Abg. Scyda(Pole): Der Reichstag ist kompetent. Dem Grund-Gedanken des Äntrages stehen wir sympathisch gegenüber. DasAusnahmerecht gegen uns ist in Preußen nur möglich, weil dort einelendes Wahlrecht besteht. Die Aussichten über das Frauen-Wahlrecht und über das Alter, mit dem das Wahlrecht zu beginnenhat, sind bei uns geteilt.Abg. Mertin-Oels(Rp.>: Der Antrag widerspricht dem födera-listischen Charakter des Reichs und wir lehnen es ab, auf seinematzlosen Forderungen im einzelnen überhaupt einzugehen.(Lachen bei de» Sozialdemokraten.)Abg. Burckhardt(Wirtsch. Vg.): Wir stehen auf demselbenStandpunkt, obwohl wir im Abgeordnetenhaus überhaupt u n-vertreten sind und den Wunsch haben, dort vertreten zu sein. DerAntrag dient nur Agitationszwecken. Wir hätten in Preußenlängst ein vernünftiges Wahlrecht, wenn es keine Sozialdemokratie,sondern nur eine christlich-nationale Arbeiter-bewegung gäbe.(Stürmisches Gelächter bei den Sozial-demokraten.)Damit schlietzt die erste Lesung. Da ein Antrag auf Kom-missionsberatung nicht vorliegt, wird sofort in die zweite Le-fung eingetreten.Abg. Dr. Liebknecht(Soz.):Die gähnende Leere auf den Regierungsbänken und auf derRechten ist ein Beweis für die Notwendigkeit dieser Debatte undunseres Antrages, der den gegenwärtige» schmachvollen poli-tischen Zuständen in Preußen ein Ende machen soll.(Sehrwahr! bei den Sozialdemokraten.— Großer Lärm rechts.— Zuruferechts: Schmachvoll?) Wir erleben ja immer dasselbe Bild.(Er-neute Zurufe rechts: Schmachvoll?)Vizepräsident Dove: Ich bitte, die Zulässigkeit dieses Ausdrucksnicht weiter zu bezweifeln. Auf Personen angewendet, würde ichihn rügen. Aber auf Zustände angewendet, unterliegt er nichtmeiner Kritik.(Lebhaftes Bravo I links.— Unruhe rechts.)Abg. Dr. Liebknecht(Soz.):Wie immer werden Kompetenzbedenken vorgebracht. Am un-verständlichsten ist die Haltung des Zentrums. Wenn dieRegierung einen Entwurf vorlegt, will das Zentrum ihm zustiminen.Als ob der Reichstag nicht dieselbe gesetzgeberische Initiative hätte,wie die Regierung.(Sehr richtig! links.) Die Haltung der Rechtenist auch höchst sonderbar. Man denke nur an Schwarzburg-Rudolstadt. Die dortige Regierung hat beim SlaatsrechtslehrerLaband ein Gutachten eingeholt und Laband hat erklärt, daßgegebenenfalls, wenn die Regierung mit dem Landtag nichtregieren kann, die Exekutive des Reiches einsetzen und dieRegierung dort auch ohne Budget regieren könnte.(LebhaftesHört, hört! links.) Dieses Gutachten ist in der gesamten kon-servaliven Presse mit Begeisterung begrüßt worden.(Hört,hört! links.) Jetzt aber soll auf einmal das Reich nicht das Rechthaben, ein Gesetz, wie wir es vorgeschlagen haben, zu erlassen. Sogeht die Logik zum Teufel, wenn man nur seinebarbarischen Gcwaltinstinktedem Volke gegenüber durchsetzen kann.(Sehr wahr I bei den Sozial-demokraten. Unruhe rechts.) Ich glaube, wenn es sich darumhandeln würde, von Reichs wegen gegen Württemberg, Baden,Bayern oder Hessen vorzugehen, so würde sich die Rechte auchnicht so sehr wehren.(Sehr wahr! links.) Aber jetzt wirdZeter und Mordio geschrien, weil es sich um das geliebtePreußen handelt und um M e ck l e n b u r g mit dem Ochsenkopfim Wappen.