„aus Anlaß eines Streiks" und mit 13 M. auseinem ähnlichen Anlaß bestraft war. Die Strafkammer hielt dieUntersuchungshaft aufrecht, erst das Kammergericht hob sie auf. Derdrwgende Verdacht gegen Frau Sattler verdichtete sich in der Haupt-Verhandlung— zur Freisprechung. Auch ihre 16jährigeTochter, die ebenfalls freigesprochen wurde, wollte die Staatsanwalt«fchaft mit Rücksicht auf die Höhe der Strafe, die im Maximum sechsWochen Gefängnis fein konnte, in Haft nehmen.(Hört! hörtlbei den Sozialdemokraten.)Wenn es sich um die E n t s ch ä d i g u n g unschuldig er-litten er Untersuchungshaft handelt, ist der Fiskus na-tllrlich recht schäbig. Wie sich die Behörden zum gewerblichenArbeiterrecht stellen, ersieht man aus der Instruktion füreinen Gendarmen, der ans Jnsterburg nach Tilsit geschickt wurde,mit der Aufforderung:„Sie werden hiermit nach Tilsit zurUnterdrückung eines Streiks gesendet. Karabiner istmitzubringen."(Hörtl hörtl bei den Sozialdemokraten.)Wenn solche verkehrte Auffassung besteht, daß ein Gendarm dazu daist, einen Streik zu unterdrücken, kann man sich nicht wundern, wennes bei Arbeitseinstellungen zu Zusammenstößen zwischen den Strei«kenden und den so falsch informierten Polizeibeamten kommt. DieKriminalpolizei fühlt sich geradezu als Schutztruppeder Unternehmer. Das zeigte sich auch in Leipzig, woKriminalbeamte als Kutscher verkleidet die Wagen einer bestreiktenFirma fuhren, und bei Zusammenstößen mit den Streikenden sichdann als Beamte legitimierten. Damit kommen wir schon vonder heimlichen zur unheimlichen Tätigkeit der Polizei, von derlegalen zur illegalen,vom Spitzrltum zum Lockspitzeltum.Manche Richter haben ja eine merkwürdige Auffassung über dieEhrenhaftigkeit eines Spitzels, so sagte in Breslau ein vor-fitzender Richter zu den Geschworenen:„Dem Zeugen Erdmann istnachgesagt worden, ein Polizeispitzel zu sein. Ich stehe nicht an. zuerklären, daß er e i n e h r e n b a f t e r M a n n ist. ES ist durchausehrenhaft, der Polizei Dienste zu leisten, und daß er dasgetan hat, spricht nicht gegen ihn. sondern für i h N."(Hört Ihört! bei den Sozialdemokraten.) Im März v. I. hat der Staats-fekrctär Delbrück hier gegen mich für Herrn v. Dallwitzdie Erklärung abgegeben:„Es ist ausgeschlossen, daß einpreußischer Ressortchef Beamte, die schwerer Verbrechen überführtfind, pflichtwidrig im Amte hält". Ich hatte derartiges nämlich vompreußischen Minister des Innern v. Dallwitz behauptet. Ich willnun nicht an die Fälle Mahlow, Naporra, Jhring, erinner», auchnicht daran, daß die Mostsche„Freiheit", die in jeder Nummer zumKönigsmord aufforderte, mit dem Geld des BerlinerPolzeipräsidtumS gedruckt worden ist, sondern ichwill nur von Fällen auS der Amtszeit deS Herrn v. Dallwitzsprechen, Kriminalkommissar Schöne hat 1906 aus denPaßveständen des Polizeipräsidiums ein Exemplar genommen,mit falschem Namen versehen, und einem russischenStaatsangehörigen übergeben, damit er nach Rußland fahre, unddort für Deutschland spioniere. Anderenfalls drohte er ihm dieAusweisung an. Kriminalkommissar Schöne hat also eineschwere Urkundenfälschung begangen. Trotzdem war erbis zum Anfang lvIS im Dienste, und wurde zur Dekoration