Dr. 43. 30. Iahrgaog.i ßtilnp des Jutmärts" Derl« PsIMInft.Dovuerstag, 20. Februar 1913.Reichstag1913,die11®. Sitzung. Mittwoch, den 19. Februarnachmittags 1 Uhr.Am BundeSratst'isch: Niemand.Auf der Tagesordnung stebt der Antrag des Zentrums beirAufhebung des Jesuitengesetzes.Abg. Spahn(Z.): Viermal hat der Reichstag bereits die AufHebung des Jesuitengesetzes beschlossen. Zu dem neuen Antrag liegtein Antrag Ablaß vor. wonach bei Aufhebung des Gesetzes dielandesrechtlichen Borschriften zu der Materie unberührt bleiben.Für uns handelt es sich bei dieser Forderung um die Frage, inwieweitdas Reich Anspruch darauf erheben kann, ein R e ch t s st a a t zusein, solange das Jesuitengesetz besteht.(Sehr richtig! im Zentrum.)Redner geht auf die Entstehungsgeschichte des Jesuitengesetzes ein.Ueberall, wo die Jesuiten tätig sein konnten in protestantischenLändern ist niemals eine Störung des konfessionellen Friedens er-folgt.(Sehr richtig! im Zentrum.) Politisch tätig dürfen sieüberhaupt nur mit ausdrücklicher Erlaubnis des Ordens-generals für den einzelnen Fall sein.(Sehr wahr! im Zentr.)Man spricht immer absprechend über die jesuitische Moral. Wennaber die Mehrzahl unseres Volkes auch nur so viel Moral hätte, wie derlaxeste Jesuit, dann würden all die Klagen verstummen, über Unterfchätzung der Wissenschaft und Ueberschätzung der materiellenGüter.(Sehr gut I im Zentrum.)— Der Zentrums-türm bedarf der Aufhebung des Jesuitengesetzes nicht;wie man in der Presse behauptet hat, nur uns liegt lediglich an derWahrung der Rechte der katholischen Bevölkerung und der Jesuiten.Zu dem Antrag Ablaß liegt kein Anlaß vor, denn es handelt sichhier um das Reichsgesetz. Im übrigen ist die Tragweite des AntragS, soweit er sich nicht nur auf die Frage der Niederlassungen,fondern auch auf priesterliche Handlungen beziehen soll, nicht zuübersehen. Ich bitte«ie deshalb, unserem Antrag zuzustimmen.(Bravo I im Zentrum.)Abg. Hofmaun-Kaiserslautern(Soz.):Seit der Aufhebung des Z 2 des Jesuitengesetzes im Jahre 1904haben wir eine Art Waffenstillstand. Der neue Vorstoß ging vonBayern aus durch den Hertlingschen Erlaß, der zweifellos einenUebergriff in die Sphäre des Reichsrechts bildete.(Sehrrichtig!) Man sagt, Herr v. H e r t I i n g habe nur eine Erbschaftseines Vorgängers übernommen. Aber er war doch durch seineeigene Vergangenheit erblich belastet.(Sehr richtig I) Emen Erlaßseines Vorgängers über die Zulassung der Feuerbestattung, über dieBeseitigung der geistlichen Schulaufsicht, über die Zulassungvon Sozialdemokraten zu Staatsämtern hätte er wohl kaumausgeführt.(Sehr wahrl bei den Sozialdemokraten.) Derselbe Frhr. v. Hertling, der sich eines offenbaren Ver-stoßes gegen die Reichsgesetze schuldig gemacht hat, willuns Sozialdemokraten unter ein Ausnahmegesetz stellen, weil wirnicht gesonnen seien, die Reichsgesetze zu respektieren. Wer die Ge-müter der bayrischen Sozialdemokraten kennt, glaubt schon ohneweiteres das nicht von uns.(Heiterkeit.) Gar mancher Prälathat uns bestätigt, daß wir relativ gar nicht so schlecht undabsolut noch viel besser sind wie die Liberalen.