(Heilerkeit links.) Nicht aus juristischen Gründen,sondern aus politischen Gründen wird unser Antrag verworfen.Im übrigen haben die Herren aus der Rechten sich wirklich niemalsan das formale Recht gehalten. Wenn sie nur ihre Forderungendurchsetzten, auf ein bißchen mehr oder weniger Gewalt kam eS nichtan.(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Ihre juristischen Be-denken glauben wir Ihnen allen nicht, auch dem Zentrum nicht.Diese juristischen Bedenken werden nur vorgeschoben als Wand-schirme, hinter denen man ungestörter seinen politischen Intrigennachgehen kann.(Sehr gut! bei den Sozialdemokraten.)Wenn Ihnen unser Antrag im allgemeinen nicht behagt, weshalbbringen Sie nicht Amendements ein. Aber das tun Sie nicht, Siewollen nicht, daß sich auf unseren Antrag eine Mehrheit ver-einigt. Wenn das Zentrum wollte, es könnte ebenso mit denMitteln der stärksten Demagogie und der politischen Intrige vorgehenwie beim Jesuitengesetz.(Großer Lärm im Zenttum.)Vizepräsident Dove: Sie sprechen doch nicht etwa von Mit-gliedern dieses Hauses?Abg. Dr. Liebknecht(Soz.):Selbstverständlich nicht.(Stürmische Heiterkeit.) Ich denke andie Oberen des Jesuitenordens und an die Herren, diejenseits der Alpen sitzen.(Lachen im Zentrum.) Beim E n t-eignungsgesetz war nach Ansicht des Zentrums der Reichstagzuständig. Da lag ihm daran, eine Mehrheit hier zu bekommen,da wollte es sich an der Regierung reiben. Aber hier liegtdem Zentrum nichts an dieser Mehrheit, weil es eben eineWahlrechtsreform ernstlich nicht will.(Widerspruch im Zentrum.)In den Akten des Abgeordnetenhauses ist dokumentarisch festgelegt,wie weit das Zentrum im Volksverrat gegangen ist, nur weil es inden Armen der Konservativen lag und mit ihnen Brüderschaft ge<trunken hatte zu dem Zweck, gemeinsam das Volk über denLöffel zu barbieren.(Lebhafte Zustimmung bei den Sozial-demokraten.— Unruhe rechts und im Zentrum.)Vizepräsident Dove: Diese Worte können sich aber nur aufMitglieder des Hauses bezichen.(Stürmische Heiterkeit links.)Abg. Dr. Liebknecht:Oh nein!(Heiterkeit.) Die Sünden, die das Zentrumdamals im Abgeordnetenhause begangen hat, werden unvergessenbleiben, und diesen politischen Sünden wird auch die gerechteSühne folgen. Es hätte sich im Abgeordnctenhause eine Mehrheitfür den freisinnigen Wahlrechtsantrag auf geheimes und direktesWahlrecht gefunden, wenn das Zentrum nichtmehrere Dutzend seiner Abgeordneten abkommandiertätte.(Stürmisches Hört I hört I links.) Wenn das Zentrum auchie entscheidende Schuld dafür trägt, daß der freisinnige Wahlrechts-antrag zu Fall kam, die Nationalliberalen haben nichtviel bester gehandelt.(HörtI hört! bei den Sozialdemo-kraten.) Es ist ein offene« Geheimnis, daß eine Reihe national-liberaler Abgeordneter während der Abstimmung über den Wahlrechts-antrag wohl im Haus, aber nicht im Saal waren.(Hört Ihört! bei den Sozialdemokraten.) Vor einigen Tagen hat im Ab-geordnetenhaus der Zsillrumsabgeordnete G r o n o w S k i erklärt,das Zentrum sei mindestens für was geheime und direkte Wahlrecht.Das heißt mit anderen Worten, daß das Zentrum nicht mehralö das geheime und direkte Wahlrecht für Preußen verlmigk.