vor«geschlagen, und hat auch den Roten Adlerorden 4. Klasseerhalten. Weiter: der Polizeiaffestor H a n s ch in Essen hat einenihm unterstellten Beamten dazu bestimmt, in die Geschäfts«räume des Steigerverbandes einzubrechen, die Mitglieder«liste zu entwenden, und er hat dann diese Liste demArbeitgeberverband gegen Bezahlung für 1900 M. aus«gehändigt. Was mit dem Gelde geschehen ist, weiß man nicht. Auf dieeingelegte Beschwerde ist dieser Polizeiaffesior im Disziplinarwegezwar mit einer Geldstrafe belegt worden, aber im Amte ist ergeblieben, trotz der im vorigen Jahre vom Staatssekretär Delbrückabgegebenen Erklärung. Aber„wie soll man die Diener loben, kommtdoch das Aergernis von oben". Ich habe hier einen Brief an denMinisterpräsidenten v. Manteuffel, worin auf den PolizeiratS t i e b e r hingewiesen wird, daß er wohl die geeignete Persönlich-keit ist, eine Verschwörung anzustiften, um dem Pliblikum dann daslangentbehrte Schaustück einer aufgedeckten und bestraften Ver-schwörung zu geben. Unterzeichnet ist der Brief von dem KönigFriedrich W i l h e l in IV. Alsoein königlicher Lockspitzel.(Unruhe rechts.) Ein preußischer König als Jnstigator(Anstifter)einer der gemeinsten Lockspitzeleien in der Ge«schichte.(Lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemokraten. Un-ruhe rechts.) Das Probestück des Herrn Stieber war der KölnerKommunistenprozeß, in dem einer der HanptangeklogtenKarl Marx war. Die Lockspitzelei ist also geradezu zu einerStaatsinstitution geworden; durch solche immer wiederholten Tat-fachen muß natürlich in immer weiteren Volkskretsen das Vertrauenzur Rechtsprechung schwinden, llustiti» fundamentum regnomm!(Die Gerechtigkeit ist das Fundament der Königreiche.) Aber diese«Fundament ist verschüttet und es wird langer und schwererArbeit bedürfen, um es wieder auszugraben und wieder zu Ehrenzu bringen.(Lebhafter Beifall bei den Sozialdemokraten.)Abg. Dr. Beizer(Z.): Die Angriffe des Vorredners gegen denRichterstand gehen zu weit. Er hat es so dargestellt, als obRichter und Siaatsanwälte eigentlich eine Bande von Ver-blechern sind. Gegen diese übertriebenen Angriffe des Vorrednersmuß ich protestieren.(Bravo I rechts und im Zentrum.) Die Aktionzur Entlastung des Reichsgerichts ist erfolgreich gewesen. Aus dieReform des Strafgesetzbuchs werden wir noch gut zehn Jahre zuwarten haben; daher wäre es gut, schon vorher eine Lücke auSzu-füllen und der Gesellschaft einen größeren Schutz gegen g e i st e s«kranke Verbrecher zu gewähren. Die Neuregelung der Ge-bühren für Zeugen und Sachverständige ist dringend geboten.Weiter frage ich, wann ein neueSSpionagegesetz kommt.— Eine Sichtung der Polizeiverordnungen ist dringend nötig; e»gibt Polizeiverordnungen, die direkt gegen ein Reichsgesetz ver-stoßen.—Der Resolution Bassermann, die Reich, Staat und Korn-munen ein Vorlaufsrecht bei Zwangsversteigerungen geben will,kann ich mich nicht freundlich gegenüberstellen. Wenn Staat undGemeinden ein Grundstück baben wollen, werden sie es in der Regelzu angemessenem Preise erhalten können. DaS Vorlaufsrecht aberwürde den Gemeinden die Macht geben, ihnen mißliebige Käuferauszuichließeii.