(GroßeHeiterkeit.) In der Bayerischen Reichsratskammer nannte Herrv. Hertling das Jesmtengesetz ein odiöses Kampfgesetz. Ichunterschreibe das. Aber ein Minister, der ein bestehendesReichsgesetz wegintcrpretieren will, hat das Recht verwirkt,gegenüber der Sozialdemokratie auf die Staatsautorität hinzu-weisen. Ueberdies war das Vorgehen des Freiherrn v. Hertlingeine große Dummheit; man kann von ihm sagen: WärestDu kein Staatsmann geworden, so wärest Du ein Staatsmann geblieben I(Heiterkeit.)Das Jesuitengesetz istein Tendcnzgesetz schlimmster Art,ein Ausnahmegesetz nicht nur gegen die Jesuiten, sondern gegen diekatholische Kirche.(Hört! hört! im Zentrum.) Bei der Begründungde« Gesetzes erhob man schwere Anklagen über die Gemein-gefährlichkeit der Jesuiten. Setzt man überall statt des Wortes„Jesuiten"„Sozialdemokraten", so hat man die s ch ö n st eBegründung des Soziali st engesetze s. Mit aus demZusammenhang gerissenen Zitaten suchte man die Schlechtigkeit undVerwerflichkeit der Jesuiten zu beweffen. Natürlich sind fie Menschenwie alle anderen, im Guten wie im Schlimmen. ES ist daS die-Rieiiies fcuilleton.Der 20. Februar 1813 in Berlin. In der ganzen blutigennapoleonischen Epoche hat Berlin selbst von eigentlichen kriegerischenAktionen nur in den Februartagen 1813 etwas zu spüren bekommen.Das russische Korps von Tettenborn, in dem sich auch viele Deutschebefanden, versuchte damals von Norden her(Werneuchen, Pankow)einen Handstreich gegen die französische Besatzung, die noch immerin Berlin lag. Es muß schon etwas Besonderes gewesen sein.denn der Berliner Komponist Zelter, der sonst nicht übermäßigoft bei den kriegerischen Ereignissen verweilt, berichtet am 21. Fe-bruar 1813 darüber an seinen Freund Goethe mit folgenden Worten:„Gestern ist es etwas ernsthaft in unserer Residenz hergegangen.Von einer Anzahl Kosacken, die gegen dreihundert angegeben werden,hatten sich gegen hundertundfünfzig auf den Anhöhen vor der Stadtzusammengefunden, sprengten in die Tore herein und hieben undschössen eine Anzahl Franzosen nieder, welche sie auf den Straßenfanden. Dies geschah gegen Mittag. Ich befand mich auf derAkademie. Als ich gegen 2 Uhr zu Hause wandeln wollte, tvarendie Brücken bereits von den Franzosen gesperrt und mit Kanonenbesetzt; ich mutzte deshalb einen sehr weiten Umweg nehmen, bisich endlich mein Haus nach 3 Uhr erreichte. In nieiner Straßewar es lebhaft hergegangen. Die mir gegenübcrsteheiwen Häuserwaren von Kugeln durchlöchert. Mehrere Bürger sind getötet undmein Nachbar, ein Kaufmann, auf den Tod verwundet. Gegenb Uhr hatten die Kosacken den Weg zum Tore hinaus wieder ge-funden. Wären diese kühnen Leute still, in Masse, ins Hausdes französischen Gouverneurs Herzogs von Castiglionc gedrungen.anstatt sich mit dem Niederhauen einzelner Franzosen in denStraßen zu beschäftigen und die ganze Stadt zu alarmiren, sohätte der Coup gelingen können; und hätten gegenteils dieFranzosen, welche überrumpelt schienen, sogleich die Thore sperrenlassen, so wäre kein Russe gesund wieder hinausgekommen."Das Gerücht, die Franzosen wären abgezogen, bestätigte sichnicht; sie erhielten im Gegenteil Verstärkung und biwakierten dieNacht über in den Straßen.„Es herrscht eine ahnungsvolle Stille,Niemand weiß, was er vornehmen soll." Am 24., als die Kosackennoch immer vor den Toren herumschwärmen und die französischeBesatzung auf 12 000 Mann erhöht worden war, wird der„Zustand"als„ängstlich" bezeichnet.