(Widerspruch im Zenirum.) Wen» man in solchen grundsätzlichenFragen in einer Debatte, in der dicjGrundsätze der Parteien nieder.gelegt werden sollen, erklärt daß ma» minoestens das geheime unddirekte Wahlrecht haben will, so meint mu» damit, daß man darüberhinaus keine ernstlichen Forderungen hat,(Sehrrichtig! bei den Sozialdemokralen. Widerspruch tm Zenirum.) DerAbg. G r o n o w s k i hat vielleicht nicht auS dem Verstände, wohlaber auS dem Herzen des Zentrums heraus geredet,(«ehr gut Ibei den Sozioldeniokraten.)Die sreikoniervative Partei wollte, wie die Herrenv. Zedlitz und v. Kardorff im vorigen Jahre unter dem schmerz-haften Eindruck der erliueneii Prügel sagten, aus der Niedertagelernen. Aber sie war ja von je die rücksichtsloseste Vertreterin dermechanistischen Staatsauffassimg und der Unterdrückung der Volks-Massen, sie wollte in Preußen auch noch die D r i t t e l u n g derllr Wahlbezirke bei' eilige n, die einzige Bestinniiung, diees ermöglicht, daß in durch und durch proletarischen Bezirken.dieBolksm äffen sich Gehör verschaffen können. Hemd in Hand mit denNatiönalliberalen liefen die� Freikouservativeu dagegen Sturm. Wennman daran denkt, so weiß man, was hinter den formellen Er-klärungen steckt, mit denen sie sich den Rücken zu decken suchen.Htrr v. Z e d l i tz forderte eine Reform de» tomtyunalenWahlrechts dahin, daß überall das„alte bewährte Drei-klassenwahlrecht" eingeführt wird.(Hört I hört l bei denSozialdemokraten.) Diese Partei arbeitet also systematisch auf dieweitere Entrechtung des Volkes hin. Und die nennt sich Reichs-Partei. Eigentlich ist es keine Partei, sondern nur eine kleineKotterie, und wir erwähnen sie nur, weil sie uns die besten Objektezur Demonstration der Rückständigkeit in Preußen bietet.(Heiter-keit.) IhrSturmlauf im Abgcordnetcilhause gegen den Reichstagist ein Vorgang von historischer Bedeutung. Im vorigen Jahre hatsich der Justizmiiiister B e s e l e r daran beteiligt, in diesem JahreHerr v. Dallwitz. Und die Konservativen, die beständig gegendas Reich hetzen, bestreiten dem Reiche das Recht, sich umPreußen zu bekümmern. Wo es sich darum handelt, Volks-rechte zu verkürzen und zu verkümmern, hält dasAbgeordnetenhaus sich für kompetent, einzugreifen. Der Er-Weiterung der Volksrechte setzt es Schwierigkeiten entgegen.Haben wir es doch erlebt, daß süddeutschen Staaten wegender Verbesserung des Wahlrechts mit preußischer Gewaltgedroht wurde. Das ist ein unglaublicher Mangel anVerswämlhcit.(Große Heiterkeit und sehr gut I Präsident Kaempfbittet den Reder, sich zu mäßigen.)Auf die Dauer kann Preußen nicht eine durchaus andere Ver-fassung habex,, wie das Reich. Die Spannung zwischen Preußenund dem Reich ist ganz unerträglich geworden. Wir Sozialdemo-kraten haben dort noch nicht den zwanzigsten Teil desparlamentarischen Einflusses wie hier.(Abg. Schultz(Rp.): Gott-s e i d a n k I) Auf die Dauer ist das unhaltbar und diese UnHalt-barkeit ist klar hervorgetreten durch die a r rjo g a n t e Art, mit derHerr v. K a r d o r f f in der Art eines Grandseignenrs gegen dasReich auftrat.(Präsident Kaempf bittet den Redner sich zumäßigen.)Ich will gern zurücknehmen, daß Herr v. Kardorff wie einGrandseigneur aufgetreten ist.(Große Heiterkeit.) Das junkerlichePreußen kann mit dem Reich zugleich nicht auf die Dauer bestehen,hier gibt es kein»sowohl— als aucb", sondern nur ein»ent-weder— oder(Lebhaftes Sehr richtig I> Sie möchten demVolk das Wahlrecht nehmen, ober das Zählrecht lassen.