—Schließlich empfehle ich unsere Resolution, die ein Gesetz überden Zwangsvergleich außerhalb des Konkurseswünscht. Der gesamte Millelstaiid und fast die gesamte Anwaltschafthalten ein solche« Gesetz für notwendig.Bei der ersten Etaiberatung hat Dr. P a a s ch e ausgeführt, daßdie Streikprozeffe viel mehr Mitläufer und Anhänger derSozialdemokratie schaffen als die sozialdemokratische Propa-ganda. Ein Streikender wurde verurteilt, weil er eineinArbeitswilligen die mysteriösen Worte zugerufen hatte: Oui Out.au Wau. Kautz Kautz.(Große Heiterkeit.) Ich bin weitentfernt, zu glauben, daß die strengen Urteile in den Ruhrrevier.Prozessen Ausfluß einer Klassenjustiz sind. Aber die Rilbter könnensich dem Eiufliiß ihres Miltriis nicht entziehen.(Zuruf bei denSozialdemolrote»: Daraus entspringt eben die Klaffenjusttz>Di« Urteile wären kaum so streng ausgefallen, wenn die Richterden, Milieu im Ruhrgebiet entzogen gewesen wären:BöseS Blut macht eS. daß bei Erhebung öffentlicher Anklagen aufden Stand des Angeklagten Rücksicht genommen wird. Suchdas S ch n ü f f e l n nach dem Verfasser von Zeitungsartikeln solltebleiben. Es ist wahrttch fchttmm, wenn hochstehende Beamte nichtwissen, waS daS erste Gebot der Ehrenpflicht für eine deutsch« Re-daklion ist. Dann frage ich den Staatssekretär noch, wie es mitdem Prozeß E u l e n b u r g steht. Der eine Belastungszeuge sollgestorben sein. Es müßte doch alle« geschehen, um den Prozeß nochzur rechten Zeit zur Berhandlung zu bringen.Staatssekretär Dr. LiSco: Im Dezember vorigen Jahres hat erneuteine Untersuchung über die Verhandlung»« und Haftfähigkeit de»Fürsten Eulenburg stattgefunden; es ergab sich, daß erweder verhandlungS- noch hafttfähig war. Sein Gesundheitszustandwird dauernd kontrolliert, und wenn eine Aenderung eintretenwird, wird eine erneute Verhandlung stattfinden.(Lachen bei denSozialdemokraten.) Ämtsvorsteher in Liebenberg ist er nicht. DieAngriffe des Abg. Dr. Cohn auf die Richter weise ich zurück. DasVertrauen zu den Richtern im Volke ist so groß, daßsolche Angriffe nicht maßgebend sind.(Zurufe bei den Sozialdemo-kraten: Na, na!) Das Volk vertreten nicht bloß Sie. Zum Volkegehören wir auch. Daß Herr Cohn über einen früherenTrägerder preußischen Krone Ausdrücke gebraucht hat, wie wir siehaben anhören müssen, kann ich nur tief bedauern.(Zustimmungrechts.)— Die Bedenken gegen die Einführung einesgerichtlichen Zwangsvergleiches sind sehr erheb«lich. Immerhin sind wir bereit, die Sache weiter zu prüfen.Ein Entwurf über die Neuordnung der Gebühren fürSachverständige und Zeugen ivird dem Hause noch imLaufe der Session zugehen. Ein Antrag auf Einführung vonDiäten für Schöffen und Geschworene liegt demBundesrat vor; ein Entwurf wird dem Haufe hoffentlich demnächstzugehen können.(Bravo!)