„Es ist so ruhig, daß man des Abendsdie Hunde laufen hört." Die Plänkeleien in der Umgegend dauertennoch einige Tage an, bis das Vorrücken der russischen Infanterieüber die Oder die französische Besatzung am 4. März zum Abzügeveranlaßte. Tettenborn war niit dem Verhalten der Berliner sehrunzufrieden gewesen. Er hatte gehofft, sie würden sich bei seinemHusarenstreich alsbald erheben und nannte sie nun„Bestien, diekein Blut, sondern Wasser in den Adern haben."Als„erstes Opfer im deutschen Freiheitskriege" siel, wie derGedenkstein am Königstor meldet, Tettenborns Adjutant A. v o nBlomberg, ein seinerzeit geschätzter Theatermann aus dem«mantifchen Lager, Fouguex der 1820 feinen Nachlaß herausgab�selbe Kampfesmethode, wie sie gegen die Sozialdemokraten geübtwird, und namentlich vom Zentrum.(Lebhaftes Sehrrichtig! bei den Sozialdemokraten.) Hier erfüllt sich beim Zentrumdas Wort: Womit du sündigst, wirst du bestraft. Zweifellos kannman in den Jesuitenschriften eine Unmenge von Stellen finden, diemit den heute herrschenden Rechts- und Moralbegriffen sich nicht ver-einigen lassen. Wer bedenkt, daß ihre Staatstheorien nur Abstraktioneneines im Mittelalter bestehenden Zustandes sind, wer bedenkt, daßder Jesuitenorden ein Teil der katholischen Kirche ist, und werweiter bedenkt, daß die Kirche ihre glänzende Herrschaftsstellung imMittelalter nicht vergessen kann und deswegen Staatstheorienaufrecht erhält, über die man in der Wirklichkeit längst zurTagesordnung übergegangen ist, der versteht auch dieSätze der Enzyklika, des Syllabus und die Moralsätze derJesuiten. Während die Staatstheorie der Sozialisten seit hundertJahren immer mehr von der Utopie zur Wirklichkeit fortschreitet, istdie der Jesuiten seit dreihundert Jahren immer mehr von derWirklichkeit zur Utopie fortgeschritten.(Sehr gut!bei den Sozialdemokraten.) Aber selbst wenn die theoretischen Sätzeder Jesuiten so gefährlich wären, wie ihre Gegner es darstellenliegt doch kein Grund zur Aus nahmegesetzgebung vor, denn dieGesetzgebung soll Handlungen bestrafen, nicht Ge-s i n n u n g e n, Taten, und nicht Theorien, und in unserer Zeit istkein einziger Jesuit bestraft worden wegen hochverräterischer oderumnoralsicher Taten.(Hört! hört I im Zentrum.) Ebensowenig wieein Sozialdemokrat wegen revolutionärer Taten.(Widerspruch imZentrum.) Sozialdemokraten sind nur wegen revolutionärerGesinnungen, niemals wegen revolutionärer Taten bestraftworden.(Sehr gut! bei den Sozialdemokraten.)Herr Spahn sagte, den Jesuiten sei durch ihren OrdenSgeneralstreng verboten, Politik zu treiben. Das Verbot wird aber nicht sostrenge gehalten. So weist die Augsburger„Post" nach, daß derJesuit Bödinghausen den ersten König von Preußenhat machen helfen. Es wird also da der aktenmäßige Nach-weis erbracht, daß die Könige von Preußen weniger von GottesGnaden sind, als von JesuitenGnaden.(Lebh. Heiterkeit.) Manwill die Jesuiten nicht zulassen, weil ihre Väter vor mehreren hundertJahren recht schlimme Taten vollbracht haben. Wir haben es doch mitden Jesuiten des 20., nicht mit denen des 16. Jahrhunderts zu tun. Wirbestrafen ja auch nicht die Nachkommen der ehemaligenRaubritter.