(Sehrrichtig I bei den Sozialdemokraten.) Sie möchten die preußischePolizei in den Reichstag einziehen lassen. Sie stärken, diepreußischen Finanzen, um der Erbschaftssteuer im Reich entgegentretenzu können. Die Politik der Sozialdemokratie geht dahin,das Junkerprcußen zu zertrümmern und ein freies Preußeuzu schaffen.(Große Unruhe rechts. Präsident Kaempf: Ich kann nicht zu-geben, daß Six einer Partei dieses Hauses vorwerfen, sie wolle dasReich zertrümmern. Stürmiswe Heiterkeit.) Wir wollen— selbstverständlich bildlich— mit allen Mitteln daS junkerliche Preußenzertrümmern und das Deutsche Reich von dem preußi-scheu Joch befreien.(Unruhe rechts.) Ihre Stellung zuunserem Antrag beweist Ihre Schwäche und Ihren Mangel anSelbstvertrauen, genau so, wie Ihre Haltung im Abgeordnetenhause.(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Sie wollen keine inner-polftische PazifizierungSpolitik, sondern Sie treiben eineProvokationspolitik, um der Bevölkerung mitGewalt gegenüber zu treten. Elsaß hat ein freies Wahl-recht erhalten, nicht auS liberalisierender Neigung der Negierung,sondern wegen der Spannung zwischen Deutschland und Frankreich,die es nicht erlaubt, einen Staat an der Grenze zu haben, dessenBevölkerung feindselig bleibt. So greifen inner- und außerpolitischeNotioendigkeiten ineinander über. All Ihr patriotiswes Geschrei wirdim Volk keinen Enthusiasmus hervorrufen, das Volk wird sich erinnern,daß eS feine Knochen ISIS so gut wie 1870 hat zerschießen lassen, unddaß man ihm trotzdem die Gleichberechtigung versagt.Die Gefahren, die in unserer EntwickeluNh liegen, sind durchIhre Freunde heraufbeschworen, durch die sogenannte preußische Re-gierung.(Präsident Kaempf: Sie dürfen die preußische Regie»runks nicht herabsetzen!) Die wirklich Herrschenden in Preußen sindja die Herren von der konservativen Partei Arm in Arm mit denenvon der Mitte. Wir find entschlossen, das preußische Wahl-recht zu erobern, und wir werden es erobern. Die Sozial-demokralie läßt sich durch Ihr blindes Wüten nicht ins Bockshornjagen! sie ist entschlossen, mit einer ganzen Welt von Feinden fertigzu werden, sie wird auch mit Ihnen fertig werden.(Leb-haster Beifall bei den Sozialdemokraten.)Abg. Sivkovich(Vp.): Das mecklenburgische Volk hatsich bei den Wahlen in seiner überwältigenden Mehrheit für einenmodernen Verfassungsstaat ausgesprochen. Die mecklen-burgische Verfassung stammt aus dem Jahre 1755, sie ist aber nichtein altehrwürdiges Kleid, sondern ein alter schäbiger Rock,der endlich beseitigt werden muß. Ueberall sonst ist die ständischeVerfassung längst zum allen Eisen geworfen worden, nur in Mecklen-bürg besteht sie ininter noch. So kann es auf keinen Fall weitergehen. Die Bevölkerung Mecklenburgs im Gebiete der Ritterschaftgeht ständig zurück.(Hört I hört I links.) Das ist da« furcht-barste Edikt, das über die Zostände in Mecklenburg gefällt werden kany.Wenn alle Mittel erschöpft sind muß der Reichstag helfen. Wirwollen nicht etwa, daß uns nun etwa das Reich sofort ein Wahl-recht aufoktroyiert. Wir sind nach wie vor für das allgemeine,gleiche und direkte Wahlrecht auch für Mecklenburg, aber wir sindnatürlich zunächst auch mit Abschlagszahlungen zu-frieden, vorausgesetzt, daß das Gebilde überhaupt den Naineneiner Volksvertretung verdient. Das bis jetzt von der Regierungvorgeschlagene Repräsentalivsystem verdient diesen Ehrennamen nicht.