Sozialdemokraten.) Der Mißbrauch mit diesem an sich gesunden juristischen Begriff reißt von Jahr z» Jahr mehr ein— ich sagte schon, daß wir mit unserer Kritik nicht allein stehen. Ich kann auf den Ooerlandgerichtsdirektor Schindler in Hamburg der- weisen, auf Aeußerungen von Avenarius im„Kunstwart", und auf die Ausführungen, die Kollege H e i n tz e hier vor zwei oder drei Jahren gemacht hat, wobei er selbst sich nicht scheute, manches Urteil ein Monstrum der Rechtsprechung zu nennen. Alle diese Stimmen verurteilten die Verquickung von Rechtspflege und Politik. Bei dem Wiederaufnahmcprozeß von Schröder und Genossen in Esten geißelte der Staatsanwalt selbst das Hinüberziehen von Prozessen aufs politische Gebiet. Das hat ihn nicht abgehalten, in dem Falle Levy selbst Anklage zu erheben. (Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Es wird nicht besser werden, ehe diese Verfolgungssucht, die besonders ein Charak- teristikum der herrschenden Klassen in Preußen ist, einmal über- wunden ist. Die politischen Gegner bringt man auf diese Weise nicht zu Falle, geistige Bewegungen unterdrückt man auf diese Art nicht, mau pflanzt nur Haß und Verachtung in die Seele der Gegner.(Leb haste Zustimmung bei den Sozialdemokraten.) Der Abg. Schiffer als Oberverwaltungsgerichtspräsident wird ja wissen, in wie unerhörter Weise die Zeit des höchsten preußischen Verwaltungsgcrichtshofes vergeudet werden muß wegen der klein- lichen politischen Verfolgung von Vereinen.(Sehr richtig I) Ich war heute im Oberverwaltungsgericht Zeuge einer sehr spaßhaften Verhandlung. Gegen einen hannoverschen Veteranenverein wurde der Prozeß geführt, weil er für p o l i t i s ch erklärt worden war. Die politische Tendenz des Vereins wurde darin erblickt, daß er die alten hannoverschen Traditionen der Armee pflegte. Der Vertreter des Vereins wies darauf hin, daß ja dem Regiment, dem die Mit- glieder des Vereins entstammten, durch allerhöchsten. Erlaß die Traditionen der alten hannoverschen Regimenter verliehen worden sind. sHeiterleit.) Und wegen dieser Traditionen sollte der Verein für politisch erklärt werden und ausgerechnet heute, meine Herren. (Große Heilerkeit.) Ich wartete mit großem Behagen, wie sich das Gericht heraushelfen würde. Es half sich, es vertagte. sErneute große Heiterkeit.) Es wäre ja in der Tat peinlich gewesen, wenn ausgerechnet morgen die Entscheidung in der Presse veröffentlicht worden wäre. So geht es auf allen Gebieten im Vereinsleben. Wo sich im Volke irgend etwaZ regt, um selber mal etwas zu tun, um Kinder in Vereinen zu walchen und anzuziehen, um junge Leute vom Winshansbesuch fernzuhallen, zu Leibesübungen zu veranlassen, überall mischt sich die Bureaukratie hinein und sagt: Das dürft Ihr uicht, das müssen wir erst genehmigen. Auf dem Gebiete liegt auch der innere Grund des Vorgehens gegen die Aerztevereine. Die Bureaukratie kann eS nicht ertragen, wenn jemand sich selber hilft. Sie will möglichst viele Leute unter amtliche Aufficht stellen. Ungefähr wie der Landrat von Wittgenstein , der gegen einen Lehrer, der ihn nicht stramm genug gegrüßt hatte, vorging mit der Be- gründung. Jeder Mann muß docki einen Vorgesetzten haben. Und da mir kein anderer Vorgesetzter des Lehrers bekannt war, mußte ich annehmen, daß i ch sein Vorgesetzter war.