(Große Heiterkeit.) Nach unserer Auffassung istauch heute die Tätigkeit der Jesuiten ohne eine tüchttge Portiongeistigen Terrorismus nicht möglich, aber die Frage ist nicht, ob sienützlich oder schädlich sind, sondern ob man ein Ausnahmegesetzbraucht. Es ist interessant, daß das Zentrum sich für die Zulassungder Jesuiten auf Friedrich den Großen, auf Lessing,Goethe und Heinrich Heine beruft, das isteine schöne Galerie von Freigeistern und Atheisten,die als Kronzeugen der Jesuiten angeführt werden.(Heiter-keit.) Das Zentrum sagt, die jesuitische Lehre ist die der katho-lischen Kirche. Ganz meine Meinung. Die Lehre etwa? weiter geführt.kommen wir zu der Auffassung, daß hier die Herren vom Zentrunisamt und sonders Jesuiten sind.(Große Heiterkeil.) Und inweiterer Konsequenz führt es dahin, daß wir in Deutschland einpaar Millionen Jesuiten haben. Da sollten uns die»paar hundertJesuiten in Uniform auch nicht mehr schaden. Entweder muß dasJefuitengesetz aufgehoben werden oder Sie machen ein Aus-nahmegesetz gegen die katholische Kirche.(LebhaftesSehr richtig! iin Zentrum und bei den Sozialdemokraten.) Am4. Dezember 1912 hat der Reichskanzler die Nichtzulassung derJesuiten mit der Rücksicht auf die Gefühle der 40 Mill. Protestantenbegründet und von der Erhaltung des konfessionellen Friedens gesprochen.Der nationalliberale Redner feierte ihn, weil er Oel auf die Wogendes konfessionellen Kampfes gieße. Aber die Rechnung mit den40 Millionen Protestanten stimmt nicht, die 15 Millionen Sozial-demokraten erklären die Religion zur Privatsache und verlangendie Aufhebung des Jesuiten gesetzeS. Die ungeheuereErregung, von der in den Zeitungen die Rede ist, ist beim deutschenVolke gar nicht vorhanden(Sehr richtig I), die großen Volksmassenhaben ganz andere Dinge zu tun, als an die Jesuiten zudenken, in dieser Zeit der Teuerung geht der Kampfums tägliche Brot und nicht um die Jesuiten,und wenn ein Beruhigungsmittel für konfessionelle Hilfs-kräste absolut nötig ist, so möchte ich dem Reichskanzlernicht das teure Oel empfehlen, sondern daS billige kalteWas s e r.(Große Heiterkeit.) Dem Zentrum möchte� ich sagen,Toleranz und Konfession sind ewig unvereinbare Gegensätze;(Sehrwahr! bei den Sozialdemokraten.) Toleranz zu fordern ist leicht,hat einige seiner Briefe bewahrt, in denen von seinen(unerfüllten)Dichterhoffnungen zu lesen ist. Er, der bei Jena mitgekämpftund Schills Zug mitgemacht hatte, saß 1811 in seiner GarnisonNeisse und befriedigte seinen Kunstenthusiasmus durch Mitwirkungan einem Liebhabentheater unter dem hohen Protektorat des HerrnMajors. Als er den ewigen Kotzebue auf dem Repertoire einmalgegen Goethes„Egmont" vertauschen wollte, mutzte er erfahren,daß die Majorin, die sich für eine sehr gebildete Dame hielt, dasStuck nicht kannte. Der Gatte erst recht nicht. Nach der Lektüreerfolgten diese Urteile:„Er meinte, es sei das erbärmlichste Stück,das er je gelesen, es sei schrecklich langweilig und habe gar keinenSchluß, es sei zwar von einem großen Manne, allein(meinte er)die großen Herren schießen auch zuweilen große Pudel. Siemeinte, man könne für Langeweile darin sterben, dann i« ein-zelnen, spreche die gemeine Person(Klärchen) gar zu heroisch, unddann fragte sie mich: kann er sie denn heiraten? Aus Verneinungerwiderte sie: ja, sehen Sie, das ist schon ein Uebelstand." Sorepräsentierte