(Sehr wahr!)Abg. Herzfeld(Soz.):Die Tatsache, daß sich die ausschlaggebenden Parteien imReichstag bei dieser wichtigsten politischen Frage des Reichs hinterKoiiipetenzbcdenken verstecken, ist ein trauriges Zeichen für diepolitische Bildung im deutschen Bürgertum.(Sehr wahr l bei denSozialdemokraten.) Wenn man wenigstens den Mut hätte, zu sagen,e« handelt sich hier um die größte politischeFrage fürdas Deutsche Reich, und da wollen wir die Sozialdemokratieund die breiten Massen des Volkes, die hinler ihr stehen, nieder-halten. Aber Konipetenzbedenken hier vorzubringen, ist ein Schlagins Gesicht der deutschen Wähler. Deshalb meine ich,wenn wir auch heute im Deutschen Reichstag die Besiegten seinwerden, im Lande draußen werden wir die Sieger sein.(Sehrwahr! bei den Sozialdemokraten.) Es handelt sich hier um die Machtdes Reichstags gegenüber Preußen. Es handelt sich nicht uin dasWahlrecht in Süddeutschland, auch nicht in Mecklenburg. Wenn inPreußen ein demokratisches Wahlrecht kommt, dann brauchenwir nicht bange zu sein um das Wahlrecht inMecklenburg.' Fällt der Herzog, dann fällt der Mantelnach. Mecklenburg ist nie etwas anderes gewesen, als der MantelPreußens.Vor einigen Tagen sagte Graf PosadowSkh, wenn derReichstag ein politischer Faktor sein will, dann muß er imstande sein.seinen Willen durchzusetzen. Sind wir dazu jetzt imstande?Wir haben die einheitlichen Wahlurnen beschlossen, aberPreußen wünscht die Wahlurnen nicht, deshalb bekommen wirsie nicht. Herr Mermuth im Reich wollte die E r b s ch a f t S-st e u e r. Er mußte über die Klinge springen, denn Zentrum undKonservative in Preußen wollen sie nicht. So herrscht Preußenim Reich� Diese Machtfrage zeigt sich auch in der äußeren Politik.Das haben wir erlebt, als hier ansgesprochen wurde, daß unterallen Umständendie Nibelungentreueden österreichischen Verbündeten gehalten werden mllffe. Woherkam das? Weil das Zentrum, unterstützt von seinen Bundes«genoffen, den Konservativen, dies Eintreten für Oesterreich wünschte,da es in Oesterreich seine Interessen besonders gefördert meint.Wohin die Dinge kommen, wenn eine Klasse wie das Junkertumunter ollen Umständen an ihrer Macht festhält, beweisen die Ver-hälmisse in Mecklenburg. Dort handelt eS sich klipp und klarum eine feudale Ständeherrschast. Natürlich ist eS unmöglich, ihr nun ein demokratisches Wahlrecht aufzupfropfen.Da» kann nur der reinste Utopist glauben, der von den tat«sächlichen Machtberhältniffen keine Vorstellung hat. So wahres ist, daß es in Preußen nicht durch Verhandlungen mit denStänden zu einer Umwälzung des Staatsrechts gekommen ist, sondernerst durch die Revolution von 1348, so werden auch dieVerhandlungen mit den Ständen in Mecklenburg allein niemals zueiner Aufhebung des feudalen Staats führen. Als der König vonPreußen vor den Barrikaden den Hut abnahm, da ent«stand auch in Mecklenburg der konstitutionelle Staat; aber alsin Preußen die Revolution niedergeschlagen war, wurde erwieder beseitigt. Der Grund war eben, daß in Wirklichkeit die Herr»schaft der feudalen Ritterschaft ganz unerschüttert war. Sie war sounerschüttert, daß sie heute noch bestebt. In Mecklenburgmuß der Landesherr die Ausgaben für das Landesregiment be»streiten. Infolge der Zollpolitik im Reiche kommt er nicht mehr auSmit seinen Mitteln, und weil die Junker ihm seit 1910 keine Zu-schüsse mehr bewilligen, deshalb der große Eifer der mecklenburgischenLandesregierung, dem Lande eine Verfassung zu geben. Aber beiallen Entwürfen handelt es sich nur um ein ständischesWahlrecht.Arbeiter und Mittelstand bleiben rechtlos.