(Stürmiscve Heiterkeit.) Die Sache klingt lustig, ist aber doch sehr ernst. ES ist ein jammervoller Zustand, daß in Preußen jede Freiheit deS einzelnen und wen» sie dem besten Zioecke dient, unierdrückt wird zugunsten der Macht der Bureaukratie und daß die Justiz sich vor den Wagen dieser Bureaukratie spannen läßt.(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Das Reichsgericht hat mir in einem Urteil darin recht ge- geben, daß die Verfolgung der Arbeiterturnvereine nicht mit Gründen der Schulaussichl motiviert werden könne, weil der Turn« untensicht an jugendliche Personen, nicht als Ersatzunterricht für staatlichen gelten könne. Schnell ist in den preußischen Fort - bildungs schulen der Turnunterricht als Unter- richtSgegenstand eingeführt worden, wenn auch nur auf dem Papier, um nun doch einen Ersatzunterricht konstruieren zu können. Vor einigen Tagen aber ist das Reichsgericht umgefallen. Es erklärt jetzt, es komme nicht mehr darauf an, ob Ersatzunterrichl vorliegt, sondern ob der Turnende schütz- bedürftig sei. Nach Meinung der Bureaukratie ist natürlich jeder junge Mann bis zum 2t. Jahre schutzbcdürftig.(Sehr gut l links.) In R i x d o r si(Rufe: Neukölln.) Für mich bleibt esRixdorf.(Heiterkeit.) ist die Polizei gegen einen Verein von Eltern eingetchritten, die ihre Kinder gemeinsam spielen ließen. Auch das Spielen der Kinder wurde für k o n z e ss i o n s p f l i ch t i g erklärt.(HörtI hört I Herr Dr. Müller-Meiningen , da» ist Ihr LereinSgesetz, die hehrste Blockfrucht, welche deutsche Franen konzessionspflichtig macht, wenn sie ihre Kinder spielen lasten wollen.(Sehr gut! bei den Sozialdemokraten.) Der Verfolgung der Arbeiterturnvereine sehen die bürger« lichen Parteien mit gekreuzten Armen zum Teil mit hämischem Lächeln zu. Ich erwarte von den Parteien, die wirklich noch Parteien für Wahrheit und Recht sein wollen, daß sie abrücken von einer solchen Klassen- und politischen Justiz. Nein, es gibt nicht nur vereinzelte Fälle von entschuldbaren Irrtümern. sondern es ist ein ganzes durch die Verhältnisse herangezogenes System der Ungerechtigkeit, welches sich breit macht und auch dadurch nicht ausgelöscht wird, daß einzelne Richter sich von solchen Un- gerechtigkecten fernhalten. Dieses System wird auch dann nicht gerechter, tvenn man sagt, die Richter könnten nicht aus ihrer Haut heraus, sie handelten in gutem Glauben. Mir wäre es lieber, wenn solche Fälle von Richtern in bösem Glauben verübt würden, denn das läßt die menschliche Natur nicht zu, daß solche Ber - b r e Ä e r sich in größerer Zahl im Richterstande festsetzen.(Präsident Dr. Kaempf rügt diesen Ausdruck.) Noch einige Worte zur geplanten Reorganisation des Strafgesetzbuches. Man hat gesagt, die Regierung wolle sich nicht die Rosinen aus dem Kuchen nehmen lassen. Ja. das ist wirk- lich das innere Motiv. Der Vorentwurf zum neuen Strafgesetzbuch enthält ganz außerordentliche Fortschritte und Ver- besserungen. Das sind die Rosinen, die möchten wir haben. Daneben aber enthält der Vorentwurf die schlimmsten. reaktionärsten Bestimmungen auf dem Gebiete der Politik und Sozialpolitik. Ich erinnere an die V e r- schärfung des Nötigungsparagraphen, die die AuS- Übung des Koalitionsrechts, jede politische Agitation fortwährend in Widerspruch mit dem Strafgeletzbuch bringen würde. Deswegen will sich die Regierung nicht die Rosinen auS dem Kuchen nehmen lasten. Es soll wieder so gemacht werden wie beim Reichsvereinsgesetz, wo auch die kleinen Fort- schritte der Grund waren ungeheuerliche Rückschritte zu akzeptieren. Mi, den Rosinen soll der Kuchen mundgerecht gemacht werden, von dem sonst jedem denkenden Menschen übel wurde. Was ich sagte, richtet sich nicht gegen den Staatssekretär persönlich, er hat den Urentwurs nicht gemacht und er hat mein tiefstes Beileid, wenn er ihn vertreten muß. hoffentlich braucht er es n i ch t m e h r zu tu».