— Mit der Ausarbeitung eines neuenund verschärften Spionagegesetzes sind wir beschäfttgt.Abg. Dr. Schiffer(natl.): Die Beweisführung der Sozialdemo-kraten für das Vorhandensein einer Klassenjustiz ist brüchig. Icherinnere an den Fall der hohen Bestrafung eines Regierungs«Präsidenten gegenüber der geringen Bestrafung eines Arbeitswilligen»den der Abg. Cohn vorbrachte. Wäre es umgelehrt gewesen.halten Sie(zu den Sozialdemokraten) sicher gesagt: Der Arbeiterwird natürlich höher bestraft als der hohe Beamte. Daß dies hiernicht geschehen»st. beweist doch, daß die Richter nicht nach demStande des AngeNagten sehe». Also Sie sehen, Ihr Material kannauch gegen Sie verwandt werden. In daS pflichttreueStreben unseres RichterstandeZ nach Unparteilichkeit setzenSie nach Ihren früheren Erklärungen ja auch keinenZweifel und was sonst noch übrig bleibt, ist schließlichdie recht alte Wahrheit, daß niemand aus seiner Hautherauskann. Sie würden als Richter proletarische Klasteiijustiztreiben. Jeder ist ein Kind seiner Zeit, seiner Umgebung,seiner Traditionen, bei Ihnen würden z. B. Revisionisten undRadikale ganz andere Urteile fällen. Für uns kommt eS darauf an:sind unsere Richter beflissen, sich dieser Herrschaft der Umgebung usw.nach Möglichkeit zu entziehen und sind sie so geschult, daß ihnendabei ein großer Erfolg nicht versagt ist? Und da sind wir derMeinung, daß gerade die Tradittonen unseres Richterstandes ihndazu befähigen. Daß im einzelnen Fehlurteile vorkommen, daßauch Richter wie alle Menschen irren, daß unsere Justiz Mängelhat. gibt jeder zu. Aber auch dagegen muß rch mich wenden.daß aus einer gehäuften Darstellung von Einzelfällen allgemeineSchlüsse gezogen werden. Wir müssen wieder ein gesunde«Verhältnis zwischen Recht und Volk herstellen. UnserReichsjustizamt entspricht nicht ganz der Stellung, die bei seinerSchaffung bezweckt war. Die in ihm vorhandenen hervorragendenKräfte kommen nicht zur Geltung. Sehr bedauerlich ist, daß wirnoch 10 Jahre aus die Reform des Strafgesetzbuches warten sollen.Di« Frage de« Streikposten st ehens sollte rein praktisch,losgelöst von allen politischen Nebengedanken, gelöst werden. DieZulassung der Lehrer zu Schöffen und Geschworenen wird allgemeinverlangt. Der Schutz des Wahlgeheimnisses muß ge«sichert werden. Den verbrecherischen Irren darf unser Volk unterkeinen Umständen noch zehn Jahre ausgeliefert sein. Die Zuständesind so schlimm, daß sie gar nicht schlimmer werden können. Sehrbezeichnend spricht das Volk von den Jagdscheinen, die diese Eni«mündtgten haben. Auch darf eS nicht vorkommen, daß reiche An«geklagte für geistesgestört erllärt werden, aber nachher Vernunftgenug beweisen, um eine behagliche, geachtete gesellschaftliche Stellungeinzunehmen. Dabei muß das Gefühl der Rechtssicherheitim Volke schweren Schaden leiden. Der Schutz derEhre sollte aus dem Strafgesetzbuch herausgenommen und besondersgeregelt werden. Auch die Frage der Erpreffuna au« Röttgllngmüssen dabei neu geprüft werden(Bravo l bei den Nationalliberalen).Abg. Holtschke(lons., auf der Tribüne fast unverständlich) pro»testiert gegen die Behauptung einer Klassenjustiz und plädiert aus«sührlich für die Einführung der Prügelstrafe.Abg. Warmuth(Rpt.) spricht für einen erhöhten Schutz derGläubiger. Die Gerichtsvollzieher sollten angewiesen werden, nichtzu lasch vorzugehen. Andererseits muß auch der mittellose Schuldnergeschützt werden. Pensionen und Altersrenten müssen vor d«- Beschlag«nähme geschützt sein. Des weiteren befürwortet er eine von seinerPartei eingebrachte Resolution, die Versllgung über den Miet« undPachtzins dem Hypothekengläubiger gegenüber bei ZwangSver-steigerungen auf das laufende Kalendervierteljahr zu beschränken.Redner wendet sich dann gegen die Bestrebungen auf Abschaffungder Todesstrafe, die da« deutsche Volk nicht verstehen würde.Abg. Bietmeyer(Wirtsch. Vg.) bestreitet das Vorhandensein einerKlassenjustiz und wünscht, daß die Richter pensioniert werden, bevorsie zu alt werden..,Abg. Dr. Haegy(Els.