(Hört! hört!) Es bleibt nichts übrig, als daß zunächst inPreußenein demokratisches Wahlrecht durch den Reichstag eingeführt wird.Das wird in dem Moment möglich sein, wo die Klassen draußen,die daran ein Interesse haben, die Macht errungen haben,um den Deutschen Reichstag dazu zu zwingen.Mit dem Reichstagswahlrecht ist ein Dritteil des deutschen Volkeszu einer Macht geworden, ist emporgehoben zu einem Be»wußtsein seiner Macht und Würde. Mit diesem Wahl»recht werden wir weiter ringen um die Seele auch des letztenMannes im deutschen Volke, und das deutsche Volk läßt sich nichtmehr niederdrücken und in Unkultur halten, das deutsche Volk wirdsich in immer größeren Masten und schließlich in seiner großenMehrheit der Sozialdemokratie anschließen.Dann werden Sie dem Deutschen Reichstag nicht die Zuständigkeitbestreiten können, wenn es sich um die Interessen des Volkes handelt,dann wird der Reichstag dieses Gesetz geben, das daS Wahlrechtbringt.(Bravo l bei den Sozialdemokraten.)Abg. Hofmann-Nudolstadt(Soz.):Unser kleines Land hat ja in der letzten Zeit wiederholt tmMittelpunkt des politischen Interesses gestanden. Der Grund istdarin zu suchen, daß bei uns ein echter preußischer Junkergegen dos Volk zu regieren versucht.(Hört I hört l beiden Sozialdemokraten.) Er hat es gewagt, einem Landtag mitsozialdemokratischer Mehrheit einen Wahlgesetzentwurs vor-zulegen, der die unglaublich st en Bestimmungen enthält.Wir müßten ja geradezu verrückt sein, wenn wir diesenEntwurf annehmen würden.(Sehr richtig I bei den Soziald.) Es istschwer, die Leute noch ernst zu nehmen, die bei uns die Politik leiten.(Sehr richtig I bei den Sozialdemokraten.) Die sozialdemokratischeMehrheit bat bei uns die Regierung niemals gehindert, ihren gesetz-lichen Verpflichtungen als Bundesstaat nachzulommen. Wenndie Regierung nurein wenig Vernunft und guten Willenehabt hätte, hätte sie mit der sozialdemokratischen Mehrheit auS»o m m e n können. Aber der Minister v. d. Recke wollte ebennicht. Daher griff er zu diesem erbärmlichen Attentat»»versuch auf die Rechte des Volkes, der aller Vernunftwiderspricht.(Unruhe rechts.)Präsident Dr. Kaempf: Sie dürfen von der Tribüne des Reichs»tages herab einer Bundesregierung nicht die Vernunft absprechen.Das ist eine Beschimpfung, die ich nicht zulaffen kann.(Bravo lrechts.)»Abg. Hofmann:Dann schließe ich mit den Worten, daß wir in Rudolstadtbisher von der Vernunft unserer Regierung nursehr wenig gemerkt haben.(Heiterkeit und Sehr gut l beiden Sozialdemokraten.)Abg. Wurm(Soz.):Ich will nur über einen der tollsten reaktionären Streichesprechen, der einer gewissen Komik nicht entbehrt. Im reußischenLandtag sitzt ein Fürst von Reuß-Köstritz als Vertreter der früherregierenden Linie. Der junge Herr studiert jetzt und ist 21 Jahrealt. Die Regierung genierte sich offenbar, die beabsichtigte Ver»fassungSpnderung mit seiner Stimme durchzuführen, weil die übrigenAbgeordneten 25 Jahre alt sein müssen. Daher brachte sie einGesetz ein, das diesem Fürsten das Recht gibt, bis zum 2ö. Jahreeinen Vertreter zu haben.