(Heiterkeit.) Aber Sie können uns nicht übel nehmen. wenn wir diesem Justizniese» auf allen Gebieten, wo cS sich um politische und sozialpolitische Beslrebunge» handelt, nichts anderes entgegenbringen als d a s t i e f st e M i ß t r a u e n.(Lebhafter Beifall bei den Sozialdemokraten.) Präsident Dr. Kaempf: Im Anfang Ihrer Rede haben Sie ge- sagt:.So lange die Reichsanwaltschaft diese Schuld nicht gesühnt bat, daß sie sich zum I n st r u m e nt einer politischen Ge- hässigkeit und E h r a b, ch n e i d e r e i gemacht hat (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten), so lange mag sie sich das Brot von denen erbitten, aus deren Pfiff sj� damals eingegriffen hat.(Abg. Südekum: Sehr gut gesagt I) Diese Aeußerungen gehen über die sachliche Kritik so weit hinaus und sind so verletzend für eine Reichsbehörde(Heiterkeit bei den Sozialdemokraten), daß ich Sie dafür zur Ordnung ruf«. Abg. Dr. Bell(Z.): Die Behauptung einer gemeinsamen Aktion von Zentrum und Sozialdemokratie bei der Ablehnung des Reichs- anwalts fft das Produkt der überhitzten Phantasie der Journalisten. Nicht aus Verärgerung haben wir den Reichsanwalt abgelehnt, sondern aus sachlichen Gründen(Lachen bei den Sozialdemokraten); aber wir bestreiten nicht das Vor- h a n d e n s e i n einer V e r st i m m u n g. Diese richtet sich nicht gegen den Justizsekretär, sondern gegen den Reichskanzler. Wir werden auf geeignetem Kampfplatz mit offenem Visier und blanker Waffe den Kampf fuhren. In der Verurteilung der Sen- sationsberichterftattung über Gerichtsverhandlungen schließe ich mich dem Abgeordneten O e r t e l vollkommen an. Die Mehrzahl unserer Richter braucht bei der Beurteilung, ob ein Bild unzüchtig ist oder nickt, keine Sachverständigen heranzuziehen; wenn Abgeordneter Heine das beurteilen kann. können sie es auch.— Die Wohnungsfrage läßt sich nur durch eine eingehende gesetzliche Regelung des Erbbanrechts lösen.— Die Kriminalpolizei bedarf dringend einer Zentralisation; ob dies durch das Reich oder durch Vereinbarung der Einzelstaaten geschieht, ist Nebensache.— Ein wirksamerer Schutz der Ehre »,uß nicht nur durch eine Reform der strafrechtlichen Bestimmungen erfolgen, sondern auch die entsprechenden Bestimmungen des Bürger- lichen Gesetzbuchs müssen geändert werden.— Der Resolution über den Schutz gegen ge in eingefährliche Irre stimmen wir zu. Es fragt sich aber, ob man diese Bestimmungen nicht aus die unter§ 51 Freigesprochenen erstrecken soll, wer seinen verbrecherischen Trieben nicht widerstehen kann, muß in seinem eigenen Interesse und im Interesse der Allgemeinheit in Sicherheit gebracht werden. Die Justizverwaltung schiebt die ihr für den Richter- und Staats- anwaltsstand ungeeignet Erscheinenden in den Anwaltstand ab. Wir Anwälte bedanken uns dafür, daß wer zum Richter- und Staats- anwaltsdienst ungeeignet, für den Rechtsanwallstand immer noch gut genug sei.