auch nach der Lehre von Jena die regierende Kastedes preußischen Staates dessen Kultur, und das Volk war gut-gläqchig genug, Besserung erhoffend, sich dafür mit Gut und Bluteinzusetzen.Ein unterirdisches Wunderwerk. Unter die bedeutendsten undwichtigsten unterirdischen Höhlen Europas wird von nun an dieGrotte von R e m o u ch a in p s in der Nähe von Spa in Belgien zurechnen sein, denn die Natur hat sich hier als Baumeister und Deko-rateur in so großartiger Weise betätigt, daß sie alle menschlichenPhantasien weit in den Schatten stellt. Die Höhle, die erst voreiniger Zeit entdeckt wurde, ist nunmehr sorgfältig erforscht wordenund wird auch der Oeffentlichieit zugänglich gemacht werden. Einerder Entdecker und Erforscher E. Rahir erzählt in der„Nature" vondem märchenhaften Palast und der geheimnisvollen unterirdischenWelt der Abgründe, Gänge und Flüsse, die die Natur sich da ge-schaffen hat. Durch die Anbringung einer Reihe von Leitern gelanges, in die oberen Galerien der Höhle einzudringen, die sich, gleich-sam in einem dritten Stockwerk der Grotte, über 100 Meter weit,ausdehnen. Dann wurden die Leitern auf Schiffen über den unter-irdischen Fluß transportiert, der dieses Reich der Tiefe durch-schneidet; man stieg an den senkrechten steilen Wänden empor undgelangte durch eine kleine Oeffnung plötzlich in einen Saal vonriesenhaften Verhältnissen, hinter dem sich neue Abgründe und neueSäle öffneten. Dieser Hauptraum, den man„die Kathedrale"genannt hat, ein Saal mit senkrechten Wänden und flacher Decke,ist mehr als 100 Meter lang, 40 Meter breit und etwa 60 Meterhoch. Eine sich abzweigende Galerie bildet den„Chor" diesesDomes, während sich an einer Seite ein kleinerer kapellenartigerRaum befindet. Dieser grandiose Prachtraum der Natur ist mitden herrlichsten Kristallisationen vcrschluendcrisch ausgeschmückt undgewährt im blitzenden Schimmer des Lichts, in dem vielgestaltigenReichtum der Formen einen überwältigenden Eindruck. Auf einernatürlichen Felsbrückc, der„Brücke der Titanen", gelangtman von dem Fluß aus zu der Kathedrale und dann zu einerFlucht von weiteren Sälen, unter denen zwei besonders hervor-wenn man in der Minderheit ist, aber schwer zu üben, wennman in der Mehrheit ist. Unser moderner Rechtsstaat ist seinerganzen Natur nach nicht katholisch und nicht protestantisch, nichtchristlich und nicht unchristlich. In einem solchen Staat darf einekonfessionelle Mehrheit nicht die Vergewaltigung einer konfessionellenMinderheit verlangen.(Sehr richtig I bei den Sozialdemokraten.)Die deutschen Katholiken dürfen auf deutschem Boden keine Jesuiten-Missionen mitmachen, aber 10 Kilometer weiter, jenseits derholländischen Grenze, da können sie es ohne weiteres tun, gerade sowie die Leichenverbrennung im Bayerischen nicht gestattetist, wohl aber im Württembergischen.Auch wir Sozialdemokraten halten den Jesuitenorden für einenKanipfesorden, wir meinen aber auch, der evangelische Bundist keine Gesellschaft der Friedensfreunde.(Große Heiterkeit.)_ DieJesuiten werden sicherlich nicht den religiösen und politischen Friedenfördern, es ist aber nicht die Aufgabe der Reichs- oder Staats-regierung, darüber zu wachen, sondern sie hat absolute Neutralitätzu üben.(Lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemokraten und imZentrum.) Man sagt, die Ereignisse während der Gegenreformationmüssen unsere schmerzlichsten Gefühle hervorrufen. Aber während derGegenreformation haben beide Parteien, Katholiken wie Pro-testanten, das schlimmste an Bergewaltigung ihrer Gegner verübt.(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.)Man sagt, die Jesuiten stören den religiösen Frieden. Aber wirhaben den religiösen Frieden auch nicht gehabt in den Jahrzehnten,seit dem die Jesuiten vertrieben sind. Innerhalb der evangeli-schen Kirche besteht der Streit zwischen Liberalen undOrthodoxen, innerhalb der katholischen Kirche zwischender Berliner und Kölner Richtung. Die Formen, in denendiese Kämpfe durchgeführt werden, sind alle nicht christlich.(Sehrwahr! bei den Sozialdemokraten.) Trotz des bestehenden Kampfesunter den Konsessionen ertönt dann der Ruf: Sammlung allerChristen zum Kampf gegen den Unglauben, gegen den Umsturz.Das istein unehrliches politisches Kampfmittel.(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) In diesen ganzen Kämpfenzeigt sich sehr wenig Christentum, aber eine Masse Pharisäer«t u m.(Sehr gut! bei den Sozialdemokraten.) Was daS Zentrumund die Konservativen zusammenführt, ist die gemeinsameFurcht vor der Sozialdemokratie.(Sehr wahr l bei derSozialdemokratie.) Das Zentrum bekämpft das Jesuitengesetz alsein Ausnahmegesetz; aber ist es zu einem solchem Kampfe wirklichlegitimiert? 1878 hat zwar das Zentrum unter Führung Windthorstsgegen das Sozialistengesetz gestimmt; aber bereits 1380 stimmte einTeil des Zentrums für dessen Verlängerung.(Hört! hört!bei den Sozialdemokraten.) Interessant ist, daß der damalige Sprecherals Grund dieser Abstimmung anführte, die Praxis habe gezeigt.daß das Gesetz nicht gegen alle mißliebigen Parteien,sondern wirklich nur gegen die Sozialdemokratenbenutzt würde.(Lebhaftes'Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.)Weiter sagte jener Redner:„Ich kann sogar für mich hinzufügen,daß mich damals schon das Schlagwort vom Aus-nahmegesetz nicht weiter beirrt hat." Dieser Rednerwar Frhr. v. Hertling.(Lebhaftes Hört! hört I links.) Ichglaube nicht zu viel zu sagen, wenn ich behaupte: wenn es auf dasZentrum angekommen wäre, hätten wir das Sozialistengesetz heutenoch. Tatsache ist, daß 1884, 1386 und 1888 immer so vielZentrumsleute dafür stimmten oder abkommandiert worden sind,daß es stets gerade ausgereicht hat.(Hört I hört I bei den Soz.)So lange das Jefuitengesetz besteht, wird ja das Zentrum für einneues Ausnahmegesetz nicht eintreten können; aber dafür duldet eS dasAusnahmerecht gegenüber der Sozialdemokratie.DaS ist schließlich noch schlimmer. Ein Ausnahmegesetz ist demAusnahmerecht gegenüber, wenn auch brutal, so doch wenigstensehrlich. Hier spricht das Zentrum von Freiheit und Gleichberechtigung.und doch treibt es mit der Unterdrückung der staatsbürgerlichenGleichberechtigung der Sozialdemokraten niemand toller als derMinisterpräsident Frhr. v. Hertling. Unter ihm ist Bayernzum klassischen Lande der politischen Unterdrückung geworden, indemdas politische Denunziantentum sich immer mehr verbreitet.