-Lothr, g.) beklagt sich darüber, daß derAbg. Wetterle mit 2 Monaten Geiängni« bestraft wurde, weil erKarilaturen über einen deutschen Gyrnnastalprofessor in seinem Blatteveröffentlicht. Diese Strafe stand in gar keinem Verhältnis zu derGeringfügigkeit des Delikts; eS wäre sehr wohl angegangen.Wetlerlo den Schutz des§ 193(Wahrnehmung berechtigter Interessen)zuzubilligen.Hierauf vertagt daö Haus die Weiterberatung auf Montag2 Uhr(vorher Wahlprüfungen, Rechnungssachen).Schluß 3 Uhr._Mgeoränetenbaus.128. Sitzung, Eon nabend, 8. Febru ar, vorm. 11 Uhr,Am Ministertisch: v. Dallwitz.Das Medizinalwesen.Abg. v. d. Osten(f.) will die schlechte Bezahlung der Kranken-Pflegerinnen nicht bestreiten, aber das.Hauptgewicht liegt auf demGebiet der christlichen Nächstenliebe. Die traurige Er«schemung des Geburtenrückgangs darf nicht vom Parteistandpunkt.sondern muß vom nati onalen Standpunkt betrachtet wer-den. Mit Schlagsvorten wie Unterernährung und verkehrte Wirt-schaftSpolitik löst man die Frage nicht. Tie Lebenslage des Volkeshat sich gehoben. Materielle Güter allein machennicht reich,'dem Reichtum verlei-ht erst der Mensch, hex jh»besitzt, den wahren Wert.(Heiterkeit bei den Sozialdemokraten.)Der Rückgang der Sterblichkeit kompensiert nicht den Geburtenvück-gang, sondern verschleiert ihn n�r. In Berlin gehen die Ge«burten schneller zurück, al» die Sterblichkeit und ohne Zuzug vonaußen würde Berlin langsam entvölkert. Der Geburtenrückgang istdort am größten, wo am meisten sozialdemokratischeStimmen abgegeben worden sim> und dort am geringsten, wodas Volk nochreligioS ist.(Hort! Hort! rechts.) Der Geburten«rückgang bedeutet immer«inen Niedergang der Kultur. Di« Tatendar Sozialdemokraten fttmmen nicht überein mit de.n Worten desZlbg. S t r ö b e l, daß die Sozialdemokratie ein möglichst starkes unozahlreiches deutsches Volk Wunsche. In dem soziawemokratischen„Marli sckie n Volkskalender finden sich gerade solche Inserate, wi«sie Abg. S t r ö d e l gebrand markt hat und der Sozialdemokrat Dr.« r u b p a ch e r- Zürich empfiehlt in einer Brofchüre 70 Mittel zurVerhütung des Kindersegens. Also mindestens ein Teil der Sozial«demokratte beurteilt diese Frage vom engsten sozialdemokratischenStandpuntt au». Es sollte ein« Kommission zum Studium dieserFrage eingesetzt werden. ES besteht die Gefahr, daß wir dem An«stur vi der Slawen unterliegen.— Der Redner verurteilt dannscharf die KampseSwerse des Leipziger Aerzteverbandes.die die der Sozialdemokratie Nock, ffbertrefse. Der Leipziger Ver»band hat auch einen Koalittonszwang ausgeübt und durch seil,Shrenwortstsstem verletzt er seine sozialen Pflichten. Gm ärztlicherStreik gefährdet wichtige allgemeiue Interessen, ist also verwerflich.Zwar nicht in Berlin» qher in der Provinz hat der Lolpziger Per»