— Abg. Heine verwahrt sich mit aller Entschiedenheit dagegen, daß die Richter eine bewußte Klassenjustiz trieben, weiß aber seine Reden so pikant auszuschmücken, dntz jeder Leser glauben muß, die Richter übten Klassenju st iz über die von ihm scharfsinnig gegebene Difinition hinaus. Das Spiel mit dem Wort Klassenjustiz ist gefährlich, wenn man eS in die großen Massen trägt.— Dem vorjährigen Vorschlage des Abg. v. C a l k er. die Vorbildung der Juristen reichsgesetzlich zu regeln, kann ich nicht zustimmen. Unserer Rechtsprechung kann ick den Vorwurf nicht ersparen, daß sie allzu f o r ina listi s ch ist. Das Goelhesche Wort:„Da wird der Geist Euch wohl dressiert, in spanische Stiesel eingeschnürt", gilt von unserer Rechtsprechung und unseren Gesetzen auch heute noch. Auch in bezug auf die Sprache lassen unsere Gesetze viel zu wünschen übrig. Oft wäre man versucht, zu sagen: Gesetze machen ist nicht schwer, Recht zu schaffen um so mehr. (Bravo ! im Zentrum.) Hierauf vertagt das HauS die Weiterberatung. Nächste Sitzung: Mittwoch 1 Uhr.(Sozialdemokratischer Wahl- rechtsamrag.) Schluß 7 Uhr._ Mgeorclnetenkaus. 130. Sitzung. Dienstag, den 10. Februar 1913, vormittagslOUhr. Am Ministertisch: v. B r e i t e n b a ch. Vizepräsident Dr. Krause entschuldigt den durch den Landwirt- schaftsrat ferngehaltenen Präsidenten und bemerkt dann, daß man gestern abend durch eine überaus freudige Botschaft überrascht worden sei. Während sich die bürgerlichen Abgeordneten erheben, holt der Vorsitzende die Genehmigung des Hauses dazu em, zur Ver- l o b u n g des Sohnes des Herzogs von Cnmberland mit der Tochter des Deutschen KasterS die Glückwünsche des Hauses auszusprechen. Auch dem Herzog von Cumberland sollen diese Glückwünsche schriftlich übermittelt werden. Dann wird der Lauetat weiterberaten. Abg. Dr. Glattfelter(Z.) tritt entschieden für die Durchführung der Saar - und Moselkanalisierung ein. Abg. Freiherr v. Steinäckcr(Z.) unterstützt dieses Verlangen auch durch Hinweise auf den strategischen Wert der Saar - und Mosel- kanalisierung. Abg. Dr. Röchling(natl.) schließt sich diesen Forderungen an und verweist auf die großen Verkehrssteigerungen in Deutschland . Inzwischen ist der Präsident Dr. Graf v. Schwcrin-Löwitz er- schienen und nchtet nun an das HauS die Anfrage, ob der morgige Mittwoch für die Budgetkommission freigelassen werden soll, wie das der Vorsitzende dieser Kommission, Abg. v. A r n i m- Züsedom(k.) beantragt. Abg. v. Pappenheim (k.( widerspricht. Gegen den Abg. v. Pappenheim und einige Konservative beschließt das Haus, den morgigen Mittwoch sitzungsfrei zu lassen. Abg. Schreiner(Z.) setzt die Debatte über die Saar - und Moselkanalisation fort. Im Südwesten besteht bereits eine starke Mißstimmung. Minister v. Brcitcnbach lehnt die Saar - und Moselkanalisation, wie bisher immer, a b und verweist auf die weitgehenden Tarifer- Mäßigungen für den ErdtranSport zwischen Ruhr-, Saar— Mosel-, Lothringer- und Luxemburger Revier. Die StaatSeiseubahnen werden nach dem beabsichtiglen Ausbau allen Ansprüchen des Verkehrs genügen können. Wir opfern Einnahmen von 9 bis 10 Millionen durch die Tarifermäßigungen angesichts der außer- ordentlichen Entwickelung unserer Eisenindustrie.. Diese Tarif- ermäßigungen bringen der Industrie mehr Vorteile, alS die Kanalisierung. Die Rücksichten auf die Landesverteidigung stehen für uns»alürlick immer in er st er Linie.