(Sehrwahr! bei den Sozialdemokraten.) Dabei hat 1878 der Zentrums-führer Windthorst hier im Reichstag gesagt:„Die ganze Theorie, daßder Staat und die Majoritäten, welche zufällig vorhanden sind, dasRecht haben, Parteien, die ihm nicht gefallen, vom Genuß staats-bürgerlicher Rechte auszuschließen, ist etwas ganz Horrendes."(Hört!hört I bei den Sozialdemokraten.) Damit hat er die heutigeZentrumspraxis in Bayern auf das schärfste verurteilt. DaS gen-trum hat bis jetzt noch kein Ausnahmegesetz beschlossen, aber ichragen. Der„weiße Saal" hat an seiner Decke und seinenWänden einen solchen Ueberflutz von Stalaktiten und Stalagmitenvon ganz heller Färbung, daß sie eine schneeige und völlig reineWeiße hervorrufen, die kaum irgendwo anders ihresgleichen hat.Ebenso eigenartig ist ein anderer Saal aus Schiefer, der über undüber mit Tropfsteingebilden aus Kalkstein geschmückt ist. Von derDecke hängen schlanke Stalaktiten hernieder, während an den Wän-den Stalagmiten in üppigem Geivirr emporwachsen und der Bodenmit leuchtenden kleinen Kristallen bedeckt ist. Der Raum ist nichtnur von hohem wissenschaftlichem Interesse, sondern strahlt inseinem irisierenden und opalisierenden Schimmer auch einen hohenästhetischen Zauber aus. Die Höhle von Rcmouchamps wird mitihren drei Stockwerken von übereinanderliegenden Galerien demPublikum zugänglich sein; der Besuch nimmt nur zwei StmOmB!in Anspruch._Notizen.H— Bühne nchronik. Tilla D u r i e u x wird dem Theaterder Societäre, dem sie sich verpflichtet hatte, nicht angehören. Siezahlt 25 000 M. Strafe, was bei einem Genossenschaststheater merk-würdig berührt. Wenn Schauspieler selbst eine Bühne übernehmen.sollten sie doch die Mißstände, die sie sonst bekämpfen, bei sich selbstabtun: und dazu gehören doch wohl solche Konventionalstrafen.—Rosa B e r t e n s hat sich dem Deutschen Theater für mehrere Jahreverflichtet.— I s a d o r a Duncan, die Reformatorin der Tanzkunst,wird am 10., 12. und 14. März ihr neues Programm, GlucksOrpheus, in der Kurfürstenoper tanzen.— Die Atlantis-Terrakotten, die Leo FrobeniuS aufwestafrilanischem Boden ausgegraben hat, sind von ihm dem Museumfür Völkerkunde als Geschenk überwiesen worden._— Nationale Heuchelei. In der Südpolar- Expeditiondes Leutannts Filchner scheinen, wie immer mehr durchsickert,allerlei Zwistigkeiten geherrscht zu haben. Anstatt daß nun aber dieDinge in der Oeffentlichkeit geklärt werden, verlegt man sich aufsVertuschen. Der„Lokal-Anzeiger" bringt täglich Andeutungen, diebekanntlich viel giftiger wirken als die volle Tatsächlichkeit, und be-ruft sich dabei aus— nationale Gründe. Natio»«.'« Gründe erfordern immer, vorhandene Mißstände aufzudecken und»�zustellen—>aber nicht zu verheimlichen.— Danksagung. In dem gestrigen Artikel„Ein Dichter gegen dieKinopest' finden sich nur wenige Druckfehler, von denen nur einerbeanstandet werden soll. Hauptmann hat also seinen Roman„Atlantis" nicht zur Verulmung, sondern zur Verfilmung überlassen.Verständlicher wäre immerhin noch Vermulmung gewesen. AberDank sei den(unbekannten) Göltern, die nicht noch weitere Druck«fehler hinzufügten. Wie leicht hätte aus Kyser— Kayser, aus Kino-Pest— Kinofest werden können. Die Leser ahnen gar nicht, wasfür eine Menge Druckfehler möglich sind. Neulich wurde der Sozial-Pädagoge Natorp zu Ratorop, die Zeltstange Scotts zu einer Feld«stange(offenbar vom antarktischen Hopfenbau) usw. usw.