(Heiterkeit bei den Sozialdemokraten.) Das Gesetz wäre hieraufangenommen worden, wenn meine Parteifreunde eS nicht zu ver-hindern gewußt hätten. Was aber tat nun die Regierung?Dieselbe Regierung, die soeben diesen Gesetzentwurf vorgelegt hatte,ließ nun den 21jährigen Fürsten seinen Sitz imLandtag einnehmen.(Hört I hört l links.) Und nun wurdedaS bisher leidliche Wahlrecht in ein Fünf klassenwahlrechtumgewandelt I(Hört I hört l bei den Sozialdemokraten.) Nichtnur die Nationalliberalen, sondern auch die reußischenFortschrittler haben für dieses Klassenwahlrecht ge-stimmt.(Lebhaftes Hört I hört l bei den Sozialdemokraten undrechts.) Freilich versuchten nachher die Fortschrittler, dieseHerren von sich abzuschütteln. Aber Tatsache ist doch, daß dieseHerren als Fortschrittler kandidiert haben. Das neueWahlrecht bringt außerdem noch eine ungerechte Wahlkreiseinteilungund eine Mehrstimmenrecht. Die reußischen Arbeiter haben aufdiesen Wahlrechtsraub die gebührende Antwort gegeben, sie habenden Generalstreik durchgeführt, und am Tage derWahlrechtsberatung standen alle Fabriken still.(Bravo l bei denSozialdemokraten.) Sie zwingen uns. zu diesen äußerstenMitteln zu greifen. Aber daS Volk wird sich nicht hinreißen lassen,zur unrichtigen Zeit andere Mittel anzuwenden.Aber wenn die Zeit kommt, wird das Volk zu handeln wissen.(Bravo I bei den Sozialdemokraten.)Damit schließt die Debatte. In der Abstimmung wird dererste Satz des sozialdemokratischen Antrages gegen die Stimmen derAntragsteller, Fortschrittler und Polen abgelehnt. Für die übrigenSätze stimmen nur die Antragsteller. Der Gesetzentwurf istdamit in erster und zweiter Lesung abgelehnt und wird nichtzur dritten Lesung gestellt.Nächste Sitzung: Donnerstag 1 Uhr(Justizetat, Postetat).Schluß: S'/z Uhr.parlamentarilcdes.Aus der Wnhlprüfungskommission.Die Wahl des Abgeordneten W a r l o(Zentrum) wurde fürgültig erklärt.— Zu lebhaften Debatten kam es bei der Prüfungder Wahl des Abgeordneten Dr. Arendt(ManSseld). Im Wahl»lokal dcS 1. Bezirks der Stadt Eisleben war an der Wahlzelle daSbekannte reichSverbändlerische Schwindelplakat angeheftet, in dem be»haupiet wurde, es seien gefälschte Stimmzettel im Umlauf, die stattauf Arendt auf Arondt lauten. Unsere Genossen beantragten, diesenProtestpunkt als e r h e b l i ch zu erachten, weil daS Plakat an derWahlzelle, also im Wahllokal befestigt war. Mit 7 gegen 7 Stimmenwurde dieser Antrag abgelehnt.— Die Prüfung der Wahl wirdam Donnerstag fortgesetzt._Die Konkurrenzklausel.In der Miitwochsitzung ist die Beratung des ß 74» des Ent-Wurfs noch nicht zum Abschluß gekomnien. Bon der großen Mengeder dazu gestellten Anträge hoben sich aber aus dem Gange derVerhandlungen die Einzclftagen deutlickser ab, die auf eine Mehrheitrechnen können, natürlich soweit die Haltung des Zentrums über-Haupt berechenbar ist. Diesmal ließ es die von allen Seiten an»gegriffenen Grundsätze seines.verbesserten" Antrages fallen und zogsich auf den früheren Antrag zurück, akzeptierte auch die GettungS»dauer von nur einem Jahre für die Konkurrenzklausel. Danach be»