(Beifall.) Präsident Graf Schwerin bemerkt, daß hierzu noch 20 Wortmeldungen vorliegen und ersucht die Redner, sich kurz zu fassen. In der weiteren Debatte werdm von den Rednern verschiedene Wünsche nach Kanalisierung von Flußläufen vorgetragen, gegen diese Forderungen wendet sich unter anderen der Abg. Graf K anitz. Abg. Hoffmann(Soz.) unterstreicht die Aeußerung des Abg. Gras Kanitz, daß Tarif- ermäßigungen für die südwestliche Elseuindustrie in letzter Linie die Landflucht erhöhen könnten. Ich will die Angst fest- nageln, daß auch einmal die Zeit kommen könnte, wo den Land- arbeitern ein menschenwürdiger Lohn bezahlt werden muß. Diese Angst beherrscht Sie(nach rechts) bei allen Kulturfragen und ist maßgebend für Ihre Abstimmungen. Ihre Stellung richtet sich immer danach, daß auch Arbeiter ihr Reckt verlaiigen und zu ihrem Recht« kominen könnten. Gut, so werde» die Arbeiter sehen, was sie von Ihnen und Ihrer Beurteilung von Kultur- und Verkehrs- fragen zu holten haben. Preiißen-Deulichland ist»im einmal e i n Industrieland und Sie werden die industrielle Entwickelung nicht mehr rückwärts revidieren können. Sie müssen ihr Rechnung tragen, tun Sie es nicht, so wird die Geschickte über Sie hinweg» gehen.(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Im Etat sind 15.3 Millionen Mark für Unterhaltung der Binnen- Häfen und Gewässer eingestellt. Es könnte sicher so manches besser, dabei aber auch billiger ausgeführt werden. Bei der Regulierung der Ströme kommen mitunter etwas sonderbare Manöver vor. Die Baggeret auf der Oder bei Breslau wird in einer Weise vollführt, die nicht nur bedeutendes Geld kostet, sondern auch manchmal dun Ziveck zuwider handelt. Man hat die Hand- baggeret, die von steuerzahlenden Bürgern betrieben wird, zum Nutzen der Dampfbaggerei völlig beseitigt. So sieht Ihr Schutz des Mittelstandes aus! Die kleinen Handbagger werden wegen an- geblicher Berletzung der Borschriften mit Strafen bom» barbiert, aber eS werden dabei nicht nur die Unternehmer bestraft, sondern auch die Arbeiter, die dock bloß die Be- fehle der Unternehmer ausführen, um ihre Stelle zu be-. halten. Während früher die Handbagger den von ihnen gewonnenen Sand frei wegführen konnten, wird er ihnen jetzt mit 30 Pfennig pro Kubikmeter berechnet. Diese Belastung ist um so fühlbarer, als die Handbagger ja nur wenig Sand gewinnen, weil sie höchstens 1,70 Meter tief fassen, während die Dampfbagger bis zu 4 Meter Tiefe gehen und den Sand überall wegholen, wo sie ihn fassen, ohne irgendwelche Rücksicht auf die Notwendigkeiten der Schiffahrt. Die Handbagger behaupten, daß hierdurch ganz bedeutende Schäden einstehen, die Stadtschlensen von Breslau unbrauchbar werden und fast nur noch bei hohem Wasserstand überhaupt funktionieren, sowie daß die Ufer oberhalb der Königsbrücke infolge der Wochen- langen Dampfbaggerei eingestürzt seien, worum sich aber kein Beamter gekümmert hat. Seit einem Menschenalter arbeiteten die Handbagger zur Nachtzeit, weil sie am Tage durch Schlepp- und Passagierschiffe fortivährend in der Arbeit behindert wurden. Jetzt ist ihnen die Nachtarbeit verboten, während sie den zu einem Ring vereinigten Dampfbaggergesellschaften gestattet ist. Diese Gesellschaften beschäftigen übrigens polnische Frauenbund Mädchen. Gewiß verlangen wir nicht, daß diese nicht beschäftigt werden sollen, aber sie werden beschäftigt, weil sie für einen Lohn arbeiten, mit dem unsere Arbeiter nicht auskommen können. (Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) So aber wird die Handbaggerei ganz brach gelegt und die armen Teufel haben für ihre Geräte und ihren Kahn keine Verwendung mehr. Es müßte mindestens das Verbot der Nachtarbeit aufgehoben werden, wenn es nicht auch für die Dampfbaqgergesellschaften besteht. Nun werden aber auch merkwürdige Dinge erzählt, um deren Nachprüfung ich bitte. Von verschiedenen Beamten der staatlichen Strom bau- und Strompolizeiver- w a l t u n g wird behauptet, daß sie stille Teilhaber von Bagger- gcsellschasten oder Sandlieferanten für Private seien, so daß die Be- känipfung der Handbagger durch diese Beamten eigentlich im Interesse der Dampsbnggergesellschaften geschähe. Die Trustgesellschaften arbeiten auch Sonntags, ohne von den Behörden ge- hindert zu werden, während man den kleinen Handbaggern deshalb schon den Boggerschein entzogen hat. Bei den Eisarbeiten beaufsichtigt die königliche Wasserbau-Jn- spektion zwar die Arbeit, die aber an einen privaien Unternehmer vergeben ist. Der bekommt für den Arbeiter pro Tag 3,75 M., zahlt aber nur 3 M. oder 3,25 M. aus. Warum werden diese Arbeiten nicht in eigener Regie ausgeführt und die Ar- beiter vor einem derartigen Abzug bewahrt? Bei einem Niederwasser- stand von nur 60 bis 80 Zentimeter wurde den Handbaggern ein allgemeines Verbot auferlegt, aber einige Tage später baggerten drei Dampfbagger so viel Sand weg, als ihnen beliebte, und das an derselben Stelle, von wo Schutzleute die Hand- p bagger mit Waffengewalt weggejagt� hatten. (Hört I hört! bei den Sozialdemokraten.) Als vor drei Wochen die Hochwossereinfahrt zur Scheitniger Schleuse versandet war, wurde nicht ein Rcgierungsbagger, sondern wieder die Sand- und Kiesbaggereigesellschaft in Bewegung gesetzt, weshalb? Ich fordere die Regierung auf, die von mir bezeichneten Härten, die ich durch ein ganzes Paket Urteile beweisen könnte, zu vermeiden. Hier haben Sie Gelegenheit, einmal Mittel st andspolitik zu treiben. Richten Sie die kleinen Leute nicht noch rascher zugrunde, als das durch die technische Entwickelung sowieso geschieht.(Bravo l bei den Sozialdemokraten.) Abg. Dr. Flesch(Vp.) tritt für die Strombauarbeiter ein. Der Untcrftaatssekrctär antwortet H o f f m a n n. daß nicht Mittelstandsfeindlichkeit, sondern technische Notwendigkeiten zur Ver-� Wendung von Dampfbaggern zwingen. Auf die Beschäftigung polnischer Arbeiterinnen durch die Gesellschaften haben wir keinen Einfluß. Die Beamten dürfen keine unerlaubten Nebengeschäste betreiben, aber so lange keine Beweise vorliegen, kann ich die Beschuldigungen nicht prüfen, sondern weise sie zurück.(Abg. Hofs» mann: Wir kömien sie doch nicht prüfen!) Nach unwichtiger weiterer Debatte vertagt das HauS die Weiter- beratung auf Donnerstag 11 Uhr. Schluß 4'/« Uhr. _ Parlamentarisches. Aus der Wahlprüft, ngskommission des Reichstages. Am Dienstag wurde die Prüfung der Wahl des Abg. Dr. Cohn(Soz.) zu Ende geführt. Wenn alle in dem Protest be- haupteten Unregelmäßigkeiten als wahr erwiesen worden wären, hätten im äußersten Falle dem Abg. Dr. Cohn 231 Stimmen abge- zagen und dem unterlegenen Dr. Wiemer 749 Stimmen zugezählt werden können. Es hätte sich sonach um 1030 Stimmen gehandelt. Da Dr. Cohn aber eine Mehrheit von 1642 Stimmen hatte, so konnte am Resultat der Wühl nichts geändert werden. Die Kam- Mission erklärte daher die Wahl e i n st i m m i g für gültig. Die Kommission setzte dann die Prüfung der Wahl des Abg. V i e t m e y e r(Wictsch. Ver.), gewählt im Fürstentum Waldeck, fort. Die Kommission erachtete mehrere Behauptungen ÄeS Protestes für erheblich und beschloß Beweiserhebung. Die Konkurrenzklausel. Die Spczialdcbatte wurde in der Dienstagsitzung der Reichs- tagskommission bei dem§ 74a der Vorlage fortgesetzt. Er soll die Voraussetzungen aufzählen für die Zulässigkeit von Wettbewerbs- verboten. Die Regierungsvorlage beschränkt sich auf die bezahlte Karenz. Es scheint, als ob auf allen Seiten der Kommission diese Kautele als un'genügend angesehen wird. Die Debatte drehte sich daher um folgende, in den vorliegenden Anträgen formu- lierte Fragen: 1. Festlegung einer Gehaltsgrenze bis zu der Kon- kurrenzklauseln überhaupt unzulässig sein sollen; ein sozialdemo- kratischer nd ein konservativer Antrag fordern dieses Verbot und schlagen 5000 M. als Grenze vor. 2. Die Fortschrittler beantragen, die Zulässigkeit der Konkurrenzklausel zu beschränken auf alle leitenden Stellungen und Geschäftsreisende sowie auf all« sonstigen Gehilfen, wenn diese während ihrer Beschäftigung Einblick in wesentliche Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse hatten. 3. Die Zeitdauer eines Wettbewerbverbots soll nach dem Antrage unserer Genossen und der Fortschrittler höchstens ein Jahr betragen, der Zentrumsantrag will zwei Jahre den Prinzipalen zugestehen. 4. Die Entschädigung soll im ersten Fahre in Höhe des vollen Ge- Halts gezahlt werden, was von unseren Genossen, dem Zentrum und der Wirtschaftlichen Vereinigung beantragt wird; das Zentrum will, wenn z. B. ein Umzug nötig war, den Angestellten hierfür mit 25 Proz. des Gehalts besonders entschädigen, während die Fort- schrittler in jedem Falle 1)4 des Gehalts beantragen. Die Debatte drehte sich im wesentlichen um die Frage, auf welchem Wege am besten die Ausscheidung der Fälle mit schütz- berechtigten Interessen erreichbar ist. Das Zentrum will diese Interessen durch eine sogenannte„Generalklausel" regeln, die alles in das freie Ermessen des Richters stellt; es will durch einen„ver- besserten" Antrag das Wettbowerbsverbot zulassen,„um den Prin- zipal gegen die Gefahr zu schützen, daß Geschäfts- und Betriebs- gehcimnisse und„sonstige wirtschaftliche Werte", die zum„wohl- erworbenen.Besitzstande" gerade seines Geschäfts gehören". Die Liberalen haben infolge der Debatte in der vorigen Sitzung über den von unseren Vertretern gekommenen Vorschlag nunmehr als Absatz 4 zu§ 74a beantragt: „Nichtig ist auch die Vereinbarung, wodurch ein Dritter an Stelle des Handlungsgehilsen oder neben ihm Verpflichtungen übernimmt, wegen eines Wettbewerbverbots gegen de» Hand- lungsgehilfen." Zu einer Abstimmung kam es noch nicht. Ob für die von unseren Genossen geforderte Gehaltsgrenzc, die nach Ansicht des Nationalliberalen Marquardt, dem Sekretär einer bürgerlichen Handlungsgehilfenvereinigung, allein eine sichtbare Besserung be, deuten würde, ein« Rehcheit besieht, ist fmgwürdig.
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